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Der erste Band einer kommentierten Gesamtausgabe der Briefe Erwin Rohdes liegt vor: wir lesen, wie der Student im ersten Semester den Eltern vom Jahn-Ritschl-Streit an der Universität Bonn berichtet, in dessen Folge er mit einer Gruppe anderer Kommilitonen, darunter Friedrich Nietzsche, dem Lehrer Friedrich Ritschl nach Leipzig folgt. Die Freundschaft zwischen Nietzsche und Rohde, die sich im Lauf der gemeinsamen Semester über der Lektüre Schopenhauers angebahnt und vertieft hatte, findet ihren Niederschlag nach dem studienbedingten Weggang Rohdes nach Kiel in einem zwar schon bekannten, aber…mehr

Produktbeschreibung
Der erste Band einer kommentierten Gesamtausgabe der Briefe Erwin Rohdes liegt vor: wir lesen, wie der Student im ersten Semester den Eltern vom Jahn-Ritschl-Streit an der Universität Bonn berichtet, in dessen Folge er mit einer Gruppe anderer Kommilitonen, darunter Friedrich Nietzsche, dem Lehrer Friedrich Ritschl nach Leipzig folgt. Die Freundschaft zwischen Nietzsche und Rohde, die sich im Lauf der gemeinsamen Semester über der Lektüre Schopenhauers angebahnt und vertieft hatte, findet ihren Niederschlag nach dem studienbedingten Weggang Rohdes nach Kiel in einem zwar schon bekannten, aber immer noch bewegenden Briefwechsel. Weitere Stationen im Fortgang der Briefe sind Rohdes einjährige Studienreise nach Italien und das (unbezahlte) Privatdozententum in Kiel; die Briefe begleiten den Entstehungsprozess von Nietzsches "Geburt der Tragödie"; mit ihrem Erscheinen schließt der erste Band. Die Briefe zeigen ein lebendiges und beeindruckendes Bild eines jungen, begabten, witzigen, nachdenkenden Menschen in seiner Zeit und ihren Bindungen.pressive portrait of a young, gifted, witty and thoughtful man in the context of his age and its relationships.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der erste Band der Briefe aus dem Nachlass des Nietzsche-Freundes Erwin Rohde ist in jedem Fall ein guter Anlass, um den Philologen und Autor wiederzuentdecken, meint Rezensent Uwe Walter. Auch wenn der die Hälfte dieses Bandes umfassende Briefwechsel mit Nietzsche bereits publiziert wurde, liest der Kritiker doch gern in den Briefen an die Mutter, die durchaus amüsante Bonmots des "Geistesaristokraten" enthalten und die Zeit von der Bonner Studienzeit bis zur Habilitation Rohdes umfassen. Etwas mehr editorische Mühe hätte diesem Band aber gut getan, urteilt der Rezensent mit Blick auf den sparsamen Anmerkungsapparat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Auf Welteinsamkeit darf nur das Genie pochen
Entsagungsvoll: Der erste Band der nachgelassenen Briefe des Philologen und Nietzsche-Freundes Erwin Rohde

Was wäre gewesen, wenn Friedrich Nietzsche, Professor für Klassische Philologie an der Universität Basel, dem Ekel an der gelehrten Kleinarbeit des Aufspürens unentdeckter Texte, Vergleichens von Handschriften und Klärens von Chronologie und Überlieferungsverhältnissen nicht nachgegeben hätte? - "Man verlangt aber wirklich zu viel, wenn man stets als Ganzer zu leben verlangt: das gestatten die Dämonen nur ihren erhabenen Lieblingen; Goethe und andern Goettersöhnen; wir andern müssen glücklich sein, so lange wir in einer Richtung still und ungestört unsre angebornen Kräfte entwickeln dürfen." Der Überdruss will zwar durch diese Einsicht nicht weichen, gebe es doch "nichts Gräßlicheres als den Philologen in seinem Wahn". Doch der Suchende besinnt sich auf Normalität: "Jetzt endlich bin ich, mit äußersten Anstrengungen, zur Vernunft zurückgekehrt: aber man geht nicht als der Alte aus solch einer Prüfung hervor, es bleibt eine Herbe und Müdigkeit zurück, die erst allmählich gesünderem Leben weicht."

Der philologische Ikarus, der hier schmerzvoll zu einer gelinden Landung ansetzt, heißt Erwin Rohde. Auf ihn fällt heute fast nur noch durch seinen Studienfreund und Seelenverwandten Nietzsche etwas Licht. Altphilologen wissen um sein Impulse gebendes Buch über den griechischen Roman, und sie kennen die noch immer wertvolle Studie "Psyche" über Seelenkult und Unsterblichkeitsglauben der Hellenen. 1845 geboren, besucht Rohde das Johanneum in Hamburg, studiert in Bonn, Leipzig und Kiel; dort absolviert er die akademischen Qualifikationen: "Mit zugedrückten Augen verschluckt der Asket das widerliche Examenspulver, um dann den erforderlichen akademischen Stuhlgang zu bewirken." Er wirft sich für die wissenschaftliche Reputation des Freundes in die Bresche, der doch längst der Wissenschaft Lebewohl gesagt hat. Er erlangt eine Professor in Jena, heiratet, wird nach weiteren Stationen in Heidelberg sesshaft und stirbt mit zweiundfünfzig Jahren, noch vor dem allerdings schon lange umnachteten Nietzsche.

Fast achthundert Briefe befinden sich im Besitz von Rohdes Nachkommen. Der erste von fünf vorgesehenen Bänden bietet einhundert; sie reichen vom ersten Bonner Studiensemester bis zur Habilitation und der ersten Vorlesung, die fünf Hörer hatte. Fast die Hälfte der abgedruckten Stücke ist seit der 1902 publizierten Ausgabe des Briefwechsels Nietzsches mit Rohde bekannt. Den zweiten Schwerpunkt bilden die hier erstmals edierten Schreiben an seine Mutter Berta, die oft als "liebe Alte" angesprochen wird und dem Sohn das Studium sowie die anschließende Hasardexistenz des unbesoldeten Privatdozenten finanzierte.

Gemessen am Standard vergleichbarer Briefeditionen, kommt diese hier freilich allzu sparsam daher. Abkürzungen und Namen, Zusammenhänge und Hintergründe zu erschließen bleibt der Findigkeit des Lesers und seiner Intuition bei der Benutzung von Suchmaschinen anheimgestellt, die editorischen Hinweise füllen weniger als zwei Seiten, für ein Register muss der finale Band abgewartet werden.

Es finden sich hübsche Bonmots; so gesteht der Student den Eltern unbefangen, es gebe keine "fidelere und mehr zur Faulheit reizende und anlockende Universität als unser Bonn". Daneben steht ein wilder Hass gegen Österreich, das im Jahr des Deutschen Krieges als "das personificierte Böse" und der "Feind alles Guten und Freien" beschimpft wird. Wiederkehrende Motive sind neben der Sehnsucht nach einer Existenz als Künstlergenie die Verehrung für Schopenhauer und Richard Wagner, den "neu erkannten Goettersohn", sowie die beständigen Geldsorgen. Der Geistesaristokrat Rohde äußerte sich über Kollegen und Schulmänner meist herablassend; indem er sich so bedingungslos an die Freundschaft mit Nietzsche klammerte, blieb er zumindest in dem hier umgriffenen Zeitraum innerlich einsam. Auch während eines Jahres in Italien, wo die Postzustellung nicht funktionierte, Bettwanzen ihn peinigten und aus Deutschland nur Bildungsphilister unterwegs waren, fand er zwischen Handschriftenlesesälen und Besichtigungen nicht das Gesuchte, denn dort habe eine nachantike Barbarei "durch Zertrümmerung und mehr noch durch Anhängung chinesischer Zöpfe die große Schönheit der Alten so zerfetzt und verkleistert, daß eine starke Abstractionskraft und bedeutende Fähigkeit nachschaffender Phantasie dazu gehört, um dem geistigen Auge die volle Herrlichkeit von einst zu restituiren".

Man kann aus der Lektüre die Frage aufwerfen, ob die von Rohde betriebene und zugleich geschmähte positivistische Philologie in ihrer Sammel- und Detailbesessenheit ,nur' den Grund für alle weitere Forschung gelegt hat - was allein schon reichlich wäre - oder ob da noch mehr ist. Die Sehnsucht nach neuen Sinnufern und Sinnquellen gab es, wie an Rohde zu sehen ist, schon lange vor 1918. Aber anders als Nietzsche war jener bereit, trotz aller Zuckungen pflichtschuldig einen geeigneten Platz einzunehmen: Ein Mensch, der bloß den Drang und bis zu einem gewissen Grad "die Fähigkeit hat, das Erhabne und vom Pöbel mit keinem Organ Verstandne wenigstens andächtig und zu eigner Entzückung zu vernehmen - solch ein bloß verstehender, selbst nichts schaffender Mensch hat nicht das Recht, sich in eine Welteinsamkeit zu flüchten, die dem schöpferischen Geiste freilich erst die Beruhigung zur Darstellung seiner inneren Gesichte gewährt". Seine Selbstbescheidung hat zumindest das Psyche-Buch hervorgebracht. Zeit, einmal wieder hineinzulesen.

UWE WALTER

Erwin Rohde: "Briefe aus dem Nachlass". Band 1:

Briefe zwischen 1865 und 1871.

Hrsg. von Marianne Haubold. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2015. 215 S., geb., 58,- [Euro].

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