Der preußische Kronprinz, der spätere Friedrich Wilhelm IV., der "Romantiker auf dem Thron" genannt, bereiste im Herbst 1828 Italien.
In nur elf kurzen Wochen durcheilte er das Land, fuhr von Verona erst nach Westen über Mailand nach Genua, von dort über Florenz nach Rom und Neapel und schließlich über Ravenna, Bologna und Venedig wieder zurück nach Verona. Er besuchte fast alle Sehenswürdigkeiten Italiens , oft begleitet von Fachleuten allerersten Ranges.
Während seines Italienaufenthaltes schrieb der Kronprinz ein "Reise-Journal" in Briefen für die in Tegernsee auf ihn wartende Gemahlin Elisabeth, das jetzt mit den ebenfalls vollständig überlieferten Briefen an den König veröffentlicht wird. Diese dem Grenzgebiet zwischen Geschichte und Kunstgeschichte angehörenden Dokumente, von zeitgenössischen Illustrationen begleitet, vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Gedankenwelt des 33jährigen Wilhelm und erhellen zugleich ein neues, nach 1815 beginnendes Kapitel in der Geschichte der Italienreisen.
In nur elf kurzen Wochen durcheilte er das Land, fuhr von Verona erst nach Westen über Mailand nach Genua, von dort über Florenz nach Rom und Neapel und schließlich über Ravenna, Bologna und Venedig wieder zurück nach Verona. Er besuchte fast alle Sehenswürdigkeiten Italiens , oft begleitet von Fachleuten allerersten Ranges.
Während seines Italienaufenthaltes schrieb der Kronprinz ein "Reise-Journal" in Briefen für die in Tegernsee auf ihn wartende Gemahlin Elisabeth, das jetzt mit den ebenfalls vollständig überlieferten Briefen an den König veröffentlicht wird. Diese dem Grenzgebiet zwischen Geschichte und Kunstgeschichte angehörenden Dokumente, von zeitgenössischen Illustrationen begleitet, vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Gedankenwelt des 33jährigen Wilhelm und erhellen zugleich ein neues, nach 1815 beginnendes Kapitel in der Geschichte der Italienreisen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Fünfzehn Jahre lang hatte der Thronfolger Friedrich Wilhelm seinen Vater angebettelt, ihm die Bildungsreise nach Italien zu erlauben, von September bis Dezember 1828 fand sie dann statt. Sehr devot und überdankbar fallen die Briefe aus, die er an den Vater schreibt, jeder Gottesdienstbesuch wird notiert. Herzlicher dagegen die Korrespondenz mit Gattin Elisabeth. Die Beschreibungen des Landes wie der Erlebnisse wirken, so die Rezensentin Christine Tauber, "erstaunlich konventionell" und interessant seien sie am ehesten für eine "Psychopathologie" ihres Verfassers. Schon hier, konstatiert sie, das für sein späteres Regierungshandeln so typische "Streben nach Absicherung", stets erkennt er in der Fremde nur Ähnlichkeiten zur Heimat. Gelobt wird die "vorbildlich textgetreue" Edition, auch die zeitgenössischen Illustrationen treffen bei der Rezensentin auf Wohlgefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2002Europa unter kundiger Führung
Auch er in Arkadien: Das Reisetagebuch von Friedrich Wilhelm IV.
Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen, trat vom 23. September bis zum 23. Dezember 1828 als erster preußischer Thronfolger überhaupt eine Bildungsreise nach Italien an. Was er dort sah, dachte und fühlte, läßt sich jetzt nachlesen in dem erstmals von Peter Betthausen vorbildlich textgetreu edierten, kommentierten und liebevoll mit zeitgenössischen Illustrationen versehenen "Reise-Journal". Die kenntnisreiche Einleitung bettet den Text in die ästhetischen Diskussionen der Zeit ein und rekonstruiert akribisch personelle Konstellationen und Reiseitinerar.
Frappiert, fast erschüttert ist man nach der Lektüre von der stilistischen Diskrepanz zwischen den zärtlich-liebevollen Briefen Friedrich Wilhelms an die Kronprinzessin Elisabeth, der er fast täglich schreibt, und den wenigen, übertrieben devot gehaltenen Briefen an König Friedrich Wilhelm III., die vor allem Rapporte der besuchten protestantischen Gottesdienste und Staatsdiners sind. Schon in den Briefen an die Gattin vermerkt Friedrich Wilhelm pflichtschuldig und penibel, wann er an "Papa" geschrieben hat. Die Briefe an den Vater selbst sind dann voller Dankbarkeitsbekundungen gegenüber einer übermächtigen Autorität, die diese Reise auf dem Gnadenwege ermöglicht hat: Nach gut fünfzehn Jahren des Bettelns und Hingehaltenwerdens hatte der Übervater endlich huldvoll einer Reise seines Sohnes in das Land seiner Sehnsucht zugestimmt.
Mit seinen nunmehr zweiunddreißig Jahren war dieser für wirklich prägende Eindrücke mittlerweile fast zu alt. Zu seinem dreiunddreißigsten Geburtstag, den Friedrich Wilhelm am 15. Oktober in Florenz feiert, schickt ihm der Vater das fünfundzwanzigjährige Dienstkreuz für Offiziere der preußischen Armee. Die Grußformel des Dankesbriefs lautet stereotyp wie in allen Briefen: "Ich lege mich Ihnen zu Füßen in Ehrfurcht u treuster, dankbarster Liebe, gütigster, liebster Papa als Ihr unterthänigster Diener u gehorsamster Sohn Fritz."
Die Briefe des späteren Friedrich Wilhelms IV. sind erstaunlich konventionell in ihren Beschreibungen, sie wirken über weite Strecken wie Exzerpte aus der Italienreiseliteratur, zuweilen garniert mit etwas goethischer Emphase, die selten authentisch wirkt. Von einem künftigen Herrscher, der sich immer auch als Künstler verstand, erwartet man frischere Beobachtungen und originellere Kunstbeschreibungen. Die wirkliche Befreiung und der volle Enthusiasmus wollen sich bei Friedrich Wilhelm nicht recht einstellen: Die geistigen und emotionalen Bande, die den Kronprinzen, Gatten und Sohn an den Norden fesseln, sind nicht vollständig abzustreifen. Insofern ist sehr fraglich, ob diese verspätete Italien-Reise tatsächlich, wie Betthausen meint, ein "Schlüsselerlebnis" im klassischen Sinne darstellt. Das "Reise-Journal" ist deutlich aufschlußreicher für die Psychopathologie seines Verfassers als für einen neuartigen Blick auf Italien.
Vielleicht waren aber auch die Eindrücke aus der jahrelang kompensatorisch kultivierten Betrachtung von Abbildungswerken zu übermächtig, als daß dem Reisenden noch ein frisches Hinschauen möglich gewesen wäre. Die Vermeidung des Unbekannten, Unstrukturierten und das Streben nach Absicherung, das sein gesamtes späteres politisches Handeln prägen sollte, zeigt sich bereits hier: Motto seiner Italien-Reise könnte ein Satz sein, den Friedrich Wilhelm in einem emphatischen Rom-Brief an Kronprinz Johann von Sachsen schrieb: "Unsäglich traurig aber ist's, daß Du nicht hast bis hierher, in den alten Welt-Nabel, dringen können mit mir. Das ist doch am Ende immer etwas Unaussprechliches, das Ewige Rom. Mir ist's, als sey ich zu Haus." Aus der Formulierung läßt sich schließen, daß er neben den Losungen der Brüdergemeine auch die ersten beiden Bände von Goethes "Italienischer Reise" im Handgepäck mit sich führte. Bereits 1812 hatte er an seinen Erzieher Delbrück geschrieben, er kenne schon fast jeden Winkel in Rom, denn "1000 Pläne und 1000 Bilder habe ich studiert." Und ganz beruhigt fühlt er sich nur, wenn alles ist wie in Wanne-Eickel: "Um 3/4 8 fuhren wir ab, erstl: durch ein reitzendes Land voll Eichenwälder und terrain Abwechselung. Alle Augenblicke fielen mir Ähnlichkeiten mit der Potsdammer Gegend auf - nur was dort BrauhausBerg u Consorten sind, vertritt hier das Sabiner u Latiner Gebirge."
So fand er in Rom genau das, was er suchte: Versatzstücke einer authentischen Geschichte, die von ungebrochenen Traditionen zeugten und im Norden zu Bollwerken gegen Umsturz und revolutionäres Chaos neu zusammengesetzt werden konnten. Die Potsdamer Friedenskirche sollte als das in den Norden verpflanzte römische S. Clemente gebaut werden, aber so, wie Gutensohn und Knapp es sich in ihrem Werk "Denkmale der christlichen Religion oder Sammlung der ältesten christlichen Kirchen oder Basiliken Roms", von allen barocken Zusätzen befreit, idealiter vorgestellt hatten. Auch Friedrich Wilhelms erstaunlich unzeitgemäßes Interesse für romanische Architektur folgt offensichtlich dieser restaurativen Tendenz: Die frühchristlichen Kirchen in Rom und Ravenna waren für ihn Zeugnisse einer noch unverderbten, "alterthümlichen" und übersichtlich strukturierten Glaubensgemeinschaft des Urchristentums, die er später in seinen Ansätzen zur Reform der preußischen Landeskirche ebenso wiederzubeleben hoffte wie in seinen Architekturphantasien einer Basilika, die klassische Formen und christliche Inhalte organisch verschmelzen sollte.
CHRISTINE TAUBER
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: "Briefe aus Italien 1828". Herausgegeben und kommentiert von Peter Betthausen. Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2001. 336 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch er in Arkadien: Das Reisetagebuch von Friedrich Wilhelm IV.
Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen, trat vom 23. September bis zum 23. Dezember 1828 als erster preußischer Thronfolger überhaupt eine Bildungsreise nach Italien an. Was er dort sah, dachte und fühlte, läßt sich jetzt nachlesen in dem erstmals von Peter Betthausen vorbildlich textgetreu edierten, kommentierten und liebevoll mit zeitgenössischen Illustrationen versehenen "Reise-Journal". Die kenntnisreiche Einleitung bettet den Text in die ästhetischen Diskussionen der Zeit ein und rekonstruiert akribisch personelle Konstellationen und Reiseitinerar.
Frappiert, fast erschüttert ist man nach der Lektüre von der stilistischen Diskrepanz zwischen den zärtlich-liebevollen Briefen Friedrich Wilhelms an die Kronprinzessin Elisabeth, der er fast täglich schreibt, und den wenigen, übertrieben devot gehaltenen Briefen an König Friedrich Wilhelm III., die vor allem Rapporte der besuchten protestantischen Gottesdienste und Staatsdiners sind. Schon in den Briefen an die Gattin vermerkt Friedrich Wilhelm pflichtschuldig und penibel, wann er an "Papa" geschrieben hat. Die Briefe an den Vater selbst sind dann voller Dankbarkeitsbekundungen gegenüber einer übermächtigen Autorität, die diese Reise auf dem Gnadenwege ermöglicht hat: Nach gut fünfzehn Jahren des Bettelns und Hingehaltenwerdens hatte der Übervater endlich huldvoll einer Reise seines Sohnes in das Land seiner Sehnsucht zugestimmt.
Mit seinen nunmehr zweiunddreißig Jahren war dieser für wirklich prägende Eindrücke mittlerweile fast zu alt. Zu seinem dreiunddreißigsten Geburtstag, den Friedrich Wilhelm am 15. Oktober in Florenz feiert, schickt ihm der Vater das fünfundzwanzigjährige Dienstkreuz für Offiziere der preußischen Armee. Die Grußformel des Dankesbriefs lautet stereotyp wie in allen Briefen: "Ich lege mich Ihnen zu Füßen in Ehrfurcht u treuster, dankbarster Liebe, gütigster, liebster Papa als Ihr unterthänigster Diener u gehorsamster Sohn Fritz."
Die Briefe des späteren Friedrich Wilhelms IV. sind erstaunlich konventionell in ihren Beschreibungen, sie wirken über weite Strecken wie Exzerpte aus der Italienreiseliteratur, zuweilen garniert mit etwas goethischer Emphase, die selten authentisch wirkt. Von einem künftigen Herrscher, der sich immer auch als Künstler verstand, erwartet man frischere Beobachtungen und originellere Kunstbeschreibungen. Die wirkliche Befreiung und der volle Enthusiasmus wollen sich bei Friedrich Wilhelm nicht recht einstellen: Die geistigen und emotionalen Bande, die den Kronprinzen, Gatten und Sohn an den Norden fesseln, sind nicht vollständig abzustreifen. Insofern ist sehr fraglich, ob diese verspätete Italien-Reise tatsächlich, wie Betthausen meint, ein "Schlüsselerlebnis" im klassischen Sinne darstellt. Das "Reise-Journal" ist deutlich aufschlußreicher für die Psychopathologie seines Verfassers als für einen neuartigen Blick auf Italien.
Vielleicht waren aber auch die Eindrücke aus der jahrelang kompensatorisch kultivierten Betrachtung von Abbildungswerken zu übermächtig, als daß dem Reisenden noch ein frisches Hinschauen möglich gewesen wäre. Die Vermeidung des Unbekannten, Unstrukturierten und das Streben nach Absicherung, das sein gesamtes späteres politisches Handeln prägen sollte, zeigt sich bereits hier: Motto seiner Italien-Reise könnte ein Satz sein, den Friedrich Wilhelm in einem emphatischen Rom-Brief an Kronprinz Johann von Sachsen schrieb: "Unsäglich traurig aber ist's, daß Du nicht hast bis hierher, in den alten Welt-Nabel, dringen können mit mir. Das ist doch am Ende immer etwas Unaussprechliches, das Ewige Rom. Mir ist's, als sey ich zu Haus." Aus der Formulierung läßt sich schließen, daß er neben den Losungen der Brüdergemeine auch die ersten beiden Bände von Goethes "Italienischer Reise" im Handgepäck mit sich führte. Bereits 1812 hatte er an seinen Erzieher Delbrück geschrieben, er kenne schon fast jeden Winkel in Rom, denn "1000 Pläne und 1000 Bilder habe ich studiert." Und ganz beruhigt fühlt er sich nur, wenn alles ist wie in Wanne-Eickel: "Um 3/4 8 fuhren wir ab, erstl: durch ein reitzendes Land voll Eichenwälder und terrain Abwechselung. Alle Augenblicke fielen mir Ähnlichkeiten mit der Potsdammer Gegend auf - nur was dort BrauhausBerg u Consorten sind, vertritt hier das Sabiner u Latiner Gebirge."
So fand er in Rom genau das, was er suchte: Versatzstücke einer authentischen Geschichte, die von ungebrochenen Traditionen zeugten und im Norden zu Bollwerken gegen Umsturz und revolutionäres Chaos neu zusammengesetzt werden konnten. Die Potsdamer Friedenskirche sollte als das in den Norden verpflanzte römische S. Clemente gebaut werden, aber so, wie Gutensohn und Knapp es sich in ihrem Werk "Denkmale der christlichen Religion oder Sammlung der ältesten christlichen Kirchen oder Basiliken Roms", von allen barocken Zusätzen befreit, idealiter vorgestellt hatten. Auch Friedrich Wilhelms erstaunlich unzeitgemäßes Interesse für romanische Architektur folgt offensichtlich dieser restaurativen Tendenz: Die frühchristlichen Kirchen in Rom und Ravenna waren für ihn Zeugnisse einer noch unverderbten, "alterthümlichen" und übersichtlich strukturierten Glaubensgemeinschaft des Urchristentums, die er später in seinen Ansätzen zur Reform der preußischen Landeskirche ebenso wiederzubeleben hoffte wie in seinen Architekturphantasien einer Basilika, die klassische Formen und christliche Inhalte organisch verschmelzen sollte.
CHRISTINE TAUBER
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: "Briefe aus Italien 1828". Herausgegeben und kommentiert von Peter Betthausen. Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2001. 336 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main