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Produktdetails
  • Excerpta classica 15
  • Verlag: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung
  • 1997.
  • Seitenzahl: 250
  • Deutsch
  • Abmessung: 175mm x 100mm x 13mm
  • Gewicht: 140g
  • ISBN-13: 9783871620430
  • ISBN-10: 3871620432
  • Artikelnr.: 27668322

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Autorenporträt
Martin Disselkamp ist Gastprofessor für Neuere Deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.1998

Pygmalions Schönheit
Johann J. Winckelmanns Briefe Von Lothar Müller

Als Johann Joachim Winckelmann im November 1755 in Rom eintraf, waren in Deutschland gerade seine "Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerey" erschienen. Das paradoxe Postulat, wonach der einzige Weg für die Modernen, selbst unnachahmlich zu werden, die Nachahmung der Alten sei, machte Furore. Die Wendung von der "edlen Einfalt und stillen Größe" trat als Formel für das Wesen der antiken Kunst ihren Siegeszug an. Winckelmann war mit der Dresdner Gemäldegalerie vertraut, die Sixtinische Madonna hatte er beschrieben, er kannte die - freilich damals nicht eben repräsentativ untergebrachte - Antikensammlung mit den nach Sachsen geholten "Herculanerinnen". All das war aber nur eine ferne, fragmentarische Ahnung, verglichen mit jener Fülle des Schönen, die ihn nun erwartete und herausforderte: erst in Rom konnte er selbst die in der Nachahmungsschrift gestellte Forderung erfüllen, man müsse mit den Werken der Antike vertraut werden "wie mit einem Freund".

Die Mehrzahl der über neunhundert Briefe, die Winckelmann geschrieben hat, stammen aus den Jahren in Rom. In ihnen entwirft er sich selbst als den Erben und Nachlaßverwalter der Antike, und er entwirft Rom als eine ideale Gelehrtenrepublik. Darüber hinaus demonstriert er den in der Enge der deutschen Verhältnisse verbliebenen Studiengefährten und Freunden, wie weit und reich die Welt ist, in der er sich nun bewegt. Gern bagatellisiert er dabei seine bibliothekarischen Dienstverpflichtungen etwa gegenüber dem Kardinal Archinto oder später gegenüber dem Kardinal Albani, und mit Lust läßt er dem braunschweigischen Hofprediger, der ihn einst von oben herab behandelt hat, ausrichten, daß er nun von gleich zu gleich mit weitaus mächtigeren und vor allem gebildeteren Würdenträgern verkehre. Und wenn er an den Kupferstecher Wille in Paris, die Verleger Gessner und Füssli in der Schweiz oder die Akademie in Augsburg schreibt, dann agiert er als strategischer Organisator und programmatischer Kopf des europäischen Klassizismus, der als Gelehrter in Rom um seinen Standortvorteil weiß: "Alles ist nichts gegen Rom."

Wie in seinen Schriften ist Winckelmann auch in seinen Briefen ein unnachgiebiger Polemiker. Ist von den französischen Antiquaren die Rede, so meist im Ton der Verachtung. Wie ein Geschütz bringt er den Fürsten Leopold III. von Anhalt-Dessau, den Herrn über Wörlitz, gegen die durch Friedrich den Großen repräsentierte kulturelle Vormacht der Franzosen in Deutschland in Stellung. Doch hielt Winckelmanns Talent zur Freundschaft seiner Lust an der Polemik die Waage. Zu Recht interessiert sich diese knappe Auswahl aus seinen Briefen, die so viel mehr sind als nur eine Gelehrtenkorrespondenz, besonders für die Dokumente des Enthusiasmus, mit dem Winckelmann die geliebten Statuen, aber auch die leibhaftigen Freunde, allen voran den livländischen Baron Reinhold von Berg, in seiner Prosa durchtränkt.

Denn dieser Enthusiasmus ist nicht nur der Ausdruck eines leidenschaftlichen Temperaments. Er ist, indem er Rom als Schule der Augen gegen die antiquarische Buchgelehrsamkeit setzt, der Schlüssel zu Winckelmanns Lehre vom Schönen. Gegen alle metaphysischen Schönheitslehren seit Plato beharrt sie auf dem Primat der Anschauung der historisch überlieferten Kunstwerke: Ohne die antiken Statuen könnten wir keinen Begriff vom Schönen ausprägen. Die zuerst brieflich mitgeteilten Statuenbeschreibungen zum Apoll vom Belvedere, zum Torso und zur Laokoon-Gruppe sind darum die Keimzellen für die große "Geschichte der Kunst des Altertums" (1764). Eines ihrer Stilideale ist das homerische Heldengedicht. Aus dem Enthusiasmus, der einst das poetische Genie auszeichnete, wird bei Winckelmann die produktive Begeisterung des Betrachters, durch die sich die antiken Statuen verlebendigen: "Mein Bild scheinet Leben und Bewegung zu bekommen wie des Pygmalions Schönheit."

Die hier in kluger Auswahl versammelten sechsunddreißig Briefe sind - bis auf eine Ausnahme - nicht gekürzt. Man hat ihnen ihre originale Schreibweise und damit ihre historische Aura belassen. Wenn in der lehrreichen Einleitung "das kommunikative Basisklima" der Freundschaftsbriefe beschworen wird, so ist dies freilich nicht deren Echo, sondern das der Dissertation, die der Herausgeber über Winckelmanns römische Briefe verfaßt hat. Die verläßlichen Kommentare, das Register und die Auswahlbibliographie sind dafür eine gute Entschädigung. Nützlich ist nicht zuletzt das bequeme Taschenformat des sorgfältig gedruckten Bandes: er empfiehlt sich als Reiselektüre auf dem Weg nach Süden.

Johann Joachim Winckelmann: "Briefe aus Rom". Ausgewählt, kommentiert und mit einer Einleitung von Martin Disselkamp. Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 1997. 285 S., br., Abb., 22,80 DM.

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