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Es war eine lange, vertrauensvolle Zusammenarbeit, die hier dokumentiert ist, ein Dialog, der im literarischen Betrieb Nachkriegsdeutschlands an Umfang und Intensität seinesgleichen sucht. Literarischer Klatsch, vertrauliche Mitteilungen und bisher unbekannte Einzelheiten über den Entstehungsprozess der Werke Benns sind hier abgedruckt. Dieser Band (mit beigelegter CD-ROM) ist auch ein einzigartig lückenloses Zeugnis für Benns Versuch, sein Comeback zu inszenieren. Brief für Brief wird hier dem Leser die Differenz zwischen dem sich als Einsamen stilisierenden, in Kunstdingen unerbittlichen…mehr

Produktbeschreibung
Es war eine lange, vertrauensvolle Zusammenarbeit, die hier dokumentiert ist, ein Dialog, der im literarischen Betrieb Nachkriegsdeutschlands an Umfang und Intensität seinesgleichen sucht. Literarischer Klatsch, vertrauliche Mitteilungen und bisher unbekannte Einzelheiten über den Entstehungsprozess der Werke Benns sind hier abgedruckt. Dieser Band (mit beigelegter CD-ROM) ist auch ein einzigartig lückenloses Zeugnis für Benns Versuch, sein Comeback zu inszenieren. Brief für Brief wird hier dem Leser die Differenz zwischen dem sich als Einsamen stilisierenden, in Kunstdingen unerbittlichen Autor und dem kooperativen Verlagsmitstreiter deutlich.
Eine große, sorgfältig kommentierte Edition, auf die viele Benn-Leser schon lange gewartet haben.

Text-CD
Dieser Band erscheint in einer neuartigen Hybrid-Version: Im Buch sind die wichtigsten Briefe Benns abgedruckt, die im Anhang knapp kommentiert werden.
Auf der beigelegten CD-ROM ist der gesamte Briefwechsel (ca. 1300 Seiten, mit Registerfunktion) gespeichert, paginiert und nach dem Standard der Klett-Cotta-Briefeditionen kommentiert. Je ein Nachwort der beiden Herausgeber vervollständigt die Edition.

Die Ausgabe der Briefe Gottfried Benns umfasst ferner die Bände:
- Band I: Briefe an F.W. Oelze, 1932-1945
- Band II/1: Briefe an F.W. Oelze, 1945-1949
- Band II/2: Briefe an F.W. Oelze, 1950-1956
- Band III: Briefwechsel mit Paul Hindemith
- Band IV: Briefe an Tilly Wedekind, 1930-1955
- Band V: Briefe an Elinor Büller(-Klinkowström), 1930-1937
- Band VI: Briefe an Astrid Claes 1951-1956
- Band VII: Briefwechsel mit dem MERKUR, 1948-1956
Autorenporträt
Gottfried Benn, 1886 2. Mai in Mansfeld geboren. 1905-1910 Medizinstudium in der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin. Approbation. 1912 Veröffentlichung des ersten Gedichtheftes als Lyrisches Flugblatt: Morgue und andere Gedichte. 1913 Übernimmt die Leitung des Pathologischen Instituts am Städtischen Krankenhaus in der Sophie-Charlottenstraße. 1914 Zieht als Militärarzt ins Feld. Nimmt an den Kämpfen in Belgien teil. 1915-1917 Oberarzt im Militärgouvernement Brüssel. Entlassung aus der Armee. 1917 Die gesammelten Gedichte erscheinen im Verlag der Aktion unter dem Titel: »Fleisch«. Gottfried Benn läßt sich als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin nieder und führt hier seine Praxis bis 1935. 1922 Die Gesammelten Schriften erscheinen im Erich Reiss Verlag in Berlin. 1932 Benn wird Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, Abteilung Dichtung. 1933-1934 Vorübergehend im Bannkreis der nationalsozialistischen Ideologie. 1935 Benn verläßt Berlin und läßt sich als Oberstabsarzt in Hannover reaktivieren. Es erscheinen die Ausgewählten Gedichte, Benns letzte Publikation in der Nazizeit. Schwere Angriffe gegen Benn in »Das Schwarze Korps« und im »Völkischen Beobachter«. 1937-1945 Benn wird nach Berlin versetzt. Tätigkeit im Militärischen Versorgungswesen als Gutachter in Fürsorge- und Rentenfragen. Ausschluß aus der Reichsschrifttumskammer und Schreibverbot. 1943 als Oberarzt nach Landsberg a.d. Warthe. 1945 Rückkehr nach Berlin. 1946-1948 Praxiseröffnung. Veröffentlichungsschwierigkeiten. 1951 Verleihung des Büchner-Preises in Darmstadt durch die Akademie für Sprache und Dichtung. 1953 Benn gibt die ärztliche Praxis auf. 1956 7. Juli. Tod Gottfried Benns in Berlin.

Holger Hof ist Herausgeber der letzten beiden Bände der Stuttgarter Ausgabe der Werke Benns. Er hat den Briefwechsel Benns mit dem »Merkur« und die Korrespondenz zwischen Benn und Ernst Jünger herausgegeben.
Hof lebt als freier Autor und Herausgeber in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2006

Die Nachwelt fest im Blick
Fünfzig Jahre nach seinem Tod werden Leben und Werk Gottfried Benns gründlich seziert / Von Florian Illies

Was wollen Sie von mir, so scheint dieser Blick zu fragen. Merken Sie nicht, daß Sie stören? Zum Glück merkte der Fotograf Franz Hubmann, der Gottfried Benn am Nachmittag des 29. September 1955 in der Bozener Straße 20, Parterre, in Berlin-Schöneberg besuchte, auch noch etwas anderes: Wie Benn es genoß, die Pose des Aufgestörten zu mimen, wie dankbar er war, daß er so abfällig auf die Öffentlichkeit herabblicken konnte, die sich da so unangenehm in seine Dichterstube hineindrängte. Benn sitzt da wie ein knurrender Hund, den man überraschend beim Essen stört. Aber zugleich hängt die Zigarette so perfekt abfällig im Mundwinkel, als hätte Benn diese Geste ein paarmal vor dem Spiegel geübt, bevor er den Fotografen zu sich ins Zimmer bat.

Das Foto, das Hubmann machte, ist mehr als ein Foto. Es wirkt wie eine Postkarte, abgesandt von Gottfried Benn im Jahre 1955, ein paar Monate vor seinem Tod, und adressiert: an die Nachwelt, an uns. Es schreibt Ihnen der vielleicht größte deutsche Dichter der letzten hundert Jahre. Mein Schreibtisch ist sowenig aufgeräumt wie das ganze Jahrhundert. Gruß, Benn. Mit schnoddriger Geste hat er die Zuneigungen und Abneigungen seiner Zeitgenossen abgewehrt und sich in den elf Lebensjahren, die ihm nach 1945 blieben, statt dessen fast ganz der Nachruhmsteuerung gewidmet.

Der Blick voll kalter Arroganz war es auch, den er 1933 auf die Emigranten richtete, als sie, hellsichtig, Deutschland verließen, während er, geblendet, sich als Profi der geschichtlichen Prozesse begriff. Er nannte die Emigranten "Amateure der Zivilisation" und rief ihnen verächtlich zu: "Leben Sie wohl." So verstörte er erst die Intellektuellen und wenig später, als die Nazis angefangen hatten, seine frühen Gedichte zu lesen, auch sie. Er vergrub sich in seine Höhlen, als Militärarzt in Hannover, dann irgendwo hinter der Front, einsam, durfte nicht mehr publizieren, nur die Frauen blieben ihm. Und seine Verse. Dann war der Krieg aus. Die ganze Welt hatte sich gedreht. Nur Gottfried Benn saß wieder in der Bozener Straße 20, Parterre. Müde, vergessen, verfemt, ein mediokrer Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit literarischer Vergangenheit und schlechtgehender Praxis.

Das ist die Vorgeschichte. Doch dann erhebt Benn sich aus den Trümmerwüsten Berlins und seiner Seele, reanimiert durch einen einzigen kurzen Brief. Am 22. Juli 1948 bat ihn der kaum dreißigjährige Max Niedermayer aus Wiesbaden, ein ehemaliger Sportlehrer, mit knappen Worten, seine Werke künftig in seinem neugegründeten Limes-Verlag zu drucken. Sofort kehren die Lebensgeister zurück, und bei Benn sind diese Geister immer: Abwehrgeister. Er schreibt: "Sollen Sie nur alle anfangen, mich zu vernichten. Ich bin ein gefährlicher K.O.-Schläger."

Die Jahre 1949 bis 1956 stehen im Zeichen dieses Kampfes: Gottfried Benn vs. Öffentlichkeit. Zwei erstmals komplett veröffentlichte Briefwechsel demonstrieren, wie Benn diesen Kampf führte. Wenn nicht alles täuscht, hat Benn ihn heute, fünfzig Jahre danach, nach Punkten gewonnen. Big Benn. 1886 wurde er in Mansfeld geboren (ein Stier, unverkennbar), 1956 starb er, in Schlangenbad - wir können also in diesem Frühjahr 120. Geburtstag und 50. Todestag feiern. Und weil der Klett-Cotta-Verlag nicht nur den Briefwechsel Benns mit dem Limes-Verleger Niedermayer, sondern auch seinen kuriosen, kurzen mit Ernst Jünger komplett vorlegt, gibt es pünktlich zum Jubiläum neues Exegese-Material. Außerdem versorgt eine Benn-Bibliographie die Süchtigen mit allen verfügbaren Sekundärquellen. Und Helmut Lethen hat mit "Der Sound der Väter" eine Biographie Benns geschrieben, die eine ideale Einstiegsdroge ist.

Wer zunächst zurückschreckt vor Benns griechischen und lateinischen Anleihen, seinen irrlichternden mythologischen Bezügen, den nimmt Lethen fürsorglich an die Hand: "Wer kann das verstehen?" Er versucht sich dann aber doch im Entschlüsseln des Bennschen Soundsystems, konzentriert sich auf Benns Erfahrungen in den Weltkriegen und zeichnet ein eisgekühltes Bild des Dichters als Verhaltenslehrer der Distanz.

Schaut man sich die Fotografie aus dem Jahre 1955 an, hat man das Gefühl, als habe Benn nur auf uns gewartet. Als hätte er gelauert. Mit diesem unheimlichen Blick. Helmut Lethen zieht in seiner Biographie den Vergleich zu Benns Figur "Rönne": "Dünn sah er durch die Lider", heißt es dort, und dieser leicht blasierte, erschöpfte Offizierscasinoblick sei Benns Perspektive auf sein Jahrhundert. Zugleich setzte er ihn, wie wir aus seinen ungezählten Affären wissen, bei Frauen als Lockmittel ein. Wir sehen also: der Schlafzimmerblick im Arbeitszimmer. Nur durch diese dünnen Schlitze drang die Welt zu ihm vor. "Fragen, Fragen! Erinnerungen in einer Sommernacht / hingeblinzelt, hingestrichen, in meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs, nun alles abgesunken / teils-teils das Ganze / Sela, Psalmenende", so heißt es am Schluß von Benns vielleicht größtem Gedicht, "Teils-Teils", das in denselben Tagen entstand wie das Foto von Franz Hubmann.

Es steht in seinem letzten Gedichtband, den der Limes-Verlag kurz vor seinem Tod veröffentlichte. Ab 1949 erschienen mit ungeheurer Frequenz Prosa, Gedichte und Vorträge in dem kleinen Wiesbadener Verlag. Der neue Briefband erzählt, wie geschmeidig und unermüdlich Niedermayer seinen Autor um die Klippen von Depression und Diventum herumschiffte, wie einfühlsam und kongenial Marguerite Valerie Schlüter als Lektorin arbeitete. Es ist ein wunderbares Monument ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit und für Benn, daß Schlüter selbst nun zum 50. Todestag diesen Briefwechsel selbst herausgeben konnte. Dieser Briefwechsel sei allen Verlegern als Einführungskurs zur Behandlung empfindsamer Autoren empfohlen. Benn ist entweder "down", "sehr down", "ungewöhnlich down" beziehungsweise "marode". Er verzweifelt an Rezensenten und Argwohn.

Und doch erscheint Buch um Buch. Niedermayer wird neben dem jahrzehntelangen Briefpartner Oelze zur zweiten zentralen männlichen Bezugsperson für Benn. Zwei Stellen sind besonders interessant. Zum einen Benns Selbstkritik zu seiner Verurteilung der Emigranten 1933, zu der ihn ein Brief Klaus Manns angeregt hatte. Benn schreibt dazu zwanzig Jahre später: "Dieser Brief ist so rührend schön, höflich, demütig, verehrungsvoll, daß meine Antwort dagegen schroff und kalt klingt."

Zum anderen, wie sehr Benn schon damals nicht nur seinen Nachruhm, sondern auch die literarischen Debatten unserer Zeit erahnte. Das zeigt sein vor Lichtjahren geschriebenes, emphatisches Plädoyer gegen alle, die sich als "Gnostiker" der Kultur empfinden: "Hauptsache, es hat Erfolg und nützt dem Buch, was die deutsche Innerlichkeit dazu sagt, ist allmählich völlig gleichgültig, die will ihren Schlafrock und ihre Ruh und will ihre Kinder dusselig halten und verkriecht sich hinter Salbadern u. Gepflegtheit und möchte das Geistige in den Formen eines Bridgeclubs halten - dagegen muß man angehn."

Der zweite Briefwechsel, der nun erstmals komplett vorliegt, ist viel kürzer. Gerade darin liegt seine Brisanz. Es ist auch eigentlich kein rechter Briefwechsel. Eher ein gegenseitiges Abtasten. Man schickt sich Sonderdrucke und Postkarten von Urlaubsreisen. Ernst Jünger und Gottfried Benn werden immer wieder zueinander gedrängt und stoßen sich doch ab, wie zwei negativ geladene Magneten. Immer wieder versucht Jünger zu antichambrieren, schickt Bücher, lädt Benn zu Kokain-Sitzungen ein, doch der blockt ab, höflich zwar, aber eindeutig: "Wir sind von Aussen oft verbunden, wir sind von Innen meist getrennt." Gegenüber seinem Verleger wird Benn deutlicher: "Diese ewige Zusammenstellung mit Jünger hängt mir zum Halse raus." Beide waren in beiden Weltkriegen, beide haben Deutschland nicht verlassen, beide wurden sogar als Kandidaten für den Literaturnobelpreis genannt. Holger Hof beschreibt in seinem Nachwort zum Briefwechsel mit Jünger, daß Benn ein Jahr nach Jüngers einzigem Besuch in der Bozener Straße in sein Tagebuch einen aktuellen Boxkampf im Halbschwergewicht benennt und daneben "vor 1 Jahr Jünger". Und in der Tat wirkt der ganze Briefwechsel, als umkreisten sich zwei Kämpfer. Keiner wagt den ersten Schlag, aus Angst, sich eine Blöße zu geben. Es geht um die Krone des kältesten deutschen Dichters des zwanzigsten Jahrhunderts. Als Benn stirbt, scheint Jünger Angst vor dem Urteil der Nachwelt zu haben. Er lebt einfach immer weiter. Jetzt, mit der Veröffentlichung des Briefwechsels, geht der Kampf in eine neue Runde.

Sein erstes "Come-back" gestaltete Benn noch aktiv mit. Nicht nur, daß er das Wort selbst in seinen Briefen immer wieder benutzt. Er weiß auch, daß er seine Rolle als einsamer Wolf inszenieren muß. In Briefen nimmt er Bezug auf seine Zurückgezogenheit, seine Spießbürgerlichkeit. War das nur eine subtile Form der Auraproduktion? Oder Offenherzigkeit? Als ihm Richard Alewyn den akademischen Ritterschlag erteilen will und ihn an die Universität Bonn zu einer Creative-Writing-Sitzung zum Thema "Wie entsteht ein Gedicht?" einladen will, lehnt er ab. Höflich, aber bestimmt: "Das Gedicht ist schon fertig, ehe es begonnen hat, der Dichter weiß nur seinen Text noch nicht."

Was Benn schon weiß, das ist sein Text für die Nachwelt. Er wirft sich für uns in diesem Briefwechsel in Positur. Und doch: Es ist unendlich schwer, bei Benn zwischen Selbstverständnis und Selbstinszenierung zu unterscheiden, zwischen bewußt und unbewußt. War er am Ende einfach der, der er zu sein vorgab? Was wird aus Einsamkeit, die Benn so existentiell erlebte und die er vorantrieb in diesem ständigen, brutalen Prozessieren gegen sich selbst, wenn man merkt, daß sie für die Umwelt zu einem Markenzeichen geworden ist? "Organismen, die Perlen hervorbringen, sind verschlossen" - wie kann man, in seiner Verschlossenheit, solche Verse erdenken und dabei vermeiden, an sich selbst zu denken? Aber hätte er deshalb solche Verse nicht schreiben dürfen? Konnte er sie vielleicht nur schreiben, weil er dabei auch an sich dachte, mit halbgesenkten Lidern, müde, down, sehr down?

Gottfried Benn: "Sämtliche Gedichte / Künstlerische Prosa". Klett-Cotta, 1024 Seiten, 29,90 Euro.

Gottfried Benn: "Briefe VIII, Briefe an den Limes-Verlag 1948-1956". Klett-Cotta, 272 Seiten plus CD-Rom, 42 Euro.

Gottfried Benn / Ernst Jünger: "Briefwechsel 1949-1956". Klett-Cotta, 155 Seiten, 14,50 Euro.

Christian M. Hanna: "Gottfried-Benn-Bibliographie. Sekundärliteratur 1957-2003". Verlag de Gruyter, 300 Seiten, 98 Euro.

Helmut Lethen: "Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit". Rowohlt Berlin, 316 Seiten, 22,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2006

Biere zischen in der Boxerkneipe
Nett im Nichts: Die Briefwechsel Gottfried Benns mit Ernst Jünger und mit seinem Verleger Max Niedermayer
1949, im Jahr der zwei deutschen Staatsgründungen, erlebte Gottfried Benn seine triumphale Rückkehr auf die literarische Bühne. Dem seit den dreißiger Jahren zum Schweigen verdammten Dichter gelang, so sagt es einer seiner jüngsten Biografen mit angemessener Schnoddrigkeit, „das größte Comeback seit Lazarus”. Bereits 1948 war im Zürcher Arche-Verlag der Band „Statische Gedichte”, die kühl geordnete Ernte der stummen Jahre, erschienen, und sie erhielten nun auch Lizenz für den immer noch regulierten deutschen Buchmarkt.
Zu Weihnachten 1948 waren „Drei alte Männer” erschienen, 1949 folgten weitere Titel, die Benn zur überragenden geistigen Figur der frühen Bundesrepublik machten (auch wenn er deren abendländischen Zeitstil gering schätzte): die antigeschichtsphilosophische Prosadichtung „Der Ptolemäer”, der Essayband „Ausdruckswelt” und „Trunkene Flut”, ein Querschnitt durch die gesamte Lyrik. 1950 machte sich Benn dann an die Revision seiner problematischen Biografie in der Zeit von Diktatur und Krieg, und er legte mit dem Band „Doppelleben” wiederum ein Stück Anti-Historie vor, das einer ganzen Generation schon im Titel eine Lösung vieler Dilemmata lieferte: Die Brüche der Geschichte fanden ihr Gegengewicht im stoisch ertragenen Zerfall kontinuierlicher Ich-Erfahrung.
Die literarische Restauration
Benn war nun aus der geistigen Inneneinrichtung Deutschlands nicht mehr wegzudenken. Niemand verkörperte den die fünfziger Jahre durchaus mitprägenden Widerstand gegen „deutsche Biederkeit und Grundsuppigkeit” glaubwürdiger. Benn und im Osten Bertolt Brecht waren die ungekrönten Könige der deutschen Dichtung - jene beiden Lyriker, die schon in den zwanziger Jahren Kurt Tucholsky in einer hellsichtigen Doppelrezension nebeneinander gestellt hatte. Wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Thomas Mann anlässlich des Goethe-Jahres erstmals wieder nach Deutschland reiste, dass man sich in Ost-Berlin um die Heimkehr Heinrich Manns bemühte, dann darf man wohl auch von einem Jahr der literarischen Restauration sprechen.
Und noch jemand kehrte zurück auf die Bühne: Ernst Jünger. Mit den Pariser Tagebüchern des Zweiten Weltkriegs und dem Roman „Heliopolis” legte auch er Epochenbilanzen vor, die eine stilisiert berichtend, die andere fiktiv erzählerisch. Der elegante Krieger versäumte es nicht, Verbindung, ja Bündnis zu suchen mit dem zu neuer Berühmtheit gelangten Wehrmachtskollegen und Mitnaturwissenschaftler Dr. Benn. Er sandte ihm „Heliopolis” mit anspielungsreicher Widmung: „Wenn Sie kein Monument darin erblicken, so nehmen Sie es als Marmorbruch. Vielleicht sind auch Fossilien darin.” Der so Angesprochene revanchierte sich mit einem Gedicht: „Wir sind von Aussen oft verbunden,/ wir sind von Innen meist getrennt,/ doch teilen wir den Strom, die Stunden,/ den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden/ dess’, das sich das Jahrhundert nennt.” „Mit empfehlendem Gruss.”
Die simplen Verse enthalten schon den Ertrag des kleinen, feinen Briefwechsels Benn-Jünger: Benn lässt Jünger nicht an sich heran. Dieser ist höchlich interessiert, voller Zuwendung und Respekt, Benn ist geschmeichelt und auch etwas enerviert. Man ist sich vor allem einig in der Verachtung der Gegner: „Über mich können Sie schreiben, dass ich Kommandant von Dachau war oder mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr ausübe, von mir werden Sie keine Entgegnung vernehmen”, empfiehlt Benn wenig zartsinnig als Haltung. Jüngers Ersuchen um fachärztlichen Austausch über Drogen entzieht sich Benn ebenso wie möglichen Erörterungen zur Frage, wann die „Weltherrschaft entschieden ist”.
Jünger versucht auf Benns Vortrag „Probleme der Lyrik” einzugehen („dicht am Worte”) und fragt, was gegen Farbadjektive spreche: „Was wäre denn Trakl ohne seine Skala, die ihm ganz eigentümlich ist?” Vorschläge zu gemeinsamen Reisen ans Mittelmeer schlägt Benn aus, mit gesundheitlicher Resignation. Er zeigt sich als Stubenhocker: „Wald mag ich nicht, mochte ich nie, aber Blumen über alles.” Die interessanten Äußerungen Benns findet man im ausführlichen Anmerkungsapparat, wo nicht nur die berühmte ablehnende Charakteristik Jüngers gegenüber dem Brieffreund Oelze steht („katastrophal! Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. . . ”), sondern auch ruhigere, hellsichtigere: „Ein wenig viel Apparatur ist ja doch an ihmu um ihn. . . . Er erinnert in dieser Hinsicht etwas an St. George.”
Benn hing das ewige Zusammengestelltwerden mit Jünger zum Halse heraus - „Ptolemäer und Mauretanier” hieß die bald von Max Bense ausgegebene Parole -, und das eine Mal, als Jünger ihn in Berlin am 16. Mai 1952 endlich besuchte, stürzte den gesellschaftlich wenig Versierten in die Sorge, „was ich diesem Schilderer von Weinen, Gläsern, Wohlleben u Fischdelicatessen zum Abendbrod vorsetzen soll. ,Heliopolis' ist ja die reine Folge von Vorstellungen eleganter Tafeln u. funkelnder Kristalle - nun, wahrscheinlich isst er selber Milch und trocken Brod.” Der Abend scheint dann doch ganz zufriedenstellend verlaufen zu sein, und immerhin gedachte Benn seiner am Jahrestag danach mit Freundlichkeit. Viel mehr als Diplomatie und gemeinsame Presse-Verachtung war also nicht, der eine wichtige gemeinsame Punkt beider Autoren, ihre naturhistorisch eingekleidete Verachtung der geschichtlichen Welt, Politik und Moral, kommt nicht zur Sprache. Dabei zeigt sich, dass Benn sich über treffende Kritik durchaus aufregen konnte: Als 1952 Peter de Mendelssohn mit ausführlichen Polemiken gegen Benn und Jünger (1953 aufgenommen in de Mendelssohns Band „Der Geist in der Despotie”) hervortrat, reagierte der Stoiker aus der Bozener Straße mit Androhung gerichtlicher Schritte (während es nun Jünger ist, der zum Ignorieren rät). Peter de Mendelssohn wird man sich also wieder einmal anschauen müssen.
Junger Mann, großer Ernst
Der Manager und Macher von Benns großem Nachkriegserfolg war sein Verleger Max Niedermayer vom Limes-Verlag in Wiesbaden. Der junge Bayer hatte sich 1948 energisch bei Benn um die Rechte beworben, im vollen Bewusstsein von dessen Umstrittenheit, vor allem auf Grund des Flirts mit dem Nationalsozialismus 1933/34. Die Briefe Benns an seinen Nachkriegsverlag liegen nun in doppelter Gestalt vor, als ausgewählte Leseausgabe in Buchform und als CD-Rom mit vierfachem Umfang von 1249 Seiten, wo auch die Gegenbriefe Niedermayers und der Lektorin Marguerite Schlüter, die die beispielhaft sorgfältige Edition betreut hat, zu lesen sind. Der Rezensent gesteht, dass es ihm nicht möglich war, über 1000 Seiten am Bildschirm zu lesen, und so hat er sich darauf beschränkt, durch eifriges Scrollen nach vielleicht im gedruckten Band übersehenen Goldnuggets zu suchen. Kein Fund, überwiegend Sand des Lektoratsalltages, den man heute im Mailverkehr erledigen würde, vergessene Vorsatzblätter, ja es wird umpaginiert usw. Was menschlich und literarisch von Interesse ist, steht im Leseband der Bennschen Briefe an Niedermayer.
Hier erwuchs nämlich eine freundschaftliche Verbindung, bei der Benn väterliche Gefühle entwickelte, die ihm gut stehen. Der schmale junge Mann imponiert ihm - „grosser Ernst, der überhaupt über der ganzen Persönlichkeit liegt u ihr fast gelegentlich etwas Tragisches giebt” - nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Bedürfnislosigkeit: Beim ersten Besuch reist Niedermayer mit nur 5 Mark in der Tasche an und fast ohne Toilettengegenstände, ist dabei aber akkurat gut gekleidet. Die beiden arbeiten reibungslos zusammen, bald ergibt sich der Brauch, dass Niedermayer für ein längeres Gespräch am Sonntagnachmittag in der Bozener Straße anruft. Vor allem beobachten beide mit Argusaugen die deutsche Öffentlichkeit, und dem wie ein Frosch regungslos im Wasser liegenden Benn entgeht keine Fliege, die da auf dem Sumpf herumsummt. Friedrich Sieburg, der mit einer spektakulären Rezension der „Statischen Gedichte” Benns Nachkriegsruhm eingeläutet hatte, spricht vier Wochen nach Jünger bei ihm vor: „Elegant, gepflegt, apart, sehr lebhaft, etwas vordrängend. (Hellgraue Seidenstrümpfe u. schwarze Pumps an den Füßen, exquisites Hemd, sehr eleganter Anzug). Alles in allem eine unterhaltende Erscheinung.”
Benn ist kein Society-Typ, zu einer Soiree mit T.S. Eliot schickt er nur seine Frau, weil er keinen passenden Anzug habe. Er zieht es vor, abends in einer nahegelegene Boxerkneipe „einzuschieben”, das eine oder andere Bier zu „zischen” und stumm den Schlagern zu lauschen, deren Geist und Rhythmus in seiner Lyrik so nachdrückliche Spuren hinterlassen haben. Dem jungen Niedermayer öffnet er sein Herz mehr als den gleichzeitig hochtaktisch angehimmelten jungen Damen, denen der alte Roué gern etwas vormachte. Das muss er bei Niedermayer nicht, und so erlebt der Leser immer wieder einen depressiven, verstimmten Dichter, der „down” ist und dankbar für ein Gespräch: „Es ist so nett, wenn man auf seiner Couch liegt, herbstlich-melancholisch im halbdunklen Hof- und Hinterzimmer, die Welt resultatlos an sich vorüberziehen sieht, aus dem Nichts hervorgestiegen und im Nichts vergehend - es ist so nett, dann Ihre freundliche Stimme zu hören, nachdem man aufgesprungen ist und das Fräulein ,Wiesbaden‘ ruft! Nochmals: haben Sie vielen Dank!”
Kein Raum, keine Hoffnung
Nett im Nichts: Das ist doch der beste Benn, der überhaupt zu haben ist. „Für mich gibt es ja wirklich nur das Eine: in seiner Wohnung bleiben und möglichst wenig reden müssen.” Dabei leidet er durchaus unter der Berliner Gefangenschaft: „Dies West-Berlin liegt wirklich wie eine Klammer um das Leben, keine Freiheit, kein Raum, keine Natur, keine Hoffnung” - also doch wohl der ideale Benn-Raum. Dass man nicht zu gering von Ernst Jüngers menschlicher Einfühlung denken soll, zeigt der Umstand, dass er im Stande war, dieses Benn-Gefühl von sich aus zu formulieren: „Sie wohnen in der Bozener Straße. Im gleichen Stadtviertel habe ich etliche Berliner Jahre verbracht. Auf submarine Weise. . . Als Taucher. Erinnere ich mich dieser Zeit, ist mir immer, als ob ich in ein tiefes Aquarium, gefüllt mit Schleierschwänzen, eintauche. Gläserner Inhalt. Vor und hinter den Scheiben eines Café’s regen sich die Menschen wie Fische.” GUSTAV SEIBT
GOTTFRIED BENN/ERNST JÜNGER: Briefwechsel 1949-1956. Herausgegeben von Holger Hof. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 154 Seiten, 14,50 Euro.
GOTTFRIED BENN: Briefe an den Limes Verlag 1948-1956. Herausgegeben und kommentiert von Marguerite Valerie Schlüter und Holger Hof. Mit der vollständigen Korrespondenz auf CD-ROM. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 271 Seiten, 42 Euro.
Kein Näheverhältnis: Ernst Jünger, Gottfried Benn.
Fotos: Seeger/Georg Ebert
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Will man das wirklich alles lesen?" stöhnt Rezensent Stephan Speicher angesichts dieses 1245-Seiten-Konvoluts mit CD-Rom, das selbst Benns freundliche Fragen zum Privatleben der ihn betreuenden Lektorin einschließt. Schließlich will er aber doch. Denn Gottfried Benn ist aus seiner Sicht ein "Klassiker, der sticht", keiner, der "edelmatt vor sich hindämmert" wie Stefan George, was auch seinen Briefwechseln grundsätzliches Interesse sichere. Auch werfe Gottfried Benns Korrespondenz mit seinem Verlag bei aller Redundanz doch manches Licht auf den Autor. Wie sich beispielsweise der Dichter, der "den literarischen Betrieb immer verachtet hatte" nach dem Krieg plötzlich an "der Lampe des öffentlichen Interesses" wärmt.

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