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Im Jahre 1950, kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag, kehrt V. S. Naipaul seiner Heimat Trinidad zum ersten Mal den Rücken. Sein Ziel ist England, denn er hat ein Stipendium der Universität Oxford bekommen. 1953 stirbt Naipauls Vater, ein Journalist des 'Guardian' auf Trinidad, im Alter von 47 Jahren an einem Herzinfarkt. In den vorausgegangenen drei Jahren haben Vater und Sohn eine bewegende Korrespondenz geführt, die die selten innige und tolerante Beziehung der beiden spiegelt. Denn Naipauls Vater hatte einen Traum: Sein Sohn sollte Schriftsteller werden, und er konnte sein Glück kaum…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahre 1950, kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag, kehrt V. S. Naipaul seiner Heimat Trinidad zum ersten Mal den Rücken. Sein Ziel ist England, denn er hat ein Stipendium der Universität Oxford bekommen. 1953 stirbt Naipauls Vater, ein Journalist des 'Guardian' auf Trinidad, im Alter von 47 Jahren an einem Herzinfarkt. In den vorausgegangenen drei Jahren haben Vater und Sohn eine bewegende Korrespondenz geführt, die die selten innige und tolerante Beziehung der beiden spiegelt. Denn Naipauls Vater hatte einen Traum: Sein Sohn sollte Schriftsteller werden, und er konnte sein Glück kaum fassen, als dieser diese Berufung für sich entdeckte und zu schreiben begann.
Autorenporträt
Vidiadhar Surajprasad Naipaul, geb. 17.8.1932 in Trinidad, lebt seit 1950 in Großbritannien. Der Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist indischer Herkunft gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischsprachigen Literatur. Seine Romane 'Ein Haus für Mr. Biswas' und 'An der Biegung des großen Flusses' sowie das Sachbuch 'Eine islamische Reise' waren Welterfolge. Die meisten seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt. 2001 wurde V. S. Naipaul der Literatur-Nobelpreis verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Zwei Mäuse nagen an der Tür des Empire
Die Energie der Ausgesperrten: V. S. Naipauls Briefwechsel mit dem Vater / Von Jenny Erpenbeck

Man weiß, wer Paul Klee ist, man kennt seinen Engel, seine Farben, seine Zeichnungen, die aussehen, als seien sie mit einem Nagel in eine Gefängniswand geritzt. Und dann, wenn einen zu interessieren beginnt, wo das herkommt, dieses einzigartige Gekritzel, wenn einem einfällt, daß hinter der Kunst ja der Mensch steckt, der das gemacht hat, und man wissen will, ob dieser Mensch der Kunst, die er hervorgebracht hat, wohl ebenbürtig ist, dann nimmt man seine Tagebücher zur Hand und liest.

Man weiß, wer Mozart ist. Und wenn man davon gehört hat, daß er seiner Cousine schweinische Dinge geschrieben hat, die durchaus nicht zur überirdischen Verklärtheit seiner Musik zu passen scheinen, und man ergründen will, wie das zusammengehen mag, oder wenigstens beide Seiten kennen will, die überirdische und die irdische, um sie nebeneinander im Kopf aufzubewahren, selbst wenn man nicht verstehen kann, wie das zusammengeht, dann nimmt man sich die Briefe Mozarts und liest.

V. S. Naipaul hat im letzten Jahr den Nobelpreis für Literatur bekommen, und einige seiner Werke sind seit mehreren Jahren auf dem deutschen Markt zu haben. Dennoch kann eine umfassende Kenntnis seiner Werke, die der Lektüre des soeben bei Claassen erschienenen Briefwechsels zwischen ihm und seinem Vater zugrunde gelegt werden könnte, hierzulande sicher nicht vorausgesetzt werden. V. S. Naipaul ist Inder und in Trinidad aufgewachsen. Was macht ein Inder in Trinidad, wird sich mancher fragen, ein anderer wird vielleicht gar im großen Weltatlas nachblättern müssen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, daß Westindien, obgleich es dort eine große indische Minderheit gibt, nicht im Westen von Indien liegt.

Machen wir es also anders, sehen wir uns die Briefe nicht vom Felsen des Werkes aus an, quasi über die Schulter, im Rückblick - sondern so, als sei das Buch einfach ein Buch, ein Buch voller Briefe zwischen einem Vater und seinem Sohn.

"Betrachte es als eine Aufgabe fürs Wochenende, nach Hause zu schreiben." "Du solltest unbedingt an deinem Roman weiterarbeiten. Es dauert Jahre, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, egal wie gut man ist; und je früher man beginnt, desto besser, daran muß ich dich wohl kaum erinnern." "Schreib weiter, damit du noch besser wirst, und kümmere dich nicht um mich. Mir geht es gut. Ich will einfach, daß du es schaffst. Und ich weiß, daß du es schaffen wirst." "Du hast wirklich einen sehr schönen Brief geschrieben. Schreib noch viele in dieser Art." "Schreib ein paar Kurzgeschichten, um dir ein bißchen Geld dazuzuverdienen. Später kannst du sie dann zu einem Buch zusammenstellen." "Beschreib die Dinge, wie sie sind, in realistischem Stil, humorvoll, wenn es sich anbietet, aber auch nur dann."

In einer bürgerlich beplüschten, mit Geld wohlversehenen Familie wäre bei solchen Anweisungen des Vaters an den Sohn womöglich ein Drama herausgekommen, eine sieglose Schlacht zwischen eigenem und elterlichem Ehrgeiz, an deren Ende beide Seiten erschöpft voneinander lassen, oder Fahnenflucht des Jüngeren, Lossagung von der Familie - und die Strafe dafür, das lebenslang schlechte Gewissen, falls der Erfolg sich einstellt. Kurz: ein Szenarium für mitteleuropäische Schlechtwetterlagen wie bei Ingmar Bergman.

Nichts davon jedoch im Briefwechsel zwischen Seepersad und Vidia Naipaul. Ganz im Gegenteil geht mit der Veröffentlichung dieser Briefe lange nach dem Tod des Vaters dessen schönster Traum endlich in Erfüllung: ein gemeinsames Buch von Vater und Sohn.

Der Briefwechsel beginnt 1950, als ein Stipendium es dem achtzehnjährigen Sohn ermöglicht, der heimatlichen Insel endlich den Rücken zu kehren. Weg aus der Provinz, hinein in die Welt. Die Mutter hat ihm ein Hühnchen eingepackt. Das ißt er auf der Durchreise im New Yorker Hotelzimmer.

In Oxford dann studiert er englische Literatur, schreibt nebenbei seinen ersten Roman und arbeitet als Redakteur für verschiedene Zeitungen. Die Eltern schicken Zucker, Socken und Hemden, eine Messingvase zum Geburtstag. Wenn sie Geld haben, schicken sie ihm Geld. Wenn er Geld hat, schickt er ihnen Geld.

Der Sohn wird nicht mehr zurückkehren, bevor der Vater stirbt - vielleicht entsteht gerade dadurch der Eindruck, daß der Jüngere gleichsam mit frischen Kräften den Weg weitergeht, auf dem sein Vater die ersten Schritte gemacht hat. Der Vater, aus einer Landarbeiterfamilie stammend, war Journalist geworden und hatte begonnen, Kurzgeschichten zu schreiben, dann auch an Romanen zu arbeiten, ohne jedoch mehr als lokale Berühmtheit zu erlangen. Ganz einleuchtend scheint es auf einmal, daß über zwei Generationen hinweg gearbeitet werden muß: für den Nobelpreis.

Nun ist V. S. Naipaul kein Maler und kein Musiker, sondern Schriftsteller, und so kann leicht in die Irre gehen, wer sich von diesem Briefwechsel zweier Schreibender besondere sprachliche oder geistige Genüsse erhofft. Vierhundert Seiten wird man mit solchen Erwartungen wahrscheinlich nicht durchhalten. Hin und wieder gibt es kurze Bemerkungen zum Werk anderer Autoren, natürlich auch einige Überlegungen zum Handwerk des Schreibens - aber beinahe nirgends finden sich ausführliche Reflektionen zu diesem oder jenem Thema, ausführliche Betrachtungen eigener Seelenzustände oder Beschreibungen anderer Personen. Vielleicht kennen sich Vater und Sohn zu gut, um sich auf diese Weise austauschen zu müssen. Oft heißt es in den Briefen aus Oxford in aller Kürze: Ich habe Freunde. Meistens verbunden mit der Bitte an die Eltern, Zigaretten zu schicken, damit der arme Student sich diese Freunde erhalten kann - zum Essen kann er sie nämlich nicht einladen, dazu reicht das Stipendium nicht aus. Das Auto des Vaters braucht einen neuen Schlauch, die Schreibmaschine des Sohnes hakt bei dem und dem Buchstaben, die Schwester will ihren Stipendienplatz in Indien vorfristig und fluchtartig verlassen - für all das ist Geld nötig, und jeder in der Familie überlegt, wie er dem anderen helfen, etwas beisteuern kann. Es scheint, als halte gerade das fehlende Geld die Familie auf eine Weise zusammen, wie man es sich hierzulande schwer vorstellen kann. Der Mangel löst nicht Egoismus aus, sondern Solidarität. Natürlich heißt das andererseits, daß bei der Ankündigung der Geburt eines siebenten Geschwisterchens von Freude oder gar Gratulationen an die Mutter nicht die Rede sein kann.

Woran jeder der beiden Männer arbeitet, wird zwar am Rande erwähnt, aber die Manuskripte gehen separat per Schiffspost hin und her und sind dem Briefwechsel natürlich nicht beigefügt. Wichtig ist immer, wohin sich die Texte verkaufen lassen. Hier stehen sich Vater und Sohn gegenseitig bei: Wie zwei Mäuse nagen sie gemeinsam an den Türen zum Kulturleben des British Empire.

Der Briefwechsel erzählt so von der ungeheuren Energie, die durch Ausgesperrtsein erzeugt wird. Ausgesperrtsein von dem, was in "der Welt" gilt - sei es durch Hautfarbe, durch Sprache, durch Geldnot, durch die Unmöglichkeit, die Provinz, in der man geboren ist, zu verlassen. Desto erstaunlicher, mit welcher Verachtung, welchem Haß der Vater über schwarze und muslimische Menschen urteilt, die, ebenso in ihrer Existenz gefangen wie er, mit ihm auf der Insel leben - und mit welcher Selbstverständlichkeit der Sohn diese Urteile bestätigt.

Erst im letzten Drittel des Briefwechsels erscheint diese rassistische Blindheit als etwas, das spätestens mit dem Menschen, der ihr anheimgefallen ist, vergehen muß - als etwas, das selbst alt und altmodisch geworden ist. So verfolgt der Leser nicht nur mit Rührung, sondern auch mit dem Gefühl eines notwendigen Ausgleichs, wie das Alter beginnt, sich des Vaters zu bemächtigen. Als habe es ihm den Kopf verdreht, schreibt der alte Mann immer weniger und beginnt statt dessen, Orchideen zu züchten. Ganz allmählich erscheinen diese Orchideen, eine nach der anderen, in den Briefen: Blumen, über deren Pflege der Ehrgeiz eines ganzen Lebens langsam verblaßt. "Ich sage dir", schreibt der Vater dem Sohn, "die Schmetterlingsorchidee ist eine kleine Schönheit. Die Schmetterlinge halten sie wirklich für einen Schmetterling."

V. S. Naipaul: "Briefe zwischen Vater und Sohn". Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum und Claus Varrelmann. Claassen Verlag, München 2002. 464 S., geb., 23,- [Euro].

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