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Hans Wollschlägers Briefe: ein essentieller Teil seines schriftstellerischen Gesamtwerks.Der Band enthält eine erste umfangreiche Auswahl aus Briefen der letzten zwanzig Lebensjahre Wollschlägers. Im Mittelpunkt stehen seine Projekte in den Jahren 1988 bis 2007, die er mit Leidenschaft und Akribie verfolgt, also die Historisch-kritische Ausgabe der Werke Karl Mays, die Edition der Werke Friedrich Rückerts, die Verwaltung und Organisation der Werke, Schriften und Übersetzungen der 70er und 80er Jahre und - ab Ende der 90er Jahre - die Bemühungen um eine Sammlung der eigenen Arbeiten. Es handelt…mehr

Produktbeschreibung
Hans Wollschlägers Briefe: ein essentieller Teil seines schriftstellerischen Gesamtwerks.Der Band enthält eine erste umfangreiche Auswahl aus Briefen der letzten zwanzig Lebensjahre Wollschlägers. Im Mittelpunkt stehen seine Projekte in den Jahren 1988 bis 2007, die er mit Leidenschaft und Akribie verfolgt, also die Historisch-kritische Ausgabe der Werke Karl Mays, die Edition der Werke Friedrich Rückerts, die Verwaltung und Organisation der Werke, Schriften und Übersetzungen der 70er und 80er Jahre und - ab Ende der 90er Jahre - die Bemühungen um eine Sammlung der eigenen Arbeiten. Es handelt sich demnach im weitesten Sinne um »Briefe zum Werk« dieses bedeutenden Autors, Übersetzers und Herausgebers.»Die Verleihung in München fand in einem sehr kontrastreichen Ambiente statt, nämlich im Cuvilliés-Theater vor etwa 600 staatstragenden Beamten. Ich lege Ihnen die Rede bei, die ich gehalten habe -: der Beifall war eisige drei Sekunden lang, und das nicht nur, weil sie den Gang zum Buffet um 25 Minuten verzögert hatte; der Finanzminister Faltlhauser, neben mir in der ersten Reihe plaziert, blickte glasig durch mich hindurch, als ich auf meinen Platz zurückging, und rührte keine Hand.«
Autorenporträt
Hans Wollschläger (1935-2007) war Übersetzer (u. a. James Joyce 'Ulysses'), Schriftsteller, Historiker, Religionskritiker, Rhetor, Essayist und Literaturhistoriker. Er erhielt neben vielen anderen Auszeichnungen 1982 den erstmals vergebenen Arno-Schmidt-Preis. Posthum wurde ihm 2007 der August-Graf-von-Platen-Preis der Stadt Ansbach verliehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Briefe sind zumeist Beiwerk für schriftstellerisches Wirken: Dass das bei Hans Wollschläger anders ist, verrät Dietmar Dath in seiner Rezension zu den "Briefen 1988-2007". Wollschläger hat nur einen Roman veröffentlicht, eine Faust-Geschichte, die, weiß der Kritiker, oftmals mit Arno Schmidt verglichen wurde, dem der Autor nahestand. So liegt es für Dath nahe, die Briefe als eigentliches Hauptwerk des vielseitig begabten Wollschläger einzuschätzen: So präzise durchkomponiert seien sie, so von der Aufmerksamkeit und Liebe für die Sprache getragen, so sehr lassen sich Bemühungen erkennen, die Worte zu verändern und zu prägen. Dath zitiert ausführlich aus den Briefen, um diese ungewöhnliche Sprachverwendung zu demonstrieren und ein Begriff sticht für ihn besonders heraus: "Vergehen", sagt Wollschläger, und meint damit nicht nur den Gesetzesübertritt, sondern auch das Vergessen, das Verschwinden aus dem Gedächtnis. Der Rezensent hofft, dass genau das mit den Briefen nicht passiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2022

Die Kosten meiner Beerdigung
Seit der Ulysses-Übersetzung galt Hans Wollschläger als Genie. Jetzt sind
seine Briefe erschienen – das einzige relevante Buch des Literaturjahres
Bereits mit vierzig schrieb sich Hans Wollschläger in die Weltliteratur ein, er steht neben dem Protagonisten Leopold Bloom im „Ulysses“: „Ich fange gleich an zu schreien!“, droht Bloom im Circe-Kapitel, da fährt ihm Jack the Bower dazwischen: „Ich ebenfalls. Götter selbst vergebens.“
Bei James Joyce steht davon nichts, Jack the Bower ist der ins Englische transponierte Wollschläger, der in Dublin Schiller zitiert und als literarische Elendsgestalt auftritt, „in Trauerkleidung, mit gesträubtem Schamhaar, in der Hand ein überzogenes Bankkonto“.
Seit seiner Übersetzung des „Ulysses“, beim Erscheinen 1976 gepriesen als „eine der großen sprachschöpferischen Leistungen der deutschen Literatur“, galt Wollschläger als Genie, das nur in seiner ganzen Genialität noch nicht erkannt war. So groß war sein Ruhm, dass Wollschläger nicht nur literatur-, sondern sogar parodiefähig wurde. In Eckhard Henscheids legendärer Erzählung „Im Puff von Paris“ hat er einen Auftritt als „Hans Wüllenweber“, „ungeachtet der sommerlichen Temperaturen eingehüllt in einen dicken wärmenden Mantel und mit einem weichen weißen Wollschal, der um die Schultern und auch mehrfach um den zarten Hals geschlungen war, sicherlich um die kostbare Rezitationsstimme zu schonen“.
Nach einer Karl-May-Monografie und einem ketzerischen Werk über die Kreuzzüge, „Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem“, debütierte Wollschläger 1982 als literarischer Autor mit den „Herzgewächsen“. Es war der Roman, mit dem Arno Schmidts einziger legitimierter Schüler alles übertreffen wollte, Joyce und Schmidt und Thomas Mann sowieso, aber so, dass Gustav Mahler neidisch wäre auf dieses Sprachklangkunstwerk. Und es war bloß der erste Band. In seinen Briefen kündigt der Autor immer wieder an, sich jetzt dann ganz bestimmt an den zweiten Band zu machen, den zu erwerben sich die Käufer des ersten verpflichten mussten. Er kam nie.
Das nie vollendete Meisterwerk bedrückt den Autor wie ein Füssli’scher Alp und steht drohend im Hintergrund der Briefe, die Wollschläger an Freunde, Verwandte, Verleger, Förderer, Doktoranden und schlichte Leser geschrieben hat. Er könne „längst einen full time job draus machen“, klagt er, nur „die allernotwendigsten“ schreibe er, schreibt aber munter, wenn auch keineswegs fröhlich weiter. Aus einem unüberschaubaren Konvolut dieses arbeitsflüchtigen Briefeschreibers hat Thomas Körber eine Auswahl getroffen, die sich auf Wollschlägers beide letzte Lebensjahrzehnte von 1988 bis 2007 beschränkt. Wer noch lesen kann, wird sofort erkennen, dass er/sie/es das einzig relevante Buch des allerdings ziemlich mauen Jahres 2022 in Händen hält.
Es ist nicht der aufwendig inszenierte Liebeskummer von Max Frisch und Ingeborg Bachmann, sondern in Monologform ein überraschend realistischer Lebensroman mit all dem matten Glanz und dem ganzen Elend in der Frage, „wie ein Autor unter solchen Umständen die Kosten für seine Beerdigung zusammenbringen soll“. Abgehandelt wird die ganze Größe und Kleinlichkeit der Schriftstellerexistenz inklusive Trauerkleidung und überzogenem Bankkonto; das Schamhaar bleibt ausgespart. Wollschläger kann gar nicht anders, als von diesem Unglück abzuraten. Bei ihm selber kommt der gute Rat zu spät: „Es ist ganz gut, daß man das nicht alles schon am Anfang seiner Mühen überblickt; was man am Ende sieht, läßt sich nach einer Weile ziemlich gut absehen. Ich säße am liebsten irgendwo in der Einöde, brächte dort Rundfunk- und Fernseh-Apparat zum Kurzschluß und blickte nur noch in Bäume und Gebüsche.“
Antworten auf diese Wehklagen fehlen ebenso wie die Anlässe, auf die Wollschläger reagiert. Zu gern hätte man Näheres über den Grund der diversen Zerwürfnisse erfahren, die Artikel nachgelesen, auf die sich der Schreiber bezieht, die Fehden, die da ausgetragen werden. Das Register übergeht etliche der erwähnten Personen, der Kommentar ist äußerst kärglich. In einem knappen Nachwort rechtfertigt der Herausgeber seine Auswahl damit, dass er mehrfach gebrauchte Formulierungen vermeiden wollte. Dennoch wiederholen sich bestimmte Wendungen und Episoden, über die verschiedene Adressaten ins Bild gesetzt werden.
Die Verleihung des Kulturpreises der Bayerischen Landesstiftung wird im sich steigernden Ärger immer besser herausgeputzt, bis sie beim dritten Empfänger des Klagelieds die höchste und schönste Tonlage erreicht. Dieser Preis wurde im November 2001 im Münchener Cuvilliés-Theater überreicht „vor etwa 600 unbeirrbar staatstragenden Beamten mit ihren reich behangenen Ehehälften, also der Münchener Verwaltungs-Elite, bei deren Anblick selbst hartgesottene Idealisten in der Nächstenliebe immer wieder erschrocken innehalten“. Es war der Vorabend der deutschen Beteiligung am amerikanischen Afghanistan-Einsatz. Wollschläger, der Sohn eines Militärpfarrers, verweist auf sein pazifistisches Credo, auf das, „was die Grundlage aller meiner Tätigkeit ist und bleiben wird: dass ‚der Krieg‘ endgültig und unwiderruflich kein Mittel des gesellschaftlichen, des politischen Handelns mehr ist“.
Angeführt vom Minister rezensierte das Publikum den Auftritt und dessen Botschaft auf der Stelle. „Der Beifall währte entsprechend volle drei Sekunden lang und gab nicht nur zu erkennen, wie überflüssig die halbstündige Abhaltung vom Run auf das Buffet gefunden wurde; der Finanzminister Faltlhauser, neben mir in der ersten Reihe plaziert, durchbohrte mich mit seinem Blick wie ein leibhaftiger Eiszapfen, als ich auf meinen Platz zurückging, und rührte keine Hand.“
Hans Wollschläger, im Jahr 1935 in Minden geboren, verbrachte den größten Teil seines Lebens in Franken, weil er sein Geld zunächst als Mitarbeiter des Bamberger Karl-May-Verlags verdiente. Als Zuwanderer nach Bayern kam er dabei in den Genuss der spezifisch bayerischen Kunstförderung. So ergeht auch an ihn die Einladung des Kultusministeriums, sich an einem „bunten Reigen von Lesungen“ zu beteiligen. Ausgewählt dafür, so heißt es in dem amtlichen Anschreiben, seien lauter Autoren, „die durch öffentliche Auszeichnung oder entsprechende Wahrnehmung im Bereich der Literaturkritik ihre literarische Qualität nachgewiesen haben“, und die sollten sich dann gefälligst bittedanke durch eine Lesung in die Veranstaltung „einbringen“. Allerdings würden für dieses Einbringen „grundsätzlich keine Honorare gezahlt“.
Für Wollschläger ist dieser Affront ein Geschenk. „Wie jeder Freiberufler, jeder Arzt, jeder Rechtsanwalt, habe ich infolgedessen, obwohl meine Tätigkeit wesentlich unschädlicher ist, feste Honorarsätze, die ich Ihnen mitteilen möchte“, wie er den Ministeriumsbeamten bescheidet. „Honorarfrei arbeite ich für den Freistaat gern, sobald Herr Staatsminister Zehetmair unentgeltlich dafür tätig ist.“
Solche Kabinettsstückchen aus dem unfreiwilligen politischen Kabarett sind selten. Zumeist geht es in diesen Briefen um das schriftstellerische Kleingeld, also um niedrige und ausbleibende Honorare, um makulierte Auflagen, um Brotarbeiten und Jahresabrechnungen, die gelegentlich durch mäzenatisches Handgeld aufgebessert werden.
Der Grundbass liefert das Herz, „die Pumpe“, die sich dem Arbeitspensum nicht fügen will, mehr als einmal geht es um Leben und Tod. Auch das ist Schriftstellerschicksal: „Mein Verstand nimmt ab und mein Leib dafür zu.“ Die äußere Erscheinung ist nicht gering zu achten, denn sein Schreiben finanziert er durch Lesungen. Wollschläger war ein brillanter Darbietungskünstler. Deshalb muss auch die Frage erörtert werden, ob sich ein ergrauender Vorlesereisender die Haare färben soll.
Dem Geistesfreund Karlheinz Deschner schreibt er im Jahr 1993, „daß ich mit Verlegern nun und in alle Ewigkeit nichts mehr zu schaffen haben will“. Schließlich hat er die Erfahrung mit einem „Erzschurken und Antichrist“ gemacht, der nicht nur ihn um Honorare prellt. Hans Wollschläger plant einen gänzlich unabhängigen Verlag, in dem er die eigenen Bücher herausbringen will, dazu – noch ein Großunternehmen, das nur eine weitere Unvollendete sein kann – eine Edition des polyglotten Dichters Friedrich Rückert, 45 Bände mindestens.
Zur Gegenwartsliteratur fällt Wollschläger nicht viel Freundliches ein – er liest sie ohnehin nicht –, zitiert dafür einen Schopenhauer über die „mediokren Poeten“, sie sollten „ihre Muße lieber anzuwenden Gutes zu lesen, als Schlechtes zu schreiben“. Er ist der buchstäbliche Ritter vom Geist, das von Arno Schmidt beschriebene, leibhaftige „Gehirn-Tier“. Umso erstaunlicher, dass er Manfred Bieler, einem ungleich erfolgreicheren Autor, einen Fanbrief reinsten Herzens schreiben muss, weil „ich bei Ihnen vieles verwirklicht sehe, was ich selber gern können würde und nicht kann“.
Das literarische Elend nimmt längst seinen Lauf. Die Briefe zeigen den Autor abwechselnd zwischen himmelhoch eingebildet und bis zum Finstersten eingetrübt. Seinem Sohn gegenüber bläht er sich zum Allergrößten auf, erklärt, die Nachwelt fest im Blick, „die Wörter ‚meiner Literatur‘ sollten, biblisch gesagt, ‚die Welt überwinden‘“. Zweifel scheinen ihn nicht anzukränkeln: „Es gibt in Deutschland niemanden, der soviel ‚Stil‘ hätte wie ich. Aber das sehen in diesem dummen Land nur ganz wenige, und die stillosen Schwätzer haben das Sagen.“ Dann wieder ist alles nichts, dann behauptet er kokett, „richtig taugliche Wörter aber kriege ich sowieso nicht hin, weil mein Talent zu beschränkt ist“.
Von der Höhe des Bamberger Dombergs herab donnert es kategorisch: „Es ist ziemlich furchtbar, in die Hände der Nachwelt zu fallen; für mich selber wünsche ich mir inbrünstig, fünf Minuten nach meinem Tod vergessen zu sein.“ Dann beschäftigt ihn doch nichts mehr als sein literarischer Wert für die grade noch verachtete Nachwelt. So schreibt er nach Marbach und bietet dem Literaturarchiv sein Werk an. Die Nachlassfrage wird dann ebenfalls zu einer „Stil-Frage“, nur geht es, das Bankkonto fordert sein Recht, um Geld, um eine „Gegenleistung für meine Lebenssumme“, die, er weiß es, ohnehin nicht aufzuwiegen ist. Auf Wollschläger traf zu, was sein Förderer Arno Schmidt über den großen Klopstock und dessen an den „Messias“ verschwendete Lebensarbeitszeit gesagt hatte: „Verkenne dich selbst.“ Der lebenslange Atheist, verlässliche Kirchenhasser, der die Kirche als „verbrecherische Organisation“ vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht haben wollte, wurde am Ende doch, wie Karlheinz Deschner berichtet hat, „durch einen christlichen Pfarrer beigesetzt unter wiederholtem Bimmeln der Kirchenglocke“.
Noch kurz vor seinem Tod 2007 schrieb er einem italienischen Schmidt-Übersetzer dankbar, wie sehr es ihn freue, dass er sich mit den „Herzgewächsen“ mühte. „Ich bilde mir ein, daß es irgendwann noch ‚entdeckt‘ wird.“ Mag sein, dass die Zeit dafür noch kommt. Wenigstens gibt es diese Briefe, ein unfreiwilliger Beweis dafür, dass selbst die Gottheit Literatur gegen die Dummheit vergeblich kämpft. „Das Leben könnte so schön sein, wenn man nicht schreiben müßte“, seufzte er einmal und diesmal gar nicht kokett. Was für ein Glück, dass Wollschläger diese Briefe geschrieben hat. Sie sind, was die „Herzgewächse“ werden sollten und nie wurden, sein Hauptwerk.
WILLI WINKLER
Ein Schriftstellerschicksal:
„Mein Verstand nimmt ab
und mein Leib dafür zu.“
„Es gibt in Deutschland
niemanden, der soviel
‚Stil‘ hätte wie ich.“
„Ich säße am liebsten irgendwo in der Einöde“: Hans Wollschläger auf einem Foto von 1976.
Brigitte Friedrich/SZ Photo
Hans Wollschläger:
Briefe 1988-2007.
Herausgegeben von Thomas Körber. Wallstein, Göttingen 2022. 524 Seiten, 38 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2022

Hauptsächliche Nebenbemühungen
Ins eigene Vergehen geschickt: Die Briefe des Dichters und Übersetzers Hans Wollschläger zeigen den Umriss einer unausgeführten Werkwelt

Was "ein Vergehen" sei, wissen Wörterbuch, Straßenmeinung und Suchmaschine: der gewählte, unter Umständen auch etwas gesuchte Ausdruck für die Übertretung eines Gesetzes, eines Gebotes oder einer Vorschrift. Wenn der Dichter und Übersetzer Hans Wollschläger also etwas in einem Brief vom 25. Dezember 1989 an den "Freund und Lehrer" Michael Schneider "dieses Vergehen" nennt und dabei ein Schuldgefühl andeutet, das in ihm rumort, weil er den Haushalt seiner eben verstorbenen Mutter auflösen muss, mag man sich denken: So schreiben Sprachverliebte eben, schnell bei der Hand mit einem Pathos, das eine Allerwelts-Traurigkeit zur Sünde aufbauscht.

Aber Wollschläger setzt einen Doppelsinn, wo er als Sohn, der das Erbe veräußert, statt es zu bewahren, diesem untreu wird und dazu seufzt, man müsse sich wohl in "auch dieses Vergehen schicken wie in das eigene dermaleinst". Vergehen heißt hier: verschwinden, auch aus dem Gedächtnis. Gemeint ist mithin die größte Bedrohung aller denkbaren Werte der Schrift, die nicht nur neue oder seltene Wörter für teils bekannte, teils überraschende Empfindungen und Ideen wählt, sondern auch aus geläufigen ungeläufige macht, damit man aufmerkt und nicht vergisst, was man da liest.

Briefe eines Schriftstellers werden vornehmlich dann gedruckt, wenn man die Existenz eines Publikums vermutet, das sich von diesen privaten Schriften Schlüssel zu den bereits öffentlichen des Verfassers verspricht. Hans Wollschläger hat nur einen einzigen Roman geschrieben, "Herzgewächse oder der Fall Adams"; das Manuskript irrte lange durch die Lektorate und erschien schließlich 1988. Noch 1994 nennt er den Text brieflich "mein zentrales Buch", das "die anderen Bücher (eingeschlossen die künftigen) nur trabantenhaft umkreisen". Es erzählt die Geschichte des von Hitlers Herrschaft aus Deutschland verjagten Denkers Michael Adams, der 1945 aus dem Exil nach Bamberg zurückkehrt und dort zum Doktor Faustus einer Teufelspaktgeschichte wird, die ihn in einen publizistischen Betrieb ziehen will, dem Wollschläger zeitlebens fremd und feindlich gegenüberstand. Kritik und Literaturgeschichte messen "Herzgewächse" meist am Werk von Wollschlägers Lehrer und Idol Arno Schmidt. Wer nur den Einfluss sieht, der sich in Wollschlägers Zentralfiktion niederschlägt, übersieht leicht, dass ein Epigone, der einen Gestus, eine Sprechweise weiterträgt, vielleicht etwas ganz anderes will als der Neuerer, dem er folgt, indem er dessen Sprachgut dem Eigensten anverwandelt (denn das hat Wollschläger getan: er klingt wirklich ganz anders, nur eben ähnlich entschieden ungeläufig), nämlich den Gestus der markanten Wendungen und Prägungen, die ihn selbst bewegt haben, als besonderen Nachlass eben nicht auflösen, sondern bewahren, wo nötig aber neu bündeln oder anderes auffächern.

Wollschläger war, wenn er nicht schrieb, sondern las, oft in Sorge, die ihn umgebende Literatur-, Geschäfts- und Alltagssprache werde immer fahriger, bleicher, blöder und "spurenloser" (Wollschläger an Marcel Reich-Ranicki 1993). Das Internet wirft mit Belegen dafür, dass diese Furcht begründet war, freigiebig um sich, man soll die Wörter teilen, nicht dran feilen, ihre Zweckbestimmung ist also eine sehr andere als die in einem Selbstexplikationsschreiben erläuterte Absicht Wollschlägers, "aus Wörtern eine Seelensphäre zu bauen, in der sich Liebe zum Gegenstand entfalten kann, Mitfühlen, Erkenntnis, und jene nicht mehr schreibbaren Wörter zu resonieren beginnen, in denen der Gegenstand selbst unendlich fortspricht". Dieser Absicht wollten alle seine Aktivitäten entsprechen, als Übersetzer von Joyce und Chandler, als Editor der missverstandenen, fehlgelesenen Karl May und Friedrich Rückert, als Regisseur der unaufführbaren "Letzten Tage der Menschheit", als Dirigent, Organist und Dilettant, der in seiner Jugend Mahlers Fragment gebliebene zehnte Symphonie, auch das eine ganz eigene Sprache, eigene Liebe, ein eigener Gegenstand, zu Ende zu komponieren.

Schon sein 2018 publizierter Briefwechsel mit Arno Schmidt lässt diesen Umriss erkennen, obwohl es darin eher um die eng umgrenzten Gegenstände gemeinsamen Interesses geht als um einen der beiden im Schattenriss, also um May, um Edgar Allan Poe, um die Schwierigkeiten mit den Verlagen. Ein zweiter Briefband, mit Texten ausschließlich von Wollschläger aus den Jahren 1988 bis 2007 (die Endmarke setzt also Wollschlägers Todesjahr), ist jetzt bei Wallstein erschienen und zeigt außer der geschilderten aktiven, für ein Literaturideal tätigen Seite des Briefschreibers auch seine Mühen damit, sich die Scheußlichkeiten des literarischen Lebens vom Leib zu halten, als Abwehr, wie er schreibt, "eines Kleinstaats, der sich mit den Großmächten nicht anlegen darf". Briefe als Paratext, als Beiwerk zu einem Schaffen, das abgesehen vom Zentraltext nie so recht Gestalt annahm, während besagtes Beiwerk von Wollschläger so erkennbar sorgsam durchgestaltet wurde wie sonst im fraglichen Zeitraum wohl nur das Beiwerk eines von ihm in jeder Hinsicht grundverschiedenen Kollegen, Heiner Müller, dessen zwölfbändige Werkausgabe allein drei Bände "Gespräche" erhält. Das gibt es eben, den Typus der oder des Schreibenden mit Zwang zum Reden über das, was nie fertig wird, die Hauptsache, auf dass Wälle und Mauern aus zusätzlichem Material sie schützen und stützen, diese Hauptsache, vor dem und gegen das Vergehen. DIETMAR DATH

Hans Wollschläger: "Briefe 1988 - 2007".

Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 524 S., geb., 38,- Euro.

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»In seinen Briefen wird der Autor (...) oftmals erfrischend direkt.« (Hartmut Horstmann, Westfalen-Blatt, 07.12.2022) »ein Höhepunkt des Literaturjahres (...). Was für ein Glück, dass Wollschläger diese Briefe geschrieben hat. Sie sind (...) sein Hauptwerk« (Willi Winkler, SZ, 13.12.2022) »Diese Briefsammlung ist bis in schlichte Details hinein große Literatur.« (Martin Lowsky, literaturkritik.de, 23.01.2023)