Hans Wollschlägers Briefe: ein essentieller Teil seines schriftstellerischen Gesamtwerks.Der Band enthält eine erste umfangreiche Auswahl aus Briefen der letzten zwanzig Lebensjahre Wollschlägers. Im Mittelpunkt stehen seine Projekte in den Jahren 1988 bis 2007, die er mit Leidenschaft und Akribie verfolgt, also die Historisch-kritische Ausgabe der Werke Karl Mays, die Edition der Werke Friedrich Rückerts, die Verwaltung und Organisation der Werke, Schriften und Übersetzungen der 70er und 80er Jahre und - ab Ende der 90er Jahre - die Bemühungen um eine Sammlung der eigenen Arbeiten. Es handelt sich demnach im weitesten Sinne um »Briefe zum Werk« dieses bedeutenden Autors, Übersetzers und Herausgebers.»Die Verleihung in München fand in einem sehr kontrastreichen Ambiente statt, nämlich im Cuvilliés-Theater vor etwa 600 staatstragenden Beamten. Ich lege Ihnen die Rede bei, die ich gehalten habe -: der Beifall war eisige drei Sekunden lang, und das nicht nur, weil sie den Gang zum Buffet um 25 Minuten verzögert hatte; der Finanzminister Faltlhauser, neben mir in der ersten Reihe plaziert, blickte glasig durch mich hindurch, als ich auf meinen Platz zurückging, und rührte keine Hand.«
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Briefe sind zumeist Beiwerk für schriftstellerisches Wirken: Dass das bei Hans Wollschläger anders ist, verrät Dietmar Dath in seiner Rezension zu den "Briefen 1988-2007". Wollschläger hat nur einen Roman veröffentlicht, eine Faust-Geschichte, die, weiß der Kritiker, oftmals mit Arno Schmidt verglichen wurde, dem der Autor nahestand. So liegt es für Dath nahe, die Briefe als eigentliches Hauptwerk des vielseitig begabten Wollschläger einzuschätzen: So präzise durchkomponiert seien sie, so von der Aufmerksamkeit und Liebe für die Sprache getragen, so sehr lassen sich Bemühungen erkennen, die Worte zu verändern und zu prägen. Dath zitiert ausführlich aus den Briefen, um diese ungewöhnliche Sprachverwendung zu demonstrieren und ein Begriff sticht für ihn besonders heraus: "Vergehen", sagt Wollschläger, und meint damit nicht nur den Gesetzesübertritt, sondern auch das Vergessen, das Verschwinden aus dem Gedächtnis. Der Rezensent hofft, dass genau das mit den Briefen nicht passiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2022Hauptsächliche Nebenbemühungen
Ins eigene Vergehen geschickt: Die Briefe des Dichters und Übersetzers Hans Wollschläger zeigen den Umriss einer unausgeführten Werkwelt
Was "ein Vergehen" sei, wissen Wörterbuch, Straßenmeinung und Suchmaschine: der gewählte, unter Umständen auch etwas gesuchte Ausdruck für die Übertretung eines Gesetzes, eines Gebotes oder einer Vorschrift. Wenn der Dichter und Übersetzer Hans Wollschläger also etwas in einem Brief vom 25. Dezember 1989 an den "Freund und Lehrer" Michael Schneider "dieses Vergehen" nennt und dabei ein Schuldgefühl andeutet, das in ihm rumort, weil er den Haushalt seiner eben verstorbenen Mutter auflösen muss, mag man sich denken: So schreiben Sprachverliebte eben, schnell bei der Hand mit einem Pathos, das eine Allerwelts-Traurigkeit zur Sünde aufbauscht.
Aber Wollschläger setzt einen Doppelsinn, wo er als Sohn, der das Erbe veräußert, statt es zu bewahren, diesem untreu wird und dazu seufzt, man müsse sich wohl in "auch dieses Vergehen schicken wie in das eigene dermaleinst". Vergehen heißt hier: verschwinden, auch aus dem Gedächtnis. Gemeint ist mithin die größte Bedrohung aller denkbaren Werte der Schrift, die nicht nur neue oder seltene Wörter für teils bekannte, teils überraschende Empfindungen und Ideen wählt, sondern auch aus geläufigen ungeläufige macht, damit man aufmerkt und nicht vergisst, was man da liest.
Briefe eines Schriftstellers werden vornehmlich dann gedruckt, wenn man die Existenz eines Publikums vermutet, das sich von diesen privaten Schriften Schlüssel zu den bereits öffentlichen des Verfassers verspricht. Hans Wollschläger hat nur einen einzigen Roman geschrieben, "Herzgewächse oder der Fall Adams"; das Manuskript irrte lange durch die Lektorate und erschien schließlich 1988. Noch 1994 nennt er den Text brieflich "mein zentrales Buch", das "die anderen Bücher (eingeschlossen die künftigen) nur trabantenhaft umkreisen". Es erzählt die Geschichte des von Hitlers Herrschaft aus Deutschland verjagten Denkers Michael Adams, der 1945 aus dem Exil nach Bamberg zurückkehrt und dort zum Doktor Faustus einer Teufelspaktgeschichte wird, die ihn in einen publizistischen Betrieb ziehen will, dem Wollschläger zeitlebens fremd und feindlich gegenüberstand. Kritik und Literaturgeschichte messen "Herzgewächse" meist am Werk von Wollschlägers Lehrer und Idol Arno Schmidt. Wer nur den Einfluss sieht, der sich in Wollschlägers Zentralfiktion niederschlägt, übersieht leicht, dass ein Epigone, der einen Gestus, eine Sprechweise weiterträgt, vielleicht etwas ganz anderes will als der Neuerer, dem er folgt, indem er dessen Sprachgut dem Eigensten anverwandelt (denn das hat Wollschläger getan: er klingt wirklich ganz anders, nur eben ähnlich entschieden ungeläufig), nämlich den Gestus der markanten Wendungen und Prägungen, die ihn selbst bewegt haben, als besonderen Nachlass eben nicht auflösen, sondern bewahren, wo nötig aber neu bündeln oder anderes auffächern.
Wollschläger war, wenn er nicht schrieb, sondern las, oft in Sorge, die ihn umgebende Literatur-, Geschäfts- und Alltagssprache werde immer fahriger, bleicher, blöder und "spurenloser" (Wollschläger an Marcel Reich-Ranicki 1993). Das Internet wirft mit Belegen dafür, dass diese Furcht begründet war, freigiebig um sich, man soll die Wörter teilen, nicht dran feilen, ihre Zweckbestimmung ist also eine sehr andere als die in einem Selbstexplikationsschreiben erläuterte Absicht Wollschlägers, "aus Wörtern eine Seelensphäre zu bauen, in der sich Liebe zum Gegenstand entfalten kann, Mitfühlen, Erkenntnis, und jene nicht mehr schreibbaren Wörter zu resonieren beginnen, in denen der Gegenstand selbst unendlich fortspricht". Dieser Absicht wollten alle seine Aktivitäten entsprechen, als Übersetzer von Joyce und Chandler, als Editor der missverstandenen, fehlgelesenen Karl May und Friedrich Rückert, als Regisseur der unaufführbaren "Letzten Tage der Menschheit", als Dirigent, Organist und Dilettant, der in seiner Jugend Mahlers Fragment gebliebene zehnte Symphonie, auch das eine ganz eigene Sprache, eigene Liebe, ein eigener Gegenstand, zu Ende zu komponieren.
Schon sein 2018 publizierter Briefwechsel mit Arno Schmidt lässt diesen Umriss erkennen, obwohl es darin eher um die eng umgrenzten Gegenstände gemeinsamen Interesses geht als um einen der beiden im Schattenriss, also um May, um Edgar Allan Poe, um die Schwierigkeiten mit den Verlagen. Ein zweiter Briefband, mit Texten ausschließlich von Wollschläger aus den Jahren 1988 bis 2007 (die Endmarke setzt also Wollschlägers Todesjahr), ist jetzt bei Wallstein erschienen und zeigt außer der geschilderten aktiven, für ein Literaturideal tätigen Seite des Briefschreibers auch seine Mühen damit, sich die Scheußlichkeiten des literarischen Lebens vom Leib zu halten, als Abwehr, wie er schreibt, "eines Kleinstaats, der sich mit den Großmächten nicht anlegen darf". Briefe als Paratext, als Beiwerk zu einem Schaffen, das abgesehen vom Zentraltext nie so recht Gestalt annahm, während besagtes Beiwerk von Wollschläger so erkennbar sorgsam durchgestaltet wurde wie sonst im fraglichen Zeitraum wohl nur das Beiwerk eines von ihm in jeder Hinsicht grundverschiedenen Kollegen, Heiner Müller, dessen zwölfbändige Werkausgabe allein drei Bände "Gespräche" erhält. Das gibt es eben, den Typus der oder des Schreibenden mit Zwang zum Reden über das, was nie fertig wird, die Hauptsache, auf dass Wälle und Mauern aus zusätzlichem Material sie schützen und stützen, diese Hauptsache, vor dem und gegen das Vergehen. DIETMAR DATH
Hans Wollschläger: "Briefe 1988 - 2007".
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 524 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ins eigene Vergehen geschickt: Die Briefe des Dichters und Übersetzers Hans Wollschläger zeigen den Umriss einer unausgeführten Werkwelt
Was "ein Vergehen" sei, wissen Wörterbuch, Straßenmeinung und Suchmaschine: der gewählte, unter Umständen auch etwas gesuchte Ausdruck für die Übertretung eines Gesetzes, eines Gebotes oder einer Vorschrift. Wenn der Dichter und Übersetzer Hans Wollschläger also etwas in einem Brief vom 25. Dezember 1989 an den "Freund und Lehrer" Michael Schneider "dieses Vergehen" nennt und dabei ein Schuldgefühl andeutet, das in ihm rumort, weil er den Haushalt seiner eben verstorbenen Mutter auflösen muss, mag man sich denken: So schreiben Sprachverliebte eben, schnell bei der Hand mit einem Pathos, das eine Allerwelts-Traurigkeit zur Sünde aufbauscht.
Aber Wollschläger setzt einen Doppelsinn, wo er als Sohn, der das Erbe veräußert, statt es zu bewahren, diesem untreu wird und dazu seufzt, man müsse sich wohl in "auch dieses Vergehen schicken wie in das eigene dermaleinst". Vergehen heißt hier: verschwinden, auch aus dem Gedächtnis. Gemeint ist mithin die größte Bedrohung aller denkbaren Werte der Schrift, die nicht nur neue oder seltene Wörter für teils bekannte, teils überraschende Empfindungen und Ideen wählt, sondern auch aus geläufigen ungeläufige macht, damit man aufmerkt und nicht vergisst, was man da liest.
Briefe eines Schriftstellers werden vornehmlich dann gedruckt, wenn man die Existenz eines Publikums vermutet, das sich von diesen privaten Schriften Schlüssel zu den bereits öffentlichen des Verfassers verspricht. Hans Wollschläger hat nur einen einzigen Roman geschrieben, "Herzgewächse oder der Fall Adams"; das Manuskript irrte lange durch die Lektorate und erschien schließlich 1988. Noch 1994 nennt er den Text brieflich "mein zentrales Buch", das "die anderen Bücher (eingeschlossen die künftigen) nur trabantenhaft umkreisen". Es erzählt die Geschichte des von Hitlers Herrschaft aus Deutschland verjagten Denkers Michael Adams, der 1945 aus dem Exil nach Bamberg zurückkehrt und dort zum Doktor Faustus einer Teufelspaktgeschichte wird, die ihn in einen publizistischen Betrieb ziehen will, dem Wollschläger zeitlebens fremd und feindlich gegenüberstand. Kritik und Literaturgeschichte messen "Herzgewächse" meist am Werk von Wollschlägers Lehrer und Idol Arno Schmidt. Wer nur den Einfluss sieht, der sich in Wollschlägers Zentralfiktion niederschlägt, übersieht leicht, dass ein Epigone, der einen Gestus, eine Sprechweise weiterträgt, vielleicht etwas ganz anderes will als der Neuerer, dem er folgt, indem er dessen Sprachgut dem Eigensten anverwandelt (denn das hat Wollschläger getan: er klingt wirklich ganz anders, nur eben ähnlich entschieden ungeläufig), nämlich den Gestus der markanten Wendungen und Prägungen, die ihn selbst bewegt haben, als besonderen Nachlass eben nicht auflösen, sondern bewahren, wo nötig aber neu bündeln oder anderes auffächern.
Wollschläger war, wenn er nicht schrieb, sondern las, oft in Sorge, die ihn umgebende Literatur-, Geschäfts- und Alltagssprache werde immer fahriger, bleicher, blöder und "spurenloser" (Wollschläger an Marcel Reich-Ranicki 1993). Das Internet wirft mit Belegen dafür, dass diese Furcht begründet war, freigiebig um sich, man soll die Wörter teilen, nicht dran feilen, ihre Zweckbestimmung ist also eine sehr andere als die in einem Selbstexplikationsschreiben erläuterte Absicht Wollschlägers, "aus Wörtern eine Seelensphäre zu bauen, in der sich Liebe zum Gegenstand entfalten kann, Mitfühlen, Erkenntnis, und jene nicht mehr schreibbaren Wörter zu resonieren beginnen, in denen der Gegenstand selbst unendlich fortspricht". Dieser Absicht wollten alle seine Aktivitäten entsprechen, als Übersetzer von Joyce und Chandler, als Editor der missverstandenen, fehlgelesenen Karl May und Friedrich Rückert, als Regisseur der unaufführbaren "Letzten Tage der Menschheit", als Dirigent, Organist und Dilettant, der in seiner Jugend Mahlers Fragment gebliebene zehnte Symphonie, auch das eine ganz eigene Sprache, eigene Liebe, ein eigener Gegenstand, zu Ende zu komponieren.
Schon sein 2018 publizierter Briefwechsel mit Arno Schmidt lässt diesen Umriss erkennen, obwohl es darin eher um die eng umgrenzten Gegenstände gemeinsamen Interesses geht als um einen der beiden im Schattenriss, also um May, um Edgar Allan Poe, um die Schwierigkeiten mit den Verlagen. Ein zweiter Briefband, mit Texten ausschließlich von Wollschläger aus den Jahren 1988 bis 2007 (die Endmarke setzt also Wollschlägers Todesjahr), ist jetzt bei Wallstein erschienen und zeigt außer der geschilderten aktiven, für ein Literaturideal tätigen Seite des Briefschreibers auch seine Mühen damit, sich die Scheußlichkeiten des literarischen Lebens vom Leib zu halten, als Abwehr, wie er schreibt, "eines Kleinstaats, der sich mit den Großmächten nicht anlegen darf". Briefe als Paratext, als Beiwerk zu einem Schaffen, das abgesehen vom Zentraltext nie so recht Gestalt annahm, während besagtes Beiwerk von Wollschläger so erkennbar sorgsam durchgestaltet wurde wie sonst im fraglichen Zeitraum wohl nur das Beiwerk eines von ihm in jeder Hinsicht grundverschiedenen Kollegen, Heiner Müller, dessen zwölfbändige Werkausgabe allein drei Bände "Gespräche" erhält. Das gibt es eben, den Typus der oder des Schreibenden mit Zwang zum Reden über das, was nie fertig wird, die Hauptsache, auf dass Wälle und Mauern aus zusätzlichem Material sie schützen und stützen, diese Hauptsache, vor dem und gegen das Vergehen. DIETMAR DATH
Hans Wollschläger: "Briefe 1988 - 2007".
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 524 S., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»In seinen Briefen wird der Autor (...) oftmals erfrischend direkt.« (Hartmut Horstmann, Westfalen-Blatt, 07.12.2022) »ein Höhepunkt des Literaturjahres (...). Was für ein Glück, dass Wollschläger diese Briefe geschrieben hat. Sie sind (...) sein Hauptwerk« (Willi Winkler, SZ, 13.12.2022) »Diese Briefsammlung ist bis in schlichte Details hinein große Literatur.« (Martin Lowsky, literaturkritik.de, 23.01.2023)