»Ich lebe hier ziemlich isoliert und werde sehr gehemmt in meiner Arbeit durch mein Abgeschnittensein vom kulturellen Leben. Es ist mir nicht einmal möglich, mir Eintrittskarten zu den Münchener Theatern zu beschaffen für jene seltenen Aufführungen, die mich interessieren würden. Auch Bücher, aus denen ich lernen könnte, kommen mir kaum in die Hand, und so tappe ich recht im Finstern.« (Marieluise Fleißer an Herbert Ihering, im Mai 1947, aus Ingolstadt)
Günther Rühle, Herausgeber der Gesammelten Werke, hat zum 100. Geburtstag der Marieluise Fleißer eine Auswahl getroffen, die, parallel zur gebundenen Ausgabe im Suhrkamp Verlag, auch als suhrkamp taschenbuch erscheint und bisher unbekannte Einblicke in Leben und Schreiben der Autorin gibt und alle wesentlichen Briefpartner in den Jahren zwischen 1925 und 1972 berücksichtigt, darunter Bertolt Brecht, Joseph Breitbach, Rainer Werner Fassbinder, Lion Feuchtwanger, Therese Giehse, Erich Kästner, Franz Xaver Kroetz, WolfgangKoeppen, Robert Musil und Martin Sperr.
Günther Rühle, Herausgeber der Gesammelten Werke, hat zum 100. Geburtstag der Marieluise Fleißer eine Auswahl getroffen, die, parallel zur gebundenen Ausgabe im Suhrkamp Verlag, auch als suhrkamp taschenbuch erscheint und bisher unbekannte Einblicke in Leben und Schreiben der Autorin gibt und alle wesentlichen Briefpartner in den Jahren zwischen 1925 und 1972 berücksichtigt, darunter Bertolt Brecht, Joseph Breitbach, Rainer Werner Fassbinder, Lion Feuchtwanger, Therese Giehse, Erich Kästner, Franz Xaver Kroetz, WolfgangKoeppen, Robert Musil und Martin Sperr.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2002Klopfzeichen einer lebendig Begrabenen
Wer bist Du denn eigentlich, was kannst Du und was willst Du: Das Lebensdrama der Marieluise Fleißer im Spiegel ihrer Korrespondenz
„Ich werde indessen hier in Ingolstadt von den Buchläden boykottiert ... Nun – es wird vielleicht die Zeit kommen, in der dies Verhalten als blamabel gewertet werden wird.” Die Zeit kam – freilich viel später, als Marie Luise Fleißer Ende 1932 glaubte. Sie sollte die Erfüllung ihrer Prophezeiung selbst noch erleben. Die Dramatikerin, die 1974 auf dem Ingolstädter Friedhof begraben wurde, würde sich kaum mehr darüber wundern, dass das Stadttheater zwei Stücke über ihr Leben in Auftrag gegeben hat, dass der Literaturpreis der Kommune ihren Namen trägt, dass in ihrer Wohnung eine Gedenkstätte eingerichtet wurde. Die einst Geächtete ist zur „Zierde für den Verein” geworden, wie der ironische Titel ihres einzigen Romans seit der Neufassung von 1972 lautet. Als er 1931 bei Gustav Kiepenheuer erschien, hieß er noch „Mehlreisende Frieda Geier”. Ein klassischer Fall von literarischer Nestbeschmutzung, Ausstoßung durch die Beschmutzten und schließlicher Heimholung? Nein, so einfach liegen die Dinge nicht. Die zum hundertsten Geburtstag erschienene Sammlung ihrer Korrespondenz ermöglicht den lückenlosen Einblick in die vertrackte Konstellation aus Lebens- und Zeitumständen, deren Opfer die Fleißer wurde.
Vom frühem Ruhm eher heimgesucht als begünstigt, war die Autorin aus dem von Weltwirtschaftskrise und Notverordnungen geschüttelten Berlin zurück nach Ingolstadt geflohen, in die Eisenwarenhandlung von Heinrich Fleißer im Schatten des Münsters. Eigentlich hatte sie Hausverbot. Der Vater fürchtete um seinen guten Ruf. Außerdem würde sie ihm auf der Tasche liegen. Aber er war kein Unmensch, und so fand die verlorene Tochter nach einem Nervenzusammenbruch und Selbstmordversuch Unterschlupf im überfüllten Elternhaus. Auf der Straße konnte sie sich allerdings nicht blicken lassen. Der Ingolstädter Oberbürgermeister hatte nach der Berliner Aufführung der „Pioniere in Ingolstadt” 1929 gegen das „gemeine Machwerk” wütenden Protest eingelegt.
Zweimal Gewalt war zu viel
Der Glanz des Anfangs dauerte kurz, und sie musste ihn lange, sehr lange büßen. Sie verdankte ihn ihrer einzigartigen Begabung, aber ohne ihren Förderer Brecht hätte sie sich trotzdem nicht durchgesetzt. Ihn kannte sie vom Studium in München, das sie auf sein Betreiben hin abbrach; er veranlasste die Uraufführung ihres ersten Dramas, „Fegefeuer in Ingolstadt”, er regte die Niederschrift des zweiten, der „Pioniere in Ingolstadt”, an. Aber der junge Brecht war kein Anreger, sondern ein unerbittlicher Abverlanger, der das Abverlangte rücksichtslos seinen Zwecken unterwarf. Und dazu konnte es gehören, einen Skandal zu erzwingen wie bei der Uraufführung der „Pioniere” 1929 in Berlin. Da wurde eine Liebesszene zum Koitus, den Brecht in eine eine im Rhythmus des Vorgangs sich bewegende Kiste verlegte, die überdies zwischen Grabsteinen stand. Die rechte Presse blies zur Treibjagd auf die Verfasserin, die sich durch ihre Freunde und Förderer gröblich missbraucht fühlte. Sie bricht mit ihnen. Noch fünf Jahre später schreibt sie, ihre verzweifelte Situation in der beleidigten Heimatstadt schildernd: „Ja, brechtsche Früchte schmecken bitter und je älter ich werde, desto klarer kommt es mir zum Bewusstsein, wie verbrecherisch jener Mann an mir gehandelt hat.”
Adressat der Klage ist Hellmut Draws-Tychsen, Autor strenger „Nordischer Gedichte”, in allem eine Konträrfigur zu Brecht, nur nicht in der Art seines Machtanspruchs. Marieluise Fleißer ist nach den fatalen Berliner Erfahrungen nicht nach Ingolstadt zurückgegangen, wo ihr Verlobter Josef („Bepp”) Haindl, seit kurzem Inhaber eines eigenen Tabakladens, auf die „Kühle Ihrer weichen Seidenarme” wartet und sie beschwört, endlich nach Hause zu kommen: „ich versprich Dir heute schon, ich lerne Dir alles, was Dich auf Schwimmerischen sowie im Rudern interessiert”. Aber sie bleibt hart. Im August 1929 erhält Haindl aus Schweden die Anzeige ihrer Verlobung mit Hellmut Draws- Tychsen.
„Nur der doppelte Bruch, mit Brecht und Haindl, erklärt, dass sie sich schnell in eine andere Obhut flüchtete, die ihr Schutz geben sollte”, heißt es im Nachwort des exzellenten Fleißer-Kenners Günther Rühle. „Zweimal Gewalt: das war wohl zu viel...”. Brecht hatte ihr Stück vergewaltigt und sie in den Skandal getrieben, Haindl war ihr bei einem Besuch in Berlin, der das Verlöbnis retten sollte, mit dem Messer zu Leibe gerückt. Von Draws-Tychen erhoffte sie Freiheit. Tatsächlich begab sich die Dichterin, in eine noch schlimmere Unfreiheit, der sie sich erst durch die Flucht nach Ingolstadt entziehen konnte.
Die Beziehung ist aber nicht einmal zu Ende, nachdem er ihr zwei Jahr später, im Juli 1934, vorgeworfen hat, ihn seit Jahren bewusst geschädigt und ihm ihren „blödsinnigen bayerischen Willen” aufgedrängt zu haben. „Dein Hang zu Brecht und Feuchtwanger wird mir allmählich erklärlich und die rein intellektuelle Haltung Deiner Arbeiten als hirnliche Jongleurkunst – wenn auch nicht unbedeutende – hatte ich bereits im Anbeginn erkannt ... Ohne mich wird Dein Werk keine Existenzberechtigung mehr haben.” Hier wird die Nahtstelle zwischen dem persönlichen Verhältnis und der politischen Situation sichtbar. Die eben noch Erfolgreiche, von Verlagen und Theatern Umworbene war von den Nationalsozialisten als links abgestempelt, die „Pioniere in Ingolstadt” waren bei der Münchner Bücherverbrennung ins Feuer geworfen worden. Der autoritäre Zugriff des Mannes, der ihr 1934 schrieb: „Wer bist Du denn eigentlich, was kannst Du und was willst Du? ... Merk Dir: eine Frau ist ohne den formenden Willen des Mannes nichts”, deckte sich mit dem Druck, der von den neuen Machthabern ausging. Es dauerte mehr als drei Jahrzehnte, bis wieder ein Buch von ihr erschien.
Auch der Briefwechsel weist in den Nazijahren große Lücken auf. Sie spricht, so lange sie noch sprechen kann, von einem „schrecklichen Schrumpfungsprozess”, spricht im Rückblick von Verkümmerung und Verschüttung. „Ein großes Ganzes zu geben, wird mir angesichts der Zertrümmerung, die mir widerfahren ist und die bis in die Zertrümmerung meines Erinnerungsvermögens geht, vielleicht nicht möglich sein”, schreibt sie im Juli 1965 an Wolfgang Koeppen.
Dazwischen das Schweigen, ein sehr beredtes Schweigen. Ingolstadt wurde zum Gefängnis. Der einzige Fluchtweg, das Schreiben, war ihr versperrt. Sie hatte 1935 doch noch den Jugendfreund geheiratet und musste sich den Geschäftsbedingungen eines Tabakgroßhandels fügen, bis sie 1938 nach einem schweren Nervenzusammenbruch in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde.
Das Auftauchen aus der Stille
Obwohl sie in den letzten Kriegsjahren zwei Dramen schrieb, die bis heute unaufgeführte Tragöde „Karl Stuart” („Ich habe ein Stück über die Traurigkeit geschrieben, weil ich selber so traurig war”) und das 1950 auf Brechts Drängen in den Münchner Kammerspielen uraufgeführte Volksstück „Der starke Stamm”, dauerte es noch viele Jahre, ehe sie aus der ihr fremden Existenzform herausfand. Sie war sich selbst abhanden gekommen. Die Briefe, mit denen sie die frühen Beziehungen zu Brecht, Feuchtwanger, Friedenthal und Kesten wieder aufnimmt, sind Klopfzeichen einer lebendig Begrabenen, der mit freundschaftlichen Zurufen nicht zu helfen ist.
Erst 1958, nach dem Tod des Mannes, kann sie sich aus den Fesseln der kleinbürgerlichen Geschäftspflichten lösen. Bei Hanser erscheint 1963 der schmale Band „Avantgarde”, von dem sie sich ihre Wiederentdeckung erhofft. Sie ist unzufrieden mit dem Vertrag und schreibt an den Verlag: „Ich empfinde die Bedingungen als in keinem Verhältnis zur Güte meiner Prosa stehend.. .”. Der Satz ist bezeichnend für ihre erstaunlich treffsichere Selbsteinschätzung.
Ihr Auftauchen aus der Versenkung, die Wiederaufführung ihrer Dramen durch die wichtigsten deutschsprachigen Bühnen, die 1972 bei Suhrkamp erschienene dreibändige Werkausgabe (die 1989 durch einen Nachlass-Band komplettiert wurde), die in einem dicken Materialienband noch zu ihren Lebzeiten dokumentierte Resonanz war auf Wegbereiter angewiesen, vor allem auf die jüngeren: ihre „Söhne” Martin Sperr, Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz. Sie orientierten sich nicht an Brecht, sondern an Horváth und der Fleißer. Sie fühlten sich der Dichterin eng verbunden, denn die Wirklichkeit der Stücke war nahezu identisch mit der Lebenswirklichkeit ihrer Autorin.
Wie sehr sie in allem, was sie schrieb, von sich selbst ausging, macht die Lektüre ihrer Briefe überwältigend deutlich. Die an dieser Korrespondenz ablesbare Biografie ist ihrerseits ein Fleißer-Drama, vielleicht ihr bestes.
ALBERT VON SCHIRNDING
MARIELUISE FLEISSER: Briefwechsel 1925 – 1974. Herausgegeben von Günther Rühle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 740 Seiten, 68 Mark.
Kultusminister Hans Maier überreicht 1973 Marieluise Fleißer den Bayrischen Verdienstorden
Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wer bist Du denn eigentlich, was kannst Du und was willst Du: Das Lebensdrama der Marieluise Fleißer im Spiegel ihrer Korrespondenz
„Ich werde indessen hier in Ingolstadt von den Buchläden boykottiert ... Nun – es wird vielleicht die Zeit kommen, in der dies Verhalten als blamabel gewertet werden wird.” Die Zeit kam – freilich viel später, als Marie Luise Fleißer Ende 1932 glaubte. Sie sollte die Erfüllung ihrer Prophezeiung selbst noch erleben. Die Dramatikerin, die 1974 auf dem Ingolstädter Friedhof begraben wurde, würde sich kaum mehr darüber wundern, dass das Stadttheater zwei Stücke über ihr Leben in Auftrag gegeben hat, dass der Literaturpreis der Kommune ihren Namen trägt, dass in ihrer Wohnung eine Gedenkstätte eingerichtet wurde. Die einst Geächtete ist zur „Zierde für den Verein” geworden, wie der ironische Titel ihres einzigen Romans seit der Neufassung von 1972 lautet. Als er 1931 bei Gustav Kiepenheuer erschien, hieß er noch „Mehlreisende Frieda Geier”. Ein klassischer Fall von literarischer Nestbeschmutzung, Ausstoßung durch die Beschmutzten und schließlicher Heimholung? Nein, so einfach liegen die Dinge nicht. Die zum hundertsten Geburtstag erschienene Sammlung ihrer Korrespondenz ermöglicht den lückenlosen Einblick in die vertrackte Konstellation aus Lebens- und Zeitumständen, deren Opfer die Fleißer wurde.
Vom frühem Ruhm eher heimgesucht als begünstigt, war die Autorin aus dem von Weltwirtschaftskrise und Notverordnungen geschüttelten Berlin zurück nach Ingolstadt geflohen, in die Eisenwarenhandlung von Heinrich Fleißer im Schatten des Münsters. Eigentlich hatte sie Hausverbot. Der Vater fürchtete um seinen guten Ruf. Außerdem würde sie ihm auf der Tasche liegen. Aber er war kein Unmensch, und so fand die verlorene Tochter nach einem Nervenzusammenbruch und Selbstmordversuch Unterschlupf im überfüllten Elternhaus. Auf der Straße konnte sie sich allerdings nicht blicken lassen. Der Ingolstädter Oberbürgermeister hatte nach der Berliner Aufführung der „Pioniere in Ingolstadt” 1929 gegen das „gemeine Machwerk” wütenden Protest eingelegt.
Zweimal Gewalt war zu viel
Der Glanz des Anfangs dauerte kurz, und sie musste ihn lange, sehr lange büßen. Sie verdankte ihn ihrer einzigartigen Begabung, aber ohne ihren Förderer Brecht hätte sie sich trotzdem nicht durchgesetzt. Ihn kannte sie vom Studium in München, das sie auf sein Betreiben hin abbrach; er veranlasste die Uraufführung ihres ersten Dramas, „Fegefeuer in Ingolstadt”, er regte die Niederschrift des zweiten, der „Pioniere in Ingolstadt”, an. Aber der junge Brecht war kein Anreger, sondern ein unerbittlicher Abverlanger, der das Abverlangte rücksichtslos seinen Zwecken unterwarf. Und dazu konnte es gehören, einen Skandal zu erzwingen wie bei der Uraufführung der „Pioniere” 1929 in Berlin. Da wurde eine Liebesszene zum Koitus, den Brecht in eine eine im Rhythmus des Vorgangs sich bewegende Kiste verlegte, die überdies zwischen Grabsteinen stand. Die rechte Presse blies zur Treibjagd auf die Verfasserin, die sich durch ihre Freunde und Förderer gröblich missbraucht fühlte. Sie bricht mit ihnen. Noch fünf Jahre später schreibt sie, ihre verzweifelte Situation in der beleidigten Heimatstadt schildernd: „Ja, brechtsche Früchte schmecken bitter und je älter ich werde, desto klarer kommt es mir zum Bewusstsein, wie verbrecherisch jener Mann an mir gehandelt hat.”
Adressat der Klage ist Hellmut Draws-Tychsen, Autor strenger „Nordischer Gedichte”, in allem eine Konträrfigur zu Brecht, nur nicht in der Art seines Machtanspruchs. Marieluise Fleißer ist nach den fatalen Berliner Erfahrungen nicht nach Ingolstadt zurückgegangen, wo ihr Verlobter Josef („Bepp”) Haindl, seit kurzem Inhaber eines eigenen Tabakladens, auf die „Kühle Ihrer weichen Seidenarme” wartet und sie beschwört, endlich nach Hause zu kommen: „ich versprich Dir heute schon, ich lerne Dir alles, was Dich auf Schwimmerischen sowie im Rudern interessiert”. Aber sie bleibt hart. Im August 1929 erhält Haindl aus Schweden die Anzeige ihrer Verlobung mit Hellmut Draws- Tychsen.
„Nur der doppelte Bruch, mit Brecht und Haindl, erklärt, dass sie sich schnell in eine andere Obhut flüchtete, die ihr Schutz geben sollte”, heißt es im Nachwort des exzellenten Fleißer-Kenners Günther Rühle. „Zweimal Gewalt: das war wohl zu viel...”. Brecht hatte ihr Stück vergewaltigt und sie in den Skandal getrieben, Haindl war ihr bei einem Besuch in Berlin, der das Verlöbnis retten sollte, mit dem Messer zu Leibe gerückt. Von Draws-Tychen erhoffte sie Freiheit. Tatsächlich begab sich die Dichterin, in eine noch schlimmere Unfreiheit, der sie sich erst durch die Flucht nach Ingolstadt entziehen konnte.
Die Beziehung ist aber nicht einmal zu Ende, nachdem er ihr zwei Jahr später, im Juli 1934, vorgeworfen hat, ihn seit Jahren bewusst geschädigt und ihm ihren „blödsinnigen bayerischen Willen” aufgedrängt zu haben. „Dein Hang zu Brecht und Feuchtwanger wird mir allmählich erklärlich und die rein intellektuelle Haltung Deiner Arbeiten als hirnliche Jongleurkunst – wenn auch nicht unbedeutende – hatte ich bereits im Anbeginn erkannt ... Ohne mich wird Dein Werk keine Existenzberechtigung mehr haben.” Hier wird die Nahtstelle zwischen dem persönlichen Verhältnis und der politischen Situation sichtbar. Die eben noch Erfolgreiche, von Verlagen und Theatern Umworbene war von den Nationalsozialisten als links abgestempelt, die „Pioniere in Ingolstadt” waren bei der Münchner Bücherverbrennung ins Feuer geworfen worden. Der autoritäre Zugriff des Mannes, der ihr 1934 schrieb: „Wer bist Du denn eigentlich, was kannst Du und was willst Du? ... Merk Dir: eine Frau ist ohne den formenden Willen des Mannes nichts”, deckte sich mit dem Druck, der von den neuen Machthabern ausging. Es dauerte mehr als drei Jahrzehnte, bis wieder ein Buch von ihr erschien.
Auch der Briefwechsel weist in den Nazijahren große Lücken auf. Sie spricht, so lange sie noch sprechen kann, von einem „schrecklichen Schrumpfungsprozess”, spricht im Rückblick von Verkümmerung und Verschüttung. „Ein großes Ganzes zu geben, wird mir angesichts der Zertrümmerung, die mir widerfahren ist und die bis in die Zertrümmerung meines Erinnerungsvermögens geht, vielleicht nicht möglich sein”, schreibt sie im Juli 1965 an Wolfgang Koeppen.
Dazwischen das Schweigen, ein sehr beredtes Schweigen. Ingolstadt wurde zum Gefängnis. Der einzige Fluchtweg, das Schreiben, war ihr versperrt. Sie hatte 1935 doch noch den Jugendfreund geheiratet und musste sich den Geschäftsbedingungen eines Tabakgroßhandels fügen, bis sie 1938 nach einem schweren Nervenzusammenbruch in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde.
Das Auftauchen aus der Stille
Obwohl sie in den letzten Kriegsjahren zwei Dramen schrieb, die bis heute unaufgeführte Tragöde „Karl Stuart” („Ich habe ein Stück über die Traurigkeit geschrieben, weil ich selber so traurig war”) und das 1950 auf Brechts Drängen in den Münchner Kammerspielen uraufgeführte Volksstück „Der starke Stamm”, dauerte es noch viele Jahre, ehe sie aus der ihr fremden Existenzform herausfand. Sie war sich selbst abhanden gekommen. Die Briefe, mit denen sie die frühen Beziehungen zu Brecht, Feuchtwanger, Friedenthal und Kesten wieder aufnimmt, sind Klopfzeichen einer lebendig Begrabenen, der mit freundschaftlichen Zurufen nicht zu helfen ist.
Erst 1958, nach dem Tod des Mannes, kann sie sich aus den Fesseln der kleinbürgerlichen Geschäftspflichten lösen. Bei Hanser erscheint 1963 der schmale Band „Avantgarde”, von dem sie sich ihre Wiederentdeckung erhofft. Sie ist unzufrieden mit dem Vertrag und schreibt an den Verlag: „Ich empfinde die Bedingungen als in keinem Verhältnis zur Güte meiner Prosa stehend.. .”. Der Satz ist bezeichnend für ihre erstaunlich treffsichere Selbsteinschätzung.
Ihr Auftauchen aus der Versenkung, die Wiederaufführung ihrer Dramen durch die wichtigsten deutschsprachigen Bühnen, die 1972 bei Suhrkamp erschienene dreibändige Werkausgabe (die 1989 durch einen Nachlass-Band komplettiert wurde), die in einem dicken Materialienband noch zu ihren Lebzeiten dokumentierte Resonanz war auf Wegbereiter angewiesen, vor allem auf die jüngeren: ihre „Söhne” Martin Sperr, Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz. Sie orientierten sich nicht an Brecht, sondern an Horváth und der Fleißer. Sie fühlten sich der Dichterin eng verbunden, denn die Wirklichkeit der Stücke war nahezu identisch mit der Lebenswirklichkeit ihrer Autorin.
Wie sehr sie in allem, was sie schrieb, von sich selbst ausging, macht die Lektüre ihrer Briefe überwältigend deutlich. Die an dieser Korrespondenz ablesbare Biografie ist ihrerseits ein Fleißer-Drama, vielleicht ihr bestes.
ALBERT VON SCHIRNDING
MARIELUISE FLEISSER: Briefwechsel 1925 – 1974. Herausgegeben von Günther Rühle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 740 Seiten, 68 Mark.
Kultusminister Hans Maier überreicht 1973 Marieluise Fleißer den Bayrischen Verdienstorden
Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001Frauen stolpern, Männer schauen
Wenn das Warten aufgebraucht ist: Zum Briefwechsel von Marieluise Fleißer / Von Marlene Streeruwitz
Im Trailer zur Fernsehserie "Sex and the City" schaut dieser gutaussehende Mann der Schauspielerin Sarah Jessica Parker nach. Die Kamera übernimmt seinen Blick auf die Schauspielerin. Die stöckelt auf sehr hohen Absätzen weg. Kippt. Fällt fast. Fängt sich gerade noch. Streicht ihren weißen Rock zurecht. Und schaut verwirrt entschuldigend über die Schulter auf den ihr nachsehenden Mann zurück. Der Blick dieses Mannes, den wir mit Hilfe der Kameraeinstellung übernehmen. Und mit dem wir auf den entschuldigenden Blick der Frau sehen. Dieser Blick ist die Anleitung, wie diese Fernsehserie zu lesen ist.
Unterhaltung und Reaktionäres sind darauf angewiesen, als Unterhaltung und Reaktionäres gelesen zu werden. Der Marktwert entscheidet sich an dieser Eindeutigkeit. Deshalb gibt es die sofort entschlüsselbaren Textformate. Und jede Menge Leseanleitungen. Die Lesehilfe im Trailer von "Sex and the City" steht in der Tradition der amerikanischen Fernsehserie für die Frau von 26 bis 38. Frauen sind da immer sehr dünn. Meistens mit großem Busen. Sie bleiben immer kleine Mädchen. Sie bleiben immer daddy's little girl, das immer noch und immer wieder und nach noch so vielen Studienabschlüssen und Erfolg im Beruf peinliche Sachen macht. Sie bleibt immer ein bißchen peinlich. Aber, Unterhaltung muß auf reaktionären Geschlechterrollen bestehen. Wo sollte sie sonst herkommen. Die Unterhaltung. Immer neue und immer lustigere Beschreibungen der Geschlechterdifferenz. Unterhaltung kann sich ja auf den phallischen Blick aller Leserinnen und Leser verlassen. Darauf, daß eine je neue Rekonstruktion der patriarchalen Mythen einem anderen Blick keine Möglichkeit läßt.
In der editorischen Notiz zu Marieluise Fleißers Briefwechsel lautet die Leseanleitung: "Die Auswahl der Briefe geschah im Hinblick auf das überlieferte literarische Werk; sie geben Einblick in dessen Hintergrund und den oft nur vorübergehend aufgehellten, schmerzhaften Lebensvollzug."
Den Blick der Kamera auf die peinlich stolpernde Frau. Den gibt es nämlich auch in der E-Fassung. Es gibt auch tragische Unterhaltung. Da heißt der Blick dann biographische Deutung. Biographische Dokumente belegen die Peinlichkeiten. Und so sehen wir dann mit der E-Fassung dieses Blicks auf die Dokumente, die die Wirkung dieses Blicks schon im Leben der Dokumentierten beschreiben. Hier im "schmerzhaften Lebensvollzug" einer Autorin.
Ist aber nun das Leben einer Autorin der Hintergrund ihres literarischen Werks? Wäre das der Fall, das Studium der Briefe wäre literarkritische Pflicht. Aber ist das so? So einfach? Löscht die literarische Bedeutung der Texte einer Autorin den patriarchalen Blick auf sie? Auf sie als Person. Als Frau. Auf die Erinnerung an sie. Kann die Autorin über die literarische Bedeutung in den Heldenhimmel der Klassiker aufsteigen.
Beim Klassiker kann das Geschlecht vergessen werden, weil er ein Mann ist. Und dieses Vergessen macht ihn gleichzeitig zum Klassiker. Für die Frau in der Literatur funktioniert das nicht. Ihr Geschlecht wird nicht vergessen, weil sie kein Mann ist. Und so unrichtig es wäre, die weiblichen Lebensläufe zu verschweigen, die Märtyrerinnenmythologien der Heldinnenschaft schreiben diese Differenz fort. Zementieren sie. Darin ist der "schmerzliche Lebensvollzug" dann wieder klassisch.
In einem literarischen Betrieb, in dem der Autor sich heute - zu seinem Nutzen - auf seine Männlichkeit berufen kann, indem er ein bisserl grantig über die Groupies wehklagt. In einem literarischen Betrieb, der es immer schmunzelnd akzeptierte, daß dieser Betrieb mit Gynäkologie gleichauf lag in der Möglichkeit, an Frauen heranzukommen. In diesem literarischen Betrieb, in dem Literaturkritik von Altherrenwitzen manchmal schwer zu unterscheiden ist. In diesem literarischen Betrieb ist es mit der Überwindung der Geschlechterdifferenz nicht weit her. Im Gegenteil.
Der Blick auf das Leben der Autorin als Hintergrund des Werks wird im besten Fall paternalistisch gefärbt sein. Aber das ist dann auch nur eines der gängigen Mißverständnisse der Trauerarbeit. Wenn der "schmerzvolle Lebensvollzug" weihevoll geplündert wird. Wenn die betrauerte Person über Erinnerung verständlich werden soll. Verstehbar. Und es immer nur um die Trauernden geht. Und nie um die Betrauerten. Wenn es darum geht, dieses fremde Leben zu entschlüsseln. Zu entzaubern. Um sich dieses vermeintlich verstandene fremde Leben einzuverleiben. Das ist Menschenfresserei. Eigentlich. Aber dieser Zweig des Kulturbetriebs ernährt ja auch viele. Im jeweils frommen Angedenken.
Im Fall von Marieluise Fleißer ist das alles ganz einfach. Gerade weil Marieluise Fleißers Texte so deutlich aus ihrem Leben schöpfen, verschließen sie sich einer einfachen biographischen Deutung. Es ist ja ebendiese Fassung in den Text, mit der die Abtrennung vom Privaten vollzogen wird. Es ist dann nur noch anekdotisch, wenn in der Erzählung "Avantgarde" der Dichter Brecht ist. Der Nickl ihr Ehemann. Und der Jude Lion Feuchtwanger. In der Figur der Cilly Obermeier wird der Blick gedreht. In dieser Figur werden die Auswirkungen des patriarchalen Blicks auf die literarische Figur beschrieben. In der literarischen Autonomie dieser Figur entwindet die Autorin ihre Person für die Dauer des Textes diesem Blick, der das Stolpern geradezu verlangt. Und ob die Geschichte mit Nickl nun eine Befreiung von Brecht oder von Draws-Tychsen oder vom Dichter der Erzählung ist. Es geht um die Befreiung und nicht um reale Personen. Und die Befreiung der Cilly Obermeier. Die ist taumelnd genug. Wird doch in dieser Literatur der weite Weg von der Erkenntnis bis zu ihrer Verwirklichung über alle Gefühle und Prägungen hinweg beschrieben. Und wie Freiheit sich nur in kleinen Splittern ins Leben zerren läßt. Das ist die Geschichte aller Aufklärung. Der lange Weg, eine Vorstellung zu entwerfen, deren Denken schon über alles Erlernte hinausgeht, und diesen Entwurf ins Leben zwingen zu wollen. Gegen alle geschichtliche Umgebung. Und gegen alle Partner, die solchen Entwürfen gegenüber sehr theoretisch bleiben. Denen die Macht ohnehin strukturell zusteht.
Was einen in diesen Texten literarisch betreffen darf. Ja, betreffen soll. Das muß einem als Anekdote fremd bleiben. Denn das private, "echte" Schicksal der Person ist hermetisch. Das ist die Fremde der anderen Person und löst in der notwendigen Lückenhaftigkeit höchstens Vermutungen aus. Ahnungen. Tratsch hat auch keine anderen Eltern. Als Vermutungen und Ahnungen.
Im literarischen Text dagegen wird die Lücke zu der Schnittstelle, an der der Leser und die Leserin Schicksal auf sich beziehen können. Müssen. In der Lücke wird die Hermetik aufgehoben. Ist der Vorgang der Rückführung des Textes auf einen selber möglich. Nicht Vermutungen. Nicht Ahnungen. Das Weiterschreiben des Literarischen ist verlangt. Der Schmerz des sich immer wieder in Abhängigkeit Begebens muß gefühlt werden. Die Qual des Begehrens. Die Dauer von Warten. Die grenzenlose Leere der Nichterfüllung. Die Flucht zum Nächsten. Zum anderen, wenn das Warten aufgebraucht ist. Und es dann dem Nächsten auch nicht sagen können. Sich auch dem nicht mitteilen können. Nie seine Sprechlosigkeit zu durchbrechen. Das alles ist notwendiger Beitrag des Lesens der Texte. Und knüpft da an, wo die Autorin den Text an den Leser und die Leserin übergibt.
Alle diese Gefühle. Einer unbekannten Person gegenüber wären sie ein Übergriff. Konstruktion einer Person aus den eigenen Erfahrungen. Der Person Marieluise Fleißer stülpte sich pure Interpretation über. Wie einer oder eine jeweils solche Briefe halt liest. Lesen will. Oder kann. Ausgehend vom Jugendbildnis auf dem Umschlag, begänne diese Konstruktion und verwehrte der Autorin jeden Zugriff auf Aussagen. Das Leben würde ins Werk zurückgeschrieben werden, obwohl die Autorin die besondere Realität des Texts als Äußerungsform unternommen hat.
Oder soll gerade das ausgemessen werden. Der Abstand vom Literarischen zum Leben. Sollte der Blick auf dieses Stolpern gerichtet werden. Wie der "schmerzvolle Lebensvollzug" mit dem Schreiben kollidierte. Sollte die Person von der Autorin subtrahiert werden und dann nachgemessen, was übrigbleibt. Denn. Kann die plane Beschreibung der diversen Pygmalionaden etwas anderes als die Wiederholung dieser Pygmalionaden werden? Die Konstruktion der Autorin. Die geht ja schon gleich los, wenn Luise Fleißer zuerst einmal alles verbrennt, was sie geschrieben hat. Weil Lion Feuchtwanger ihre Texte nicht gut findet. Weil es ihm zu expressionistisch ist. Und das geht weiter, wenn Lion Feuchtwanger aus der Luise die Marieluise macht. Sie neu benennt. Und "durchgesetzt hat es, allerdings von mir immer wieder angefeuert, Brecht". Das Werk allein reichte auch 1972 noch nicht. Das zwanzigjährige Verlegerjubiläum muß den Entschluß zur Gesamtausgabe mitbegründen. Aber. So ist das mit den schreibenden Frauen. "Dichterinnen sind oft scheu und empfindlich zugleich."Sie können nicht mit der Heldenstatur des schreibenden Manns getröstet werden. Und das Leben von Frauen. Das Private von Frauen. Daraus läßt sich keine Aura basteln. Das bleibt immer von diesem Blick beschwert. Ins Stolpernde zurückgestoßen. Und dabei helfen alle gerne mit. Die Verleger. Die Kritiker. Die Geliebten. Die Dramaturgen. Die Regisseure. Die Kollegen. "Sie selber wollte auch schreiben . . . Mit diesem Wollen geriet sie an ihn und wurde ganz stark gebrochen."
Warum also sollte frau diese Briefe lesen. Diese Briefe an Marieluise Fleißer oder von ihr. Die mit ihrem Werk etwas zu tun haben. Und vielleicht sind ja die nicht veröffentlichten die interessanteren.
Eine Berechtigung, sich in dieses Leben zu drängen, läge darin, diese Briefsammlung als Dokument der Bedingung des Schreibens zu lesen. Des Schreibens einer Frau. Das hieße aber, den Blick zu wenden. Das hieße, den Blick von außen aufzugeben und von innen heraus nach außen zu richten. Das hieße, den Blick der Stolpernden aufzunehmen und auf den ihr beim Stolpern zusehenden Mann zu richten. Nicht mitleidende Weihe wäre das dann. Es müßte konkret den Bedingungen des Schreibens nachgegangen werden. Denn. Auch wenn die Zeiten nicht vergleichbar sind. Die Frage von Beruf und Beziehung. Und ganz sicher die Frage einer künstlerischen Tätigkeit und Beziehung. Die wird weiterhin gestellt. Und die Erpressung, daß frau durchaus ihren Weg gehen kann. Aber. Ob sie dann im Leben alles so haben kann? Diese Erpressung läuft weiter und wird gemeinhin als erledigte Frauenfrage geführt.
Als Dokument der Bedingungen des Schreibens einer Frau ist der Band wichtig. Aber nur aus diesem Blickwinkel kann die Autorin einer neuerlichen patriarchalen Konstruktion entzogen werden. Sicher davor bleibt die Autorin aber weiterhin nur in ihrem Text, den Marieluise Fleißer solcher ewiger Fremderfindung immer entgegenhielt. Da ist die Gegenwehr gegen den Blick aufgeschrieben, der einer das Stolpern anbefiehlt, um dann mehr oder weniger nachsichtig darüber lächeln zu können.
Um so schöner wäre es dann, eine kritische Ausgabe dieser Texte zu haben. Vielleicht sogar mit dem Bild der älteren Autorin. Warum muß Marieluise Fleißer ewig zwanzigjährig von den Buchdeckeln lächeln. Gerade wenn es um den "schmerzvollen Lebensvollzug" gehen soll.
Aber an dieser Verwendung des Bilds der Autorin zeigt sich das Problem. Wie kann mit weiblicher Erinnerung in Würde umgegangen werden. Ganz sicher nicht mit der Verstärkung des literarischen Fräuleinwundersyndroms, das Frauen auf immer jung und herzig stolpernd festlegen will. Und die dann auch noch schreiben. Und damit sind wir bei den Leseanleitungen des literarischen Betriebs für Texte von Frauen angelangt. So viel hat sich nicht geändert. Seit den von Lion Feuchtwanger ausgelösten Textverbrennungen und der Brechtschen Förderung, so lange sie willfährig blieb.
Marieluise Fleißer: "Briefwechsel 1925-1974". Herausgegeben von Günther Rühle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 2 Bände, je 740 S., geb., 68,- DM (br., 32,90 DM).
Elfi Hartenstein/Annette Hülsenbeck: "Marieluise Fleißer". Leben im Spagat. edition ebersbach, Berlin 2001. 144 S., 90 Abb., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn das Warten aufgebraucht ist: Zum Briefwechsel von Marieluise Fleißer / Von Marlene Streeruwitz
Im Trailer zur Fernsehserie "Sex and the City" schaut dieser gutaussehende Mann der Schauspielerin Sarah Jessica Parker nach. Die Kamera übernimmt seinen Blick auf die Schauspielerin. Die stöckelt auf sehr hohen Absätzen weg. Kippt. Fällt fast. Fängt sich gerade noch. Streicht ihren weißen Rock zurecht. Und schaut verwirrt entschuldigend über die Schulter auf den ihr nachsehenden Mann zurück. Der Blick dieses Mannes, den wir mit Hilfe der Kameraeinstellung übernehmen. Und mit dem wir auf den entschuldigenden Blick der Frau sehen. Dieser Blick ist die Anleitung, wie diese Fernsehserie zu lesen ist.
Unterhaltung und Reaktionäres sind darauf angewiesen, als Unterhaltung und Reaktionäres gelesen zu werden. Der Marktwert entscheidet sich an dieser Eindeutigkeit. Deshalb gibt es die sofort entschlüsselbaren Textformate. Und jede Menge Leseanleitungen. Die Lesehilfe im Trailer von "Sex and the City" steht in der Tradition der amerikanischen Fernsehserie für die Frau von 26 bis 38. Frauen sind da immer sehr dünn. Meistens mit großem Busen. Sie bleiben immer kleine Mädchen. Sie bleiben immer daddy's little girl, das immer noch und immer wieder und nach noch so vielen Studienabschlüssen und Erfolg im Beruf peinliche Sachen macht. Sie bleibt immer ein bißchen peinlich. Aber, Unterhaltung muß auf reaktionären Geschlechterrollen bestehen. Wo sollte sie sonst herkommen. Die Unterhaltung. Immer neue und immer lustigere Beschreibungen der Geschlechterdifferenz. Unterhaltung kann sich ja auf den phallischen Blick aller Leserinnen und Leser verlassen. Darauf, daß eine je neue Rekonstruktion der patriarchalen Mythen einem anderen Blick keine Möglichkeit läßt.
In der editorischen Notiz zu Marieluise Fleißers Briefwechsel lautet die Leseanleitung: "Die Auswahl der Briefe geschah im Hinblick auf das überlieferte literarische Werk; sie geben Einblick in dessen Hintergrund und den oft nur vorübergehend aufgehellten, schmerzhaften Lebensvollzug."
Den Blick der Kamera auf die peinlich stolpernde Frau. Den gibt es nämlich auch in der E-Fassung. Es gibt auch tragische Unterhaltung. Da heißt der Blick dann biographische Deutung. Biographische Dokumente belegen die Peinlichkeiten. Und so sehen wir dann mit der E-Fassung dieses Blicks auf die Dokumente, die die Wirkung dieses Blicks schon im Leben der Dokumentierten beschreiben. Hier im "schmerzhaften Lebensvollzug" einer Autorin.
Ist aber nun das Leben einer Autorin der Hintergrund ihres literarischen Werks? Wäre das der Fall, das Studium der Briefe wäre literarkritische Pflicht. Aber ist das so? So einfach? Löscht die literarische Bedeutung der Texte einer Autorin den patriarchalen Blick auf sie? Auf sie als Person. Als Frau. Auf die Erinnerung an sie. Kann die Autorin über die literarische Bedeutung in den Heldenhimmel der Klassiker aufsteigen.
Beim Klassiker kann das Geschlecht vergessen werden, weil er ein Mann ist. Und dieses Vergessen macht ihn gleichzeitig zum Klassiker. Für die Frau in der Literatur funktioniert das nicht. Ihr Geschlecht wird nicht vergessen, weil sie kein Mann ist. Und so unrichtig es wäre, die weiblichen Lebensläufe zu verschweigen, die Märtyrerinnenmythologien der Heldinnenschaft schreiben diese Differenz fort. Zementieren sie. Darin ist der "schmerzliche Lebensvollzug" dann wieder klassisch.
In einem literarischen Betrieb, in dem der Autor sich heute - zu seinem Nutzen - auf seine Männlichkeit berufen kann, indem er ein bisserl grantig über die Groupies wehklagt. In einem literarischen Betrieb, der es immer schmunzelnd akzeptierte, daß dieser Betrieb mit Gynäkologie gleichauf lag in der Möglichkeit, an Frauen heranzukommen. In diesem literarischen Betrieb, in dem Literaturkritik von Altherrenwitzen manchmal schwer zu unterscheiden ist. In diesem literarischen Betrieb ist es mit der Überwindung der Geschlechterdifferenz nicht weit her. Im Gegenteil.
Der Blick auf das Leben der Autorin als Hintergrund des Werks wird im besten Fall paternalistisch gefärbt sein. Aber das ist dann auch nur eines der gängigen Mißverständnisse der Trauerarbeit. Wenn der "schmerzvolle Lebensvollzug" weihevoll geplündert wird. Wenn die betrauerte Person über Erinnerung verständlich werden soll. Verstehbar. Und es immer nur um die Trauernden geht. Und nie um die Betrauerten. Wenn es darum geht, dieses fremde Leben zu entschlüsseln. Zu entzaubern. Um sich dieses vermeintlich verstandene fremde Leben einzuverleiben. Das ist Menschenfresserei. Eigentlich. Aber dieser Zweig des Kulturbetriebs ernährt ja auch viele. Im jeweils frommen Angedenken.
Im Fall von Marieluise Fleißer ist das alles ganz einfach. Gerade weil Marieluise Fleißers Texte so deutlich aus ihrem Leben schöpfen, verschließen sie sich einer einfachen biographischen Deutung. Es ist ja ebendiese Fassung in den Text, mit der die Abtrennung vom Privaten vollzogen wird. Es ist dann nur noch anekdotisch, wenn in der Erzählung "Avantgarde" der Dichter Brecht ist. Der Nickl ihr Ehemann. Und der Jude Lion Feuchtwanger. In der Figur der Cilly Obermeier wird der Blick gedreht. In dieser Figur werden die Auswirkungen des patriarchalen Blicks auf die literarische Figur beschrieben. In der literarischen Autonomie dieser Figur entwindet die Autorin ihre Person für die Dauer des Textes diesem Blick, der das Stolpern geradezu verlangt. Und ob die Geschichte mit Nickl nun eine Befreiung von Brecht oder von Draws-Tychsen oder vom Dichter der Erzählung ist. Es geht um die Befreiung und nicht um reale Personen. Und die Befreiung der Cilly Obermeier. Die ist taumelnd genug. Wird doch in dieser Literatur der weite Weg von der Erkenntnis bis zu ihrer Verwirklichung über alle Gefühle und Prägungen hinweg beschrieben. Und wie Freiheit sich nur in kleinen Splittern ins Leben zerren läßt. Das ist die Geschichte aller Aufklärung. Der lange Weg, eine Vorstellung zu entwerfen, deren Denken schon über alles Erlernte hinausgeht, und diesen Entwurf ins Leben zwingen zu wollen. Gegen alle geschichtliche Umgebung. Und gegen alle Partner, die solchen Entwürfen gegenüber sehr theoretisch bleiben. Denen die Macht ohnehin strukturell zusteht.
Was einen in diesen Texten literarisch betreffen darf. Ja, betreffen soll. Das muß einem als Anekdote fremd bleiben. Denn das private, "echte" Schicksal der Person ist hermetisch. Das ist die Fremde der anderen Person und löst in der notwendigen Lückenhaftigkeit höchstens Vermutungen aus. Ahnungen. Tratsch hat auch keine anderen Eltern. Als Vermutungen und Ahnungen.
Im literarischen Text dagegen wird die Lücke zu der Schnittstelle, an der der Leser und die Leserin Schicksal auf sich beziehen können. Müssen. In der Lücke wird die Hermetik aufgehoben. Ist der Vorgang der Rückführung des Textes auf einen selber möglich. Nicht Vermutungen. Nicht Ahnungen. Das Weiterschreiben des Literarischen ist verlangt. Der Schmerz des sich immer wieder in Abhängigkeit Begebens muß gefühlt werden. Die Qual des Begehrens. Die Dauer von Warten. Die grenzenlose Leere der Nichterfüllung. Die Flucht zum Nächsten. Zum anderen, wenn das Warten aufgebraucht ist. Und es dann dem Nächsten auch nicht sagen können. Sich auch dem nicht mitteilen können. Nie seine Sprechlosigkeit zu durchbrechen. Das alles ist notwendiger Beitrag des Lesens der Texte. Und knüpft da an, wo die Autorin den Text an den Leser und die Leserin übergibt.
Alle diese Gefühle. Einer unbekannten Person gegenüber wären sie ein Übergriff. Konstruktion einer Person aus den eigenen Erfahrungen. Der Person Marieluise Fleißer stülpte sich pure Interpretation über. Wie einer oder eine jeweils solche Briefe halt liest. Lesen will. Oder kann. Ausgehend vom Jugendbildnis auf dem Umschlag, begänne diese Konstruktion und verwehrte der Autorin jeden Zugriff auf Aussagen. Das Leben würde ins Werk zurückgeschrieben werden, obwohl die Autorin die besondere Realität des Texts als Äußerungsform unternommen hat.
Oder soll gerade das ausgemessen werden. Der Abstand vom Literarischen zum Leben. Sollte der Blick auf dieses Stolpern gerichtet werden. Wie der "schmerzvolle Lebensvollzug" mit dem Schreiben kollidierte. Sollte die Person von der Autorin subtrahiert werden und dann nachgemessen, was übrigbleibt. Denn. Kann die plane Beschreibung der diversen Pygmalionaden etwas anderes als die Wiederholung dieser Pygmalionaden werden? Die Konstruktion der Autorin. Die geht ja schon gleich los, wenn Luise Fleißer zuerst einmal alles verbrennt, was sie geschrieben hat. Weil Lion Feuchtwanger ihre Texte nicht gut findet. Weil es ihm zu expressionistisch ist. Und das geht weiter, wenn Lion Feuchtwanger aus der Luise die Marieluise macht. Sie neu benennt. Und "durchgesetzt hat es, allerdings von mir immer wieder angefeuert, Brecht". Das Werk allein reichte auch 1972 noch nicht. Das zwanzigjährige Verlegerjubiläum muß den Entschluß zur Gesamtausgabe mitbegründen. Aber. So ist das mit den schreibenden Frauen. "Dichterinnen sind oft scheu und empfindlich zugleich."Sie können nicht mit der Heldenstatur des schreibenden Manns getröstet werden. Und das Leben von Frauen. Das Private von Frauen. Daraus läßt sich keine Aura basteln. Das bleibt immer von diesem Blick beschwert. Ins Stolpernde zurückgestoßen. Und dabei helfen alle gerne mit. Die Verleger. Die Kritiker. Die Geliebten. Die Dramaturgen. Die Regisseure. Die Kollegen. "Sie selber wollte auch schreiben . . . Mit diesem Wollen geriet sie an ihn und wurde ganz stark gebrochen."
Warum also sollte frau diese Briefe lesen. Diese Briefe an Marieluise Fleißer oder von ihr. Die mit ihrem Werk etwas zu tun haben. Und vielleicht sind ja die nicht veröffentlichten die interessanteren.
Eine Berechtigung, sich in dieses Leben zu drängen, läge darin, diese Briefsammlung als Dokument der Bedingung des Schreibens zu lesen. Des Schreibens einer Frau. Das hieße aber, den Blick zu wenden. Das hieße, den Blick von außen aufzugeben und von innen heraus nach außen zu richten. Das hieße, den Blick der Stolpernden aufzunehmen und auf den ihr beim Stolpern zusehenden Mann zu richten. Nicht mitleidende Weihe wäre das dann. Es müßte konkret den Bedingungen des Schreibens nachgegangen werden. Denn. Auch wenn die Zeiten nicht vergleichbar sind. Die Frage von Beruf und Beziehung. Und ganz sicher die Frage einer künstlerischen Tätigkeit und Beziehung. Die wird weiterhin gestellt. Und die Erpressung, daß frau durchaus ihren Weg gehen kann. Aber. Ob sie dann im Leben alles so haben kann? Diese Erpressung läuft weiter und wird gemeinhin als erledigte Frauenfrage geführt.
Als Dokument der Bedingungen des Schreibens einer Frau ist der Band wichtig. Aber nur aus diesem Blickwinkel kann die Autorin einer neuerlichen patriarchalen Konstruktion entzogen werden. Sicher davor bleibt die Autorin aber weiterhin nur in ihrem Text, den Marieluise Fleißer solcher ewiger Fremderfindung immer entgegenhielt. Da ist die Gegenwehr gegen den Blick aufgeschrieben, der einer das Stolpern anbefiehlt, um dann mehr oder weniger nachsichtig darüber lächeln zu können.
Um so schöner wäre es dann, eine kritische Ausgabe dieser Texte zu haben. Vielleicht sogar mit dem Bild der älteren Autorin. Warum muß Marieluise Fleißer ewig zwanzigjährig von den Buchdeckeln lächeln. Gerade wenn es um den "schmerzvollen Lebensvollzug" gehen soll.
Aber an dieser Verwendung des Bilds der Autorin zeigt sich das Problem. Wie kann mit weiblicher Erinnerung in Würde umgegangen werden. Ganz sicher nicht mit der Verstärkung des literarischen Fräuleinwundersyndroms, das Frauen auf immer jung und herzig stolpernd festlegen will. Und die dann auch noch schreiben. Und damit sind wir bei den Leseanleitungen des literarischen Betriebs für Texte von Frauen angelangt. So viel hat sich nicht geändert. Seit den von Lion Feuchtwanger ausgelösten Textverbrennungen und der Brechtschen Förderung, so lange sie willfährig blieb.
Marieluise Fleißer: "Briefwechsel 1925-1974". Herausgegeben von Günther Rühle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 2 Bände, je 740 S., geb., 68,- DM (br., 32,90 DM).
Elfi Hartenstein/Annette Hülsenbeck: "Marieluise Fleißer". Leben im Spagat. edition ebersbach, Berlin 2001. 144 S., 90 Abb., geb., 68,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
In einer biografisch orientierten Besprechung stellt uns Gisela von Wysocki zwei von Günther Rühle herausgegebene Bände aus dem Werk Marieluise Fleißers vor: den "Briefwechsel 1925-1974" und die "Erzählungen", beide erschienen bei Suhrkamp.
1) Marieluise Fleißer: "Briefwechsel 1925-1974"
Gisela von Wysocki zeigt sich dankbar für die Leistung des Herausgebers, die fast 50 Jahre währende Korrespondenz der Fleißer "mit ausführlichen Kommentaren über die Briefpartner" (Robert Musil, Lotte Lenya, Helene Weigel u.a.) lesbar gemacht zu haben. Überrascht ist die Rezensentin sowohl angesichts der bloßen Vielfalt der Ebenen und Tonarten in den Briefen ("Man vernimmt die Dichterin, die Unternehmerin, die Familienangehörige, die Kollegin, die genervte Ehefrau") als auch über die "eloquente Nachdrücklichkeit" der korrespondierenden Fleißer. Hier sei sie einmal nicht die störrische, aufgeraute Dichterin, sondern verfüge über ein "lebenskunstfertiges" Stilgefühl und diplomatische Geschmeidigkeit. Vielleicht lässt sich just damit ja auch erklären, warum Wysocki jegliche Hinweise auf die Haltung der Dichterin zur faschistischen Gewaltherrschaft in den Briefen vergeblich sucht.
2) Marieluise Fleißer: "Erzählungen"
Die Rezensentin bleibt recht allgemein, wenn sie sich diesem "Geburtstagsbuch" zuwendet. Keine einzelne der versammelten Erzählungen tritt vor das Auge des Lesers. Stattdessen erfahren wir zum einen, dass der Band auch die politischen und sozialen Stationen belichtet, die Fleißer im Deutschland des 20. Jahrhunderts miterlebt hat, und zum anderen, was den Texten der Fleißer zugrunde liegt: Wysocki zufolge legen die Geschichten den "Mechanismus von Sogwirkungen offen. Die Verlockung und ihren Umschlag in die Demütigung." Diese Struktur findet die Rezensentin bereits in den frühen Erzählungen, wo sie "in unverwechselbare Wort- und Satzverdichtungen" gekleidet ist. Im Aussprechen der Niederlage, erklärt sie uns, schärfte diese Prosa sich und ermittelte dort "ein geheimes Kräftereservoir".
© Perlentaucher Medien GmbH
1) Marieluise Fleißer: "Briefwechsel 1925-1974"
Gisela von Wysocki zeigt sich dankbar für die Leistung des Herausgebers, die fast 50 Jahre währende Korrespondenz der Fleißer "mit ausführlichen Kommentaren über die Briefpartner" (Robert Musil, Lotte Lenya, Helene Weigel u.a.) lesbar gemacht zu haben. Überrascht ist die Rezensentin sowohl angesichts der bloßen Vielfalt der Ebenen und Tonarten in den Briefen ("Man vernimmt die Dichterin, die Unternehmerin, die Familienangehörige, die Kollegin, die genervte Ehefrau") als auch über die "eloquente Nachdrücklichkeit" der korrespondierenden Fleißer. Hier sei sie einmal nicht die störrische, aufgeraute Dichterin, sondern verfüge über ein "lebenskunstfertiges" Stilgefühl und diplomatische Geschmeidigkeit. Vielleicht lässt sich just damit ja auch erklären, warum Wysocki jegliche Hinweise auf die Haltung der Dichterin zur faschistischen Gewaltherrschaft in den Briefen vergeblich sucht.
2) Marieluise Fleißer: "Erzählungen"
Die Rezensentin bleibt recht allgemein, wenn sie sich diesem "Geburtstagsbuch" zuwendet. Keine einzelne der versammelten Erzählungen tritt vor das Auge des Lesers. Stattdessen erfahren wir zum einen, dass der Band auch die politischen und sozialen Stationen belichtet, die Fleißer im Deutschland des 20. Jahrhunderts miterlebt hat, und zum anderen, was den Texten der Fleißer zugrunde liegt: Wysocki zufolge legen die Geschichten den "Mechanismus von Sogwirkungen offen. Die Verlockung und ihren Umschlag in die Demütigung." Diese Struktur findet die Rezensentin bereits in den frühen Erzählungen, wo sie "in unverwechselbare Wort- und Satzverdichtungen" gekleidet ist. Im Aussprechen der Niederlage, erklärt sie uns, schärfte diese Prosa sich und ermittelte dort "ein geheimes Kräftereservoir".
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