Im Briefwechsel zwischen Rudolf Bultmann und Günther Bornkamm werden zentrale Fragestellungen der neutestamentlichen Wissenschaft erörtert, die nichts an Brisanz verloren haben: sei es das Verständnis des letzten Mahles Jesu und der Abendmahlstradition, sei es die Bedeutung des irdischen Jesus für eine Theologie des Neuen Testaments oder sei es das hermeneutische Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung. Darüber hinaus wird der Leser in den Entstehungsprozess maßgeblicher theologischer Arbeiten mit hineingenommen. Zugleich ist es sehr aufschlussreich, wie der eine Briefpartner die veröffentlichten Arbeiten des anderen beurteilt. Bultmann und Bornkamm gehörten von Anfang an der Bekennenden Kirche an. Wenn es galt, sich dem totalitären Machtanspruch des NS-Staates zu widersetzen, vertraten sie stets eine geradlinige theologische Position. Zwar leisteten beide Theologen keinen eigentlichen politischen Widerstand, traten aber - jeder auf seine Weise - konsequent für die Freiheit von Theologie und Kirche ein: Bultmann als Universitätsprofessor und Bornkamm als Dozent und als Pfarrer. Die Konzentration auf die Sache der Theologie verband beide mit Hans von Soden, dem Marburger liberalen Theologen. Dessen Wirken in Theologie und Kirche, das durch den Mut zum kritischen Denken und die Selbstverpflichtung auf absolute Wahrhaftigkeit bei gleichzeitiger Bindung an das Evangelium bestimmt war, schätzten beide Theologen hoch. Nicht zuletzt dies dürfte der Briefwechsel Rudolf Bultmann - Günther Bornkamm deutlich machen, dass dialektische und liberale Theologie sich gegenseitig befruchten können.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Den Briefwechsel zwischen Rudolf Bultmann und Günther Bornkamm aus der Zeit von 1926 bis 1976 liest Friedrich Wilhelm Graf mit Wehmut, zeigt er ihm doch, mit welch großer Sachlichkeit und mit welchem Ethos intellektuellen Ernstes einst über theologische Fragen gestritten wurde, namentlich um das Recht historisch-kritischer Bibelwissenschaft. Aus den Briefen zwischen einem der einflussreichsten Neutestamentler des 20. Jahrhunderts und seinem Schüler lässt sich laut Graf die Sachlichkeit der existenzialistischen Hermeneutik Bultmanns herauslesen. Für das Verständnis der Texte sind dem Rezensenten Kommentar und Lebensläufe im Anhang höchst willkommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH