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Ein eindrucksvolles Zeugnis des literarischen Lebens in Deutschland über mehr als drei Jahrzehnte.»In der Annahme, daß Ihnen in dieser Zeit der Verlassenheit Zustimmung angenehm ist, möchte ich Ihnen sagen, daß die drei Gedichte, die ich bis heute von Ihnen kenne, tiefen, nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht haben.« Mit diesen Worten wendet sich der Bibliothekar, Dichter und Literaturkritiker Werner Kraft im Oktober 1931 an den Dichter und Gymnasiallehrer Wilhelm Lehmann. Auch nach der Emigration des deutschen Juden Kraft 1933 setzt sich der Briefwechsel fort und währt - mit einer durch den…mehr

Produktbeschreibung
Ein eindrucksvolles Zeugnis des literarischen Lebens in Deutschland über mehr als drei Jahrzehnte.»In der Annahme, daß Ihnen in dieser Zeit der Verlassenheit Zustimmung angenehm ist, möchte ich Ihnen sagen, daß die drei Gedichte, die ich bis heute von Ihnen kenne, tiefen, nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht haben.« Mit diesen Worten wendet sich der Bibliothekar, Dichter und Literaturkritiker Werner Kraft im Oktober 1931 an den Dichter und Gymnasiallehrer Wilhelm Lehmann. Auch nach der Emigration des deutschen Juden Kraft 1933 setzt sich der Briefwechsel fort und währt - mit einer durch den Zweiten Weltkrieg erzwungenen Unterbrechung - über 37 Jahre bis zum Tod des Älteren. Vor dem Hintergrund bewegter Geschichte geht es in intensivem und offenem Austausch um eigene Produktionen, um zeitgenössische deutsche und fremdsprachige Literatur, aber auch um grundlegende geistesgeschichtliche Fragen. Besondere kritische Aufmerksamkeit gilt dem Literaturbetrieb im Nachkriegsdeutschland, in dem vor allem Lehmann zu hohem Ansehen gelangt. Die knapp 600 Briefe bieten eine reiche literarische, zeit- und literaturgeschichtliche Quelle. Der Briefwechsel wird hier erstmals ungekürzt, mit einem Kommentar und einem Nachwort veröffentlicht.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Werner Kraft (1896-1991) wurde nach dem Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie zum Bibliothekar ausgebildet. 1925 promovierte er in Frankfurt. 1928-1933 war er Bibliotheksrat in Hannover. 1933 Emigration über Paris nach Jerusalem, wo er als Bibliothekar und, nach der Pensionierung, als freier Schriftsteller tätig war.

Wilhelm Lehmann (1882-1968) war Schriftsteller und Lehrer; er ist vor allem durch seine Lyrik bekannt geworden und erhielt für sein umfangreiches Werk zahlreiche Preise.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2009

Der kann gar nicht dichten!
Die Briefe von Werner Kraft und Wilhelm Lehmann

Dieser Briefwechsel ist sensationell. Sicher, die Schriftsteller Werner Kraft und Wilhelm Lehmann sind nicht Sterne erster Größe. Aber sie waren bedeutend, jeder für sich. Und es sind viele Briefe, knapp sechshundert, die sie sich von 1931 bis 1968 schrieben, mit einer Unterbrechung zwischen August 1937 und Oktober 1945, weil Werner Kraft als Jude im Juni 1933 aus Deutschland emigrieren musste und sich in Jerusalem niederließ. Eine Zeitlang korrespondierten sie auch danach weiter: über Dänemark, denn Lehmann lebte nicht weit von der Grenze, in Eckernförde.

Kraft und Lehmann waren Freunde mit ähnlichen Interessen. Doch es war mehr als bloße Freundschaft, was sie verband: Da waren Bewunderung, Zuneigung, Liebe. Und wie so oft liebt einer etwas mehr als der andere, hier war das gewiss Werner Kraft. Seine Bewunderung aber hinderte ihn nicht, auch Kritik zu üben. Dass die Korrespondenz nicht nur extensiv, sondern ungewöhnlich intensiv ist, macht sie so interessant, auch aufgrund des Elementes "Klatsch", wozu hier vor allem die lockeren Beurteilungen vieler Autoren gehören. Und diese Korrespondenz ist ergreifend, bis zum letzten Satz Krafts an den sterbenden Freund: "Könnte ich bei Dir sein und Dir Trost zusprechen oder zuschweigen!"

Rasch liest man sich fest, unterstützt von den Anmerkungen der Herausgeberin, die auch ein Nachwort hinzugefügt hat. Da teilt uns Ricarda Dick mit, dass Lehmann "gegen seine innerste Überzeugung" am 1. Mai 1933 in "die" Partei eingetreten ist: "Sorge um seinen Beruf und seinen Beamtenstatus" seien das Motiv gewesen (er war Studienrat an einer Realschule). Bemerkenswert ist, dass ebendies im Briefwechsel nie Thema wird. Leider sagt uns Ricarda Dick nicht, ob Kraft davon wusste. Man möchte es annehmen. Vielleicht hat ihm Lehmann es doch einmal gesagt, und Kraft sah darüber hinweg. Oder Kraft hat es nur vermutet und, den Freund schonend, nie danach gefragt.

Wilhelm Lehmann lebte von 1882 bis 1968. Obwohl er auch Romane und Essays schrieb, ist er, wenn überhaupt, heute als Lyriker in Erinnerung. Drei Gedichte von ihm finden sich in Marcel Reich-Ranickis "Kanon", und in anderen Sammlungen stehen ebenfalls einige. Schon im Leben musste Lehmann lange auf Anerkennung warten. Gerade deshalb war ihm der Brief aus dem Jahr 1931 des damals fünfunddreißigjährigen Bibliotheksrats Kraft aus Hannover so wichtig. Er beantwortete ihn postwendend: "Ihr gütiger Brief ist ein so seltenes Geschenk, dass ich kaum weiß, wie ich Ihnen danken soll." Dann kam, kurz danach, "der von allen Göttern ausgespiene Kretin" an die Macht, so Kraft am 29. Januar 1933. Schon 1923 hatte Lehmann zusammen mit Robert Musil den Kleist-Preis bekommen. Breite Anerkennung aber erfuhr er erst in den fünfziger Jahren. Er gehörte 1949 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, auch die Akademie der Wissenschaften und der Literatur, der Pen-Club und die Bayerische Akademie der Schönen Künste machten ihn zum Mitglied.

Werner Kraft lebte von 1896 bis 1991. Er war, was man einen hommes de lettres nennt, ein kritischer, belesener, feiner, auch aparter und apart wertender Kopf. Seine Götter waren Karl Kraus, Stefan George, Rudolf Borchardt, Kafka, auch Heine, Hölderlin aber ebenfalls. Er war im Vergleich zu Lehmann der politischere Kopf - auch im Blick auf seine neue Heimat Israel. Früh war Kraft in Kontakt mit Gershom (damals noch Gerhard) Scholem und Walter Benjamin, auch mit Martin Buber und Rudolf Borchardt. Ihm ist die Entdeckung des politischen Sprachkritikers Carl Gustav Jochmann zu danken. Und über Kraus und Kafka schrieb er Bemerkenswertes. Doch er war nicht nur Essayist: Es gibt von ihm auch Autobiographisches, einen Roman, und er verstand sich als Lyriker. An seine Briefe hängte er oft eigene Gedichte an, die allerdings den heutigen Leser in Verlegenheit bringen. Sie waren wohl auch schon ein Problem für den Freund Lehmann, der sie dennoch zuweilen lobt, wofür Kraft sich stets bedankt. Schließlich gilt, dass über Gedichte nicht leicht Einigkeit zu erzielen ist. Das führen die beiden Briefschreiber geradezu exemplarisch vor: Wie sicher sind sich beide darin, dass Benn schlechthin unmöglich sei. Kraft über dessen "Statische Gedichte": "So etwas! Der kann ja gar nicht dichten! Ob man eigentlich, wenn man mit so unsolidem Anspruch auftritt, ein guter Hautarzt ist, was doch etwas wäre?! Hätte ich ein Hautjucken, würde ich doch wohl nicht zu ihm gehen!" Jeder müsste doch bei Benn nach kurzer Kenntnisnahme zum Ergebnis kommen, dass er immerhin "dichten kann". Rilke werde, so wieder Kraft, "überschätzt". Über Oskar Loerke - Kraft schreibt beharrlich, eine subtile Form der Missachtung, "Lörke" - wird er sich mit Lehmann, der ihn bewundert, nur mit Mühe einig. Lehmann wiederum fand nichts an Peter Huchel. Da widerspricht nun Kraft: "Ich kenne den Mann, und er ist mir sympathisch . . . und einige Gedichte von ihm finde ich schön." Auch Ingeborg Bachmann muss er gegen Lehmann verteidigen. Karl Krolow kann Kraft zufolge "nichts als nachmachen, das aber mit wirklicher Begabung". Helmut Heißenbüttel "dichtet wahrlich ohne Sprache. Was dabei herauskommt, reimt sich auf die ersten sechs Buchstaben seines Namens, höflicher kann ich es nicht sagen." Dass sich Kraft und Lehmann im Blick auf den redlichen, gewiss etwas pastörlichen Albrecht Goes, der immerhin als einer der Ersten eindrucksvoll die Schoa erzählerisch aufgriff, so negativ einig sind, ist ungerecht. Celans "Todesfuge" "streift" für Kraft schlicht "an Kitsch". Lehmann meint, das Gedicht sei "an seiner Verbreitung zugrunde gegangen". Hilde Domin ist, wieder nach Kraft, einfach "eine verwirrte Frau", was ein buchstäblich oberflächliches Urteil ist. Aber gut: Für ihn ist auch Ernst Robert Curtius "ein falscher Fünfziger".

Übrigens sind all dies Wertungen, die man öffentlich kaum machen würde. Und Werner Kraft rechnete wohl nicht damit, dass sie Jahrzehnte später öffentlich würden. So könnte man aus der Korrespondenz endlos weiterzitieren. Aber sie ist nicht zuletzt selbst eine Fundgrube von schönen und schlagenden Zitaten, die von Euripides bis Paul Valéry reichen. Sie sind weithin dem kultivierteren und neugierigeren Werner Kraft zu danken. Auch dies macht den Briefwechsel zu einer anregend rekapitulierenden, bewegenden, oft auch heiteren und immer wieder lustigen Lektüre.

HANS-MARTIN GAUGER

Werner Kraft/Wilhelm Lehmann: "Briefwechsel 1931-1968". Hrsg. von Ricarda Dick. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 2 Bände, 1474 S., Abb., geb., 68,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein Zeugnis zweier Leben für und durch die Kunst und das Schreiben erkennt Hansjörg Graf im Briefwechsel zwischen Werner Kraft und Wilhelm Lehmann. Zum Einstieg, als "Navigator" durch die Texte und die Positionen der beiden Briefpartner empfiehlt er uns das "überzeugende" Nachwort von Ricarda Dick. Graf lässt keinen Zweifel aufkommen: Das ist großkalibrige Korrespondenz und Lektüreexkurse des interessierten Lesers sind willkommen, um die hier aufgestoßenen "Innenräume von Poesie und Prosa" und die politischen Lebensumstände der Schreibenden auszumessen. Beeindruckt zeigt sich Graf auch vom hohen literarischen Anspruch der Autoren wie von der radikalen Subjektivität ihrer Urteile.

© Perlentaucher Medien GmbH
»sensibler Seismograph des wechselnden Zeitgeistes der 1930er bis 1950er Jahre« (Dorothee Philipp, Badische Zeitung, 13.04.2018)