Der erstmals vollständig und ungekürzt vorliegende Briefwechsel Rainer Maria Rilkes mit seinem Verleger Anton Kippenberg - bisher lagen nur Briefe Rilkes vor - ist innerhalb der langen Reihe der seit den »Gesammelten Briefen« edierten Korrespondenzen Rilkes das aufschlußreichste Dokument seines Schaffens als Autor, Übersetzer und Verlagsberater sowie der Editionsgeschichte seiner Werke. Er ist zugleich das Dokument einer Freundschaft und ein Dokument der Geschichte des Insel Verlages, in dem Rilkes Werke seit über 100 Jahren erscheinen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996Erst wenn er kalt ist, fühlt man sich bei ihm geborgen
Ganz und gültig: Briefe an Anton Kippenberg und andere Nachrichten von Rilke / Von Christoph König
Hätten Sie mich gewähren, hätten Sie mich diese Fügung in meinem innersten Sinne verwenden lassen, hätten Sie! statt sie mir vormundlich einzuschränken." Als Rilke im September 1915 erfuhr, daß man in Paris seinen Hausrat, seine Bücher und alle Briefschaften versteigert hatte, um an die Miete zu kommen, machte er sich Luft gegenüber seinem Verleger Anton Kippenberg, der Wittgensteins Spende nicht weitergab. Rilke setzte mit neuen Mitteln ihr altes Spiel fort. Denn was gemeinhin als große Freundschaft zwischen einem Verleger und seinem Autor gilt, wechselseitig und regelmäßig beteuert, war im Grunde eine Komödie, in der es vor allem ums Geld ging.
Davon lebt der nun erstmals fast vollständig veröffentlichte Briefwechsel von 1906 bis zu Rilkes Tod 1926 (1934 erschien nur eine Auswahl der "Briefe an seinen Verleger"). Die Herausgeberin Ingeborg Schnack legt gleichzeitig die erweiterte "Chronik seines Lebens und seines Werkes" und eine Blütenlese eigener kleiner Rilke-Schriften aus ihrem Leben als Bibliothekarin und Editorin vor. Ihr hatte Anton Kippenberg nach dem Zweiten Weltkrieg in Marburg seinen "Rilke" übertragen, den man sich philologisch kaum sorgfältiger, aber mehr von außen behandelt wünscht: die "Chronik" nimmt etwa Rilkes Briefe zur Grundlage und nennt die Dinge nicht, wann sie sich ereignen, sondern wann Rilke sich ihrer erinnert.
Über Rilkes Werke weiß Kippenberg in dieser Korrespondenz kaum etwas Gehaltvolles zu sagen, auch die politischen Differenzen umgeht man tunlichst, und Seelendinge bleiben dem Bremer Kaufmann fremd: also sprechen sie von Papiersorten, Formaten, Typen, von Abdrucksrechten und Auflagen, von Neuauflagen und zuletzt von einer Gesamtausgabe, die erst 1927 zustande kommt. Doch dieses Technische ist oft selbst Kostüm für die Hauptfrage, über die man nicht immer und schon gar nicht an erster Stelle schreiben kann, weil das die eigene Position schwächen würde: Wieviel an Alimenten und Sonderzahlungen steht Rilke zu?
Der Pakt beginnt im März 1908, als Rilke eine umfassende finanzielle Sicherstellung erbittet, denn bedroht sei, woran auch Kippenberg "einiges Interesse" habe: "mein künstlerisches Durchdringen zu etwas Ganzem und Gültigem". Er verheißt Gedichte, Prosa und sogar Dramatisches, schickt frühere Verträge mit anderen Verlegern und bietet sich als Insel-Autor exklusiv an. Kippenberg schlägt ein und wird "nach und nach alle Ihre Dichtungen im Insel-Verlag vereinigen". Rilke bekommt von nun an "à Conto laufender künftiger Honorare". Vierteljährlich fünfhundert Mark. Doch das ist nur ein Anfang. Rilke steigert in den folgenden Jahren die Ansprüche und ist unverschämt bis zum Äußersten: der Betrag wird bald monatlich ausbezahlt, für Clara Rilke, von der er getrennt lebt, werden zusätzliche regelmäßige Überweisungen festgelegt, im Winter fallen für Bekleidung und Schulden, wie sie im Laufe des Jahres entstanden sind, Sonderbeträge an, um die Rilke schließlich gar nicht mehr ansuchen muß und deren Höhe er großmütig und raffiniert Kippenberg bestimmen läßt. In diesem Sinn wird die Insel eine "feste Stelle" in seinem bewegten Alltag: Zahnarzt- und Mietrechnungen gehen direkt nach Leipzig, der Verlag besorgt die Weihnachtsgeschenke, Kippenberg entscheidet darüber, ob die Forderungen von Clara berechtigt sind, löst Rilkes Münchner Wohnung auf und legt fest, wieviel zur Hochzeit der Tochter Ruth angemessen sei. Rilke hat schließlich den Kapitalisten zum Hofmeister gemacht.
Der Verlag war Rilkes Briefkasten, in den Ludwig von Ficker 1914 die 20000 Kronen einwarf, die Rilke anonym von Ludwig Wittgenstein erhalten sollte. Um diese Spende begannen die beiden regelrecht zu ringen, denn Kippenberg sah darin eine unverhoffte Möglichkeit, Rilkes Alimente auszugleichen, nachdem der Weltkrieg seine "Aktion" von Fürstinnen und Freunden, kollektiv für Rilkes Auskommen zu sorgen hatte, scheitern lassen. Der Dichter wollte hingegen das Geld ganz für sich haben. Man kämpfte mit allen Mitteln: Kippenberg gab vor, das Geld anzulegen, und realisierte es zwei Monate später, Rilke verlangte nach Teilbeträgen und wählte zur Form das Telegramm, in dem man unhöflich sein darf. Noch ein Jahr später schwelte der Unmut über die "vormundliche Einschränkung". Der Kasus zeigt die Regeln des Spiels, weil es einmal und dann nicht wieder gefährdet war.
Rilke hatte zwei Rollen. Gegenüber dem sorgenden "Hausvater" (Kippenberg über sich selbst) war er das Kind - und durfte sich daher auch als solches aufführen. Gleichzeitig wußten beide, daß eigentlich der Verleger vom Dichter abhängig war. Als man gegen Ende des Weltkriegs und danach mit dem Nachdrucken der Bücher Rilkes nicht mehr nachkam, spielte sich das Spiel schließlich völlig entspannt.
Der Leitspruch des Verlegers und Sammlers Kippenberg galt Goethe: "Einen einzigen verehren." Dagegen kam Rilke zwar nicht auf, doch war Kippenberg froh, ihn zu haben. Rilke hatte Erfolg und war modern. Der Inselverlag brauchte ihn gerade in der Konkurrenz zu S. Fischer, der die Gegenwartsliteratur an sich zog. Da Investitionen leichter fallen, wenn finanzieller Wert und kulturelle Normen übereinstimmen, baute Kippenberg Rilke in sein Goethe-Verständnis ein. Nachträglich noch, anläßlich der Marburger Rilke-Ausstellung 1947, verglich er die Dichter: Goethe habe in der Auseinandersetzung mit den Menschen und mit der Welt seine Persönlichkeit entwickelt und so zu Gott gefunden. Da sei Rilke auch hingekommen, aber nur durch ein heroisches Leben für das "Werk, das dem Bau am nie vollendeten Dom geweiht war". Rilkes sakrale Gesten gefielen Kippenberg und dem breiten Publikum, das nicht unbedingt gebildet sein mußte. Sie verehrten ihn nicht zu Unrecht, denn Rilkes Emphase unterlief seine diesseitigen, modernen, oft ganz nüchternen poetischen Einsichten und Verfahren. Sprach Anton Kippenberg in seinen Briefen vom verlegerischen Standpunkt aus, so fügte seine Frau Katharina, in ihren offenherzigen Briefen an Rilke (schon 1954 erschienen) das verehrende und verschwommene, ja verliebte Timbre hinzu. Geld und Stimmung waren im Ehepaar personifiziert und aufeinander bezogen.
Die Stimmung verdeckte die Unterschiede in der Sache, und insofern Rilkes Dichtung die Stimmung förderte, verschwanden sogar diese Unterschiede. Die sakrale Geste selbst war ein Wert und stellte sich - darin war Rilke Hofmannsthal ähnlich - der klugen poetischen Syntax entgegen. Man kannte das vor allem vom frühen Rilke. Sex und Gewalt verband er in seiner "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" (1899). Die Soldaten nahmen das Büchelchen massenhaft in den Krieg mit und genossen den indirekten Stil, weil er poetisch steigerte, was sie verstanden: "Und er ist nackt wie ein Heiliger." Verschönt war auch, was sie im Schützengraben auszuhalten hatten. Zwar wuchs gleich nach Kriegsbeginn aus diesem Katastrophismus Rilkes pazifistischer Ekel vor dem Gemetzel. Seinem national und militaristisch gestimmten Verleger konnte das nicht gefallen: der wurde Feldwebel und imaginierte ein hauseigenes esoterisches Corps: "Von den Insulanern ist Schräder als Artillerie-Maat (Freiwilliger) auf Helgoland, Hofmannsthal (& Werffel) sind in Wien, tun da wohl Dienst, Heymel hat wegen Krankheit aus dem Felde zurückkehren müssen, Taube ist im Feld als ,Kannonier', Voigt Landsturm-Off. in Hamburg, ich bilde hier Rekruten aus - so thut jeder, was er kann." Rilke tat indes alles, um der Einberufung zu entgehen, und letztlich verhalf ihm Kippenberg dazu, der auf neue Bücher hoffte. Doch behielt der Krieg ("das unerschöpfliche Arge unserer Zeit") für ihn den Sinn einer ins Neue und "Nächste hinausgebärenden Zeit".
Dem Dichter wuchs ex negativo die heroische Aufgabe zu, den zeitlosen Auftrag von vorher zu erfüllen. Politische Konflikte traten im Bild zurück und wurden nicht ausgetragen. Rilke hegte für die Revolution Sympathien, auch wenn sie ihm dilettantisch gemacht schien und er den rechten "Sturm" vermißte, und er empfahl 1919, Antikriegsaufsätze des Prinzen Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst in Verlag zu nehmen, der nach scharfer Kritik an Wilhelm II. aus dem Staatsdienst entlassen worden war. Kippenberg lehnte mit formalen Gründen ab, und Rilke schwieg sofort.
Viele billigten ihm - nach unruhigen und von Reisen zerfurchten Jahren - Sammlung an abgeschiedenen Orten zu. Dort sollte Rilke mit seiner Sprache allein sein, die er für sich ausgebildet hatte und durch die hindurch er alles wahrnahm. Darin war er modern: sein Idiom veränderte seine Erfahrungen und Lektüren und beherrschte sie. Kippenberg hoffte auf die Fertigstellung der noch vor dem Weltkrieg begonnenen Elegien und vertraute darauf, daß aus der Einsamkeit von Schloß Berg am Irchel (1920/21) und dann in Muzot das allgemein Anerkannte - und Verkäufliche - entspringen würde. So unterstützte er Rilkes Wahl und besuchte ihn dort in der Schweiz mehrmals. Während Hofmannsthal das Gestöber seiner Kultur eklektisch einfangen wollte, um so deren Repräsentant zu sein, schien Rilke das Allgemeine aus dem eigenen Stein zu schlagen. In den Bibliotheken waren ihm zuviel Bücher ("Bücher, Bücher, Bücher"), und Kippenberg mußte ihm die Goethe-Bände richtig ins Haus tragen lassen. Eine subromantische Tradition war von Rilke in einer populären und deswegen mehr religiösen als kulturellen Form assimiliert worden.
Geschäftlicher Erfolg und Freiheit schienen sich zu vertragen. Das überrascht. Die gedankliche Gleichung geht nur für die auf, die meinen, Rilke finde in sich etwas Großes, stoße da auf eine Welt, die die anderen Menschen auch beherrsche. Sie mag apokalyptisch, religiös oder sprachlich sein, entscheidend wird die Vorstellung, daß ein unbürgerliches und aufrechtes, dem Werk allein gewidmetes freies Leben, zum Ausdruck der Generation werden kann. "Preisgegebenheit" nennt das Walter Benjamin (jetzt mit anderen Dokumenten zum Tod und zum Nachleben Rilkes im "Insel-Almanach auf das Jahr 1997"), Prostitution könnte man mit gleichem Recht sagen. Rilke ist der erfolgreiche, anonyme Retter aus der Not mit sich selbst oder in den Worten von Editha Klipstein: "zugleich zarte Liebenswürdigkeit und eisige Kälte, - und die letztere ist es, in der man sich dann menschlich geborgen fühlt . . ., weil sie das Persönliche endlich ausschaltet".
Wer denkt, Rilke sei frei gewesen, verläßt sich auf eine metaphysische Spekulation und glaubt an eine freie Welt der Sprache, in die der Dichter fliehen könne. Adorno nahm diese Welt für George und Borchardt in Anspruch und fand sie - gegen ihren Willen und gegen ihr Vermögen - frei. Doch wirklich und esoterisch ist nur der, der von der alltäglichen Sprache bewußten und eigenen Gebrauch macht. Rilke bewunderte diese Kunst an den großen Franzosen wie Proust und Valéry. Selbst bemeisterte er sie nicht richtig und hielt nie lange durch. Das machte seine Modernität so ambivalent. Im "Cornet" durchdrang die gewöhnliche Gewalt seiner Zeit die Prosa noch ganz (der Satz daraus "Und ist ein Fest geworden" gibt dreiunddreißig eben erschienenen Gedichtinterpretationen den Titel). Zwar befreite ihn von solch Äußerem später ein im lyrischen Bereich angesiedeltes lyrisch-spekulatives Element, das sich der inneren gedanklichen Bewegung verdankte. Die Maximen, Reflexionen und Bilder in den "Duineser Elegien" fügen sich oft so. Daraus ließen sich Wege rationaler Deutung ableiten, die Rilke in den Rodin-Vorträgen gewiesen - und zurückgenommen - hat: man könne die Bedingungen für Schönheit schaffen, und über sie müsse man auch sprechen, nicht von der Schönheit oder vom Geheimnis. Doch den Glauben daran mochten er und seine Leser nicht preisgeben.
Ingeborg Schnack: "Rainer Maria Rilke". Chronik seines Lebens und seines Werkes. 1875-1926. 2. erg. Aufl. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 1107 S., geb., 128,- DM.
Rainer Maria Rilke: "Briefwechsel mit Anton Kippenberg". 1906 bis 1926. Herausgegeben von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 2 Bände, 1303 S., geb., 168,- DM.
Ingeborg Schnack: "Über Rainer Maria Rilke". Aufsätze. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 230 S., geb., 32,- DM.
Rainer Maria Rilke: "Und ist ein Fest geworden". 33 Gedichte mit Interpretationen. Herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 153 S., geb., 32,- DM.
Insel-Almanach auf das Jahr 1997. Rainer Maria Rilke. 1926 bis 1996. Erinnerungen an den Dichter. Begegnungen mit dem Werk. Eine Dokumentation. Insel-Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 160 S., br., 16,80 DM.
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Ganz und gültig: Briefe an Anton Kippenberg und andere Nachrichten von Rilke / Von Christoph König
Hätten Sie mich gewähren, hätten Sie mich diese Fügung in meinem innersten Sinne verwenden lassen, hätten Sie! statt sie mir vormundlich einzuschränken." Als Rilke im September 1915 erfuhr, daß man in Paris seinen Hausrat, seine Bücher und alle Briefschaften versteigert hatte, um an die Miete zu kommen, machte er sich Luft gegenüber seinem Verleger Anton Kippenberg, der Wittgensteins Spende nicht weitergab. Rilke setzte mit neuen Mitteln ihr altes Spiel fort. Denn was gemeinhin als große Freundschaft zwischen einem Verleger und seinem Autor gilt, wechselseitig und regelmäßig beteuert, war im Grunde eine Komödie, in der es vor allem ums Geld ging.
Davon lebt der nun erstmals fast vollständig veröffentlichte Briefwechsel von 1906 bis zu Rilkes Tod 1926 (1934 erschien nur eine Auswahl der "Briefe an seinen Verleger"). Die Herausgeberin Ingeborg Schnack legt gleichzeitig die erweiterte "Chronik seines Lebens und seines Werkes" und eine Blütenlese eigener kleiner Rilke-Schriften aus ihrem Leben als Bibliothekarin und Editorin vor. Ihr hatte Anton Kippenberg nach dem Zweiten Weltkrieg in Marburg seinen "Rilke" übertragen, den man sich philologisch kaum sorgfältiger, aber mehr von außen behandelt wünscht: die "Chronik" nimmt etwa Rilkes Briefe zur Grundlage und nennt die Dinge nicht, wann sie sich ereignen, sondern wann Rilke sich ihrer erinnert.
Über Rilkes Werke weiß Kippenberg in dieser Korrespondenz kaum etwas Gehaltvolles zu sagen, auch die politischen Differenzen umgeht man tunlichst, und Seelendinge bleiben dem Bremer Kaufmann fremd: also sprechen sie von Papiersorten, Formaten, Typen, von Abdrucksrechten und Auflagen, von Neuauflagen und zuletzt von einer Gesamtausgabe, die erst 1927 zustande kommt. Doch dieses Technische ist oft selbst Kostüm für die Hauptfrage, über die man nicht immer und schon gar nicht an erster Stelle schreiben kann, weil das die eigene Position schwächen würde: Wieviel an Alimenten und Sonderzahlungen steht Rilke zu?
Der Pakt beginnt im März 1908, als Rilke eine umfassende finanzielle Sicherstellung erbittet, denn bedroht sei, woran auch Kippenberg "einiges Interesse" habe: "mein künstlerisches Durchdringen zu etwas Ganzem und Gültigem". Er verheißt Gedichte, Prosa und sogar Dramatisches, schickt frühere Verträge mit anderen Verlegern und bietet sich als Insel-Autor exklusiv an. Kippenberg schlägt ein und wird "nach und nach alle Ihre Dichtungen im Insel-Verlag vereinigen". Rilke bekommt von nun an "à Conto laufender künftiger Honorare". Vierteljährlich fünfhundert Mark. Doch das ist nur ein Anfang. Rilke steigert in den folgenden Jahren die Ansprüche und ist unverschämt bis zum Äußersten: der Betrag wird bald monatlich ausbezahlt, für Clara Rilke, von der er getrennt lebt, werden zusätzliche regelmäßige Überweisungen festgelegt, im Winter fallen für Bekleidung und Schulden, wie sie im Laufe des Jahres entstanden sind, Sonderbeträge an, um die Rilke schließlich gar nicht mehr ansuchen muß und deren Höhe er großmütig und raffiniert Kippenberg bestimmen läßt. In diesem Sinn wird die Insel eine "feste Stelle" in seinem bewegten Alltag: Zahnarzt- und Mietrechnungen gehen direkt nach Leipzig, der Verlag besorgt die Weihnachtsgeschenke, Kippenberg entscheidet darüber, ob die Forderungen von Clara berechtigt sind, löst Rilkes Münchner Wohnung auf und legt fest, wieviel zur Hochzeit der Tochter Ruth angemessen sei. Rilke hat schließlich den Kapitalisten zum Hofmeister gemacht.
Der Verlag war Rilkes Briefkasten, in den Ludwig von Ficker 1914 die 20000 Kronen einwarf, die Rilke anonym von Ludwig Wittgenstein erhalten sollte. Um diese Spende begannen die beiden regelrecht zu ringen, denn Kippenberg sah darin eine unverhoffte Möglichkeit, Rilkes Alimente auszugleichen, nachdem der Weltkrieg seine "Aktion" von Fürstinnen und Freunden, kollektiv für Rilkes Auskommen zu sorgen hatte, scheitern lassen. Der Dichter wollte hingegen das Geld ganz für sich haben. Man kämpfte mit allen Mitteln: Kippenberg gab vor, das Geld anzulegen, und realisierte es zwei Monate später, Rilke verlangte nach Teilbeträgen und wählte zur Form das Telegramm, in dem man unhöflich sein darf. Noch ein Jahr später schwelte der Unmut über die "vormundliche Einschränkung". Der Kasus zeigt die Regeln des Spiels, weil es einmal und dann nicht wieder gefährdet war.
Rilke hatte zwei Rollen. Gegenüber dem sorgenden "Hausvater" (Kippenberg über sich selbst) war er das Kind - und durfte sich daher auch als solches aufführen. Gleichzeitig wußten beide, daß eigentlich der Verleger vom Dichter abhängig war. Als man gegen Ende des Weltkriegs und danach mit dem Nachdrucken der Bücher Rilkes nicht mehr nachkam, spielte sich das Spiel schließlich völlig entspannt.
Der Leitspruch des Verlegers und Sammlers Kippenberg galt Goethe: "Einen einzigen verehren." Dagegen kam Rilke zwar nicht auf, doch war Kippenberg froh, ihn zu haben. Rilke hatte Erfolg und war modern. Der Inselverlag brauchte ihn gerade in der Konkurrenz zu S. Fischer, der die Gegenwartsliteratur an sich zog. Da Investitionen leichter fallen, wenn finanzieller Wert und kulturelle Normen übereinstimmen, baute Kippenberg Rilke in sein Goethe-Verständnis ein. Nachträglich noch, anläßlich der Marburger Rilke-Ausstellung 1947, verglich er die Dichter: Goethe habe in der Auseinandersetzung mit den Menschen und mit der Welt seine Persönlichkeit entwickelt und so zu Gott gefunden. Da sei Rilke auch hingekommen, aber nur durch ein heroisches Leben für das "Werk, das dem Bau am nie vollendeten Dom geweiht war". Rilkes sakrale Gesten gefielen Kippenberg und dem breiten Publikum, das nicht unbedingt gebildet sein mußte. Sie verehrten ihn nicht zu Unrecht, denn Rilkes Emphase unterlief seine diesseitigen, modernen, oft ganz nüchternen poetischen Einsichten und Verfahren. Sprach Anton Kippenberg in seinen Briefen vom verlegerischen Standpunkt aus, so fügte seine Frau Katharina, in ihren offenherzigen Briefen an Rilke (schon 1954 erschienen) das verehrende und verschwommene, ja verliebte Timbre hinzu. Geld und Stimmung waren im Ehepaar personifiziert und aufeinander bezogen.
Die Stimmung verdeckte die Unterschiede in der Sache, und insofern Rilkes Dichtung die Stimmung förderte, verschwanden sogar diese Unterschiede. Die sakrale Geste selbst war ein Wert und stellte sich - darin war Rilke Hofmannsthal ähnlich - der klugen poetischen Syntax entgegen. Man kannte das vor allem vom frühen Rilke. Sex und Gewalt verband er in seiner "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" (1899). Die Soldaten nahmen das Büchelchen massenhaft in den Krieg mit und genossen den indirekten Stil, weil er poetisch steigerte, was sie verstanden: "Und er ist nackt wie ein Heiliger." Verschönt war auch, was sie im Schützengraben auszuhalten hatten. Zwar wuchs gleich nach Kriegsbeginn aus diesem Katastrophismus Rilkes pazifistischer Ekel vor dem Gemetzel. Seinem national und militaristisch gestimmten Verleger konnte das nicht gefallen: der wurde Feldwebel und imaginierte ein hauseigenes esoterisches Corps: "Von den Insulanern ist Schräder als Artillerie-Maat (Freiwilliger) auf Helgoland, Hofmannsthal (& Werffel) sind in Wien, tun da wohl Dienst, Heymel hat wegen Krankheit aus dem Felde zurückkehren müssen, Taube ist im Feld als ,Kannonier', Voigt Landsturm-Off. in Hamburg, ich bilde hier Rekruten aus - so thut jeder, was er kann." Rilke tat indes alles, um der Einberufung zu entgehen, und letztlich verhalf ihm Kippenberg dazu, der auf neue Bücher hoffte. Doch behielt der Krieg ("das unerschöpfliche Arge unserer Zeit") für ihn den Sinn einer ins Neue und "Nächste hinausgebärenden Zeit".
Dem Dichter wuchs ex negativo die heroische Aufgabe zu, den zeitlosen Auftrag von vorher zu erfüllen. Politische Konflikte traten im Bild zurück und wurden nicht ausgetragen. Rilke hegte für die Revolution Sympathien, auch wenn sie ihm dilettantisch gemacht schien und er den rechten "Sturm" vermißte, und er empfahl 1919, Antikriegsaufsätze des Prinzen Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst in Verlag zu nehmen, der nach scharfer Kritik an Wilhelm II. aus dem Staatsdienst entlassen worden war. Kippenberg lehnte mit formalen Gründen ab, und Rilke schwieg sofort.
Viele billigten ihm - nach unruhigen und von Reisen zerfurchten Jahren - Sammlung an abgeschiedenen Orten zu. Dort sollte Rilke mit seiner Sprache allein sein, die er für sich ausgebildet hatte und durch die hindurch er alles wahrnahm. Darin war er modern: sein Idiom veränderte seine Erfahrungen und Lektüren und beherrschte sie. Kippenberg hoffte auf die Fertigstellung der noch vor dem Weltkrieg begonnenen Elegien und vertraute darauf, daß aus der Einsamkeit von Schloß Berg am Irchel (1920/21) und dann in Muzot das allgemein Anerkannte - und Verkäufliche - entspringen würde. So unterstützte er Rilkes Wahl und besuchte ihn dort in der Schweiz mehrmals. Während Hofmannsthal das Gestöber seiner Kultur eklektisch einfangen wollte, um so deren Repräsentant zu sein, schien Rilke das Allgemeine aus dem eigenen Stein zu schlagen. In den Bibliotheken waren ihm zuviel Bücher ("Bücher, Bücher, Bücher"), und Kippenberg mußte ihm die Goethe-Bände richtig ins Haus tragen lassen. Eine subromantische Tradition war von Rilke in einer populären und deswegen mehr religiösen als kulturellen Form assimiliert worden.
Geschäftlicher Erfolg und Freiheit schienen sich zu vertragen. Das überrascht. Die gedankliche Gleichung geht nur für die auf, die meinen, Rilke finde in sich etwas Großes, stoße da auf eine Welt, die die anderen Menschen auch beherrsche. Sie mag apokalyptisch, religiös oder sprachlich sein, entscheidend wird die Vorstellung, daß ein unbürgerliches und aufrechtes, dem Werk allein gewidmetes freies Leben, zum Ausdruck der Generation werden kann. "Preisgegebenheit" nennt das Walter Benjamin (jetzt mit anderen Dokumenten zum Tod und zum Nachleben Rilkes im "Insel-Almanach auf das Jahr 1997"), Prostitution könnte man mit gleichem Recht sagen. Rilke ist der erfolgreiche, anonyme Retter aus der Not mit sich selbst oder in den Worten von Editha Klipstein: "zugleich zarte Liebenswürdigkeit und eisige Kälte, - und die letztere ist es, in der man sich dann menschlich geborgen fühlt . . ., weil sie das Persönliche endlich ausschaltet".
Wer denkt, Rilke sei frei gewesen, verläßt sich auf eine metaphysische Spekulation und glaubt an eine freie Welt der Sprache, in die der Dichter fliehen könne. Adorno nahm diese Welt für George und Borchardt in Anspruch und fand sie - gegen ihren Willen und gegen ihr Vermögen - frei. Doch wirklich und esoterisch ist nur der, der von der alltäglichen Sprache bewußten und eigenen Gebrauch macht. Rilke bewunderte diese Kunst an den großen Franzosen wie Proust und Valéry. Selbst bemeisterte er sie nicht richtig und hielt nie lange durch. Das machte seine Modernität so ambivalent. Im "Cornet" durchdrang die gewöhnliche Gewalt seiner Zeit die Prosa noch ganz (der Satz daraus "Und ist ein Fest geworden" gibt dreiunddreißig eben erschienenen Gedichtinterpretationen den Titel). Zwar befreite ihn von solch Äußerem später ein im lyrischen Bereich angesiedeltes lyrisch-spekulatives Element, das sich der inneren gedanklichen Bewegung verdankte. Die Maximen, Reflexionen und Bilder in den "Duineser Elegien" fügen sich oft so. Daraus ließen sich Wege rationaler Deutung ableiten, die Rilke in den Rodin-Vorträgen gewiesen - und zurückgenommen - hat: man könne die Bedingungen für Schönheit schaffen, und über sie müsse man auch sprechen, nicht von der Schönheit oder vom Geheimnis. Doch den Glauben daran mochten er und seine Leser nicht preisgeben.
Ingeborg Schnack: "Rainer Maria Rilke". Chronik seines Lebens und seines Werkes. 1875-1926. 2. erg. Aufl. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 1107 S., geb., 128,- DM.
Rainer Maria Rilke: "Briefwechsel mit Anton Kippenberg". 1906 bis 1926. Herausgegeben von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. 2 Bände, 1303 S., geb., 168,- DM.
Ingeborg Schnack: "Über Rainer Maria Rilke". Aufsätze. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 230 S., geb., 32,- DM.
Rainer Maria Rilke: "Und ist ein Fest geworden". 33 Gedichte mit Interpretationen. Herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 153 S., geb., 32,- DM.
Insel-Almanach auf das Jahr 1997. Rainer Maria Rilke. 1926 bis 1996. Erinnerungen an den Dichter. Begegnungen mit dem Werk. Eine Dokumentation. Insel-Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1996. 160 S., br., 16,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main