Noch ein Liebesbriefwechsel Gottfried Benns? Nein, die lebenslange Freundschaft Benns (1886-1956) mit Thea Sternheim (1883-1971) war keine erotische, sie basierte vielmehr auf gegenseitigem Vertrauen und Verehrung. Verehrung für den Dichter und einen der »wenigen Menschen, die ein inneres Leben führen« hier, Verehrung für die kluge und allem Schöpferischen offene ›grande dame‹ dort. Private Katastrophen und nicht weniger katastrophale politische Bekenntnisse sorgen allerdings dafür, daß es nicht bei Verbeugungen bleibt. Die Beziehung beginnt für die Pazifistin Thea Sternheim mit einer Irritation: Der Dichter, der 1917 den Dramatiker Carl Sternheim und seine Frau in Brüssel erstmals besucht, erweist sich als preußisch strenger Militärarzt, der den Krieg als Fakt hinnimmt, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen. »Wie kommt«, fragt sich die Gastgeberin, »sein Wortschatz so ins Blühen?« In den zwanziger Jahren ist Benn mit Thea Sternheims Familie gleich mehrfach verbunden: Ihre Tochter Dorothea (Mopsa, 1905- 1954) hat eine kurze und unglückliche, lebensbestimmende Affäre mit ihm; der zunehmend größenwahnsinnige und schließlich zusammenbrechende Carl Sternheim (1878-1942) wird von Benn ärztlich betreut. Sie selbst findet in ihm den Vertrauten ihrer familiären Krisen. 1933 aber, als Benn den Nationalsozialismus begrüßt, bricht die bereits nach Paris emigrierte Partnerin jeden Kontakt brüsk ab - und nimmt ihn dann doch nach dem Krieg wieder auf. Benn reagiert sofort und dankbar mit langen und ergreifenden Briefen über Kriegsjahre und seine Situation im zerstörten Berlin. Die alte Freundschaft beginnt von neuem; er bringt Thea Sternheims Roman bei seinem Verlag unter und spricht mit ihr über das Thema einer seiner letzten Reden: »Altern als Problem für Künstler«. In den Briefwechsel - er umfaßt je etwa 70 Schreiben - sind die Tagebuchaufzeichnungen Thea Sternheims zu Benn eingefügt, die Zeugnis ablegen von einer kritischen Bewunderung, die auch dann nicht aufhört, als die politische Auseinandersetzung zur Abrechnung wird. Ergänzt wird der Band durch die Tagebuchnotizen Mopsa Sternheims zu Benn.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
In einer Doppelrezension zweier Briefbände mit persönlicher und geschäftlicher Korrespondenz Gottfried Benns, lobt Stephan Speicher die Briefe und Aufzeichnung von Thea und Mopsa Sternheim und Gottfried Benn als das "substanziellere" Buch von beiden. Die Beziehung zwischen den beiden Frauen und Gottfried Benn ist offensichtlich etwas "einseitig", denn der überwiegende Teil der Briefe stammt von Thea Sternheim und ihrer Tochter Mopsa, stellt der Rezensent fest. Die Briefe von Benn sind "eher kühl", weshalb sich in ihnen nicht so recht erschließt, was das "Bezwingende" an Benn war, räumt der Rezensent ein. Die Briefe zeigen dafür in Thea Sternheim eine an Literatur sehr interessierte "geistig bewegliche, couragierte Frau", auch wenn sie kaum je eine über Bewunderung hinaus gehende Bemerkungen zu Benns Lyrik macht, stellt der Rezensent fest. Die Tagebuchauszüge von Mopsa demonstrieren dagegen die "Fixierung" einer Frau, die nach einer kurzen Affäre lebenslang an Benn hing und nichts desto trotz sehr "scharfäugige" Kommentare zu seinem lyrischen Werk abgab, so Speicher weiter. Er findet, dass vor allem die Briefe der Sternheims "manches an Benn neu" sehen lassen, insbesondere die gefühlsmäßige "Kälte" des Lyrikers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Thea Sternheim
Der bewegendste Brief in dieser Korrespondenz mit drei Stimmen stammt von der Tochter Dorothea Sternheim, auch Mopsa genannt - nicht von der Mutter Thea Sternheim und auch nicht von Gottfried Benn: Es ist ihr Abschiedsbrief an die Mutter. Dorothea Sternheim starb mit 49 Jahren nach qualvollen Wochen und einer erfolglosen Operation an Krebs. Sie starb gern, weil sie von ihren Leiden erlöst sein wollte. Nach dem letzten Gruß steht in diesem Brief noch ein Postskriptum, das lautet: "Sage Gottfried dem Großen einmal, wie sehr ich, dreißig Jahre lang - etc - - ja sag es ihm doch einmal. Immerhin hat er EINE große, von allen äußeren Belangen unabhängige Passion hervorgerufen. Weiß er das wohl - vielleicht ist's ihm egal?" Die Mutter schrieb den Brief ab und schickte die Abschrift an Benn in Berlin. Dort lebte der Dichter mit seiner jungen Frau Ilse.
Thea Sternheim war die zweite Frau des berühmten Dramatikers Carl Sternheim. Sie brachte Vermögen in die Ehe, die wie viele Ehen nicht hielt, sie kannte Künstler und Schriftsteller und schrieb selbst einen Roman, der auf Vermittlung Benns in den fünfziger Jahren in dessen Hausverlag erschien. In ihr Tagebuch schrieb sie 1967 den Satz: "In diesen besonders schweigsamen Tagen habe ich öfters an Benn gedacht als denjenigen, der von allen, mit denen ich in Beziehung kam, am besten erfasst hat, was mich am innigsten bewegte. Ich kann mich keiner anderen Freude entsinnen die mich in ähnlicher Weise beglückt hätte als die Jasage zu meinem Roman." Sie meinte Benns positive Reaktion auf ihr Manuskript. Was sie am innigsten bewegte? Deutlich wird in den hier versammelten Briefen und Tagebuchaufzeichnungen ihre tragisch-komische Fixierung auf den bewunderten Dichter - und auch auf die eigenen bescheidenen künstlerischen Ambitionen -, eine merkwürdig schwärmerische Empfangsbereitschaft für das Genie und das Geniale einer ästhetischen, sprachlichen, sensualistischen Durchdringung und Überwältigung der Welt. Benn hatte sie noch zur Zeit des Ersten Weltkrieges kennengelernt. Die Sternheims wohnten damals in Belgien. Thea Sternheims mehrbändige Tagebücher wurden vor einigen Jahren veröffentlicht (F.A.Z. vom 3. Dezember 2002).
Die Tochter Dorothea schrieb auch ein Tagebuch und hinterließ einen unvollendeten Roman. Sie verliebte sich in jungen Jahren sehr heftig in Benn und kam über diese Begegnung ihr ganzes Leben lang nicht mehr hinweg: "Außer Benn hat nie ein Mann mich geistig verführt." Und: "Bis zum Wahnsinn geliebt habe ich nur Benn - die uneinnehmbare Festung, die Negation an sich . . . Drollig ist, dass ich in all den Wochen - Monaten - mit Benn wohl NIE, persönlich, zu einem sexuellen Genuß gekommen bin." Wohl?
Mutter und Tochter kehrten Deutschland den Rücken, als Hitler die Macht übernahm. Sie kehrten mit abfälligen Bemerkungen im Tagebuch auch Benn den Rücken, als der Dichter von der Züchtung des deutschen Volkes und ähnlichem fatalen Unsinn im Kasernenton schwadronierte. Die Mutter überlebte die kurze Internierung im Konzentrationslager Gurs, die Tochter überlebte zwei Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück. Doch die beiden deutschen Frauen in Paris verloren Benn nicht aus ihren Sinnen, und ihre Membran für die bewunderte Bennsche Sprache geriet sofort wieder ins Zittern und Schwirren, als sie die Gedichte und die Prosa lasen, die Benn unmittelbar nach dem Krieg in der Zeitschrift "Merkur" veröffentlichte.
Der Kontakt wurde wiederaufgenommen. Benn saß damals in seinem melancholischen Gehäuse und erklärte sein Doppelleben als Soldat der Wehrmacht und als Künstler ohne Reich. Die drei trafen sich auch einmal wieder, in Berlin, als Thea Sternheims Roman "Sackgasse" der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ab und an ließen die Briefe, vor allem Benns lange, auf sich warten. Mitte der fünfziger Jahre war Benn ein berühmter Dichter geworden. Er reiste durch die Gegend und las vor Publikum, obwohl er Jahre zuvor, mit verhängtem Blick in die Welt schauend, an Thea Sternheim (Stoisy) geschrieben hatte, er wolle nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen, es sei besser, daheim sitzen zu bleiben und für sich zu leben. Nach der unglücklich verliebten Tochter Mopsa starb 1956 der geistig rumgekommene und öffentlich rumgereichte dichtende Solitär, ebenfalls an Krebs. Die Mutter überlebte ihr Kind und ihr Genie und starb 1971.
Der vorliegende Briefwechsel ist nicht nur eine Gabe an die Freunde Benns. Der sicherlich kleine Kreis der Freunde Thea Sternheims wird wahrscheinlich noch mit dem Studium der Tagebücher vollauf beschäftigt sein. Überraschend sind die Briefe und Aufzeichnungen der Tochter Dorothea, die sich von ihrer unglücklichen Liebe zu Benn nicht daran hindern ließ, sich ein Urteil über den jungen und den alten Dichter zu bilden, der in ihren Augen und mit ihren Worten seit 1933 dem "Virilismus", der "teutschen Mannstollheit" erlag: "In diese Epoche fällt seine Ablehnung Goethes - ,der Mütter'." Von den Müttern aber ist auch in diesem Briefwechsel und in diesen Tagebuchaufzeichnungen nicht die Rede.
Gottfried Benn und Thea Sternheim: "Briefwechsel und Aufzeichnungen. Mit Briefen und Tagebuchauszügen Mopsa Sternheims". Herausgegeben von Thomas Ehrsam. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 518 S., geb., 32,- [Euro].
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"Die Texte besitzen eine persönliche und kulturelle Dimension. Hier wird ein Beziehungsgeflecht sichtbar, das so authentisch ist, dass sich manche Frontstellungen erübrigen." (Friedrich Rothe, Berliner Zeitung)
"Dieses vielstimmige, lebensvolle, von der Geschichte des 20. Jahrhunderts voll gesogene und imprägnierte Buch legt man so schnell nicht aus der Hand." (Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung)
"Dieses vielstimmige, lebensvolle, von der Geschichte des 20. Jahrhunderts voll gesogene und imprägnierte Buch legt man so schnell nicht aus der Hand." (Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung)