Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Rudolf Hirsch, dem langjährigen Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, Redakteur der Neuen Rundschau und für kurze Zeit auch Leiter des Insel-Verlages, bietet eine neue Perspektive auf Leben und Werk des Dichters. Er ermöglicht erstmals Einblicke in die Beziehung Celans zu einem Verleger. Entstehung und Publikation seiner Werke erscheinen damit in einem neuen Licht.
Hirsch war in einem von Celan gewünschten Sinne »aufmerksam«: Von ihm fühlte er sich als Dichter verstanden, bei ihm suchte er Rat und Hilfe, ihm vertraute er seine Werke an. Neben bedeutenden übersetzungen erschienen die Lyrikbände Sprachgitter und Die Niemandsrose sowie die Büchner-Preis-Rede Der Meridian bei S. Fischer. »Die Worte, die Sie mir vor meiner Lesung zuteil werden ließen, haben mich zuinnerst ergriffen«, schreibt Celan im März 1959 nach einer Lesung in Frankfurt: »Es war ein großer Augenblick für mich, ich wollte, ich hätte in ihm stehen bleiben dürfen, sofort, mit den Gedichten.« So sind die 207 erhaltenen Briefe, Karten und Telegramme, welche die beiden zwischen 1954 und 1964 wechselten, Zeugnisse einer langsam wachsenden tiefen Freundschaft, bis sie tragisch zerbrach: Bedrängt und gequält von den in der 'Goll-Affäre' erhobenen, unberechtigten Plagiatsvorwürfen, wandte sich Celan schließlich auch gegen seinen Verleger, glaubte ihn als Drahtzieher eines »doppelten Spiels« zu durchschauen und zog sich ins Schweigen zurück.
Hirsch war in einem von Celan gewünschten Sinne »aufmerksam«: Von ihm fühlte er sich als Dichter verstanden, bei ihm suchte er Rat und Hilfe, ihm vertraute er seine Werke an. Neben bedeutenden übersetzungen erschienen die Lyrikbände Sprachgitter und Die Niemandsrose sowie die Büchner-Preis-Rede Der Meridian bei S. Fischer. »Die Worte, die Sie mir vor meiner Lesung zuteil werden ließen, haben mich zuinnerst ergriffen«, schreibt Celan im März 1959 nach einer Lesung in Frankfurt: »Es war ein großer Augenblick für mich, ich wollte, ich hätte in ihm stehen bleiben dürfen, sofort, mit den Gedichten.« So sind die 207 erhaltenen Briefe, Karten und Telegramme, welche die beiden zwischen 1954 und 1964 wechselten, Zeugnisse einer langsam wachsenden tiefen Freundschaft, bis sie tragisch zerbrach: Bedrängt und gequält von den in der 'Goll-Affäre' erhobenen, unberechtigten Plagiatsvorwürfen, wandte sich Celan schließlich auch gegen seinen Verleger, glaubte ihn als Drahtzieher eines »doppelten Spiels« zu durchschauen und zog sich ins Schweigen zurück.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2004An den Toren der Vergeblichkeit
Nähe war vom Dichter nicht vorgesehen: Der beeindruckende Briefwechsel von Paul Celan und Ilana Shmueli
Von Abu Tor aus, südlich von Jerusalem gelegen, sehen Paul Celan und Ilana Shmueli im Oktober 1969 auf die Altstadt. Es ist spät am Nachmittag, die Mauern scheinen im Licht. Die Idylle trügt. Die Stationen des Spaziergangs, der sie bis hierher führte, hat Shmueli aufgezeichnet: Skopusberg, American Colony Hotel, Bethlehem. Celan rechnet mit den historischen Abgründen. "Der Blick auf die Stadt, die Kuppeln der Moscheen beherrschen das Bild - trotz allem", hält Shmueli in den Notaten fest, um die Celan sie gebeten hat, und erinnert dann an das Gahenna-Tal, das sie von Abu Tor aus ebenfalls gesehen haben und das seinen Namen vom hebräischen Wort für "Hölle" hat: Dort opferte man die Kinder dem Moloch. In gleicher Weise leitet Celan den Blick von der goldenen Kuppel des Felsendoms, die aus allem hervorsticht, zu den Mauern des Tempels darunter. Schließlich nur ein eiliger Besuch bei der Klagemauer: "Keine Ausgrabungen bitte", mahnt er sie, denn Celan gibt der Tiefe streng den Sinn der Lage hier und jetzt. Die Sorge um Israel angesichts seiner politischen, militärischen Bedrohung und die Gefährdung einer prekären Liebesbeziehung stehen im Mittelpunkt.
Celan wechselt nach seinem Besuch in Israel regelmäßig Briefe mit Shmueli, sechs Monate lang bis kurz vor seinem Suizid im April 1970. Oft legt er Gedichte bei oder schickt sie an Briefes Statt. Meist sind es neue Gedichte, die posthum 1976 als zweiter Zyklus des Bands "Zeitgehöft" erscheinen und im Manuskript noch mit "Ilana" überschrieben sind. Paul und Ilana kennen sich seit ihrer Kindheit in Czernowitz: Beide gingen ins Exil, er nach Paris, sie nach Israel. Unverhofft treffen sie sich 1965, zwanzig Jahre später, in Paris. Shmueli lädt ihn sogleich ein und zitiert auf hebräisch aus dem Buch Jeremia, 40, wo Jerusalem zum Ort für die verstreuten Juden wird. Sie setzt ein Zeichen, das Celan so nicht aufgreift: Er zögert und kommt erst vier Jahre später für knappe drei Wochen; danach gewinnt ihre Leidenschaft in den Briefen Gestalt und Leben.
Ilana tritt an die Stelle der anderen Frauen, und wie früher konstruiert Celan mit dichterischen Parolen eine Erinnerung, um bestehen zu können. Nur einmal noch sehen sie sich, als Shmueli über die Weihnachtszeit und im Januar 1970 nach Paris fährt. Später wird er ihr schreiben: "Ich denke an den Nachmittag und Abend in Paris, ich höre Dich, wie Du daliegst, nebenan, durchdrungen, eröffnet, wie Dein Atem geht, hörbar hörbar." Erstaunt von der späten Möglichkeit einer ausgelassenen und mehr noch verzweifelten Liebe, schließt Celan sie dennoch aus. Nach Paris beginnt er - in großer Freundlichkeit - zu verstummen: Die Gedichte, die er ihr schickt, gehören zu einem neuen Zyklus. Er weiß es schon und sagt es ihr.
Hundertunddreißig Briefe hin und her und 26 Gedichte Celans teilen Ilana Shmueli und Thomas Sparr nun mit, kommentiert und umsichtig ergänzt durch einzelne Dokumente; leider fehlen drei Briefe Shmuelis, die im Deutschen Literaturarchiv aufbewahrt werden, darunter der erste vom September 1965. Der Band nimmt dem Leser den Atem. Er spitzt die Frage zu, die nach der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange auf neue Weise zu stellen war: Ist das die Biographie des Dichters? Shmueli weiß um die schutzlosen, oft - und gerade im Schmerz - hemmungslosen Briefe und begleitet die Edition mit einem Nachwort. Sie kommentiert darin ihre Erinnerungen, denn sie hat Scheu vor der Preisgabe der Korrespondenz und fürchtet, die "Menschenwürde" Celans zu verletzen. Dies zeugt von ihrem Verständnis für Celans dichterische Problematik, das sie schon als Briefpartnerin ehedem aufbrachte.
Celan hat seine Briefe stets auf die Dichtung hin geschrieben: Die Gedanken, die er in Gedichten aufgreift, wollen schon vorher in eine sprachliche Form gebracht werden. Den Briefen, die er schreibt und die er erhält, kommt daher eine besondere Rolle zu. Sie dienen dem Willen des Dichters wie der Knecht dem Herrn. Nur in dem Maß, in dem die Briefe gelingen, hält er als Person stand. Die Briefe an Ilana Shmueli zeigen ihn mit Ansprüchen an sich und an sie; sie zeigen ihn auch in seiner Schwäche, unerreichbar und unzureichend zugleich. In der Kurve der Korrespondenz wird erneut deutlich, woran er starb: an Erschöpfung.
Als "Goldboje" taucht die Kuppel des Felsendoms am 7. November 1969 im Gedicht wieder auf und geht von da in die idiomatische Sprache der Briefe ein: "Das Leuchten, ja jenes, das / Abu Tor / auf uns zureiten sah, als wir / ineinander verwaisten, vor Leben / nicht nur von den Handwurzeln her -: // eine Goldboje, aus / Tempeltiefen, / maß die Gefahr aus, die uns / still unterlag." Celan zitiert das Licht der jüdischen Mystik, in dessen Glanz Gott sich zeige. Doch für ihn steht das Leben am Anfang und gibt die Kraft, die die Liebenden benötigen, um zueinanderzukommen: Diese Kraft erst vereinzelt sie, macht sie zu Waisen. Auch "von den Handwurzeln her": Das Gedicht hat daran einen Anteil, denn in Celans Sprache schreibt die "Hand". Im Rhythmus des Gedichts, das wie ein Ort das Geschehen betrachtet, kommt das "Leuchten" auf die beiden zu. Celan überträgt den Rhythmus des Gedichts auf die sinnliche Liebe. Nicht das Leuchten der Moschee kommt auf sie zu, sondern "jenes": das andere, schon resemantisierte, das von der "Goldboje" ausgeht, die über den Tempeltiefen schwimmt und Halt gibt, weil sie die Gefahr kennt, die heute im Verhältnis von Arabern und erneut bedrohten Juden liege. Das Wesentliche offenbare sich in jener unüberbrückbaren Situation.
Davon sprechen sowohl die Horizontale als auch die Vertikale des Gedichts, das am Tag nach Nassers Rede vom Krieg als einzigem Mittel gegen Israel entsteht. Zur gleichen Zeit bekennt Celan, daß seine Kräfte schwinden. Die "Goldboje" soll den beiden einzigen Wahrheiten Halt geben, die er in seiner radikalen, materialen Kritik anerkannte: eine körperliche und die nicht verdeckte Wahrheit der politischen, der historischen Ereignisse. Celan schreibt ihr einige Wochen später: "Die Goldboje muß heraufkommen, damit die Gefahr unterliegt. Dann - jetzt? - umarme ich Dich. Natürlich denke ich unausgesetzt an Israel."
Die Rettung im Gedicht ist konkret und setzt sein Judentum voraus, das er Jerusalem und Ilana gegenüber schärft. Dieses Judentum ist er selbst in seiner Einsamkeit. In der Rede vor dem hebräischen Schriftstellerverband am 14. Oktober 1969 in Tel Aviv spricht er von der "jüdischen Einsamkeit", die seiner Dichtung ähnlich sei: "Und ich finde hier, in dieser äußeren und inneren Landschaft, viel von den Wahrheitszwängen, der Selbstevidenz und der weltoffenen Einmaligkeit großer Poesie. Und ich glaube, mich unterredet zu haben mit der gelassen-zuversichtlichen Entschlossenheit, sich im Menschlichen zu behaupten." Das ist diplomatisch zu den Zuhörern hin gesagt, ein wenig adaptiert, ohne indes falsch zu sein: Weder nach einem sakralen "himmlischen Jerusalem" noch nach einer Heimkehr zu den Vätern steht ihm der Sinn.
Ilana mußte fremd sein, um ihm in seiner Fremdheit beistehen zu können. Und sie soll ihm etwas von ihrer Zugehörigkeit vermitteln, um ihm nahezukommen. Nähe war letztlich nur in der Repräsentation eines "Wir" vorgesehen. Einmal geht sie auf diese Dialektik ein und protestiert gegen die ihr zugewiesene Rolle. "Auch schreibe ich wenig von dem was Du von mir erwartest - Wir - Wir - in Israel - Israel ich weiß so wenig darüber zu sagen." Und über das "Land, das sein Volk auffrißt": "Ein heilloses Durcheinander - auch Goldbojen und Tempeltiefen und Du und Ich an den Toren der Vergeblichkeiten, an die Du uns verbannst, verbannen willst - Ich will nicht!" Da ist das System schon zusammengebrochen, das sie zuvor als lebensnotwendig erlebt. Alles dreht sich um Celans Gedichte: "und erst die Gedichte, und zuletzt die Gedichte", sagt sie. Celan schreibt in Paris und zeichnet gleichsam seine Reise nach. Alles ist Konstruktion, von der Begegnung mit der Jugend angefangen, und Shmueli tritt darin ein: Seine Gedichte sind für sie Gegenworte gegen die eigene Melancholie, denn sie handeln wider die Vernunft. Die immer konkreten dichterischen Entscheidungen, die so zustande kommen und an die er sich hält, nennt sie absurd. Aus Celans Meridianrede gibt sie der Entscheidung den Namen "Atem": "Es gibt Atem, es gibt tausend Sehensmöglichkeiten", versichert sie. Und nimmt aus jener Rede auch die Parole, der die dichterische Sprache folge: den Ruf von Büchners Lucile, den Celan zitierte und an den sich nun auch seine Geliebte hält: "Es lebe der König." Für ihn besteht die Majestät des Absurden darin, Reden zu halten, die der Situation nicht entsprechen, um so die Dinge richtig auszudrücken.
Von den Gedichten erhalten auch die Briefe ihren Sinn und finden Eingang in die so geschaffene Welt. Ihre idiomatische Redeweise zehrt vom dichterischen Vokabular Celans. Man kann geradezu die Dynamik der Korrespondenz entlang der sich ablösenden und oft wieder verknoteten Hauptwörter und Losungen verfolgen: "wissen", "sagen", "Dauer", "Hand", "Tiefe", "hoffen", "Goldboje", "gegen", "stehen". Celans Klage etwa über "ein fast totales Down" greift die figura etymologica "vertieft uns die Tiefe" aus dem Gedicht "Das Wort vom Zur-Tiefe-Gehn" auf, an das er über Jahre hin sich mit Gisèle geklammert hat. Die "Goldboje" ist ein naheliegendes Exempel. Auch die nachgestellten Einreden und die den Sinn schrittweise verändernden, gänzlich unrhetorischen Wiederholungen kennt man aus den Gedichten. Shmueli nimmt sich schließlich ein Beispiel daran und schreibt wie er: "Hoffe, hoffe ein stilles Hoffen kein zu großes."
Was versteht, wer wie Celan spricht, von Celan? Man staunt über Shmuelis Einblick in die Notwendigkeit, der er sich aussetzt: Mit der Vita in den Gedichten halte er stand. Oft hat er in der Goll-Affäre betont, daß sein Leben dort zu finden sei. Früher als die meisten Zeitgenossen hat Shmueli seine Gedichte zu lesen gewußt. Doch Celan erlebt in seiner Liebe für sie eine Machtkonzentration, die er fürchtet. Immer wieder mahnt er: "Du sei wie Du", "daß Du aus Dir machst, was Du bist", oder er verspricht: "Über Dich trag ich Dich zu mir." Er kommt diesmal nicht zu einer Dichterin wie Ingeborg Bachmann, und es steht nicht die deutsche Sprache nach dem Mord an den Juden auf dem Spiel. Die Schwäche zeigt sich auch in der Wahl.
Nach dem "Ilana"-Zyklus schickt Celan ein makabres Abschiedsgedicht: "Die Welt, Welt / in allen Fürzen gerecht, // ich, ich, / bei dir, dir, Kahl- / geschorne." Was soll das schon für eine Welt sein, spottet das Gedicht: Weniger als so eine kleinste, lächerliche Gerechtigkeit lasse sich kaum denken. Diese absolute Ironie trifft das "Ich", und es fragt sich, wo es denn gelandet sei: bei einer Kahlgeschorenen! Also bei diesem "Du" auch Untergang und Vernichtung. Shmueli reagierte schockiert, aber sie war vielleicht gar nicht mehr gemeint. In einer früheren Fassung des Gedichts trug die Kahlgeschorene einen Namen: "Mirjam" - Celan erinnert an Ruth, Noëmi und Mirjam in dem Gedicht "In Ägypten", entstanden 1948, wo das "Ich" die ermordeten jüdischen Frauen im Bett der "Fremden" rächt. Schon in den frühen Gedichten Celans gibt es mehr Erotisches, als man gemeinhin annimmt. Doch die Erotik gewinnt in diesem Buch ein für ihn bis dahin ungekanntes Gewicht und durchschlägt sein Idiom. Die Gedichte und seine Briefe bringen nicht mehr die Kraft der Gegenwehr gegen diese "konstruierte" Konzentration auf, auch nicht gegen die eigene Sprache. "Ich will nicht rechten - ich kann es auch nicht mehr richtig."
Die in der Schwäche wachsende Bedeutung des "Biographischen" drängt Ilana Shmueli in ihren Erinnerungen - zugunsten seiner Suche nach "Jerusalem" - zurück und weiß sich eins mit den Theologen unter den Literaturwissenschaftlern. Doch ihr ist auch in den Briefen nur mehr die verzweifelte Montage eines leeren Idioms geblieben, als Celan sich ihrem Protest entzieht. "Ein heilloses Durcheinander."
Paul Celan/Ilana Shmueli: "Briefwechsel". Herausgegeben von Ilana Shmueli und Thomas Sparr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 250 S., 12 Abb., geb., 20,80 [Euro].
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Nähe war vom Dichter nicht vorgesehen: Der beeindruckende Briefwechsel von Paul Celan und Ilana Shmueli
Von Abu Tor aus, südlich von Jerusalem gelegen, sehen Paul Celan und Ilana Shmueli im Oktober 1969 auf die Altstadt. Es ist spät am Nachmittag, die Mauern scheinen im Licht. Die Idylle trügt. Die Stationen des Spaziergangs, der sie bis hierher führte, hat Shmueli aufgezeichnet: Skopusberg, American Colony Hotel, Bethlehem. Celan rechnet mit den historischen Abgründen. "Der Blick auf die Stadt, die Kuppeln der Moscheen beherrschen das Bild - trotz allem", hält Shmueli in den Notaten fest, um die Celan sie gebeten hat, und erinnert dann an das Gahenna-Tal, das sie von Abu Tor aus ebenfalls gesehen haben und das seinen Namen vom hebräischen Wort für "Hölle" hat: Dort opferte man die Kinder dem Moloch. In gleicher Weise leitet Celan den Blick von der goldenen Kuppel des Felsendoms, die aus allem hervorsticht, zu den Mauern des Tempels darunter. Schließlich nur ein eiliger Besuch bei der Klagemauer: "Keine Ausgrabungen bitte", mahnt er sie, denn Celan gibt der Tiefe streng den Sinn der Lage hier und jetzt. Die Sorge um Israel angesichts seiner politischen, militärischen Bedrohung und die Gefährdung einer prekären Liebesbeziehung stehen im Mittelpunkt.
Celan wechselt nach seinem Besuch in Israel regelmäßig Briefe mit Shmueli, sechs Monate lang bis kurz vor seinem Suizid im April 1970. Oft legt er Gedichte bei oder schickt sie an Briefes Statt. Meist sind es neue Gedichte, die posthum 1976 als zweiter Zyklus des Bands "Zeitgehöft" erscheinen und im Manuskript noch mit "Ilana" überschrieben sind. Paul und Ilana kennen sich seit ihrer Kindheit in Czernowitz: Beide gingen ins Exil, er nach Paris, sie nach Israel. Unverhofft treffen sie sich 1965, zwanzig Jahre später, in Paris. Shmueli lädt ihn sogleich ein und zitiert auf hebräisch aus dem Buch Jeremia, 40, wo Jerusalem zum Ort für die verstreuten Juden wird. Sie setzt ein Zeichen, das Celan so nicht aufgreift: Er zögert und kommt erst vier Jahre später für knappe drei Wochen; danach gewinnt ihre Leidenschaft in den Briefen Gestalt und Leben.
Ilana tritt an die Stelle der anderen Frauen, und wie früher konstruiert Celan mit dichterischen Parolen eine Erinnerung, um bestehen zu können. Nur einmal noch sehen sie sich, als Shmueli über die Weihnachtszeit und im Januar 1970 nach Paris fährt. Später wird er ihr schreiben: "Ich denke an den Nachmittag und Abend in Paris, ich höre Dich, wie Du daliegst, nebenan, durchdrungen, eröffnet, wie Dein Atem geht, hörbar hörbar." Erstaunt von der späten Möglichkeit einer ausgelassenen und mehr noch verzweifelten Liebe, schließt Celan sie dennoch aus. Nach Paris beginnt er - in großer Freundlichkeit - zu verstummen: Die Gedichte, die er ihr schickt, gehören zu einem neuen Zyklus. Er weiß es schon und sagt es ihr.
Hundertunddreißig Briefe hin und her und 26 Gedichte Celans teilen Ilana Shmueli und Thomas Sparr nun mit, kommentiert und umsichtig ergänzt durch einzelne Dokumente; leider fehlen drei Briefe Shmuelis, die im Deutschen Literaturarchiv aufbewahrt werden, darunter der erste vom September 1965. Der Band nimmt dem Leser den Atem. Er spitzt die Frage zu, die nach der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange auf neue Weise zu stellen war: Ist das die Biographie des Dichters? Shmueli weiß um die schutzlosen, oft - und gerade im Schmerz - hemmungslosen Briefe und begleitet die Edition mit einem Nachwort. Sie kommentiert darin ihre Erinnerungen, denn sie hat Scheu vor der Preisgabe der Korrespondenz und fürchtet, die "Menschenwürde" Celans zu verletzen. Dies zeugt von ihrem Verständnis für Celans dichterische Problematik, das sie schon als Briefpartnerin ehedem aufbrachte.
Celan hat seine Briefe stets auf die Dichtung hin geschrieben: Die Gedanken, die er in Gedichten aufgreift, wollen schon vorher in eine sprachliche Form gebracht werden. Den Briefen, die er schreibt und die er erhält, kommt daher eine besondere Rolle zu. Sie dienen dem Willen des Dichters wie der Knecht dem Herrn. Nur in dem Maß, in dem die Briefe gelingen, hält er als Person stand. Die Briefe an Ilana Shmueli zeigen ihn mit Ansprüchen an sich und an sie; sie zeigen ihn auch in seiner Schwäche, unerreichbar und unzureichend zugleich. In der Kurve der Korrespondenz wird erneut deutlich, woran er starb: an Erschöpfung.
Als "Goldboje" taucht die Kuppel des Felsendoms am 7. November 1969 im Gedicht wieder auf und geht von da in die idiomatische Sprache der Briefe ein: "Das Leuchten, ja jenes, das / Abu Tor / auf uns zureiten sah, als wir / ineinander verwaisten, vor Leben / nicht nur von den Handwurzeln her -: // eine Goldboje, aus / Tempeltiefen, / maß die Gefahr aus, die uns / still unterlag." Celan zitiert das Licht der jüdischen Mystik, in dessen Glanz Gott sich zeige. Doch für ihn steht das Leben am Anfang und gibt die Kraft, die die Liebenden benötigen, um zueinanderzukommen: Diese Kraft erst vereinzelt sie, macht sie zu Waisen. Auch "von den Handwurzeln her": Das Gedicht hat daran einen Anteil, denn in Celans Sprache schreibt die "Hand". Im Rhythmus des Gedichts, das wie ein Ort das Geschehen betrachtet, kommt das "Leuchten" auf die beiden zu. Celan überträgt den Rhythmus des Gedichts auf die sinnliche Liebe. Nicht das Leuchten der Moschee kommt auf sie zu, sondern "jenes": das andere, schon resemantisierte, das von der "Goldboje" ausgeht, die über den Tempeltiefen schwimmt und Halt gibt, weil sie die Gefahr kennt, die heute im Verhältnis von Arabern und erneut bedrohten Juden liege. Das Wesentliche offenbare sich in jener unüberbrückbaren Situation.
Davon sprechen sowohl die Horizontale als auch die Vertikale des Gedichts, das am Tag nach Nassers Rede vom Krieg als einzigem Mittel gegen Israel entsteht. Zur gleichen Zeit bekennt Celan, daß seine Kräfte schwinden. Die "Goldboje" soll den beiden einzigen Wahrheiten Halt geben, die er in seiner radikalen, materialen Kritik anerkannte: eine körperliche und die nicht verdeckte Wahrheit der politischen, der historischen Ereignisse. Celan schreibt ihr einige Wochen später: "Die Goldboje muß heraufkommen, damit die Gefahr unterliegt. Dann - jetzt? - umarme ich Dich. Natürlich denke ich unausgesetzt an Israel."
Die Rettung im Gedicht ist konkret und setzt sein Judentum voraus, das er Jerusalem und Ilana gegenüber schärft. Dieses Judentum ist er selbst in seiner Einsamkeit. In der Rede vor dem hebräischen Schriftstellerverband am 14. Oktober 1969 in Tel Aviv spricht er von der "jüdischen Einsamkeit", die seiner Dichtung ähnlich sei: "Und ich finde hier, in dieser äußeren und inneren Landschaft, viel von den Wahrheitszwängen, der Selbstevidenz und der weltoffenen Einmaligkeit großer Poesie. Und ich glaube, mich unterredet zu haben mit der gelassen-zuversichtlichen Entschlossenheit, sich im Menschlichen zu behaupten." Das ist diplomatisch zu den Zuhörern hin gesagt, ein wenig adaptiert, ohne indes falsch zu sein: Weder nach einem sakralen "himmlischen Jerusalem" noch nach einer Heimkehr zu den Vätern steht ihm der Sinn.
Ilana mußte fremd sein, um ihm in seiner Fremdheit beistehen zu können. Und sie soll ihm etwas von ihrer Zugehörigkeit vermitteln, um ihm nahezukommen. Nähe war letztlich nur in der Repräsentation eines "Wir" vorgesehen. Einmal geht sie auf diese Dialektik ein und protestiert gegen die ihr zugewiesene Rolle. "Auch schreibe ich wenig von dem was Du von mir erwartest - Wir - Wir - in Israel - Israel ich weiß so wenig darüber zu sagen." Und über das "Land, das sein Volk auffrißt": "Ein heilloses Durcheinander - auch Goldbojen und Tempeltiefen und Du und Ich an den Toren der Vergeblichkeiten, an die Du uns verbannst, verbannen willst - Ich will nicht!" Da ist das System schon zusammengebrochen, das sie zuvor als lebensnotwendig erlebt. Alles dreht sich um Celans Gedichte: "und erst die Gedichte, und zuletzt die Gedichte", sagt sie. Celan schreibt in Paris und zeichnet gleichsam seine Reise nach. Alles ist Konstruktion, von der Begegnung mit der Jugend angefangen, und Shmueli tritt darin ein: Seine Gedichte sind für sie Gegenworte gegen die eigene Melancholie, denn sie handeln wider die Vernunft. Die immer konkreten dichterischen Entscheidungen, die so zustande kommen und an die er sich hält, nennt sie absurd. Aus Celans Meridianrede gibt sie der Entscheidung den Namen "Atem": "Es gibt Atem, es gibt tausend Sehensmöglichkeiten", versichert sie. Und nimmt aus jener Rede auch die Parole, der die dichterische Sprache folge: den Ruf von Büchners Lucile, den Celan zitierte und an den sich nun auch seine Geliebte hält: "Es lebe der König." Für ihn besteht die Majestät des Absurden darin, Reden zu halten, die der Situation nicht entsprechen, um so die Dinge richtig auszudrücken.
Von den Gedichten erhalten auch die Briefe ihren Sinn und finden Eingang in die so geschaffene Welt. Ihre idiomatische Redeweise zehrt vom dichterischen Vokabular Celans. Man kann geradezu die Dynamik der Korrespondenz entlang der sich ablösenden und oft wieder verknoteten Hauptwörter und Losungen verfolgen: "wissen", "sagen", "Dauer", "Hand", "Tiefe", "hoffen", "Goldboje", "gegen", "stehen". Celans Klage etwa über "ein fast totales Down" greift die figura etymologica "vertieft uns die Tiefe" aus dem Gedicht "Das Wort vom Zur-Tiefe-Gehn" auf, an das er über Jahre hin sich mit Gisèle geklammert hat. Die "Goldboje" ist ein naheliegendes Exempel. Auch die nachgestellten Einreden und die den Sinn schrittweise verändernden, gänzlich unrhetorischen Wiederholungen kennt man aus den Gedichten. Shmueli nimmt sich schließlich ein Beispiel daran und schreibt wie er: "Hoffe, hoffe ein stilles Hoffen kein zu großes."
Was versteht, wer wie Celan spricht, von Celan? Man staunt über Shmuelis Einblick in die Notwendigkeit, der er sich aussetzt: Mit der Vita in den Gedichten halte er stand. Oft hat er in der Goll-Affäre betont, daß sein Leben dort zu finden sei. Früher als die meisten Zeitgenossen hat Shmueli seine Gedichte zu lesen gewußt. Doch Celan erlebt in seiner Liebe für sie eine Machtkonzentration, die er fürchtet. Immer wieder mahnt er: "Du sei wie Du", "daß Du aus Dir machst, was Du bist", oder er verspricht: "Über Dich trag ich Dich zu mir." Er kommt diesmal nicht zu einer Dichterin wie Ingeborg Bachmann, und es steht nicht die deutsche Sprache nach dem Mord an den Juden auf dem Spiel. Die Schwäche zeigt sich auch in der Wahl.
Nach dem "Ilana"-Zyklus schickt Celan ein makabres Abschiedsgedicht: "Die Welt, Welt / in allen Fürzen gerecht, // ich, ich, / bei dir, dir, Kahl- / geschorne." Was soll das schon für eine Welt sein, spottet das Gedicht: Weniger als so eine kleinste, lächerliche Gerechtigkeit lasse sich kaum denken. Diese absolute Ironie trifft das "Ich", und es fragt sich, wo es denn gelandet sei: bei einer Kahlgeschorenen! Also bei diesem "Du" auch Untergang und Vernichtung. Shmueli reagierte schockiert, aber sie war vielleicht gar nicht mehr gemeint. In einer früheren Fassung des Gedichts trug die Kahlgeschorene einen Namen: "Mirjam" - Celan erinnert an Ruth, Noëmi und Mirjam in dem Gedicht "In Ägypten", entstanden 1948, wo das "Ich" die ermordeten jüdischen Frauen im Bett der "Fremden" rächt. Schon in den frühen Gedichten Celans gibt es mehr Erotisches, als man gemeinhin annimmt. Doch die Erotik gewinnt in diesem Buch ein für ihn bis dahin ungekanntes Gewicht und durchschlägt sein Idiom. Die Gedichte und seine Briefe bringen nicht mehr die Kraft der Gegenwehr gegen diese "konstruierte" Konzentration auf, auch nicht gegen die eigene Sprache. "Ich will nicht rechten - ich kann es auch nicht mehr richtig."
Die in der Schwäche wachsende Bedeutung des "Biographischen" drängt Ilana Shmueli in ihren Erinnerungen - zugunsten seiner Suche nach "Jerusalem" - zurück und weiß sich eins mit den Theologen unter den Literaturwissenschaftlern. Doch ihr ist auch in den Briefen nur mehr die verzweifelte Montage eines leeren Idioms geblieben, als Celan sich ihrem Protest entzieht. "Ein heilloses Durcheinander."
Paul Celan/Ilana Shmueli: "Briefwechsel". Herausgegeben von Ilana Shmueli und Thomas Sparr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 250 S., 12 Abb., geb., 20,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Einen Seufzer stößt Helmut Böttiger aus, wenn er verlauten lässt, einen Verlagslektor wie Rudolf Hirsch gäbe es heute kaum noch! Einer, der die gesamte abendländische Bildungstradition intus hatte! Einer, der es mit Paul Celan intellektuell aufnehmen konnte! Rudolf Hirsch, wie Celan Jude und während der NS-Zeit in Amsterdam untergetaucht, war von Mitte der 50er bis Anfang der 60er Jahre als Lektor beim S. Fischer-Verlag der Ansprechpartner Celans, der dort nicht nur eigene Gedichte, sondern auch Übersetzungen Rene Chars oder Alexander Bloks veröffentlichte. Der gesamte Briefwechsel zwischen Celan und Hirsch ist laut Böttiger ein erschütterndes Dokument, da er das Zerwürfnis zwischen den beiden festhält, das von Celans Empfindlichkeiten und dem realen Intrigenspiel Claire Golls vorangetrieben wurde. Für Celan war es schwer, stellt der Rezensent fest, zwischen Antisemitismus und den "üblichen Machenschaften im Literaturbetrieb" zu unterscheiden, er witterte überall Verrat, so auch bei Hirsch. Gleichzeitig werde aber auch klar, betont Böttiger, dass Celan nicht nur überempfindlich reagierte, sondern sein Misstrauen gegen den Fortbestand nationalsozialistischer Strukturen im Adenauer-Staat durchaus berechtigt war. Nicht allerdings bei Hirsch, weshalb der Kritiker den Briefwechsel als Zeugnis einer "schicksalhaften Verstrickung" bezeichnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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