Bei seiner ersten Reise in die Sowjetunion 1962 begegnet Heinrich Böll dem russischen Kollegen Lew Kopelew. Allen politischen Hindernissen zum Trotz freunden die beiden sich an. Zwanzig Jahre lang schicken sie sich unbemerkt von Zensur und Geheimdiensten mithilfe von Mittelsmännern Briefe. Ein Netzwerk von großer und nachhaltiger Wirkungsmacht entsteht.
Der Briefwechsel Böll-Kopelew enthält einzigartige Zeugnisse aus einer gar nicht so fernen und doch längst vergangenen Epoche. Die Bonner Republik, die Sowjetdiktatur, der ganze Kosmos des Kalten Kriegs sind hier zum Greifen nah.
In ihren Briefen verarbeiten Heinrich Böll und Lew Kopelew ihre traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen und gemeinsam kämpfen sie gegen politische und literarische Vereinnahmungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.
Ihre Werkstattberichte, ihre aufschlussreichen Analysen des Zeitgeschehens, aber auch ihre Freundschaftsbekundungen machen diesen Briefwechsel zu einem überaus wertvollen Schatz für die Nachwelt.
Der Briefwechsel Böll-Kopelew enthält einzigartige Zeugnisse aus einer gar nicht so fernen und doch längst vergangenen Epoche. Die Bonner Republik, die Sowjetdiktatur, der ganze Kosmos des Kalten Kriegs sind hier zum Greifen nah.
In ihren Briefen verarbeiten Heinrich Böll und Lew Kopelew ihre traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen und gemeinsam kämpfen sie gegen politische und literarische Vereinnahmungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.
Ihre Werkstattberichte, ihre aufschlussreichen Analysen des Zeitgeschehens, aber auch ihre Freundschaftsbekundungen machen diesen Briefwechsel zu einem überaus wertvollen Schatz für die Nachwelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2012Zwei Neinsager reichen einander die Hand
Gruppenbild mit Damen: Der Briefwechsel zwischen Böll und Kopelew, den es offiziell gar nicht geben dürfte, dokumentiert eine große Freundschaft, die alle Widersprüche überwand.
Nichts fürchten autoritäre Regime mehr als Kommunikation. Sie investieren viel in deren Überwachung, funktionieren nicht ohne Abschottung nach außen. Zuletzt haben bekanntlich Twitter und seine Brüder Abhilfe geschaffen. Doch schon lange vor der Digitalisierung gab es soziale Netzwerke, die sich an keine Kommunikationssperre hielten, die selbst die scharf bewachte Grenze zwischen westlicher und östlicher Hemisphäre überwanden. Der vorliegende Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Lew Kopelew gehört zu dem Titanenprojekt standhafter Idealisten, dem Kalten Krieg warmherzigen Kosmopolitismus entgegenzusetzen, und damit ist er - unabhängig von aller literarischen Qualität - ein Kapitel in der Kulturgeschichte der Humanität. Stellt man diese Dimension nicht heraus, wird man ihm nicht gerecht.
Zwei Neinsager reichen einander 1962 die Hand und bilden den Kristallisationspunkt einer übernationalen, oft in sich widersprüchlichen Oppositionsbewegung. Bölls Wirkungsstätten in und um Köln avancierten in den folgenden Jahren zum Zentrum der exilsowjetischen Dissidentenszene. Dass Böll, obwohl vom konservativen Lager zum Terroristenfreund gestempelt, immer wieder Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Ländern anprangerte, unterschied ihn von der orthodoxen Linken. Der fließend Deutsch sprechende Germanist und Essayist Lew Kopelew wiederum wurde zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für deutsche Intellektuelle in Moskau. Der Universitätsdozent hatte seinen Einsatz für Andersdenkende mit Parteiausschluss, Schreibverboten, Stellenverlust und täglichen Schikanen wie dem Abstellen des Telefons zu bezahlen. Unerträglich wurden die Repressionen ein Jahrzehnt später, nachdem Kopelew in dem immer noch lesenswerten Erfahrungsbericht "Aufbewahren für alle Zeit" Schlächtereien der Roten Armee in Ostpreußen geschildert hatte.
Die Briefe, meist von Journalisten, Diplomaten oder Besuchern an der Zensur vorbeigeschmuggelt und teils auch von den Ehefrauen verfasst, geben einen Einblick in das tägliche, wenig exzessive Leben der Briefpartner, deren Familien, Befindlichkeiten und Schreibprojekte der Leser kennenlernt. Es handelt sich zugleich um den Quereinstieg in ein versunkenes, existentialistisches Zeitalter, das geprägt war vom stets drohenden Untergang, sollte eine Seite die Nerven verlieren. Funkelnde Rhetorik und tiefschürfende Analysen sucht man in dem Korpus jedoch vergebens. Immer wieder bittet Kopelew den Freund schlicht um Medikamente oder Fürsprache für seine Bekannten, was für diese lebenswichtig war und für die Forschung bedeutend sein mag, als Leseerlebnis aber nur beschränkten Reiz hat. Spannender sind die Passagen über den erstarkenden Antisemitismus im Osten. Die von Beginn an vorhandene Asymmetrie vergrößert sich derweil: Aus Böll wird der weltberühmte Nobelpreisträger, während der Moskauer Philologe vor allem sekundäre Bekanntheit genießt, wie er selbst beklagt: "man sieht in mir eben nur ,den Freund bzw. den früheren Freund der prominenten Exilanten Soundsowieso'".
Man darf wohl sagen, dass Kopelew sein Gegenüber geschickt in die Korrespondenz hineincharmiert hat. Mit russischem Pathos feiert er selbst nüchterne Mitteilungen des gern über Krankheiten, konservative Medien, hohe Mieten, zu viel Verkehr oder den "Irrsinn" der "mörderischen publicity" lamentierenden Kölners als Meisterwerke und "wahre Rettung", auf die er gar nicht geeignet antworten könne: "Dazu gehört eine Sprachgewalt (bzw. Kunsttalent), die mir fehlt." Kopelew, der im Gegenteil über ein höchst elaboriertes Deutsch verfügt, weiß mit der Eitelkeit von Schriftstellern umzugehen. Er lobt jedes Werk über den Klee, beglückwünscht Böll zur "Unsterblichkeit", stänkert gegen den Rivalen Grass und schreibt von der Böllverzückung ganz Russlands.
Meinungsverschiedenheiten sind die Ausnahme, doch sie sind markant. Böll schreibt im Juli 1971, die Radikalisierung der Linken sehr gut zu verstehen, "da nichts, nichts geschieht, wenn nicht Krach geschlagen wird", was Kopelew zurückweist: "Fanatiker aller Farben und aller Himmelsrichtungen sind letzten Endes alle gleich gefährlich." Böll besteht seinerseits darauf, dass keine Rivalität im Leiden aufgebaut werde, weil ihn der "Stolz auf die sowjetische Passion" mancher Dissidenten wie Alexander Solschenizyn nervt. Kopelew scheint ihm gefährdet, mit dem Antikommunismus "der anderen", gemeint sind die Kreise um Franz Josef Strauß, zu sympathisieren.
Böll versucht darzulegen, dass der Westen keineswegs als gelobtes Land erachtet werden dürfe. Die vor Ort miterlebte Niederschlagung des Prager Frühlings lässt ihn pessimistisch in die Zukunft sehen: "Denk ich an die Alternative Nixon-Humphrey, an das Negerproblem in den USA, an Südamerika, Vietnam, Biafra - was wird noch alles kommen, und da regen sie sich hier über die ,Pille' auf." Willy Brandt nennt er 1970 die "letzte Hoffnung". Dessen Rücktritt vier Jahre später wirkt auf ihn niederschmetternd: "Die Reaktion marschiert!" Kopelew dagegen rühmt an Brandt die Einheit von geistreicher Intelligenz und "biederem Proletentum", ein Kerl sei das, "der auch richtig dreinhauen kann".
Eine derbe Seite hat indes auch dieser Briefwechsel. Kopelew lässt seinen feinen Stil fahren angesichts eines Konkurrenten wie Lew Ginsburg, mit dem er sich überworfen hat: "diese Kröte", "ein ganz gewissenloser Arschkriecher". Böll greift gern zu skatalogischem Vokabular: "Scheißkarren"; "Scheißbier"; "Nachkriegsscheiße". Gerade dieses Ungeglättete jedoch, diese erregte Unmittelbarkeit verleiht dem von Elsbeth Zylla bestens erschlossenen und von Karl Schlögel mit einem hervorragend "die Geschichte des langen Endes einer langen Nachkriegszeit mit all ihren mäandernden Bewegungen, trostlosen Beschwernissen und winzigen Hoffnungsschimmern" evozierenden Vorwort versehenen Briefwechsel seinen ganz eigenen, herben Charakter.
Man kann das Buch als Zeitdokument lesen, aber auch als Liebesroman zweier Königskinder. Sehnsucht nämlich ist der Generalbass: Vom ersten Brief an ist der Gegenbesuch der Kopelews in Deutschland angedacht, der immer wieder erbeten, geplant und verschoben wird, während die Bölls den russischen Freunden noch sechs weitere Besuche abstatten, bis es viele Jahre später zur dramatischen Zuspitzung kommt. Böll setzt ab 1977 alle Hebel in Bewegung, um den bedrängten Kopelew aus der Sowjetunion herauszubekommen, was nach mehreren Rückschlägen im Jahre 1980 endlich gelingt. Kopelew glaubte, sich die Rückkehr offenhalten zu können, doch Böll ahnte, dass es ein Abschied für immer sein würde. Tatsächlich folgte die Ausbürgerung auf den Fuß. Letztlich aber behielten beide recht, denn das von Böll nicht mehr erlebte Zerbröckeln der Sowjetunion, an dem die beiden Weltbürger ihren kleinen Anteil hatten, wischte auch diese scheinbare Endgültigkeit hinweg, und Kopelew konnte noch dreimal vor seinem Tod 1997 in seine Heimat reisen. Dieser Briefwechsel allerdings endet bereits im März 1982 so schön wie ein Briefwechsel nur enden kann, denn Böll stellt ihn ein mit den Worten: "Ich bin egoistisch (und patriotisch) genug, um zu seufzen: Gut, dass Du hier bist."
OLIVER JUNGEN
Heinrich Böll, Lew Kopelew: "Briefwechsel".
Hrsg. von Elsbeth Zylla. Mit einem Essay von Karl Schlögel. Steidl Verlag, Göttingen 2011. 752 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gruppenbild mit Damen: Der Briefwechsel zwischen Böll und Kopelew, den es offiziell gar nicht geben dürfte, dokumentiert eine große Freundschaft, die alle Widersprüche überwand.
Nichts fürchten autoritäre Regime mehr als Kommunikation. Sie investieren viel in deren Überwachung, funktionieren nicht ohne Abschottung nach außen. Zuletzt haben bekanntlich Twitter und seine Brüder Abhilfe geschaffen. Doch schon lange vor der Digitalisierung gab es soziale Netzwerke, die sich an keine Kommunikationssperre hielten, die selbst die scharf bewachte Grenze zwischen westlicher und östlicher Hemisphäre überwanden. Der vorliegende Briefwechsel zwischen Heinrich Böll und Lew Kopelew gehört zu dem Titanenprojekt standhafter Idealisten, dem Kalten Krieg warmherzigen Kosmopolitismus entgegenzusetzen, und damit ist er - unabhängig von aller literarischen Qualität - ein Kapitel in der Kulturgeschichte der Humanität. Stellt man diese Dimension nicht heraus, wird man ihm nicht gerecht.
Zwei Neinsager reichen einander 1962 die Hand und bilden den Kristallisationspunkt einer übernationalen, oft in sich widersprüchlichen Oppositionsbewegung. Bölls Wirkungsstätten in und um Köln avancierten in den folgenden Jahren zum Zentrum der exilsowjetischen Dissidentenszene. Dass Böll, obwohl vom konservativen Lager zum Terroristenfreund gestempelt, immer wieder Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Ländern anprangerte, unterschied ihn von der orthodoxen Linken. Der fließend Deutsch sprechende Germanist und Essayist Lew Kopelew wiederum wurde zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für deutsche Intellektuelle in Moskau. Der Universitätsdozent hatte seinen Einsatz für Andersdenkende mit Parteiausschluss, Schreibverboten, Stellenverlust und täglichen Schikanen wie dem Abstellen des Telefons zu bezahlen. Unerträglich wurden die Repressionen ein Jahrzehnt später, nachdem Kopelew in dem immer noch lesenswerten Erfahrungsbericht "Aufbewahren für alle Zeit" Schlächtereien der Roten Armee in Ostpreußen geschildert hatte.
Die Briefe, meist von Journalisten, Diplomaten oder Besuchern an der Zensur vorbeigeschmuggelt und teils auch von den Ehefrauen verfasst, geben einen Einblick in das tägliche, wenig exzessive Leben der Briefpartner, deren Familien, Befindlichkeiten und Schreibprojekte der Leser kennenlernt. Es handelt sich zugleich um den Quereinstieg in ein versunkenes, existentialistisches Zeitalter, das geprägt war vom stets drohenden Untergang, sollte eine Seite die Nerven verlieren. Funkelnde Rhetorik und tiefschürfende Analysen sucht man in dem Korpus jedoch vergebens. Immer wieder bittet Kopelew den Freund schlicht um Medikamente oder Fürsprache für seine Bekannten, was für diese lebenswichtig war und für die Forschung bedeutend sein mag, als Leseerlebnis aber nur beschränkten Reiz hat. Spannender sind die Passagen über den erstarkenden Antisemitismus im Osten. Die von Beginn an vorhandene Asymmetrie vergrößert sich derweil: Aus Böll wird der weltberühmte Nobelpreisträger, während der Moskauer Philologe vor allem sekundäre Bekanntheit genießt, wie er selbst beklagt: "man sieht in mir eben nur ,den Freund bzw. den früheren Freund der prominenten Exilanten Soundsowieso'".
Man darf wohl sagen, dass Kopelew sein Gegenüber geschickt in die Korrespondenz hineincharmiert hat. Mit russischem Pathos feiert er selbst nüchterne Mitteilungen des gern über Krankheiten, konservative Medien, hohe Mieten, zu viel Verkehr oder den "Irrsinn" der "mörderischen publicity" lamentierenden Kölners als Meisterwerke und "wahre Rettung", auf die er gar nicht geeignet antworten könne: "Dazu gehört eine Sprachgewalt (bzw. Kunsttalent), die mir fehlt." Kopelew, der im Gegenteil über ein höchst elaboriertes Deutsch verfügt, weiß mit der Eitelkeit von Schriftstellern umzugehen. Er lobt jedes Werk über den Klee, beglückwünscht Böll zur "Unsterblichkeit", stänkert gegen den Rivalen Grass und schreibt von der Böllverzückung ganz Russlands.
Meinungsverschiedenheiten sind die Ausnahme, doch sie sind markant. Böll schreibt im Juli 1971, die Radikalisierung der Linken sehr gut zu verstehen, "da nichts, nichts geschieht, wenn nicht Krach geschlagen wird", was Kopelew zurückweist: "Fanatiker aller Farben und aller Himmelsrichtungen sind letzten Endes alle gleich gefährlich." Böll besteht seinerseits darauf, dass keine Rivalität im Leiden aufgebaut werde, weil ihn der "Stolz auf die sowjetische Passion" mancher Dissidenten wie Alexander Solschenizyn nervt. Kopelew scheint ihm gefährdet, mit dem Antikommunismus "der anderen", gemeint sind die Kreise um Franz Josef Strauß, zu sympathisieren.
Böll versucht darzulegen, dass der Westen keineswegs als gelobtes Land erachtet werden dürfe. Die vor Ort miterlebte Niederschlagung des Prager Frühlings lässt ihn pessimistisch in die Zukunft sehen: "Denk ich an die Alternative Nixon-Humphrey, an das Negerproblem in den USA, an Südamerika, Vietnam, Biafra - was wird noch alles kommen, und da regen sie sich hier über die ,Pille' auf." Willy Brandt nennt er 1970 die "letzte Hoffnung". Dessen Rücktritt vier Jahre später wirkt auf ihn niederschmetternd: "Die Reaktion marschiert!" Kopelew dagegen rühmt an Brandt die Einheit von geistreicher Intelligenz und "biederem Proletentum", ein Kerl sei das, "der auch richtig dreinhauen kann".
Eine derbe Seite hat indes auch dieser Briefwechsel. Kopelew lässt seinen feinen Stil fahren angesichts eines Konkurrenten wie Lew Ginsburg, mit dem er sich überworfen hat: "diese Kröte", "ein ganz gewissenloser Arschkriecher". Böll greift gern zu skatalogischem Vokabular: "Scheißkarren"; "Scheißbier"; "Nachkriegsscheiße". Gerade dieses Ungeglättete jedoch, diese erregte Unmittelbarkeit verleiht dem von Elsbeth Zylla bestens erschlossenen und von Karl Schlögel mit einem hervorragend "die Geschichte des langen Endes einer langen Nachkriegszeit mit all ihren mäandernden Bewegungen, trostlosen Beschwernissen und winzigen Hoffnungsschimmern" evozierenden Vorwort versehenen Briefwechsel seinen ganz eigenen, herben Charakter.
Man kann das Buch als Zeitdokument lesen, aber auch als Liebesroman zweier Königskinder. Sehnsucht nämlich ist der Generalbass: Vom ersten Brief an ist der Gegenbesuch der Kopelews in Deutschland angedacht, der immer wieder erbeten, geplant und verschoben wird, während die Bölls den russischen Freunden noch sechs weitere Besuche abstatten, bis es viele Jahre später zur dramatischen Zuspitzung kommt. Böll setzt ab 1977 alle Hebel in Bewegung, um den bedrängten Kopelew aus der Sowjetunion herauszubekommen, was nach mehreren Rückschlägen im Jahre 1980 endlich gelingt. Kopelew glaubte, sich die Rückkehr offenhalten zu können, doch Böll ahnte, dass es ein Abschied für immer sein würde. Tatsächlich folgte die Ausbürgerung auf den Fuß. Letztlich aber behielten beide recht, denn das von Böll nicht mehr erlebte Zerbröckeln der Sowjetunion, an dem die beiden Weltbürger ihren kleinen Anteil hatten, wischte auch diese scheinbare Endgültigkeit hinweg, und Kopelew konnte noch dreimal vor seinem Tod 1997 in seine Heimat reisen. Dieser Briefwechsel allerdings endet bereits im März 1982 so schön wie ein Briefwechsel nur enden kann, denn Böll stellt ihn ein mit den Worten: "Ich bin egoistisch (und patriotisch) genug, um zu seufzen: Gut, dass Du hier bist."
OLIVER JUNGEN
Heinrich Böll, Lew Kopelew: "Briefwechsel".
Hrsg. von Elsbeth Zylla. Mit einem Essay von Karl Schlögel. Steidl Verlag, Göttingen 2011. 752 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Korrespondenz der beiden Weltbürger Lew Kopelew und Heinrich Böll bietet Rezensent Oliver Jungen neben zeitdokumentarisch Bedeutsamem (zwei spitze Federn gegen den Kalten Krieg) und einer Sehnsucht auf höchstem Niveau auch befreiend Alltägliches und Derbes. So notiert Jungen Bölls Gejammer über konservative Medien, hohe Westmieten und, weniger speziell, über die ganze "Nachkriegsscheiße" und Kopelews Ausfälle gegen arschkriechende Kollegen. Sonst, meint er, herrscht Sonnenschein, Kopelew weiß, wie man dem Kollegen Honig um den Bart schmiert. Gerade dies Unglatte gefällt Jungen an dem von Elsbeth Zylla erschlossenen Briefwechsel, der leider 1982 schon endet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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