Produktdetails
- Verlag: John Murray Publishers Ltd
- ISBN-13: 9781848540446
- Artikelnr.: 23484420
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2008Ihr wollt Tatsachen? Selber schuld!
James Frey wurde mit gefälschten Memoiren berühmt. Jetzt hat er einen doppelbödigen Roman geschrieben, in dem er sich nach allen Regeln der Kunst nicht um dieselben kümmert.
NEW YORK, im Juni
Ein Schelm ist er also auch. "Nichts in diesem Buch sollte als akkurat und glaubwürdig angesehen werden." So stimmt James Frey seine Leser, die er vor zweieinhalb Jahren mit einem Memoirenband spektakulär betrogen hat, auf seinen ersten Roman ein und macht nebenbei aus einem großen Betrug einen kleinen Witz. Vielleicht reicht er auch augenzwinkernd eine Erklärung nach. Denn in etwas ausführlicherer Lesart heißt das nur: Leute, habt euch nicht so! Damals, als ich euch mit meinen Alkoholproblemen und meiner Drogenabhängigkeit schockte, als mich Oprah auf die Couch holte und ihr dann vier Millionen Exemplare von "A Million Little Pieces" gekauft habt, bevor ich gestehen musste, dass vieles davon einfach geflunkert war, auch damals wollte ich doch bloß Geschichten erzählen. Ob sie tatsächlich stattgefunden haben, tut wirklich nichts zur Sache. Allein, was da geschrieben steht, soll euch beschäftigen. Allein, ob ich ein guter oder schlechter Schriftsteller bin, sollt ihr entscheiden.
Und? Erst einmal: Von der Erlösungsgeschichte des James Frey, von seinem existentiellen Kampf gegen böse Mächte des Lebens und seinem Sieg über sie ist in "Bright Shiny Morning" nichts mehr direkt zu erfahren. Frey hat Los Angeles im Visier. Dazu nimmt er sich an Robert Altmans Collagetechnik ein Beispiel und lässt, à la "Short Cuts", vier Erzählstränge nebeneinander herlaufen, die er auch auf den letzten Seiten nicht verknotet. Die Hauptrolle spielt nämlich die Stadt, und die löst sich immer wieder von Figuren und Handlung. Knappe, manchmal nur zwei Zeilen lange, auf sonst leeren Seiten prangende Eintragungen informieren uns im quasienzyklopädischen Ton über Los Angeles und seine Geschichte.
Als wäre das nicht schon Abwechslung genug, stellt Frey endlose Listen über den örtlichen Waffenbesitz, über Streetgangs, Highways, Touristenattraktionen, ja sogar Naturkatastrophen zusammen. Manches listet er unter "Fun Facts" auf, manches unter "Facts Not So Fun". Mit einer solchen Informationsmasse lassen sich, zumal luftig bedruckt, auch 501 Seiten bequem füllen. Bei diesem Autor können freilich Listen nicht mehr nur Listen sein. Sie lesen sich wie Freys Antwort auf den Memoirenskandal. Sie sind so etwas wie seine Retourkutsche: Ihr wollt Fakten? Hier sind Fakten. Selbst dieser Tatsachenwust ist anscheinend aber nicht hundertprozentig hieb- und stichfest. Inzwischen hat Frey erklärt, einiges davon sei wahr, einiges nicht. Wie gehabt: Frey bleibt frech.
Ganz bestimmt nicht wahr sind die vier Hauptgeschichten. Da gibt es den Hollywoodstar, der unterm sorgsam inszenierten Familienidyll ein sexuelles Geheimnis verbirgt. Da ist das jung verliebte Paar aus Ohio, das in üble Gesellschaft gerät, nicht viel anders als der Penner, der eine Toilette im passend verrückten Stadtteil Venice sein Zuhause nennt und sich sein Paradies aus Sand und Chablis erträumt. Schließlich ist da die mexikanische Haushälterin, ein liebes junges Ding, das sich mit einer tyrannischen Alten herumschlagen muss, aber mit der Liebe des Sohns der Alten belohnt wird.
Nichts wird von Frey in diesem scharf gewürzten Eintopf verrührt. Aber egal, wie lange der Leser an den einzelnen Brocken herumkaut, sie schmecken nach Klischees. Eine Haushälterin namens Esperanza. Naive Provinzler in den Klauen einer gnadenlosen Stadt. Ein Star, der nicht zugeben darf, dass er schwul ist. Ein Penner als Lebenskünstler. Ist das alles, was dem Bestsellermemoiristen für einen Vorschuss von anderthalb Millionen Dollar eingefallen ist? Ein grässlicher Roman, stöhnte der Kritiker der "Los Angeles Times", ein schreckliches, schlecht geschriebenes und erdachtes Buch, eines der schlechtesten, die er je gelesen habe. Los Angeles werde wie in einem billigen Hollywoodfilm gezeigt, als eine Ansammlung flüchtiger Eindrücke, die sich zu keinem Ganzen fügen.
Als "pretty good read" empfahl "Time" dagegen das Buch weiter, und in der "New York Times" geriet Janet Maslin geradezu aus dem Rezensentenhäuschen angesichts des "big book" eines "rasend guten Geschichtenerzählers". Wer hat nun recht? Die abgemessene und gut belegbare Reaktion auf den Roman bestünde darin, mal dem Mann aus Los Angeles und mal der Frau aus New York zuzustimmen, mal dem Schriftsteller kräftig eins aufs Dach zu geben, weil er in der Tat keine noch so abgedroschene Formel verschmäht, um sein zersplittertes Stadtpanorama in den knalligsten Farben zu entfalten, und mal ihn für die Unerschrockenheit zu loben, mit der er die gefundenen und erfundenen Splitter auf die Buchseiten knallt.
Aber die Wahrheit liegt diesmal nicht in der Mitte. Frey hat ein Buch geschrieben, das gerade in seiner Klischee- und Formelhaftigkeit zu sich selbst findet. Es strotzt vor manieristischer Arroganz in seinem Stilwillen, in seinen Interpunktionsschrullen und Repetitionskaskaden, in seiner Lakonie auf den wahrlich gut gesicherten Spuren Hemingways und seiner unverschämten Lässigkeit, mit der es die stilistische Komplexität eines Joyce trivialisiert und verpopt. Dabei wird es seinerseits zum idealen Objekt für Parodisten.
In seinem Kern aber ist "Bright Shiny Morning" Appropriation Art, gezieltes Plagiat, das vom Cartoon bis zum Pulp nie unter die Oberfläche schaut und dabei unbeirrt dem Willen zur Banalität folgt. Alles wird von außen beschrieben, Innenwelten sind tabu. Nur zum Schluss gibt es einen Ausrutscher ins didaktische Melodram, den Versuch einer Zusammenfassung, die pathetisch und peinlich die Stadt als unwiderstehlich magnetische Zerstörerin und Erfüllerin von Träumen zu verklären meint. Sonst aber gilt: "Selbst wenn du versuchst, dich abzuwenden, kannst du's nicht tun, wenn du versuchst, es zu ignorieren, wirst du's nicht schaffen. Weißt du auch, warum? Weil es stark, urkomisch, abscheulich, weil es ein verdammter Wirrwarr ist und weil du dich danach immer besser fühlst." Frey meint da unsere Skandalsucht. Es trifft auch auf seinen Roman zu.
JORDAN MEJIAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
James Frey wurde mit gefälschten Memoiren berühmt. Jetzt hat er einen doppelbödigen Roman geschrieben, in dem er sich nach allen Regeln der Kunst nicht um dieselben kümmert.
NEW YORK, im Juni
Ein Schelm ist er also auch. "Nichts in diesem Buch sollte als akkurat und glaubwürdig angesehen werden." So stimmt James Frey seine Leser, die er vor zweieinhalb Jahren mit einem Memoirenband spektakulär betrogen hat, auf seinen ersten Roman ein und macht nebenbei aus einem großen Betrug einen kleinen Witz. Vielleicht reicht er auch augenzwinkernd eine Erklärung nach. Denn in etwas ausführlicherer Lesart heißt das nur: Leute, habt euch nicht so! Damals, als ich euch mit meinen Alkoholproblemen und meiner Drogenabhängigkeit schockte, als mich Oprah auf die Couch holte und ihr dann vier Millionen Exemplare von "A Million Little Pieces" gekauft habt, bevor ich gestehen musste, dass vieles davon einfach geflunkert war, auch damals wollte ich doch bloß Geschichten erzählen. Ob sie tatsächlich stattgefunden haben, tut wirklich nichts zur Sache. Allein, was da geschrieben steht, soll euch beschäftigen. Allein, ob ich ein guter oder schlechter Schriftsteller bin, sollt ihr entscheiden.
Und? Erst einmal: Von der Erlösungsgeschichte des James Frey, von seinem existentiellen Kampf gegen böse Mächte des Lebens und seinem Sieg über sie ist in "Bright Shiny Morning" nichts mehr direkt zu erfahren. Frey hat Los Angeles im Visier. Dazu nimmt er sich an Robert Altmans Collagetechnik ein Beispiel und lässt, à la "Short Cuts", vier Erzählstränge nebeneinander herlaufen, die er auch auf den letzten Seiten nicht verknotet. Die Hauptrolle spielt nämlich die Stadt, und die löst sich immer wieder von Figuren und Handlung. Knappe, manchmal nur zwei Zeilen lange, auf sonst leeren Seiten prangende Eintragungen informieren uns im quasienzyklopädischen Ton über Los Angeles und seine Geschichte.
Als wäre das nicht schon Abwechslung genug, stellt Frey endlose Listen über den örtlichen Waffenbesitz, über Streetgangs, Highways, Touristenattraktionen, ja sogar Naturkatastrophen zusammen. Manches listet er unter "Fun Facts" auf, manches unter "Facts Not So Fun". Mit einer solchen Informationsmasse lassen sich, zumal luftig bedruckt, auch 501 Seiten bequem füllen. Bei diesem Autor können freilich Listen nicht mehr nur Listen sein. Sie lesen sich wie Freys Antwort auf den Memoirenskandal. Sie sind so etwas wie seine Retourkutsche: Ihr wollt Fakten? Hier sind Fakten. Selbst dieser Tatsachenwust ist anscheinend aber nicht hundertprozentig hieb- und stichfest. Inzwischen hat Frey erklärt, einiges davon sei wahr, einiges nicht. Wie gehabt: Frey bleibt frech.
Ganz bestimmt nicht wahr sind die vier Hauptgeschichten. Da gibt es den Hollywoodstar, der unterm sorgsam inszenierten Familienidyll ein sexuelles Geheimnis verbirgt. Da ist das jung verliebte Paar aus Ohio, das in üble Gesellschaft gerät, nicht viel anders als der Penner, der eine Toilette im passend verrückten Stadtteil Venice sein Zuhause nennt und sich sein Paradies aus Sand und Chablis erträumt. Schließlich ist da die mexikanische Haushälterin, ein liebes junges Ding, das sich mit einer tyrannischen Alten herumschlagen muss, aber mit der Liebe des Sohns der Alten belohnt wird.
Nichts wird von Frey in diesem scharf gewürzten Eintopf verrührt. Aber egal, wie lange der Leser an den einzelnen Brocken herumkaut, sie schmecken nach Klischees. Eine Haushälterin namens Esperanza. Naive Provinzler in den Klauen einer gnadenlosen Stadt. Ein Star, der nicht zugeben darf, dass er schwul ist. Ein Penner als Lebenskünstler. Ist das alles, was dem Bestsellermemoiristen für einen Vorschuss von anderthalb Millionen Dollar eingefallen ist? Ein grässlicher Roman, stöhnte der Kritiker der "Los Angeles Times", ein schreckliches, schlecht geschriebenes und erdachtes Buch, eines der schlechtesten, die er je gelesen habe. Los Angeles werde wie in einem billigen Hollywoodfilm gezeigt, als eine Ansammlung flüchtiger Eindrücke, die sich zu keinem Ganzen fügen.
Als "pretty good read" empfahl "Time" dagegen das Buch weiter, und in der "New York Times" geriet Janet Maslin geradezu aus dem Rezensentenhäuschen angesichts des "big book" eines "rasend guten Geschichtenerzählers". Wer hat nun recht? Die abgemessene und gut belegbare Reaktion auf den Roman bestünde darin, mal dem Mann aus Los Angeles und mal der Frau aus New York zuzustimmen, mal dem Schriftsteller kräftig eins aufs Dach zu geben, weil er in der Tat keine noch so abgedroschene Formel verschmäht, um sein zersplittertes Stadtpanorama in den knalligsten Farben zu entfalten, und mal ihn für die Unerschrockenheit zu loben, mit der er die gefundenen und erfundenen Splitter auf die Buchseiten knallt.
Aber die Wahrheit liegt diesmal nicht in der Mitte. Frey hat ein Buch geschrieben, das gerade in seiner Klischee- und Formelhaftigkeit zu sich selbst findet. Es strotzt vor manieristischer Arroganz in seinem Stilwillen, in seinen Interpunktionsschrullen und Repetitionskaskaden, in seiner Lakonie auf den wahrlich gut gesicherten Spuren Hemingways und seiner unverschämten Lässigkeit, mit der es die stilistische Komplexität eines Joyce trivialisiert und verpopt. Dabei wird es seinerseits zum idealen Objekt für Parodisten.
In seinem Kern aber ist "Bright Shiny Morning" Appropriation Art, gezieltes Plagiat, das vom Cartoon bis zum Pulp nie unter die Oberfläche schaut und dabei unbeirrt dem Willen zur Banalität folgt. Alles wird von außen beschrieben, Innenwelten sind tabu. Nur zum Schluss gibt es einen Ausrutscher ins didaktische Melodram, den Versuch einer Zusammenfassung, die pathetisch und peinlich die Stadt als unwiderstehlich magnetische Zerstörerin und Erfüllerin von Träumen zu verklären meint. Sonst aber gilt: "Selbst wenn du versuchst, dich abzuwenden, kannst du's nicht tun, wenn du versuchst, es zu ignorieren, wirst du's nicht schaffen. Weißt du auch, warum? Weil es stark, urkomisch, abscheulich, weil es ein verdammter Wirrwarr ist und weil du dich danach immer besser fühlst." Frey meint da unsere Skandalsucht. Es trifft auch auf seinen Roman zu.
JORDAN MEJIAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main