Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.1997Der Jungbrunnen des Volkes
Eine erschöpfende Studie über die deutsche Landwirtschaft der Hitler-Zeit
Gustavo Corni, Horst Gies: Brot Butter Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers. Akademie Verlag, Berlin 1997. 644 Seiten, 124,- Mark.
Im Frühjahr 1941 schreibt Goebbels in sein Tagebuch: "Wenn nur die diesjährige Ernte gut wird. Und dann wollen wir uns ja im Osten gesundstoßen." Hitlers Propagandaminister wußte nur zu gut, wie wichtig es ist, die Bevölkerung im Krieg ausreichend zu ernähren. Die Hungerkatastrophe in den letzten anderthalb Jahren des Ersten Weltkrieges, die nach Ansicht der Nationalsozialisten den Zusammenbruch der Heimatfront verursacht und der "im Felde unbesiegten" Truppe den tödlichen Dolchstoß in den Rücken versetzt hatte, sollte sich unter keinen Umständen wiederholen.
Fast wäre es dennoch abermals dahin gekommen. Im letzten Kriegswinter 1944/45 jedenfalls "war die Ernährungslage in Deutschland . . . sehr gespannt", wie die Historiker Corni und Gies in ihrer Untersuchung resümieren, "in einigen Bereichen sogar dramatisch". Verglichen mit der Lage am Ende des Ersten Weltkriegs jedoch war nach Ansicht der beiden Autoren "die Situation der Lebensmittelversorgung erstaunlich stabil, vor allem auch vor dem Hintergrund der mentalen und materiellen Verwüstungen, die das ,Dritte Reich' angerichtet hatte, und unter Berücksichtigung der Verhältnisse, die durch die nach Deutschland strömenden Flüchtlinge, Kriegsteilnehmer und Vertriebenen herbeigeführt wurden". Allerdings ging diese relative "Stabilität" zu einem beträchtlichen Teil auf Kosten der im Krieg besetzten Staaten, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mehr oder weniger rücksichtslos ausgeplündert wurden.
Trotzdem reichte es hinten und vorne nicht, denn "was den qualitativen und quantitativen Wert der an die Zivilbevölkerung des Deutschen Reiches verteilten Lebensmittel betrifft", so haben Corni und Gies festgestellt, ist "das durchschnittliche Ernährungsniveau während der Kriegsjahre" unaufhaltsam gesunken; von "gesundstoßen", wie Goebbels 1941 zynisch frohlockt hatte, konnte schon gar nicht die Rede sein. Die Ergebnisse der Ausbeutungspolitik waren insgesamt enttäuschend, und was die Leistungen der eigenen Landwirtschaft anging, so mußte das NS-Regime schon bald erkennen, daß es unmöglich war, "die heimische Produktion unter den Bedingungen des Krieges stabil zu halten oder gar zu steigern". Nach und nach mußten nicht nur die Rationen gekürzt werden, sondern ging auch die Qualität der Nahrungsmittel zurück. "Ihr Kalorienwert sank unter das Existenzminimum", berichten Conti und Gies.
Um so erstaunlicher finden es die beiden, daß die Bevölkerung trotzdem dem Regime fast bis zuletzt "die Treue hielt" und daß die landwirtschaftliche Produktion nicht zusammenbrach. "Bauern, Landwirte und die Funktionsträger des Reichsnährstandes leisteten so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilität des Regimes bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und Besetzung durch die Alliierten", urteilen Corni und Gies. Ein bisher selten geäußerter Befund, doch er wird in dem Buch ausführlich und überzeugend begründet. Nun, da die beiden Historiker diese Seite der nationalsozialistischen Herrschaft wirklich umfassend behandeln, wird einem erst bewußt, daß da eine ziemlich große Lücke in der zeitgeschichtlichen Forschung klaffte.
Viel ist über die von Hitler betriebene Aufrüstung Deutschlands geschrieben worden, über seine aggressive Expansionspolitik, über die Errichtung und Perfektionierung des totalitären Systems im Inneren des Reiches; aber die Bedeutung der Landwirtschaft, nach Ansicht der Verfasser eine der wichtigsten Säulen des NS-Regimes, wurde offensichtlich unterschätzt. Corni und Gies waren jedenfalls erstaunt, als sie beim Studium einer von der Forschung ihrer Meinung nach bisher weitgehend vernachlässigten reichen archivalischen Quellenüberlieferung feststellen mußten, "daß der bedeutende historische Faktor der Agrar- und Ernährungswissenschaft innerhalb der umfangreichen Literatur zum ,Dritten Reich' stark unterrepräsentiert ist. Die völlig unzureichende Aufmerksamkeit, die die deutsche und internationale Historiographie diesem Thema gewidmet hat, war eines der Motive, das die Autoren dieser Studie herausgefordert hat, ihre seit vielen Jahren andauernden Forschungsaktivitäten zu bündeln".
Mit diesem Zitat ist zugleich die Frage beantwortet, wieso zwei Historiker verschiedener nationaler Herkunft und unterschiedlicher Generation sich entschlossen, gemeinsam ein Buch zu verfassen. Das ist immer ein riskantes Unterfangen, weil die Gefahr besteht, daß zwei nicht richtig zusammenpassende Teile das angestrebte gemeinsame Werk auseinanderfallen lassen. In diesem Fall ist jedoch ein Bruch nicht zu bemerken; es ist ein Buch wie aus einem Guß entstanden. Gustavo Corti aus Triest war 1992 dank eines Stipendiums der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Berlin. Während dieser Zeit hat er dort Horst Gies getroffen, und nach vielen intensiven Gesprächen haben die beiden schließlich die Idee geboren, gemeinsam die nun vorliegende Studie zu verfassen. Wer von den beiden was geschrieben hat, ist in der Einleitung nachzulesen. Wenn es dort nicht verzeichnet wäre, würde es der Leser allerdings gar nicht merken, so gut haben sich die beiden aufeinander eingestellt.
Die Autoren haben viel Mühe und Arbeit auf ihr Buch verwendet, aber auch dem Leser wird einiges abverlangt an Durchhaltevermögen, bis er die 600 Seiten Text bewältigt hat, von den unzähligen Fußnoten zu schweigen. Die Autoren haben allerdings Interessenten das Studium insofern etwas erleichtert, als sie an das Ende jedes größeren Abschnitts eine Zusammenfassung gestellt haben. Wem es also mit den Einzelheiten der NS-Agrarpolitik gar zu viel wird, kann sich an diese Zusammenfassungen halten. Er muß dann allerdings in Kauf nehmen, daß ihm mancher für das Verständnis der Haupthandlung wichtige Nebenaspekt und auch manche Kuriosität der NS-Agrarpolitik entgehen. Am Schluß des Buches wird überdies auch noch ein Gesamtresümee gezogen.
Corni und Gies sehen drei Phasen der Hitlerschen Ernährungswirtschaft und Agrarpolitik. Die erste umfaßt die Jahre von 1933 bis 1936 mit den grundlegenden Gesetzen zum Reichsnährstand, zur Marktregelung, zu Erbhöfen, Entschuldungs- und Siedlungsfragen; mit Einkommenszuwächsen der Landwirtschaft durch Preissteigerungen für ihre Erzeugnisse und zunehmend sichtbar werdenden ernährungswirtschaftlichen Engpässen, die auch durch "Erzeugungsschlachten" (man beachte das kriegerische Vokabular) und zweiseitige Handelsverträge nicht behoben werden konnten. In die zweite Phase von 1936 bis 1939 fällt die Einbeziehung der Land- und Ernährungswirtschaft in den neuen Vierjahresplan mit seinem absoluten Vorrang für Industrialisierung und Aufrüstung, werden weitere Reglementierungen zur Steigerung der Agrarproduktion eingeführt, werden Warenlenkung und Konsumsteuerung verstärkt, verliert der Reichsnährstand deutlich an Einfluß. In der dritten Phase zwischen 1939 und 1945 schließlich folgt die Einbindung der ernährungswirtschaftlichen Produktions- und Marktregelungen in die total gelenkte Kriegswirtschaft.
Am spannendsten lesen sich die Kapitel, in denen die Kriegsjahre beschrieben werden. Da wurde es dramatisch, obwohl Corni und Gies sagen: "Im internationalen Vergleich war die Agrarpolitik des ,Dritten Reiches' . . . bei weitem am besten auf die Belange der Kriegswirtschaft eingestellt." Tatsächlich verlief die Versorgung der Bevölkerung denn auch bis zum Herbst und Winter 1944/45 in einigermaßen geordneten Bahnen, wenngleich die Rationen nach und nach herabgesetzt werden mußten. "Die bis zum Schluß andauernde und das Leid duldsam ertragende Loyalität großer Teile der Bevölkerung dem Regime gegenüber hat nicht zuletzt in dieser Versorgungssituation ihren Grund", befinden die Autoren. Selbst als die militärische Lage Deutschlands immer katastrophaler wurde und die deutsche Ernährungswirtschaft wie ein Kartenhaus zusammenbrach, hielt sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Grenzen. Corni und Gies nehmen an, daß die Militarisierung der Gesellschaft, Disziplin, Pflichtbewußtsein, das Zusammenstehen in der Not und wahrscheilich auch der Vergleich mit der viel schlechteren Ernährungslage in anderen Staaten, vor allem in Osteuropa, dämpfend gewirkt haben.
Dagegen sollten jene, die nicht begreifen können, warum ausgerechnet so viele Bauern bis zum bitteren Ende dem Regime ergeben blieben, vor allem die ersten Abschnitte des Buches lesen, in denen beschrieben wird, wie es der NSDAP gelang, die Landwirte mit allerlei materiellen Versprechungen und rattenfängerhaften Schmeicheleien (ihr seid der "Jungbrunnen des Volkes") zu umgarnen und nach und nach fast vollständig in ihr Lager zu ziehen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel gab es Dörfer, in denen schließlich sämtliche Bauern in der Partei waren. Als die Engländer dort nach dem Krieg neue Bürgermeister einsetzen wollten, mußten sie deswegen nicht selten ortsfremde Leute zu Gemeindevorstehern ernennen. Die einst "grüne Front" war oft schon vor 1933 und erst recht danach ziemlich braun geworden.
Breit, vielleicht etwas zu breit werden die persönlichen Querelen der führenden Männer im Reichsnährstand und in der Reichsbauernschaft, die Machtkämpfe zwischen dem Wirtschafts- und dem Ernährungsministerium und den diversen Parteiorganisationen dargestellt. Doch sind diese Geschichten gleichwohl nicht unerheblich, weil sie ein weiterer Beleg für die auch von anderen Historikern schon beschriebene Tatsache sind, daß selbst in einem totalitären Staat ein kaum zu fassender Kompetenzwirrwarr herrschen kann, der erst lähmend und dann selbstzerstörerisch wirken mußte.
Brot, Butter, Kanonen - der Titel des Buches mag manchem abgegriffen und banal vorkommen, doch ist in diesen drei Worten alles enthalten, was die Ernährungspolitik im "Dritten Reich" letztlich bestimmt hat: Die vom Regime angestrebte Autarkie, was Getreide angeht (Stichwort Brot), wurde trotz aller "Erzeugungsschlachten" nie erreicht; die "Fettlücke" (Butter) konnte erst recht nicht geschlossen werden; und wegen der Rüstung (Kanonen), die für Hitler stets wichtiger war als alles andere, erhielt die Landwirtschaft während seiner Herrschaft nur einen Bruchteil der Mittel, die ihr "der Führer" einst versprochen hatte.
So setzte, wie Corni und Gies in ihrem Resümee bemerken, "der eigentliche Modernisierungsschub in der deutschen Landwirtschaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit exorbitanten Steigerungsraten bei den Hektarerträgen, mit der Konzentration bei den Betriebsgrößenklassen, der Produktivität in der Vieh- und Veredelungswirtschaft sowie mit der Mechanisierung der Produktionsprozesse ein". Das hat dann allerdings auch nicht mehr viel ändern können an dem schon seit Anfang des Jahrhunderts im Gange befindlichen Bedeutungsverlust der Landwirtschaft in Wirtschaft und Gesellschaft. So kam es, wie die Autoren, den Bogen bis zur Gegenwart schlagend, abschließen, zu "eklatanten Mißverständnissen, die Folgewirkungen bis hin zu der anfänglich als großartigen Erfolg gepriesenen, inzwischen aber immer mehr umstrittenen EG-Agrarmarktordnung zeitigten".
Doch das wäre der Stoff für ein weiteres Buch. Das hier vorgestellte ist übrigens nicht nur vom Inhalt her schwergewichtig, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes: Es wiegt nicht weniger als anderthalb Kilo. KLAUS NATORP
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Eine erschöpfende Studie über die deutsche Landwirtschaft der Hitler-Zeit
Gustavo Corni, Horst Gies: Brot Butter Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers. Akademie Verlag, Berlin 1997. 644 Seiten, 124,- Mark.
Im Frühjahr 1941 schreibt Goebbels in sein Tagebuch: "Wenn nur die diesjährige Ernte gut wird. Und dann wollen wir uns ja im Osten gesundstoßen." Hitlers Propagandaminister wußte nur zu gut, wie wichtig es ist, die Bevölkerung im Krieg ausreichend zu ernähren. Die Hungerkatastrophe in den letzten anderthalb Jahren des Ersten Weltkrieges, die nach Ansicht der Nationalsozialisten den Zusammenbruch der Heimatfront verursacht und der "im Felde unbesiegten" Truppe den tödlichen Dolchstoß in den Rücken versetzt hatte, sollte sich unter keinen Umständen wiederholen.
Fast wäre es dennoch abermals dahin gekommen. Im letzten Kriegswinter 1944/45 jedenfalls "war die Ernährungslage in Deutschland . . . sehr gespannt", wie die Historiker Corni und Gies in ihrer Untersuchung resümieren, "in einigen Bereichen sogar dramatisch". Verglichen mit der Lage am Ende des Ersten Weltkriegs jedoch war nach Ansicht der beiden Autoren "die Situation der Lebensmittelversorgung erstaunlich stabil, vor allem auch vor dem Hintergrund der mentalen und materiellen Verwüstungen, die das ,Dritte Reich' angerichtet hatte, und unter Berücksichtigung der Verhältnisse, die durch die nach Deutschland strömenden Flüchtlinge, Kriegsteilnehmer und Vertriebenen herbeigeführt wurden". Allerdings ging diese relative "Stabilität" zu einem beträchtlichen Teil auf Kosten der im Krieg besetzten Staaten, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mehr oder weniger rücksichtslos ausgeplündert wurden.
Trotzdem reichte es hinten und vorne nicht, denn "was den qualitativen und quantitativen Wert der an die Zivilbevölkerung des Deutschen Reiches verteilten Lebensmittel betrifft", so haben Corni und Gies festgestellt, ist "das durchschnittliche Ernährungsniveau während der Kriegsjahre" unaufhaltsam gesunken; von "gesundstoßen", wie Goebbels 1941 zynisch frohlockt hatte, konnte schon gar nicht die Rede sein. Die Ergebnisse der Ausbeutungspolitik waren insgesamt enttäuschend, und was die Leistungen der eigenen Landwirtschaft anging, so mußte das NS-Regime schon bald erkennen, daß es unmöglich war, "die heimische Produktion unter den Bedingungen des Krieges stabil zu halten oder gar zu steigern". Nach und nach mußten nicht nur die Rationen gekürzt werden, sondern ging auch die Qualität der Nahrungsmittel zurück. "Ihr Kalorienwert sank unter das Existenzminimum", berichten Conti und Gies.
Um so erstaunlicher finden es die beiden, daß die Bevölkerung trotzdem dem Regime fast bis zuletzt "die Treue hielt" und daß die landwirtschaftliche Produktion nicht zusammenbrach. "Bauern, Landwirte und die Funktionsträger des Reichsnährstandes leisteten so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilität des Regimes bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und Besetzung durch die Alliierten", urteilen Corni und Gies. Ein bisher selten geäußerter Befund, doch er wird in dem Buch ausführlich und überzeugend begründet. Nun, da die beiden Historiker diese Seite der nationalsozialistischen Herrschaft wirklich umfassend behandeln, wird einem erst bewußt, daß da eine ziemlich große Lücke in der zeitgeschichtlichen Forschung klaffte.
Viel ist über die von Hitler betriebene Aufrüstung Deutschlands geschrieben worden, über seine aggressive Expansionspolitik, über die Errichtung und Perfektionierung des totalitären Systems im Inneren des Reiches; aber die Bedeutung der Landwirtschaft, nach Ansicht der Verfasser eine der wichtigsten Säulen des NS-Regimes, wurde offensichtlich unterschätzt. Corni und Gies waren jedenfalls erstaunt, als sie beim Studium einer von der Forschung ihrer Meinung nach bisher weitgehend vernachlässigten reichen archivalischen Quellenüberlieferung feststellen mußten, "daß der bedeutende historische Faktor der Agrar- und Ernährungswissenschaft innerhalb der umfangreichen Literatur zum ,Dritten Reich' stark unterrepräsentiert ist. Die völlig unzureichende Aufmerksamkeit, die die deutsche und internationale Historiographie diesem Thema gewidmet hat, war eines der Motive, das die Autoren dieser Studie herausgefordert hat, ihre seit vielen Jahren andauernden Forschungsaktivitäten zu bündeln".
Mit diesem Zitat ist zugleich die Frage beantwortet, wieso zwei Historiker verschiedener nationaler Herkunft und unterschiedlicher Generation sich entschlossen, gemeinsam ein Buch zu verfassen. Das ist immer ein riskantes Unterfangen, weil die Gefahr besteht, daß zwei nicht richtig zusammenpassende Teile das angestrebte gemeinsame Werk auseinanderfallen lassen. In diesem Fall ist jedoch ein Bruch nicht zu bemerken; es ist ein Buch wie aus einem Guß entstanden. Gustavo Corti aus Triest war 1992 dank eines Stipendiums der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Berlin. Während dieser Zeit hat er dort Horst Gies getroffen, und nach vielen intensiven Gesprächen haben die beiden schließlich die Idee geboren, gemeinsam die nun vorliegende Studie zu verfassen. Wer von den beiden was geschrieben hat, ist in der Einleitung nachzulesen. Wenn es dort nicht verzeichnet wäre, würde es der Leser allerdings gar nicht merken, so gut haben sich die beiden aufeinander eingestellt.
Die Autoren haben viel Mühe und Arbeit auf ihr Buch verwendet, aber auch dem Leser wird einiges abverlangt an Durchhaltevermögen, bis er die 600 Seiten Text bewältigt hat, von den unzähligen Fußnoten zu schweigen. Die Autoren haben allerdings Interessenten das Studium insofern etwas erleichtert, als sie an das Ende jedes größeren Abschnitts eine Zusammenfassung gestellt haben. Wem es also mit den Einzelheiten der NS-Agrarpolitik gar zu viel wird, kann sich an diese Zusammenfassungen halten. Er muß dann allerdings in Kauf nehmen, daß ihm mancher für das Verständnis der Haupthandlung wichtige Nebenaspekt und auch manche Kuriosität der NS-Agrarpolitik entgehen. Am Schluß des Buches wird überdies auch noch ein Gesamtresümee gezogen.
Corni und Gies sehen drei Phasen der Hitlerschen Ernährungswirtschaft und Agrarpolitik. Die erste umfaßt die Jahre von 1933 bis 1936 mit den grundlegenden Gesetzen zum Reichsnährstand, zur Marktregelung, zu Erbhöfen, Entschuldungs- und Siedlungsfragen; mit Einkommenszuwächsen der Landwirtschaft durch Preissteigerungen für ihre Erzeugnisse und zunehmend sichtbar werdenden ernährungswirtschaftlichen Engpässen, die auch durch "Erzeugungsschlachten" (man beachte das kriegerische Vokabular) und zweiseitige Handelsverträge nicht behoben werden konnten. In die zweite Phase von 1936 bis 1939 fällt die Einbeziehung der Land- und Ernährungswirtschaft in den neuen Vierjahresplan mit seinem absoluten Vorrang für Industrialisierung und Aufrüstung, werden weitere Reglementierungen zur Steigerung der Agrarproduktion eingeführt, werden Warenlenkung und Konsumsteuerung verstärkt, verliert der Reichsnährstand deutlich an Einfluß. In der dritten Phase zwischen 1939 und 1945 schließlich folgt die Einbindung der ernährungswirtschaftlichen Produktions- und Marktregelungen in die total gelenkte Kriegswirtschaft.
Am spannendsten lesen sich die Kapitel, in denen die Kriegsjahre beschrieben werden. Da wurde es dramatisch, obwohl Corni und Gies sagen: "Im internationalen Vergleich war die Agrarpolitik des ,Dritten Reiches' . . . bei weitem am besten auf die Belange der Kriegswirtschaft eingestellt." Tatsächlich verlief die Versorgung der Bevölkerung denn auch bis zum Herbst und Winter 1944/45 in einigermaßen geordneten Bahnen, wenngleich die Rationen nach und nach herabgesetzt werden mußten. "Die bis zum Schluß andauernde und das Leid duldsam ertragende Loyalität großer Teile der Bevölkerung dem Regime gegenüber hat nicht zuletzt in dieser Versorgungssituation ihren Grund", befinden die Autoren. Selbst als die militärische Lage Deutschlands immer katastrophaler wurde und die deutsche Ernährungswirtschaft wie ein Kartenhaus zusammenbrach, hielt sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Grenzen. Corni und Gies nehmen an, daß die Militarisierung der Gesellschaft, Disziplin, Pflichtbewußtsein, das Zusammenstehen in der Not und wahrscheilich auch der Vergleich mit der viel schlechteren Ernährungslage in anderen Staaten, vor allem in Osteuropa, dämpfend gewirkt haben.
Dagegen sollten jene, die nicht begreifen können, warum ausgerechnet so viele Bauern bis zum bitteren Ende dem Regime ergeben blieben, vor allem die ersten Abschnitte des Buches lesen, in denen beschrieben wird, wie es der NSDAP gelang, die Landwirte mit allerlei materiellen Versprechungen und rattenfängerhaften Schmeicheleien (ihr seid der "Jungbrunnen des Volkes") zu umgarnen und nach und nach fast vollständig in ihr Lager zu ziehen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel gab es Dörfer, in denen schließlich sämtliche Bauern in der Partei waren. Als die Engländer dort nach dem Krieg neue Bürgermeister einsetzen wollten, mußten sie deswegen nicht selten ortsfremde Leute zu Gemeindevorstehern ernennen. Die einst "grüne Front" war oft schon vor 1933 und erst recht danach ziemlich braun geworden.
Breit, vielleicht etwas zu breit werden die persönlichen Querelen der führenden Männer im Reichsnährstand und in der Reichsbauernschaft, die Machtkämpfe zwischen dem Wirtschafts- und dem Ernährungsministerium und den diversen Parteiorganisationen dargestellt. Doch sind diese Geschichten gleichwohl nicht unerheblich, weil sie ein weiterer Beleg für die auch von anderen Historikern schon beschriebene Tatsache sind, daß selbst in einem totalitären Staat ein kaum zu fassender Kompetenzwirrwarr herrschen kann, der erst lähmend und dann selbstzerstörerisch wirken mußte.
Brot, Butter, Kanonen - der Titel des Buches mag manchem abgegriffen und banal vorkommen, doch ist in diesen drei Worten alles enthalten, was die Ernährungspolitik im "Dritten Reich" letztlich bestimmt hat: Die vom Regime angestrebte Autarkie, was Getreide angeht (Stichwort Brot), wurde trotz aller "Erzeugungsschlachten" nie erreicht; die "Fettlücke" (Butter) konnte erst recht nicht geschlossen werden; und wegen der Rüstung (Kanonen), die für Hitler stets wichtiger war als alles andere, erhielt die Landwirtschaft während seiner Herrschaft nur einen Bruchteil der Mittel, die ihr "der Führer" einst versprochen hatte.
So setzte, wie Corni und Gies in ihrem Resümee bemerken, "der eigentliche Modernisierungsschub in der deutschen Landwirtschaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit exorbitanten Steigerungsraten bei den Hektarerträgen, mit der Konzentration bei den Betriebsgrößenklassen, der Produktivität in der Vieh- und Veredelungswirtschaft sowie mit der Mechanisierung der Produktionsprozesse ein". Das hat dann allerdings auch nicht mehr viel ändern können an dem schon seit Anfang des Jahrhunderts im Gange befindlichen Bedeutungsverlust der Landwirtschaft in Wirtschaft und Gesellschaft. So kam es, wie die Autoren, den Bogen bis zur Gegenwart schlagend, abschließen, zu "eklatanten Mißverständnissen, die Folgewirkungen bis hin zu der anfänglich als großartigen Erfolg gepriesenen, inzwischen aber immer mehr umstrittenen EG-Agrarmarktordnung zeitigten".
Doch das wäre der Stoff für ein weiteres Buch. Das hier vorgestellte ist übrigens nicht nur vom Inhalt her schwergewichtig, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes: Es wiegt nicht weniger als anderthalb Kilo. KLAUS NATORP
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