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Produktdetails
  • Verlag: Diederichs
  • Seitenzahl: 341
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 542g
  • ISBN-13: 9783720521864
  • ISBN-10: 3720521869
  • Artikelnr.: 24405835
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2001

Von Baum zu Baum mit der Verwandtschaft
Sie säen Zwietracht, ernten Gewalt, und dann haben auch noch Weibchen die Affenhosen an: Tatsachen aus dem Regenwald

Heimlich, still und leise haben sie sich angepirscht. Als das friedlich schmausende Schimpansenmännchen aus der Baumkrone herabschaut, ist es bereits zu spät. Die Eindringlinge aus dem benachbarten Revier vereiteln jeden Fluchtversuch und stürzen sich mit roher Gewalt auf ihren hilflosen Artgenossen. Sieben gegen einen, so beißen, schlagen und treten sie hemmungslos zu. Schließlich wird noch ein schwerer Steinbrocken auf den am Boden liegenden Körper geschleudert. Als die Bande dann weiterzieht, aufgeregt johlend und kreischend, bleibt ihr Opfer tödlich verletzt zurück. Ort des blutigen Schauspiels ist der Gombe-Nationalpark am Ostufer des Tanganjika-Sees.

Seit Jane Goodall 1960 begann, sich mit Fernglas und Notizblock durch den Regenwald am Gombe-Fluß zu kämpfen, werden dort Schimpansen in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet. So konnten die Forscher allmählich einen umfassenden Einblick in die Welt dieser Menschenaffen gewinnen. Auch die dunklen Seiten blieben auf Dauer nicht verborgen. Dem ersten Angriff auf ein Mitglied der Nachbargruppe folgten weitere. Und nicht nur im Gombe-Nationalpark, auch andernorts rotten sich Schimpansenmännchen bisweilen zusammen, um Jagd auf Artgenossen zu machen.

In ihrer grausigen Brutalität wirken diese Szenen doch seltsam vertraut - man denke nur an die rabiaten Schlägertrupps von Hooligans und Neonazis. So regt sich der Verdacht, daß wir ein entsprechendes Erbe mit unseren haarigen Verwandten teilen. Eine unbehagliche Vorstellung. Sollte eine unselige Neigung zu Gewalt tatsächlich derart tief in der Natur des Menschen verankert sein? Richard Wrangham, Professor für Anthropologie an der Harvard-Universität, versucht diese Frage auszuloten. Gemeinsam mit seinem britischen Koautor Dale Peterson gräbt er nach den biologischen Wurzeln des Menschengeschlechts. Aus gutem Grund steht der Schimpanse dabei im Mittelpunkt. Schließlich ist dieser Menschenaffe mit uns Menschen näher verwandt als mit dem Gorilla oder dem Orang-Utan. Molekulargenetische Analysen zeigen, daß wir vor etwa fünf Millionen Jahren noch gemeinsame Vorfahren hatten. Wahrscheinlich trennten sich die Wege, als sich einige dieser Geschöpfe mit einem Leben in der Savanne anzufreunden begannen. Während unsere Urahnen Neuland betraten, blieben die des Schimpansen ihrem angestammten Lebensraum treu. Wie alle Menschenaffen, vom zierlichen Gibbon bis zum massigen Gorilla, tummeln sich auch unsere nächsten Verwandten im tropischen Regenwald.

Diese Wälder sind uralt. Wer sich dort heimisch fühlt, hat selten Anlaß, seine Lebensgewohnheiten zu ändern. Deshalb, so vermuteten die Autoren, dürften die Schimpansen ein recht zuverlässiges Bild davon vermitteln, wie es einst bei unseren gemeinsamen Vorfahren zuging. Als unsere Ahnen noch im Dickicht des Dschungels umherstreiften, lebten sie wohl vornehmlich von den Früchten des Waldes. Vielleicht waren sie keine strikten Vegetarier. Auch Schimpansen machen gelegentlich Jagd auf kleine Affen oder Antilopen. Doch ihre wichtigste Nahrungsquelle sind reife Früchte. Solche Kost hält der tropische Regenwald zu jeder Jahreszeit bereit. Ein Schlaraffenland ist er deshalb aber noch lange nicht. Wenn die Schimpansen einen Baum geplündert haben, findet sich das nächste nahrhafte Angebot oft erst ein ganzes Stück entfernt. Diese ökologischen Rahmenbedingungen scheinen die Sozialstruktur zu prägen: Je mehr hungrige Mäuler gestopft werden müssen, desto schneller sind die Zweige abgeerntet und desto länger werden die Wege. Kein Wunder, daß sich vielköpfige Gemeinschaften von mehreren Dutzend Schimpansen gewöhnlich in kleinere Gruppen aufspalten. Deren Zusammensetzung wechselt häufig, doch in den größeren Trupps sind fast immer die Männchen in der Mehrzahl. Weibchen zeigen sich weniger gesellig. Wenn sie ihren Nachwuchs mit sich herumschleppen, können sie mit ihren unbeschwerten Artgenossen oft gar nicht Schritt halten.

Schimpansen leben zweifellos in einer Männergesellschaft. Während junge Weibchen meist in eine Nachbargruppe abwandern, bleiben männliche Schimpansen stets in der Gruppe, in die sie hineingeboren wurden. Und diese Bruderschaften haben es in sich. Trotz heftiger Rangeleien um die begehrten Spitzenpositionen auf der sozialen Leiter - gegen die Nachbarn halten die Männchen einer Gruppe zusammen. Das eigene Territorium wird energisch verteidigt und bisweilen auch gewaltsam vergrößert. In diesem primitiven Patriotismus sehen die Autoren eine bemerkenswerte Parallele zu menschlichen Gemeinschaften. Soweit bekannt, haben sich Männer in aller Welt und zu allen Zeiten gegen Außenstehende verbündet. Vielleicht hätte man nicht gerade die Yanomami aus dem Regenwald des Amazonas-Tieflands als zentrales Beispiel heranziehen sollen. Denn die einschlägigen Forschungsarbeiten sind unlängst heftig in die Kritik geraten. Doch selbst wenn ehrgeizige Wissenschaftler dort einen zweifelhaften Einfluß ausgeübt und dadurch Zwistigkeiten angeheizt haben - sonderlich friedfertig sind die Yanomami vermutlich nie gewesen.

Wo auch immer die Autoren sich umsehen, das Paradies auf Erden ist nirgends zu entdecken. Daß sich in den kriegerischen Aktivitäten der Menschen ein jahrmillionenaltes Erbe bemerkbar macht, scheint durchaus plausibel. Doch der Weg der Gewalt ist keine Einbahnstraße. Das zeigen die grazilen Vettern der Schimpansen, die Bonobos. Was wie ein feministischer Traum anmutet, wird von Fachleuten beiderlei Geschlechts bezeugt: Bei diesen Menschenaffen dominieren die Weibchen das gesellschaftliche Leben. Angesichts solcher "Frauenpower" gelingt es den männlichen Bonobos anscheinend nicht, sich zu mordlustigen Schlägertrupps zu verbünden. Zwar beobachten die Forscher durchaus Kämpfe zwischen benachbarten Gruppen, doch nie wurde ein Bonobo dabei tödlich verletzt. Mitunter kommt es sogar zu friedlichen Begegnungen. Den ersten Schritt wagen stets einzelne Weibchen. Nach dem Motto "make love not war" bahnen sie homoerotische Kontakte mit ihren Nachbarinnen an. Auch innerhalb einer Gruppe dient Sex als sozialer Kitt, um freundschaftliche Beziehungen zu festigen.

Daß es den Bonoboweibchen gelingt, ein engmaschiges soziales Netz zu knüpfen, verdanken sie freilich nicht allein ihrer erotischen Begabung. Ein auffallend vielseitiger Speiseplan ist die Voraussetzung dafür, daß sie weitaus geselliger leben können als weibliche Schimpansen. Neben den Früchten des Waldes ernten die Bonobos auch saftige Schößlinge und Blätter, die verstreut am Waldboden wachsen. Gewöhnlich wird diese Kost von den Gorillas beansprucht. Doch im Süden des Kongo-Flusses, dem Lebensraum der Bonobos, fehlen solche Konkurrenten. Wahrscheinlich sind sie dort schon vor längerer Zeit einer Klimaschwankung zum Opfer gefallen. Ein Glück für die Vorfahren der Bonobos, die dank besserer Verpflegung einen neuen Lebensstil entwickeln konnten.

Selbst in der Freilandforschung erfahren, wissen die Autoren von all dem anschaulich zu berichten. Wenn sie dabei die mannigfachen Erscheinungsformen von Gewalt beleuchten, bewegen sie sich stets umsichtig auf diesem heiklen Terrain. Und bis auf Kleinigkeiten - so kommen zum Beispiel Schimpansenkinder, die "little ones", als "Kleintiere" daher - läßt auch die Übersetzung wenig zu wünschen übrig.

Man mag sich gegen den Gedanken sträuben, daß eine Neigung zu Mord und Totschlag in unseren Genen stecken soll. Doch wenn wir tatsächlich eine solch unheilvolle Erbschaft mit uns herumschleppen, dürfte es ratsam sein, die Augen davor nicht zu verschließen. Damit plädieren die Autoren keineswegs dafür, Gewaltausbrüche als naturgegeben hinzunehmen. Der Mensch ist ja nicht Sklave seines biologischen Erbes. Gewöhnlich hat er sich durchaus in der Gewalt - auch wenn er gewalttätig wird. Angesichts von sorgsam geplanten Greueltaten, von Atombomben und Maschinengewehren setzen die Autoren eine gewisse Hoffnung darauf, daß wir unser geistiges Potential nicht nur destruktiv nutzen können: "Das große Gehirn des Menschen ist das schrecklichste Produkt der Natur. Aber es ist gleichzeitig ihr schönstes, verheißungsvollstes Geschenk. Wir mögen unter dem Fluch eines gewalttätigen männlichen Temperaments und einer machiavellistischen Fähigkeit, ihm Ausdruck zu verleihen, leiden. Zugleich jedoch genießen wir den Segen einer Intelligenz, die uns, wenn sie zu Weisheit wird, von dem 5 Millionen Jahre alten Makel unserer Menschenaffenvergangenheit befreien könnte."

DIEMUT KLÄRNER

Richard Wrangham, Dale Peterson: "Bruder Affe". Menschenaffen und die Ursprünge menschlicher Gewalt. Aus dem Englischen von Konrad Dietzfelbinger. Diederichs Verlag, Kreuzlingen, München 2001. 344 S., Abb., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Plausibel scheint der Rezensentin Diemut Klärner, was die Autoren auf ihrer Suche nach den Wurzeln allen Übels zutage fördern. Ja, der Mensch neigt von Natur aus zum Bösen. So jedenfalls fasst Klärner das Ergebnis dieser Studie zusammen, in deren Mittelpunkt der Schimpanse steht. Dessen nahe Verwandtschaft mit dem Menschen, schreibt Klärner, habe die Autoren bewogen, Verhaltensweisen wie beispielsweise einen unter Schimpansenpopulationen zu beobachtenden "primitiven Patriotismus" in Parallele zu bringen zu menschlichen Gemeinschaften. Neben der Umsichtigkeit der Autoren bei der Beleuchtung verschiedener Formen von Gewalt und einer gelungenen Übersetzung ins Deutsche hat Klärner an diesem Buch vor allem eines bewegt: Die darin aufblitzende Hoffnung, "dass wir unser geistiges Potential nicht nur destruktiv nutzen können."

© Perlentaucher Medien GmbH