Produktdetails
- Spiegelgasse-Tetralogie Bd.2
- Verlag: Edition Isele
- 2000.
- Seitenzahl: 206
- Deutsch
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 360g
- ISBN-13: 9783861421887
- ISBN-10: 3861421887
- Artikelnr.: 09161950
Frankfurter Allgemeine ZeitungWandertag der Pädagogen
Hugo Schultz kämpft aufrecht für Brüderchen Lenz
Daß Goethe einen "Seelenmord" an seinem früheren Gefährten Jakob Michael Reinhold Lenz verübt hat, teilte der pensionierte Pädagoge Hugo Schultz bereits in seinem Erstling "Goethes Mord" mit. Jetzt ist der Nachfolger "Bruder Lenz" erschienen: Drei Literaturfreunde - Rainer und Elvira, die Denkmalpfleger, dazu die junge Theaterenthusiastin Julie - verbringen im Januar 2000 einige Tage im Elsaß, um den Spuren von Büchners Erzählung "Lenz" nachzugehen. In ihren Gesprächen wärmen sie dabei die Seelenmordthese des ersten Bandes wieder auf, beherzt das heiße Eisen anpackend, denn, so weiß Rainer: "Für Deutsche in Deutschland besteht das Goethe-Tabu noch immer."
Dem Dichter, der den "Sturm und Drang" verraten habe, um später bei Hofe zu reüssieren, wird prinzipiell das jeweils schlimmste Motiv unterstellt: Spricht er etwa von Metalladern, schließt der Erzähler in merkwürdiger Blindheit, es gehe dem Dichter "um Geld und Macht", wie überhaupt ein Verständnis für Goethes naturwissenschaftliche Forschungen konsequent vermieden wird. Lenz jedenfalls ist "für Deutschland wichtiger als Goethe", läßt Schultz seine Julie verkünden, denn der gescheiterte, aber unkorrumpierte Lenz stehe für ein besseres, weil weniger obrigkeitshöriges Denken.
Alle drei kennen sich in der Büchner-Lenz-Philologie offenbar glänzend aus, zitieren seitenweise auswendig und präsentieren einander derart hartnäckig ihre Spezialkenntnisse, daß man sich nur wundern kann, daß diese drei Besserwisser einander nicht an die Gurgel fahren. Doch im Grunde sind sie sich über alle Fragen einig - kein Wunder, wirken sie doch so anämisch, reden sie doch alle im gleichen penetranten Tonfall, daß man sie nicht als Individuen, sondern lediglich als drei unterschiedliche Masken vor demselben Mund wahrnimmt.
Daß küchenpsychologische Erkenntnisse, zahlreiche Platitüden und schlichte Weisheiten das Buch durchziehen, macht die Lektüre besonders mühsam: "Ja, Herr Goethe, ich kann es mir nicht verkneifen, Sie da oben anzusprechen", leitet Rainer eine längere Belehrung des seligen Dichters über dessen Leben ein. Immerhin fallen auch ein paar gönnerhafte Worte für Goethe ab: "Er ist und bleibt als Dichter eine herausragende Erscheinung."
Man fragt sich, warum die drei Forscher sich eigentlich aus ihren Studierstuben hinausbegeben haben, verschwinden doch die Ortserkundungen größtenteils hinter dem unaufhörlichen Gerede. Allerdings ist der Verlust an Landschaftsschilderungen zu verschmerzen, denn wenn sie doch noch vorkommen, klingen sie gern so: "Die jetzt zunehmend mit Schnee befrachteten Zweige luden, wenn wir sie streiften, ihre Last auf uns ab."
Rainer, der Erzähler, gibt sich keine Mühe, mit seinen didaktischen Absichten hinterm Berg zu halten, was um so kurioser ist, als er es ja mit gutinformierten Zuhörern zu tun hat: ",Ich habe dich auf diese Textstelle hingewiesen', betonte ich, ,und habe dich auch darauf aufmerksam gemacht, daß . . .'" - erstaunlich, daß er nicht auch noch Hausaufgaben verteilt. Es ist dieser Pädagogentonfall, der die 200 Seiten so lang erscheinen läßt.
Die Debatte um Büchner, Lenz und Goethe hätte sich in einem Essay kürzer und überzeugender führen lassen. Vor allem aber fehlt dem Buch jede Atmosphäre, den Protagonisten alle Wahrscheinlichkeit. Was Elvira Rainer sagt, mag sich auch Hugo Schultz hinter den Spiegel stecken: "Du hast doch früher behauptet, du könntest deine Helden sichtbar werden lassen, vor deinem inneren Auge. Leider nur vor deinem."
TILMAN SPRECKELSEN
Hugo Schultz: "Bruder Lenz". Georg Büchner und die Leiden des jungen J. M. R. Lenz. Edition Isele, Eggingen 2000. 207 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hugo Schultz kämpft aufrecht für Brüderchen Lenz
Daß Goethe einen "Seelenmord" an seinem früheren Gefährten Jakob Michael Reinhold Lenz verübt hat, teilte der pensionierte Pädagoge Hugo Schultz bereits in seinem Erstling "Goethes Mord" mit. Jetzt ist der Nachfolger "Bruder Lenz" erschienen: Drei Literaturfreunde - Rainer und Elvira, die Denkmalpfleger, dazu die junge Theaterenthusiastin Julie - verbringen im Januar 2000 einige Tage im Elsaß, um den Spuren von Büchners Erzählung "Lenz" nachzugehen. In ihren Gesprächen wärmen sie dabei die Seelenmordthese des ersten Bandes wieder auf, beherzt das heiße Eisen anpackend, denn, so weiß Rainer: "Für Deutsche in Deutschland besteht das Goethe-Tabu noch immer."
Dem Dichter, der den "Sturm und Drang" verraten habe, um später bei Hofe zu reüssieren, wird prinzipiell das jeweils schlimmste Motiv unterstellt: Spricht er etwa von Metalladern, schließt der Erzähler in merkwürdiger Blindheit, es gehe dem Dichter "um Geld und Macht", wie überhaupt ein Verständnis für Goethes naturwissenschaftliche Forschungen konsequent vermieden wird. Lenz jedenfalls ist "für Deutschland wichtiger als Goethe", läßt Schultz seine Julie verkünden, denn der gescheiterte, aber unkorrumpierte Lenz stehe für ein besseres, weil weniger obrigkeitshöriges Denken.
Alle drei kennen sich in der Büchner-Lenz-Philologie offenbar glänzend aus, zitieren seitenweise auswendig und präsentieren einander derart hartnäckig ihre Spezialkenntnisse, daß man sich nur wundern kann, daß diese drei Besserwisser einander nicht an die Gurgel fahren. Doch im Grunde sind sie sich über alle Fragen einig - kein Wunder, wirken sie doch so anämisch, reden sie doch alle im gleichen penetranten Tonfall, daß man sie nicht als Individuen, sondern lediglich als drei unterschiedliche Masken vor demselben Mund wahrnimmt.
Daß küchenpsychologische Erkenntnisse, zahlreiche Platitüden und schlichte Weisheiten das Buch durchziehen, macht die Lektüre besonders mühsam: "Ja, Herr Goethe, ich kann es mir nicht verkneifen, Sie da oben anzusprechen", leitet Rainer eine längere Belehrung des seligen Dichters über dessen Leben ein. Immerhin fallen auch ein paar gönnerhafte Worte für Goethe ab: "Er ist und bleibt als Dichter eine herausragende Erscheinung."
Man fragt sich, warum die drei Forscher sich eigentlich aus ihren Studierstuben hinausbegeben haben, verschwinden doch die Ortserkundungen größtenteils hinter dem unaufhörlichen Gerede. Allerdings ist der Verlust an Landschaftsschilderungen zu verschmerzen, denn wenn sie doch noch vorkommen, klingen sie gern so: "Die jetzt zunehmend mit Schnee befrachteten Zweige luden, wenn wir sie streiften, ihre Last auf uns ab."
Rainer, der Erzähler, gibt sich keine Mühe, mit seinen didaktischen Absichten hinterm Berg zu halten, was um so kurioser ist, als er es ja mit gutinformierten Zuhörern zu tun hat: ",Ich habe dich auf diese Textstelle hingewiesen', betonte ich, ,und habe dich auch darauf aufmerksam gemacht, daß . . .'" - erstaunlich, daß er nicht auch noch Hausaufgaben verteilt. Es ist dieser Pädagogentonfall, der die 200 Seiten so lang erscheinen läßt.
Die Debatte um Büchner, Lenz und Goethe hätte sich in einem Essay kürzer und überzeugender führen lassen. Vor allem aber fehlt dem Buch jede Atmosphäre, den Protagonisten alle Wahrscheinlichkeit. Was Elvira Rainer sagt, mag sich auch Hugo Schultz hinter den Spiegel stecken: "Du hast doch früher behauptet, du könntest deine Helden sichtbar werden lassen, vor deinem inneren Auge. Leider nur vor deinem."
TILMAN SPRECKELSEN
Hugo Schultz: "Bruder Lenz". Georg Büchner und die Leiden des jungen J. M. R. Lenz. Edition Isele, Eggingen 2000. 207 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tja, da hat Tilman Spreckelsen einen traurigen und bei der Lektüre leider recht plausibel klingenden Verriss geschrieben. Er weist zunächst darauf hin, dass Schultz bereits einen Band über sein Lieblingsthema vorgelegt hat: "Goethes Mord", denn Schultz` These ist, dass Goethe seinen jungen Kumpan aus der Sturm-und-Drang-Zeit auf dem Gewissen hat. Auch der zweite Roman handelt von J.M.R. Lenz, und hier begeben sich nun nach Auskunft des Rezensenten drei Protagonisten ins Elsass, um Spuren von Georg Büchners "Lenz"-Novelle nachzuverfolgen. Dabei scheinen sie unablässig über Lenz und Goethe und Deutschland zu dozieren, so dass Spreckelsen am Ende vor diesem "Pädagogenton" kapituliert. Weder hat der Roman irgendeine glaubhafte Intrige, noch schildert er die Landschaft, in der er spielt, klagt er. Und die drei Protagonisten seien nichts weiter als Sprachrohre für Schultz` Thesen über Lenz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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