Wie 'Tschick' und 'Räuberhände' und doch ganz anders ...
Wenn man fünfzehn ist, sind sieben Jahre fast das halbe Leben. So lange ist es her, dass Bolotas Kindheit jäh endete. Dass in jenem Sommer alles außer Kontrolle geriet, weiß Bolota mit Sicherheit, warum und wie genau das passierte, jedoch nicht. Ihre Erinnerungen sind Bruchstücke. Da war die Autofahrt mit ihrem Vater zum Haus der Großeltern. Die Rückfahrt durch den Wald. Das Feuer, das immer näher kam. Der Vater, der Hilferufe hörte und in die Flammen lief. Und da war plötzlich ihr Hund, der aus dem Nichts neben dem Wagen auftauchte und ihr beistand - ihr Bruder Wolf.
Mit zweifarbigen Bildern des preisgekrönten Illustrators Jorge António Goncalves
Ausgewählt für den White Ravens Katalog
Wenn man fünfzehn ist, sind sieben Jahre fast das halbe Leben. So lange ist es her, dass Bolotas Kindheit jäh endete. Dass in jenem Sommer alles außer Kontrolle geriet, weiß Bolota mit Sicherheit, warum und wie genau das passierte, jedoch nicht. Ihre Erinnerungen sind Bruchstücke. Da war die Autofahrt mit ihrem Vater zum Haus der Großeltern. Die Rückfahrt durch den Wald. Das Feuer, das immer näher kam. Der Vater, der Hilferufe hörte und in die Flammen lief. Und da war plötzlich ihr Hund, der aus dem Nichts neben dem Wagen auftauchte und ihr beistand - ihr Bruder Wolf.
Mit zweifarbigen Bildern des preisgekrönten Illustrators Jorge António Goncalves
Ausgewählt für den White Ravens Katalog
buecher-magazin.deIn Gedanken sieht sich die achtjährige Bolota am liebsten als Mitglied eines Indianerstammes. Ihrem Vater gibt sie den Spitznamen "Schwarzer Elch", was dieser sich gerne gefallen lässt. Doch eigentlich lebt sie ein ganz normales Leben mit ihren Eltern und zwei älteren Geschwistern in Portugal. Nur zum Husky "Malik" passt die Rolle als "Bruder Wolf". Als der Vater seine Arbeit verliert, wird es schwerer. Sie müssen aus ihrem Haus mit Garten in eine Wohnung ziehen, da das Geld knapper geworden ist. Bald folgt ein Wohnungswechsel auf den nächsten und es wird immer enger. Die Unzufriedenheit wächst, bis die Eltern sich trennen und Bolota ihren Vater nur noch selten sieht. Als alles verloren scheint, brechen Bolota und ihr Vater zu einer langen Autofahrt auf, um ein Haus mit Garten zu suchen, welches sich der Vater vor Jahren ausgeguckt hat. Wird "Schwarzer Elch" der Familie das Glück zurückbringen können? Die jetzt 15-jährige Bolota schaut zurück auf ihre Kindheitsjahre und erzählt ihre Geschichte, die genauso dramatisch wie hoffnungsvoll erscheint.
© BÜCHERmagazin
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Fridtjof Küchemann empfiehlt Carla Maia de Almeidas Kinderroman über die Grenzen elterlicher Zuverlässigkeit und über elterliche Überforderung als unfassbare Tatsache im Leben eines Kindes wegen seiner in Rückblenden offenbarten Vorgeschichte, seiner klugen Fragen (Was geschieht, wenn eine Familie unter Druck gerät und kindliches Vertrauen schwindet?) und seiner aktuellen Thematik (es geht auch um Portugal in der Wirtschaftskrise). Als Roadtrip angelegt, verfasst in der Form des kindlichen Berichts mit starken Bildern und Worten und ohne einfache Deutungen, überzeugt der Text den Rezensenten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2016Indianerhäuptling Schwarzer Elch lügt
Carla Maia de Almeida schickt Vater und Tochter einer letzten Hoffnung hinterher
Auf eine Expedition zu gehen, weiß Bolota mit ihren gerade einmal acht Jahren, das ist so ähnlich, wie ein Abenteuer zu erleben, bloß gefährlicher und mit mehr Überraschungen. "Wir werden an Orte kommen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist", hat ihr Vater ihr gesagt, "bis wir schließlich unser Schicksal finden." Ihr Schicksal? "Das ist der Ort, wo wir hingehören. Unser Zuhause."
Die Expedition, das ist in Carla Maia de Almeidas Kinderroman "Bruder Wolf" ein Roadtrip durch das Portugal der jüngsten Wirtschaftskrise, die Bolotas Vater wohl den Job gekostet hat, ihre Mutter zwingt, nun auf dreierlei Weise Geld zu verdienen, und die fünfköpfige Familie immer wieder umziehen lässt, bevor sie schließlich auseinanderbricht. Dass der Vater sich jetzt allein mit seiner Jüngsten auf den Weg gemacht hat, ist kein gutes Zeichen, der Leser erkennt es peu à peu, wie er auch die Vorgeschichte der Reise in geschickt gesetzten Rückblenden aus der Sicht der heute fünfzehn Jahre alten Erzählerin erfährt. Bolota hat sich auf die Expedition mit ihren Zwischenstopps bei alten Bekannten und alten Verwandten eingelassen, von denen sich der Vater Geld leiht oder Schmuck nimmt. Was soll sie auch tun? Wenn er nur der "Schwarze Elch" bleibt und nicht zum "Mann aus Eis" wird: der gutmütige Indianerhäuptling und nicht der bedrohliche, abweisende Schweiger.
Als ihm Bolota schließlich doch sagt, dass sie nach Hause, dass sie nicht mehr Expedition mit ihm spielen will, sind die beiden fast am Ende ihrer gemeinsamen Reise angekommen. Und haben das Ziel schon hinter sich: ein altes Haus, in dem alles gut wird, wie Schwarzer Elch erst der ganzen Familie, dann nur noch Bolota versprochen hat, in dessen Garten die Rosen, die Schaukel, der Pool von Versprechungen des Vaters längst zu Erwartungen des Kindes geworden sind. Was sie schließlich vorgefunden haben, am Ende ihres Geldes, am Ende ihres Weges, ist nichts als eine Ruine. "Schwarzer Elch war ein Lügner", stellt das acht Jahre alte Mädchen angesichts des weinenden Vaters so treffend wie schonungslos fest, "der Stamm könnte ihm nie mehr folgen, ganz egal, wo er auch hinging."
Was kann passieren, wenn eine Familie unter Druck gerät? Wie wird aus elterlicher Zuversicht Lüge? Wann aus kindlichem Vertrauen erst Skepsis und dann Ablehnung - dem dringlichen Wunsch des Kindes zum Trotz, dem Vater weiter glauben zu können? Mit ihrer Bolota hat Carla Maia de Almeida eine Erzählerin geschaffen, die in diesem, wie sie es nennt, "Sommer der Großen Durchquerung der Todeswüste" mit ergreifender Einfachheit und Klarheit beim Bericht sorgfältig ausgewählter Details, Momente, Wortwechsel und bei deren kindlicher Deutung bleibt, auch weil sie selbst mit ihren inzwischen fünfzehn Jahren weiß: Sie hatte "noch keine Zeit, alles zu verstehen, was ich bisher erlebt hatte".
Das liegt nicht nur daran, dass ihr Vater sie schließlich unter katastrophalen Umständen alleingelassen hat und nicht klar ist, ob er überhaupt noch am Leben ist. Es liegt auch nicht daran, dass ihre Mutter ihr zwar inzwischen eine Schachtel mit Zeitungsausschnitten und Briefen gezeigt hat, die etwas erklären könnten, ihr aber trotzdem nicht vorgeben will, was sie glauben soll: "Das ist dein Weg, ganz allein deiner." Es liegt an der Unfassbarkeit elterlicher Überforderung und Unzuverlässigkeit, für die de Almeida starke Bilder und Worte findet, ohne ihre Leser mit simplen Deutungen zu beschwichtigen.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Carla Maia de Almeida: "Bruder Wolf". Mit Bildern von Jorge António Goncalves
Aus dem Portugiesischen von Claudia Stein. Verlag Fischer Sauerländer, Frankfurt 2016. 176 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Carla Maia de Almeida schickt Vater und Tochter einer letzten Hoffnung hinterher
Auf eine Expedition zu gehen, weiß Bolota mit ihren gerade einmal acht Jahren, das ist so ähnlich, wie ein Abenteuer zu erleben, bloß gefährlicher und mit mehr Überraschungen. "Wir werden an Orte kommen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist", hat ihr Vater ihr gesagt, "bis wir schließlich unser Schicksal finden." Ihr Schicksal? "Das ist der Ort, wo wir hingehören. Unser Zuhause."
Die Expedition, das ist in Carla Maia de Almeidas Kinderroman "Bruder Wolf" ein Roadtrip durch das Portugal der jüngsten Wirtschaftskrise, die Bolotas Vater wohl den Job gekostet hat, ihre Mutter zwingt, nun auf dreierlei Weise Geld zu verdienen, und die fünfköpfige Familie immer wieder umziehen lässt, bevor sie schließlich auseinanderbricht. Dass der Vater sich jetzt allein mit seiner Jüngsten auf den Weg gemacht hat, ist kein gutes Zeichen, der Leser erkennt es peu à peu, wie er auch die Vorgeschichte der Reise in geschickt gesetzten Rückblenden aus der Sicht der heute fünfzehn Jahre alten Erzählerin erfährt. Bolota hat sich auf die Expedition mit ihren Zwischenstopps bei alten Bekannten und alten Verwandten eingelassen, von denen sich der Vater Geld leiht oder Schmuck nimmt. Was soll sie auch tun? Wenn er nur der "Schwarze Elch" bleibt und nicht zum "Mann aus Eis" wird: der gutmütige Indianerhäuptling und nicht der bedrohliche, abweisende Schweiger.
Als ihm Bolota schließlich doch sagt, dass sie nach Hause, dass sie nicht mehr Expedition mit ihm spielen will, sind die beiden fast am Ende ihrer gemeinsamen Reise angekommen. Und haben das Ziel schon hinter sich: ein altes Haus, in dem alles gut wird, wie Schwarzer Elch erst der ganzen Familie, dann nur noch Bolota versprochen hat, in dessen Garten die Rosen, die Schaukel, der Pool von Versprechungen des Vaters längst zu Erwartungen des Kindes geworden sind. Was sie schließlich vorgefunden haben, am Ende ihres Geldes, am Ende ihres Weges, ist nichts als eine Ruine. "Schwarzer Elch war ein Lügner", stellt das acht Jahre alte Mädchen angesichts des weinenden Vaters so treffend wie schonungslos fest, "der Stamm könnte ihm nie mehr folgen, ganz egal, wo er auch hinging."
Was kann passieren, wenn eine Familie unter Druck gerät? Wie wird aus elterlicher Zuversicht Lüge? Wann aus kindlichem Vertrauen erst Skepsis und dann Ablehnung - dem dringlichen Wunsch des Kindes zum Trotz, dem Vater weiter glauben zu können? Mit ihrer Bolota hat Carla Maia de Almeida eine Erzählerin geschaffen, die in diesem, wie sie es nennt, "Sommer der Großen Durchquerung der Todeswüste" mit ergreifender Einfachheit und Klarheit beim Bericht sorgfältig ausgewählter Details, Momente, Wortwechsel und bei deren kindlicher Deutung bleibt, auch weil sie selbst mit ihren inzwischen fünfzehn Jahren weiß: Sie hatte "noch keine Zeit, alles zu verstehen, was ich bisher erlebt hatte".
Das liegt nicht nur daran, dass ihr Vater sie schließlich unter katastrophalen Umständen alleingelassen hat und nicht klar ist, ob er überhaupt noch am Leben ist. Es liegt auch nicht daran, dass ihre Mutter ihr zwar inzwischen eine Schachtel mit Zeitungsausschnitten und Briefen gezeigt hat, die etwas erklären könnten, ihr aber trotzdem nicht vorgeben will, was sie glauben soll: "Das ist dein Weg, ganz allein deiner." Es liegt an der Unfassbarkeit elterlicher Überforderung und Unzuverlässigkeit, für die de Almeida starke Bilder und Worte findet, ohne ihre Leser mit simplen Deutungen zu beschwichtigen.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Carla Maia de Almeida: "Bruder Wolf". Mit Bildern von Jorge António Goncalves
Aus dem Portugiesischen von Claudia Stein. Verlag Fischer Sauerländer, Frankfurt 2016. 176 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 12 J.
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Die Struktur, die Sprache, all das ist kunstvoll, speziell. Und dieser Eindruck wird durch die blau-weiß-schwarzen Graphic-Novel-Elemente des Illustrators António Jorge Goncalves verstärkt. Angela Sommersberg Kölner Stadt-Anzeiger 20160304