Sieben Brüder graben gefährliche Höhlen, spielen mit Feuer und probieren, ob unter die Achseln geklemmte rohe Zwiebeln wirklich so krank machen, dass man am nächsten Tag nicht in die Schule muss. Manchmal darf Bart, der Kleinste, nicht mitmachen, dann ist er sauer. Aber meistens sind die Brüder wie Freunde. Wahre Geschichten für Bullerbü-Fans!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Der Moment zwischen zweimal zehn Jahren
Unter Brüdern: Bart Moeyaert erzählt von Aha-Erlebnissen, Geräuschen und Nicht-Erfindungen
Wenn man als Kind ein Beet zugeteilt bekommt im Garten, wieviel Besitz hat man dann? Eigentlich nur dieses kleine flache Viereck zwischen Himmel und Erde, meinen die großen Brüder, und sie sind wirklich gut darin, aus diesem eigenen flachen Stückchen Boden recht viel Kapital zu schlagen. Die Blumen, die darauf wachsen, werden gepflückt und verkauft, von dem Geld wird Petersiliensamen eingekauft, es wird gesät und gegossen, daß die Erde brodelt. Die praktisch veranlagten Brüder wenden sich danach bald anderen Dingen zu, "bei denen man schnell ein Ergebnis sah", wie Fußballspielen, Angeln oder einen Frosch aufblasen. Der Jüngste bleibt beim neuen Grundstück. Er muß das Gefühl des Besitzens in sich aufnehmen, sich die Dimension klarmachen: "Alles unter uns gehörte uns, bis zum Feuer unter der Erde. Alles über unseren Köpfen gehörte uns, unendlich und noch ein paar Kilometer."
Der Jüngste, das ist der flämische Autor Bart Moeyaert, der sich in seinem neuen Buch an seine Kindheit erinnert: als er mit sechs Brüdern unter einem Dach lebte. Mehr als vierzig kleine Miniaturen erzählen von dieser geradezu märchenhaft anmutenden Konstellation - tatsächlich kommt einmal sogar der König persönlich zum Geburtstag vorbei und läßt einen silbernen Löffel zurück. Mit dem Jüngsten hat es im Märchen immer etwas Besonderes auf sich; meist ist er der Dummling, immer hat er Glück. Der Jüngste in dieser speziellen Brüderschar ist auf jeden Fall dafür begabt, glücklich zu sein. Ein Dummling ist er nicht, er denkt aber anders als die Großen, Schnellen.
Auf den Gedanken an den unendlichen Raum über und unter dem eigenen Beet kommt von allen sieben Brüdern nur er. Einmal denkt er so ähnlich auch über die Zeit. Nur ganz selten, sagt sein Vater, würde eine solche Muschel gefunden, wie der Jüngste sie am Strand aufgelesen hat. Aber was ist das genau: selten? Ungefähr einmal in zehn Jahren, vermutet der Vater. Und plötzlich fühlt der Jüngste sich auf der Wasserscheide der Zeit: Mit der schlagartig bedeutsam gewordenen Muschel in der Hand spürt er die zehn Jahre hinter sich, die ohne Muschelfund vergingen, und er erlebt genau den Augenblick, mit dem die nächsten zehn Jahre beginnen, wiederum ohne Muschelfund. Er steht im Jetzt, einem seltenen Moment zwischen zweimal zehn Jahren.
Es sind solche wahren Aha-Erlebnisse, die Bart Moeyaerts "Brüder" ebenfalls zu einer Seltenheit machen, einem Buch, wie man es vermutlich ungefähr einmal in zehn Jahren in Händen hält. Diese Erlebnisse kommen zwar nicht in jeder der gut vierzig Miniaturen vor, aber doch in so vielen von ihnen, daß jeder Leser sich für eine andere Lieblingsgeschichte entscheiden wird. Etwa die, in der die sieben etwas erfinden wollen, das so wichtig ist wie das Rad, der Wasserhahn oder die Glühbirne, und nach wenigen Minuten merken, wie anstrengend das ist. Kurzerhand beschließen sie, lieber erst nächste Woche bedeutend zu werden. Oder die Geschichte vom Langsamessen: Als die Jungen wieder einmal das Mittagessen hastig in sich hineingeschlungen haben, bringt ihnen die Mutter bei, was Genießen bedeutet. "Wir lehnten uns beim Schlucken nach hinten vor Entzücken, denn so etwas hatten wir noch nie erlebt."
So verhält es sich übrigens auch mit diesem Buch: Es will langsam gelesen, am besten in größerer Runde vorgelesen sein. Kinder, die an lineare Erzählungen, Spannungsbögen, Helden mit Vornamen und dergleichen gewöhnt sind, legen es sonst vielleicht wieder beiseite - all dies wird hier nicht geboten. Statt dessen Erinnerungen, die geschrieben sind, als wären sie nur mit dem Körper gespeichert worden: hautnah, voller Gerüche und Geräusche und oft in der Nähe des Schlafes angesiedelt. Denn daß man Geschwister hat und wie es sich anfühlt, wenn es viele sind, das merkt man besonders abends im Bett, wenn man unter sich ist. Bart Moeyaert hat Kindheit in Literatur übersetzt - und zwar für alle.
MONIKA OSBERGHAUS
Bart Moeyaert: "Brüder". Aus dem Niederländischen übersetzt von Mirjam Pressler. Hanser Verlag, München 2006. 168 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter Brüdern: Bart Moeyaert erzählt von Aha-Erlebnissen, Geräuschen und Nicht-Erfindungen
Wenn man als Kind ein Beet zugeteilt bekommt im Garten, wieviel Besitz hat man dann? Eigentlich nur dieses kleine flache Viereck zwischen Himmel und Erde, meinen die großen Brüder, und sie sind wirklich gut darin, aus diesem eigenen flachen Stückchen Boden recht viel Kapital zu schlagen. Die Blumen, die darauf wachsen, werden gepflückt und verkauft, von dem Geld wird Petersiliensamen eingekauft, es wird gesät und gegossen, daß die Erde brodelt. Die praktisch veranlagten Brüder wenden sich danach bald anderen Dingen zu, "bei denen man schnell ein Ergebnis sah", wie Fußballspielen, Angeln oder einen Frosch aufblasen. Der Jüngste bleibt beim neuen Grundstück. Er muß das Gefühl des Besitzens in sich aufnehmen, sich die Dimension klarmachen: "Alles unter uns gehörte uns, bis zum Feuer unter der Erde. Alles über unseren Köpfen gehörte uns, unendlich und noch ein paar Kilometer."
Der Jüngste, das ist der flämische Autor Bart Moeyaert, der sich in seinem neuen Buch an seine Kindheit erinnert: als er mit sechs Brüdern unter einem Dach lebte. Mehr als vierzig kleine Miniaturen erzählen von dieser geradezu märchenhaft anmutenden Konstellation - tatsächlich kommt einmal sogar der König persönlich zum Geburtstag vorbei und läßt einen silbernen Löffel zurück. Mit dem Jüngsten hat es im Märchen immer etwas Besonderes auf sich; meist ist er der Dummling, immer hat er Glück. Der Jüngste in dieser speziellen Brüderschar ist auf jeden Fall dafür begabt, glücklich zu sein. Ein Dummling ist er nicht, er denkt aber anders als die Großen, Schnellen.
Auf den Gedanken an den unendlichen Raum über und unter dem eigenen Beet kommt von allen sieben Brüdern nur er. Einmal denkt er so ähnlich auch über die Zeit. Nur ganz selten, sagt sein Vater, würde eine solche Muschel gefunden, wie der Jüngste sie am Strand aufgelesen hat. Aber was ist das genau: selten? Ungefähr einmal in zehn Jahren, vermutet der Vater. Und plötzlich fühlt der Jüngste sich auf der Wasserscheide der Zeit: Mit der schlagartig bedeutsam gewordenen Muschel in der Hand spürt er die zehn Jahre hinter sich, die ohne Muschelfund vergingen, und er erlebt genau den Augenblick, mit dem die nächsten zehn Jahre beginnen, wiederum ohne Muschelfund. Er steht im Jetzt, einem seltenen Moment zwischen zweimal zehn Jahren.
Es sind solche wahren Aha-Erlebnisse, die Bart Moeyaerts "Brüder" ebenfalls zu einer Seltenheit machen, einem Buch, wie man es vermutlich ungefähr einmal in zehn Jahren in Händen hält. Diese Erlebnisse kommen zwar nicht in jeder der gut vierzig Miniaturen vor, aber doch in so vielen von ihnen, daß jeder Leser sich für eine andere Lieblingsgeschichte entscheiden wird. Etwa die, in der die sieben etwas erfinden wollen, das so wichtig ist wie das Rad, der Wasserhahn oder die Glühbirne, und nach wenigen Minuten merken, wie anstrengend das ist. Kurzerhand beschließen sie, lieber erst nächste Woche bedeutend zu werden. Oder die Geschichte vom Langsamessen: Als die Jungen wieder einmal das Mittagessen hastig in sich hineingeschlungen haben, bringt ihnen die Mutter bei, was Genießen bedeutet. "Wir lehnten uns beim Schlucken nach hinten vor Entzücken, denn so etwas hatten wir noch nie erlebt."
So verhält es sich übrigens auch mit diesem Buch: Es will langsam gelesen, am besten in größerer Runde vorgelesen sein. Kinder, die an lineare Erzählungen, Spannungsbögen, Helden mit Vornamen und dergleichen gewöhnt sind, legen es sonst vielleicht wieder beiseite - all dies wird hier nicht geboten. Statt dessen Erinnerungen, die geschrieben sind, als wären sie nur mit dem Körper gespeichert worden: hautnah, voller Gerüche und Geräusche und oft in der Nähe des Schlafes angesiedelt. Denn daß man Geschwister hat und wie es sich anfühlt, wenn es viele sind, das merkt man besonders abends im Bett, wenn man unter sich ist. Bart Moeyaert hat Kindheit in Literatur übersetzt - und zwar für alle.
MONIKA OSBERGHAUS
Bart Moeyaert: "Brüder". Aus dem Niederländischen übersetzt von Mirjam Pressler. Hanser Verlag, München 2006. 168 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 10 J.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Die "wahren" Geschichten aus der Kindheit des inzwischen 42-jährigen Bart Moeyaert drehen sich um sieben Brüder, von welchen der Autor der Jüngste ist, wie Konrad Heidkamp informiert. Die meist nur wenige Seiten langen Miniaturen erzählen von scheinbar unspektakulären Momenten, in denen sich doch zugleich das Abenteuerlichste ereignet, wie die Transformation eines Heizungskessels in ein wildes Tier oder die Schrumpfung eines Hauses durch die große Frau Stevens. Keine große Action also, sondern genaue und poetische Augenblicke, beherrscht von der Kunst des Weglassens und vom Autor so zeitlos erzählt, dass Heidkamp den "Brüdern" die Lizenz für alle Altersgruppen erteilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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