Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 16,21 €
  • Gebundenes Buch

". das größte Ereignis der tschechischen Literatur nach 1989"Milan Kundera über Jirí KratochvilIn seinen Erzählungen voller Aberwitz und Ironie setzt Jirí Kratochvil seiner Heimatstadt Brünn ein literarisches Denkmal. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen in diesen raffiniert komponierten Geschichten über das Leben, die Liebe und den Tod, die oft in völlig unerwartete Wendungen und groteske Pointen münden. Die Protagonisten? - Ein Panoptikum schräger Typen, angesiedelt in den Jahrzehnten vor und nach dem Umbruchjahr 1989. Achtung, kann Lust auf eine Reise nach Brünn wecken!…mehr

Produktbeschreibung
". das größte Ereignis der tschechischen Literatur nach 1989"Milan Kundera über Jirí KratochvilIn seinen Erzählungen voller Aberwitz und Ironie setzt Jirí Kratochvil seiner Heimatstadt Brünn ein literarisches Denkmal. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen in diesen raffiniert komponierten Geschichten über das Leben, die Liebe und den Tod, die oft in völlig unerwartete Wendungen und groteske Pointen münden. Die Protagonisten? - Ein Panoptikum schräger Typen, angesiedelt in den Jahrzehnten vor und nach dem Umbruchjahr 1989. Achtung, kann Lust auf eine Reise nach Brünn wecken! Jirí Kratochvils Erzählungen verbinden sich in ihrer äußeren Kulisse, der Stadt Brünn, im Mittelpunkt aber stehen Menschen und ihre tragikomischen Schicksale. Ungewöhnliche Begebenheiten zeichnen die skurrilen Alltagsgeschichten aus: Personen und Orte wechseln ihre Identität, amouröse Abenteuer enden fatal, Frauen verführen Männer, die in ihre Eingeweide schlüpfen, ein Dichter erinnert sich anjedes Detail seines Lebens, tote Verwandte feiern bei Familienfesten mit, Traumgestalten greifen ins wahre Leben ein, Katzen nehmen die Wesenszüge ihres verstorbenen Herrn an, Stalin diktiert in Mausgestalt seine Memoiren, Selbstmörder kehren ins Leben zurück, Strizzis prügeln sich in der Vorstadt um Frauen, der Schriftsteller nimmt Einfluss auf seine eigene Vergangenheit und wird zu einer Mehrfachgestalt. In seinen Geschichten ist Jirí Kratochvil als Ich-Erzähler meist mit von der Partie. Er bricht festgefahrene Sichtweisen auf und entführt seine Leserschaft in eine Welt, in der die Peripetien der menschlichen Existenz mit ebenso viel Selbstironie und Aberwitz geschildert werden wie die Auswüchse der Konsumgesellschaft und totalitärer Ideologien.
Autorenporträt
Jirí Kratochvil wurde 1940 in Brünn geboren. Nach dem Studium in Brünn begann er Mitte der Sechzigerjahre zu publizieren, 1968 bis 1989 war er, wie viele tschechische Autoren, von einem Publikationsverbot betroffen. Kratochvil jedoch veröffentlichte weiter, in Untergrundverlagen - im "Samizdat". Der Prosaschriftsteller, Dramatiker, Essayist und Hörspielautor zählte in den Neunzigerjahren zu den bedeutendsten Vertretern der tschechischen Postmoderne. 1991 erhielt er den britischen "Tom-Stoppard-Preis", 1999 wurde er mit dem bedeutendsten Literaturpreis Tschechiens, dem "Jaroslav-Seifert-Preis", ausgezeichnet. Jirí Kratochvil lebt in Moravský Krumlov bei Brünn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2010

Die Zeit geht zwei Tage nach
Magisch: Jirí Kratochvils "Brünner Erzählungen"

Von Peter Demetz

Mit Jirí Kratochvils "Brünner Erzählungen" hat es eine eigene Bewandtnis, denn sie erheben sich, leicht und plötzlich, über die festen Dächer der Stadt wie Schneeflocken im Wind. Die historische Stadt, Mährens Metropole, liegt da, die alte Festung Spielberg und die moderne Architektur, jede der Figuren hat ihre genaue Adresse, zwei Stadtpläne im Anhang des Buches bürgen für Präzision, aber die Vorstellungskraft des Autors spottet aller Realitätsfesseln und bewegt sich spielend und ironisch über und durch alle Mauern. Kratochvil bekennt, seine Heimatstadt liege wie "unter der Rauchwolke seiner Erinnerungen", in den berühmten Cafés, im Avion und im alten Bellevue, versammeln sich seine Freunde, die Dichter und Maler - aber ein Sprung genügt, oder eine Türe öffnet sich, und alle Gegenwart stürzt in Vergangenheit oder Zukunft.

Allerdings wäre nichts voreiliger, als die vierundvierzig Erzählungen - die loyale Übersetzerin Johanna Posset bemerkt in einer redaktionellen Notiz, sie habe sie selbst ausgewählt - möglichst rasch zu lesen. Jede will ihre eigene Tonart und individuelle Prägnanz haben, und das Beste wäre, mit der letzten, betitelt "Der Riss", zu beginnen und danach von Anfang an zu lesen. Der Erzähler des "Risses" ist ein Snob, der nicht nur dem neuen Brünner Golfclub angehört, sondern auch einem "Spiritualzentrum": Die Folge ist, dass sich ein gespenstischer Butler von sagenhafter Ungeschicklichkeit bei ihm einstellt und bald darauf auch eine erotisch anziehende Hausgehilfin, auch einer jener "Klettengeister", die sich an ihn heften und bald seine Wohnung übernehmen, und zuletzt auch noch ein Beamter, der durch die Mauern geht und in einem Riss verschwindet, der wieder den Blick auf eine neuerliche Überraschung eröffnet. Hinter der Mauer sitzt nämlich ein Autor, der auf seiner Computertastatur hämmert und die Geschichte erfindet, die der Erzähler eben erlebt hat. Es kann aber auch anders kommen; der Erzähler, diesmal M. genannt, nimmt den Zug aus Brünn in eine andere Stadt, wo er einen Vortrag über Heidegger halten soll, entdeckt aber, dass er wieder in Brünn angekommen ist, gelangt in seine Wohnung, findet dort, dass "die Zeit um zwei Tage nachgeht", trifft auf sich selbst und "erkennt, dass er nur der Schatten des tatsächlichen M. war, und die Welt, aus der er gekommen war, nur der Schatten der Welt war, in der er sich jetzt bewegte".

Von anderen Vorstellungen oder gar Fixierungen seiner Phantasie kommt Kratochvil nicht so einfach los. Katzen sind immer ungewöhnlich begabt oder herrisch; die einen haben ein feines Gehör und reagieren auf das Quietschen einer Badezimmertür in den entferntesten Vororten; andere veranstalten ein allmorgendliches Hustkonzert, um eine Witwe über das Ableben ihres Gatten (er starb an Lungenkrebs) hinwegzutäuschen; und eine dritte spricht mit der Stimme Stalins, um einem nichtsahnenden Fräulein Jahoda seine Memoiren zu diktieren (ihr Freund nimmt ein schlimmes Ende). Anziehender noch die Vorstellung vom Riesenkörper einer Frau; ein Vierzehnjähriger erliegt den Reizen einer gigantischen Gärtnerin; ein junger Mann flüchtet sich, als ihn der Gatte überrascht, in den Körper der Geliebten, und wandert staunend durch seine Korridore und Galerien, ehe er in diesen Räumen den flüchtigen Scharen seiner Vorgänger begegnet.

Der siebzigjährige Kratochvil wird von seinen Kritikern oft als "Post-Modernist" bezeichnet; er selbst spricht lieber von seiner Vorliebe für Gogol und Borges. Ich sage ihm auf den Kopf zu, dass er, wenn er nicht seine intimen Hemmungen hätte, tiefer in die deutsche Tradition zu blicken (denn seine Großmutter mütterlicherseits wurde als Deutsche ausgesiedelt), allen Grund hätte, sich zu den spätesten Nachfolgern E. T. A. Hoffmanns zu zählen, der es stets verstand, das Irdische kunstvoll ins Gespenstische oder Menschliches in Animalisches zu verwandeln oder umgekehrt. Kratochvil bemächtigt sich seiner Heimatstadt auf romantisch-surrealistische Art. Prag, das verwinkelt "magische", hat zumindest Libussa, die prophetische Fürstin, und den gespenstischen Golem, aber Brünn? Im Rathaus hängt ein ausgestopftes Krokodil, das einst reisende Zirkusleute ins Land brachten, vom gotischen Plafond. Die Stadt hat ganz andere Tugenden, und Kratochvil schreibt seine Erzählungen nicht aus dem Überfluss, sondern aus dem poetischen Bewusstsein heraus, dass ihr etwas fehlen könnte. Dieses Bewusstsein des Mangels setzt seine Imagination in eine zauberhafte und überraschende Bewegung.

Jirí Kratochvil: "Brünner Erzählungen". Aus dem Tschechischen von Johanna Posset. Braumüller Literaturverlag, Wien 2009. 210 S., geb., 21,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Peter Demetz, Autor der Rezension, ist 1922 geboren - und zwar in Prag, über das er als Sudetendeutscher, der später in den USA Literatur lehrte, eindrückliche Bücher geschrieben hat. Hier geht's nun aber ums mährische Brünn, eine Stadt, die laut Demetz gewiss ihre Reize hat, aber nicht den Hang zum Surrealen mit seinen Golems und Libussas wie Prag. Das hält den von Demetz hier heiter gefeierten Autor aber keineswegs ab, surreale Qualitäten zu entfalten. Demetz schildert es so: Kratochvil verbindet äußerste topografische Genauigkeit (es sind dem Buch sogar Stadtpläne beigegeben) mit romantisch-grotesken Elementen, die oft der Postmoderne zugeschlagen werden, in denen Demetz aber viel eher den Einfluss E.T.A. Hoffmanns erkennen will. Eine kurze, aber intensive Empfehlung für diesen in Deutschland noch nicht sehr bekannten Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH