Im Sommer 2006 spaltete Bruno die Nation. Für die einen war der zwischen Österreich und Bayern streunende Braunbär ein geschütztes Tier und eine Herausforderung an den modernen Naturschutz, für die Behörden ein Problembär", der schließlich zum Abschuss freigegeben wurde. Dies ist der Stoff, aus dem Falkner eine vielschichtige Künstlernovelle formt.
Ein deutscher Schriftsteller kommt nach Leuk in der Schweiz. Bei seiner Ankunft erfährt er aus den Zeitungen, dass auch der Braunbär Bruno im Oberwallis aufgetaucht ist. Im Autor wächst, für ihn zunächst undurchschaubar, die Obsession, diesem Bären begegnen zu müssen. Es beginnt eine absurde Suche mit verdeckten Ködern, verfehlten Spuren, existenziellen Wendepunkten und verrückten Begegnungen in einer grandios beschriebenen stifterschen" Alpenwelt. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Naturerzählung, bei genauerem Hinsehen aber ist es die Novelle eines Scheiterns auf allen Ebenen, die in der Geschichte entwickelt werden. Die ersehnte Begegnung, in Wahrheit auch die ersehnte Begegnung mit dem Selbst, endet, ebenso wie der wütende Versuch einer Revolte, in einer Groteske. Bruno ist eine Bärengeschichte", keine Frage, vor allem aber ist es eine vielschichtige sprach- und bildmächtige zeitgenössische Künstlernovelle, mit der der Lyriker Gerhard Falkner Hemingway und Adalbert Stifter seine Reverenz erweist.
Ein deutscher Schriftsteller kommt nach Leuk in der Schweiz. Bei seiner Ankunft erfährt er aus den Zeitungen, dass auch der Braunbär Bruno im Oberwallis aufgetaucht ist. Im Autor wächst, für ihn zunächst undurchschaubar, die Obsession, diesem Bären begegnen zu müssen. Es beginnt eine absurde Suche mit verdeckten Ködern, verfehlten Spuren, existenziellen Wendepunkten und verrückten Begegnungen in einer grandios beschriebenen stifterschen" Alpenwelt. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Naturerzählung, bei genauerem Hinsehen aber ist es die Novelle eines Scheiterns auf allen Ebenen, die in der Geschichte entwickelt werden. Die ersehnte Begegnung, in Wahrheit auch die ersehnte Begegnung mit dem Selbst, endet, ebenso wie der wütende Versuch einer Revolte, in einer Groteske. Bruno ist eine Bärengeschichte", keine Frage, vor allem aber ist es eine vielschichtige sprach- und bildmächtige zeitgenössische Künstlernovelle, mit der der Lyriker Gerhard Falkner Hemingway und Adalbert Stifter seine Reverenz erweist.
Sind wir nicht alle ein bisschen Bruno? Gerhard Falkner ist ins Gebirge geklettert, wo ihn der Albtraum vom Künstler als Problembären einholte.
Wer - wie Gerhard Falkner im Jahre 2006 - mit dem Spycher-Literaturpreis ausgezeichnet wird, darf zehn Monate lang in Chalets und Patrizierwohnungen im schweizerischen Leuk wohnen; Geld gibt es aber nur, wenn der Künstler auch wirklich erscheint. Dass man sich den Preis sozusagen zweimal verdienen und dabei noch ins kulturell-touristische "Eventprogramm des Oberwallis implementieren" lassen muss, ist für manche empfindsamen Geister eine Zumutung; außerdem hat natürlich nicht jeder urbane Dichter Zeit und Lust für Langsamkeitserfahrungen im Gebirg'. Preisträger wie Marcel Beyer oder Martin Mosebach nahmen ihr "virtuelles Heimrecht" unter Viertausendern gern in Anspruch; andere ließen sich dagegen kaum blicken. Auch der Berliner Lyriker Gerhard Falkner scheint als Bergschreiber nicht so recht glücklich geworden zu sein: In seiner Novelle "Bruno" hat er jedenfalls den tragischen Problembären aus Bayern ins Wallis ausgewildert und zu seinem Wappentier und Doppelgänger erkoren.
Bruno hat ja schon einige Schriftsteller inspiriert. In den Kinderbüchern von Ilja Richter und Maria Ortner ist er entweder das arme kleine Bärenkind, das keinem Menschen etwas zuleide tun kann, oder der lustige Bruder von uns Menschenkindern; in Peter Rabas esoterischem "Requiem für einen Braunbären" war er das unendlich liebesfähige, spontane Totemtier, das uns den Spiegel vorhält. Bei Falkner ist Bruno so etwas wie der letzte Dichter. Dichter wie Bären sind ja Einzelgänger, unbändig und von "edler Unverfrorenheit". Sie sehen sich gern als Bestien gejagt und ausgerottet; jedenfalls rückt ihnen eine geschäftige, konsumgierige Welt ungemütlich auf den Pelz.
Im Sommer 2006, auf dem Höhepunkt von Bärenhatz und Fußball-WM, hat sich also ein Berliner Schriftsteller, in dem man ruhig Falkner erkennen darf, für drei Wochen in Leuk einquartiert. Der gescheiterte und offenbar auch frisch geschiedene Künstler befindet sich im "Dämmerzustand zwischen Galgenfrist und Gnadenbrot". Vor allem nachts stapft und stolpert er auf der Suche nach Bruno über Stock und Stein, "wie jemand, an dessen Gang man bereits erkennt, dass er nicht alle beisammen hat"; weder Stürze noch eine "existenzielle Müdigkeit" können ihn von seiner Obsession abbringen. Einmal glaubt er Bruno zu sehen, aber es ist, bei hellem Licht betrachtet, nur eine Kuh. Problembär und Problemautor verfehlen einander, aber an ihrer Schicksalsgemeinschaft gibt es keinen Zweifel. Bruno wird vom Wildhüter bei Leukerbad zur Strecke gebracht; seine Trophäe von einem Großrat den Medien präsentiert. Der Dichter ist fix und fertig, aber seinem vage definierten Ziel - Selbstfindung und "Verdichtung der Lebensgewissheit" - keinen Schritt näher gekommen.
Falkner erzählt eine Künstlernovelle auf der Folie von Stifters "Granit" und Hemingways "Der alte Mann und das Meer" und beißt dabei immer wieder auf Granit. Er kann bärbeißig brummen und poetisch delikat ("Meine Augen waren wie die geladenen Revolver überschüssiger Sommertage") schreiben; er hat einen grimmigen, grotesken Humor, und seine Naturbeschreibungen sind oft wunderbar zart. Dennoch ist seine Suche nach dem Bären in sich nicht recht gelungen. "Immer wieder unternahm ich Anstrengungen, über mich nachzudenken, mich zu fragen, wer hier und warum durch den Wald stürzt, obwohl er eigentlich in der Stadt zu Hause ist", grübelt der Künstler; aber es will ihm nicht gelingen, seine "Person anders zu erfassen als in den abgedroschensten Zuschreibungen". Der Stadtbär fühlt sich fehl und ratlos im Gebirge, und auch der Leser wird nicht so recht warm im hochalpinen "Ozean der Abwegigkeit": Falkners Reflexionen über moderne Kunst, Gletscher, Fußball und Neurologie wirken fahrig und beliebig, und die wenigen Gespräche des depressiven Wanderers mit Eingeborenen verlaufen so unergiebig wie sein Ausflug auf die Basler Kunstmesse. Am Ende verdichtet sich seine vage Ahnung zur traurigen Gewissheit: "Die Alpen sind vernichtet", und mit der Literatur geht es auch weiter bergab. "Bald wird es nur noch diese Problemmenschen geben, nur noch die Termiten und Spaßvögel." Falkner ist keines von beidem, in der Stoiberschen Typologie: weder aggressiver Schad- noch Normalbär. Aber ein gesunder Problembär geht auch anders mit sich und seinem Lebensraum um.
MARTIN HALTER
Gerhard Falkner: "Bruno". Eine Novelle. Berlin Verlag, Berlin 2008. 112 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Recht hingerissen bespricht Jens Jessen diese ”bezaubernde” wie ”abgründige” , komische und selbstironische Novelle des Lyrikers Gerhard Falkner. Durch den Casus des ”Problembären” Bruno hindurch, der bis zu seiner Erschießung einen Sommer lang die Öffentlichkeit beschäftigt hatte, beschreibe Falkner ”das Ressentiment” der Spießer gegen den Intellektuellen, dessen Sinnbild das ”frei Tier”, also der Bär Bruno sei. Doch Jessens Begeisterung für dieses luzide Gleichnis wäre vielleicht nicht ganz so euphorisch ausgefallen, hätte Falkner nicht auch dieses subtil hinterfragt und mit dem ”schwächelnden Selbstbewusstsein” des Künstlers an sich in Verbindung gebracht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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