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Bei einer ungeplanten Zwischenlandung gerät der Brasilianer Jose Costa nach Budapest. Vergeblich versucht er ein paar Brocken Ungarisch aufzuschnappen. Aber die geheimnisvoll klingenden Worte werden zu seiner Leidenschaft. Zu Hause in Rio ist er ein erfolgreicher Ghostwriter und versteckt sich hinter fremden Namen. Und immer, wenn seine Identität gelüftet wird, bricht er Beziehungen ab und flüchtet. Dieses Mal nach Budapest. Hier verliebt er sich nicht nur in die Sprache, sondern auch in seine Lehrerin. Chico Buarques kluger und skurril überdrehter Roman zeigt uns das Spiel von Erkennen und…mehr

Produktbeschreibung
Bei einer ungeplanten Zwischenlandung gerät der Brasilianer Jose Costa nach Budapest. Vergeblich versucht er ein paar Brocken Ungarisch aufzuschnappen. Aber die geheimnisvoll klingenden Worte werden zu seiner Leidenschaft. Zu Hause in Rio ist er ein erfolgreicher Ghostwriter und versteckt sich hinter fremden Namen. Und immer, wenn seine Identität gelüftet wird, bricht er Beziehungen ab und flüchtet. Dieses Mal nach Budapest. Hier verliebt er sich nicht nur in die Sprache, sondern auch in seine Lehrerin. Chico Buarques kluger und skurril überdrehter Roman zeigt uns das Spiel von Erkennen und Verbergen, das uns glitzernd gefangen hält. Ein aufregend bizarres Panoptikum des berühmtesten Literaten und Musikers Brasiliens.
Autorenporträt
Francesco Buarque de Hollanda wurde 1944 in Rio de Janeiro geboren. Sein Architekturstudium brach Chico Buarque ab und wurde statt dessen der bekannteste Sänger Brasiliens. 1991 veröffentlichte er seinen ersten Roman Estorvo, 1995 folgte Benjamin, und im selben Jahr Budapest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2006

Archipel Gulasch
Auch Lügen kostet Zeit: Chico Buarques ungarische Phantasie

Wenn einer nichts erlebt, dann muß er was erdichten. Oder erdichten lassen. Auf keinen Fall braucht er sich mit dem öden Nichts abzufinden, in das sein Leben zu zerfransen droht. Denn mit etwas Geschick läßt sich noch aus den kleinsten Abenteuern literarisches Kapital schlagen. Darum muß auch Kaspar Krabbe, Romanheld in spe, nicht daran verzweifeln, daß seine Biographie zumindest bislang noch nichts sonderlich Aufregendes zu verzeichnen hat. Aus dem Rahmen fällt allenfalls jene Transatlantikreise, an deren Ende ein neues Leben in Rio de Janeiro steht. Ein Deutscher unterm Zuckerhut, das ist zwar auch kein sonderlich aufregendes Motiv, aber wenn man einen wie José Costa ranläßt, könnte selbst daraus noch ein Thema werden. Ein guter Schlag Exotik, noch mehr Erotik, und schon hat der versierte Ghostwriter dem Hamburger Kaufmann einen ansprechenden Roman auf den Leib geschrieben. "Der Frauenschreiber" heißt er, und da der Text hält, was der Titel verspricht, wird das Buch im Handumdrehen zum Bestseller und macht den Deutschen zum neuen Lieblingskind der brasilianischen Literaturszene.

Ja, die Dichter lügen, und keiner lügt so sehr wie José Costa, der begnadete Wortkünstler aus Chico Buarques neuem Roman "Budapest". Costa pflegt einen ausgesprochen freizügigen Umgang mit der Wirklichkeit - und befindet sich damit in bester Gesellschaft. Denn seit je bringen brasilianische Schriftsteller die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit ins Wanken, setzen auf Erzählerfiguren, denen man vieles nachsagen kann, nur nicht, sonderlich verläßlich zu sein. So ließ Machado de Assis in seinen "Nachträglichen Erinnerungen des Brás Cubas" (1881) den gleichnamigen Helden seine Lebensgeschichte aus dem Jenseits erzählen; vierzig Jahre später vertraut Mário de Andrade die Schilderung seines Romans "Macunaíma" einem Papagei an. Und noch das politisch-ästhetische Credo zahlreicher Gegenwartsautoren bündelt sich in dem Motto, das João Ubaldo Ribeiro seinem monumentalen Roman "Brasilien, Brasilien" voranstellte "Não existem fatos, só histórias" - "Es gibt keine Tatsachen, nur Geschichten."

Schön wäre es. Doch der philosophische Idealismus hat auch in der brasilianischen Literatur einen schweren Stand. Denn am Ende drängt die totgeglaubte Wirklichkeit entschlossen in den Roman zurück und ruft die Phantasien der Erzähler entschlossen zur Ordnung. Das muß man nicht bedauern, im Gegenteil. Was nämlich passiert, wenn man die Fakten dauerhaft ausblendet, zeigt Buarques José Costa, ein Erzähler mit glänzender Begabung zur Empathie: Was immer seine Klienten denken oder empfinden, er faßt es in Worte und schafft noch aus dem banalsten Gedanken ein vollendetes Aperçu. Form, Klang, Rhythmus, das sind die Elemente, aus denen seine Texte sind. Daß sie auch von etwas handeln müssen, nimmt er allenfalls am Rande zur Kenntnis. Denn nichts reizt ihn so sehr wie der Klang, der reine, absolute Klang, unbefleckt von aller Wirklichkeit. Und am schönsten erscheint ihm dieser Klang in einer ihm ganz unbekannten Sprache, dem Ungarischen. Eine kleine Panne im internationalen Luftverkehr hat ihn nach Budapest verschlagen, und was er hört, setzt seine Sinne außer Kraft. Als Teil des finno-ugrischen Zweiges der uralischen Sprachfamilie ist das Ungarische für ihn wie für alle Nicht-Muttersprachler mehr als nur unklar. Diffus, rätselhaft, unzugänglich, provoziert die Sprache einen Totalausfall vertrauter Hörgewohnheiten. "Da ich nicht die geringste Ahnung vom Aussehen, von der Struktur, vom Korpus der Wörter hatte, konnte ich auch nicht wissen, wo ein Wort anfing und wie lang es war. Ausgeschlossen, ein Wort herauszutrennen, genauso gut hätte ich einen Fluß mit dem Messer durchtrennen wollen." Doch wie findet man die Wortgrenze, überhaupt: wie findet man sich zurecht in diesem eigenartigen Idiom?

"Die Sprache der Magyaren lernt man nicht aus Büchern", eröffnet ihm seine künftige Sprachlehrerin und Geliebte. Die Verheißung hat ihren Preis. Fremdsprachenerwerb heißt immer auch Wirklichkeitsverlust: Ein neuer Klang zieht durch den Kopf, und ihn zu strukturieren, erfordert Zeit - Zeit, die für anderes fehlt. Also tritt manches andere zurück, verliert an Relevanz, wird gleichgültig und unerheblich. Fortan wandelt José Costa zwischen zwei Welten, was man im Zeitalter der Interkontinentalflüge durchaus wörtlich nehmen kann: Während er noch in der Sonne der heimischen Copacabana schmort, freut er sich schon auf den kalten Winter an den Ufern der Donau. Wo ist er zu Hause? Der Ghostwriter weiß es bald selbst nicht mehr. Die Grenzen lösen sich auf in "Budapest", und mit ihnen zerfällt die Struktur der Erzählung. Was erlebt Costa tatsächlich, was erfindet er, oder besser: Welche Vorstellungen suchen ihn heim? Am Ende wird er zwar das Ungarische perfekt beherrschen, sogar ein Buch in dieser Sprache schreiben. Anders als seine sonstigen Texte erscheint es aber nicht unter Pseudonym, sondern unter seinem wirklichen Namen - und erweist sich als das Buch, das der Leser in den Händen hält.

Das alles ist zwar durchaus kunstvoll erzählt, macht aber aus "Budapest" noch kein Kunstwerk. Zwar ist Buarques Stil wunderbar geschmeidig und elegant, doch am Ende dieses metafiktionalen Experiments weiß der Leser kaum, wozu er das furiose Hin und Her zwischen den Sprachen und Kontinenten überhaupt mitgemacht hat. Sicher bildet der Roman durch seine selbstbezügliche Schleife die lose Beziehung seines Helden zur Wirklichkeit auch formal ab und reiht sich somit ein in die Tradition jener brasilianischer Autoren, die es vorziehen, statt auf Fakten zunächst einmal auf Geschichten zu setzen. Aber irgendwann setzten sie dann doch die Wirklichkeit in ihr Recht. Buarques José Costa hingegen scheint nach all seinen Kontinentalflügen dauerhaft abgehoben, seine Bindung ans Reale noch lockerer als die seines Alter ego Kaspar Krabbe. So fällt die Reise mit ihm ein wenig schwer, selbst wenn man frei von Flugangst ist.

KERSTEN KNIPP

Chico Buarque: "Budapest". Roman. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 207 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gegen die alte brasilianische Erzähltugend, die Mauern zwischen Wahrheit und Fiktion ordentlich zu schleifen, hat Kersten Knipp nichts. Aber mit dieser "ungarischen Fantasie" mutet Chico Buarque ihm einfach zuviel zu. Derart, dass er in seiner Besprechung noch einmal versucht, die wundersame Geschichte vom ghostwritenden brasilianischen Münchhausen Jose Costa auf Irrwegen in Ungarn in die Wirklichkeit zurückzubiegen - vergebens. Die Struktur der Erzählung zerfällt ihm wie Pilze im Munde. Oder ist das vielleicht doch genial - das Fantastische der Geschichte formal zu spiegeln? Nein, erklärt Knipp entschieden. Und fegt die dem Autor durchaus eingeräumte stilistische Eleganz und Kunstfertigkeit beiseite.

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