Pjotr Pustota, Petersburger Avangardist und Bohemien, erlebt sich in zwei verschiedenen Welten, in zwei verschiedenen Zeiten. Sein Bewusstsein und seine Erlebnisse pendeln zwischen 1919 und dem Moskau von heute und er wird sich nicht klar darüber, in welcher er lebt und welche er sich nur vorstellt. Der Autor läßt auch seine Leser in ständiger Ungewissheit und würzt sein Verwirrspiel mit bissiger Satire und fernöstlicher Mystik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.1999Der alte Hut vom Ernst des Lebens
Um Buddhas kleinen Finger gewickelt: Viktor Pelewin liest im Literarischen Colloquium
Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Nein, sagte der Philosoph Adorno, nachdem er sich das Falsche mal richtig, also ihm gemäß angesehen hatte. Gibt es nun aber wenigstens richtiges Bier in Flaschen? Ja, sagen viele, die vielen Flaschen richtig, also ganz ihrem Durst gemäß, auf den Grund gesehen haben.
Daraus kann man nun erstens den Schluss ziehen, dass man zu Recht das Leben im Bier sucht. Und zweitens darf man sagen, dass das Falsche keine Flasche oder umgekehrt, dass eine Flasche eben noch nicht das Falsche ist, vor allem wenn Bier drin ist, welches zu trinken nicht so weit entfernt vom richtigen Leben ist. Insofern sind also die, welche mal ein Helles heben oder gar mehrere, auf ihre durstige Weise schlauer als der missmutige Philosoph im Trockenen, der das Richtige immer im Falschen suchte und fand.
Was nun bedeutet das alles? Dass man sich nicht an das Richtige und das Falsche halten kann, dafür aber an eine Flasche mit Bier, der man sogar mit einer Hand und in einem Zug auf den hefigen Grund zu gehen vermag. Das weiß auch der russische Schriftsteller Viktor Pelewin, der siebenunddreißig Jahre alt ist und schon einige Romane geschrieben hat, zum Beispiel "Omo hinterm Mond" und "Das Leben der Insekten" und dann schließlich "Buddhas kleiner Finger". Viktor Pelewin ist in Russland ein "Kultautor".
Lenin hat Geschichte gemacht und leider keine Romane geschrieben. Er hatte vor rund achtzig Jahren die rhetorische Frage in den weitgehend menschenleeren Platz der Revolution gestellt: Was tun? - Daraufhin kamen ein paar, die das wissen wollten. Wäre er mit dem Gedanken an das richtige Leben nicht so vernagelt gewesen, hätte er sich zu der Frage hinreissen lassen können: Was trinken?
So aber ging das Leben im Falschen, und zwar von einem Gulag in den nächsten Gulag, voran, und das Bier blieb unerlöst in den Flaschen. Darüber nun denkt der russische Schriftsteller Viktor Pelewin nach. Was wäre denn passiert, wenn Lenin Freibier, also die Parole für freies Leben mit Flaschen, ausgegeben hätte? Die russische Geschichte, die mangels eines ausgeprägten Sinns für das Bier eine sowjetisch-stocknüchterne auf Jahrzehnte wurde, wäre anders, auf jeden Fall alles andere als unheilvoll schnurgerade verlaufen.
Die Romane Viktor Pelewins spielen entweder in der einen und einzigen sowjetischen Wirklichkeit, die aus dem falschen Was-tun kommt, oder in den postsowjetischen Wirklichkeiten, die aus dem richtigen Was-trinken quillen. Marx sagte: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Das sagte dann auch Lenin. Das sagte dann auch Stalin. Wer über das Bewusstsein regieren wollte, der musste das Sein definieren.
Viktor Pelewin weiß, dass es ein Sein, ein Mein, ein Dein gibt, also bewusst sein, bewusst mein, bewusst dein. Seine Geschichten vom russischen Bewusstsein, dem sein Sein verloren ging, sind Geschichten mit großer Ironie und leichtem Witz, unbeschwert vom auch mal revolutionären sturen Ernst, der dem Leben das Bier nicht gönnt.
In seinem Roman "Buddhas kleiner Finger" erzählt er von dem Dichter Petka, der den Feldkommandeur der Roten Armee, den berühmten Tschapajew, kennen lernt und mit ihm zusammen einige aberwitzige und abenteuerliche Erlebnisse und Geschichten durchmacht. Und all das, was da passiert, nährt den Zweifel, ob man denn in einer einzigen festen und runden Welt lebt oder nicht vielmehr doch in einer Welt mit Kick, die ganz frecher Wille und ganz absonderliche Vorstellung ist und gar nichts mit dem langweiligen Materialismus zu schaffen hat, den der ernste Lenin so mochte.
EBERHARD RATHGEB.
Viktor Pelewin liest heute um 20 Uhr im Literarischen Colloquium aus seinem Roman "Buddhas kleiner Finger", der im Frühjahr im Verlag Volk und Welt erschien.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Um Buddhas kleinen Finger gewickelt: Viktor Pelewin liest im Literarischen Colloquium
Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Nein, sagte der Philosoph Adorno, nachdem er sich das Falsche mal richtig, also ihm gemäß angesehen hatte. Gibt es nun aber wenigstens richtiges Bier in Flaschen? Ja, sagen viele, die vielen Flaschen richtig, also ganz ihrem Durst gemäß, auf den Grund gesehen haben.
Daraus kann man nun erstens den Schluss ziehen, dass man zu Recht das Leben im Bier sucht. Und zweitens darf man sagen, dass das Falsche keine Flasche oder umgekehrt, dass eine Flasche eben noch nicht das Falsche ist, vor allem wenn Bier drin ist, welches zu trinken nicht so weit entfernt vom richtigen Leben ist. Insofern sind also die, welche mal ein Helles heben oder gar mehrere, auf ihre durstige Weise schlauer als der missmutige Philosoph im Trockenen, der das Richtige immer im Falschen suchte und fand.
Was nun bedeutet das alles? Dass man sich nicht an das Richtige und das Falsche halten kann, dafür aber an eine Flasche mit Bier, der man sogar mit einer Hand und in einem Zug auf den hefigen Grund zu gehen vermag. Das weiß auch der russische Schriftsteller Viktor Pelewin, der siebenunddreißig Jahre alt ist und schon einige Romane geschrieben hat, zum Beispiel "Omo hinterm Mond" und "Das Leben der Insekten" und dann schließlich "Buddhas kleiner Finger". Viktor Pelewin ist in Russland ein "Kultautor".
Lenin hat Geschichte gemacht und leider keine Romane geschrieben. Er hatte vor rund achtzig Jahren die rhetorische Frage in den weitgehend menschenleeren Platz der Revolution gestellt: Was tun? - Daraufhin kamen ein paar, die das wissen wollten. Wäre er mit dem Gedanken an das richtige Leben nicht so vernagelt gewesen, hätte er sich zu der Frage hinreissen lassen können: Was trinken?
So aber ging das Leben im Falschen, und zwar von einem Gulag in den nächsten Gulag, voran, und das Bier blieb unerlöst in den Flaschen. Darüber nun denkt der russische Schriftsteller Viktor Pelewin nach. Was wäre denn passiert, wenn Lenin Freibier, also die Parole für freies Leben mit Flaschen, ausgegeben hätte? Die russische Geschichte, die mangels eines ausgeprägten Sinns für das Bier eine sowjetisch-stocknüchterne auf Jahrzehnte wurde, wäre anders, auf jeden Fall alles andere als unheilvoll schnurgerade verlaufen.
Die Romane Viktor Pelewins spielen entweder in der einen und einzigen sowjetischen Wirklichkeit, die aus dem falschen Was-tun kommt, oder in den postsowjetischen Wirklichkeiten, die aus dem richtigen Was-trinken quillen. Marx sagte: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Das sagte dann auch Lenin. Das sagte dann auch Stalin. Wer über das Bewusstsein regieren wollte, der musste das Sein definieren.
Viktor Pelewin weiß, dass es ein Sein, ein Mein, ein Dein gibt, also bewusst sein, bewusst mein, bewusst dein. Seine Geschichten vom russischen Bewusstsein, dem sein Sein verloren ging, sind Geschichten mit großer Ironie und leichtem Witz, unbeschwert vom auch mal revolutionären sturen Ernst, der dem Leben das Bier nicht gönnt.
In seinem Roman "Buddhas kleiner Finger" erzählt er von dem Dichter Petka, der den Feldkommandeur der Roten Armee, den berühmten Tschapajew, kennen lernt und mit ihm zusammen einige aberwitzige und abenteuerliche Erlebnisse und Geschichten durchmacht. Und all das, was da passiert, nährt den Zweifel, ob man denn in einer einzigen festen und runden Welt lebt oder nicht vielmehr doch in einer Welt mit Kick, die ganz frecher Wille und ganz absonderliche Vorstellung ist und gar nichts mit dem langweiligen Materialismus zu schaffen hat, den der ernste Lenin so mochte.
EBERHARD RATHGEB.
Viktor Pelewin liest heute um 20 Uhr im Literarischen Colloquium aus seinem Roman "Buddhas kleiner Finger", der im Frühjahr im Verlag Volk und Welt erschien.
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