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Vier Frauen sprechen in diesem Roman mit sich selbst. Sonst wird geschwiegen. Dabei weiß eigentlich die ganze Stadt Bescheid. Die junge Putzfrau tut ihre Arbeit klaglos und gut gelaunt. Gleichwohl scheint sie ein Geheimnis mit sich herumzutragen. Von der Gattin des reichen Winzers, die an seltsamen Ohrenschmerzen leidet, wird die Putzfrau beargwöhnt, gar beneidet. Bei einer anderen Frau löst sie die Erinnerung an eine lange zurückliegende, kindliche Tat aus, an der auch ihr Sohn beteiligt war. Eine dritte Frau spricht: eine pensionierte, gehörlose Lehrerin, die im Altersheim lebt und mitunter…mehr

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Produktbeschreibung
Vier Frauen sprechen in diesem Roman mit sich selbst. Sonst wird geschwiegen.
Dabei weiß eigentlich die ganze Stadt Bescheid.
Die junge Putzfrau tut ihre Arbeit klaglos und gut gelaunt. Gleichwohl scheint
sie ein Geheimnis mit sich herumzutragen. Von der Gattin des reichen Winzers,
die an seltsamen Ohrenschmerzen leidet, wird die Putzfrau beargwöhnt, gar
beneidet. Bei einer anderen Frau löst sie die Erinnerung an eine lange zurückliegende,
kindliche Tat aus, an der auch ihr Sohn beteiligt war. Eine dritte Frau
spricht: eine pensionierte, gehörlose Lehrerin, die im Altersheim lebt und mitunter
von eben der Frau gepflegt wird, deren Stimme sie dreißig Jahre zuvor
nicht hören wollte. Und zuletzt meldet sich ein zehnjähriges Mädchen zu Wort,
das schwer an einem Erlebnis trägt, von dem niemand wissen will.
Mit sorgfältig gewählten Worten beschreibt Emmanuelle Pagano das lebenslange
Kreisen um eine unsägliche Tat. Es geht um (kindliche) Grausamkeit und
Schmerz, um Vergessen und schuldhaftes Schweigen, um Gleichgültigkeit und
Lebenslügen.
Thematisch unerschrocken, sprachlich bewundernswert.
Autorenporträt
Emmanuelle Pagano, geboren 1969 in Aveyron, unterrichtet Bildende Kunst in der Region Ardèche, wo sie mit ihrem Mann und drei Kindern lebt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2011

Verrückt und zugenäht
In ihrem Roman „Bübische Hände“ erzählt die Französin Emmanuelle Pagano weibliche Leidensgeschichten von quälend abgründiger Körperlichkeit
Das Ohr ist ein Loch mit enormer Symbolkraft. Geräusche können eindringen wie Fremdkörper, wie kleine Schädlinge oder Insekten, die schmerzhafte Erinnerungen oder überhörte Gefühle einschleppen. Dieser Wie-Vergleich kann auf perfide Weise gegenständlich werden, und das heißt im Ohrenfall: eine Fliege, eine Raupe oder ein Wurm kriechen in den Gehörgang, schaben dort herum und lösen schreckliche Schmerzen aus.
Das ist der literarische Einsatz in Emmanuelle Paganos Roman „Bübische Hände“, in dem intensiv gelitten wird. Etwas Vielgliedriges kratzt im Ohr, und bald ist klar, dass es auch um sexuelle Gewalt geht und um eine dunkle Tat, die Jahrzehnte zurückliegt. Psychologische Kolportage oder subtile Verschiebungs- und Verdichtungskunst? Vorerst lässt man sich mitreißen vom lapidaren Stil der 41-jährigen Französin, die in der Ardèche lebt. Südfranzösische Landschaften spielen immer eine Rolle in ihren Romanen; vor allem aber ein bestimmter Typus von eigensinnigen, abgekapselten Frauen, Außenseiterinnen mit hyperempfindlichen Sensorien für die ihre soziale Randlage. „Die Haarschublade“ erzählte von einer jungen Friseurgehilfin mit einem schwerbehinderten Kind, die eine seltsame Faszination für Haare hat. „Der Tag war blau“ ist die Geschichte einer Busfahrerin, die früher mal ein Junge war. Beide Romane schlugen einen vielversprechenden Ton an: Hier ging es nicht um identitäre Ich-als-Frau-Literatur, sondern um die Sprache einer abgründigen Körperlichkeit.
In „Bübische Hände“ denken drei Frauen und ein Mädchen aus einem südfranzösischen Dorf vor sich hin: die unglückliche Gattin des Winzers, eine pensionierte Lehrerin, eine ältere Frau aus einer Familie von Kastanienbauern und ihre Enkelin, ein zehnjähriges Mädchen. Eine fünfte Frau kommt dazu, sie arbeitet als Putzfrau auf dem Weingut und als Pflegehilfe im Altersheim der Lehrerin – was in ihr wohl vorgeht, fragen sich die anderen. Die Rätselhafte notiert sich Beunruhigendes in einem Heft, das die Gattin heimlich liest. „Das waren so was wie Hardcore-Gedichte“, glaubt sie. Es geht um Schamlippen, die besser zugenäht worden wären, und um Seidenraupen, die das Geschlecht mit Fäden verschließen. Währenddessen wird die Winzersfrau beinahe verrückt vor Schmerzen. Hat sie ein Tier im Ohr? „Es hat Flügel, ganz sicher, sie vibrieren ein bisschen und schneiden sich ein, sie graben sich in meinen Kopf wie ein Bohrer.“
Aus den Erinnerungen der Frauen setzt sich eine Vergangenheit zusammen, die gemeinsam beschwiegen wird. Vor Jahrzehnten gab es einmal eine fünfte Klasse voller gewalttätiger, „bübischer“ Hände. Der Winzergatte war dabei und der Kastanienbauer, die Lehrerin hat es geschehen lassen, die Mädchen haben weggesehen. Der alten Frau vom Kastanienhof bohren sich die spitzen Schreie eines Nagers ins Ohr, der auf dem Dachboden nistet. Nicht nur das Kleingetier und die stachligen Kastanien, auch die Raupen aus der örtlichen Seidenraupenzucht durchziehen die kollektive Phantasie dieser Figuren. Emmanuelle Pagano treibt sie dabei in eine poetische Panik, die auch in Nathalie Mälzer-Semlingers Übersetzung einen unheimlichen Rhythmus hat: „Ich sehe ihr zu, wie sie mit dem Wischmopp durch den Nebenraum geht, und ich schreie, und ich? Und ich, steck ich in deinen Albträumen, hä? Ich weiß, dass ich drinsteck, verdammter Dreck.“
Das brüllt die senile Lehrerin, als ihr dämmert, was wo hineingesteckt wurde.
Wie sich die Figuren ineinanderschieben, wie der vermeintliche Realismus der Geschichte in eine halluzinatorische Raupenpein umschlägt, das ist sprachlich durchaus gelungen. Aber die Form kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Bübische Hände“ auf eine fast schon erpresserische Art mit der Kreatürlichkeit und dem Leiden dieser Frauen liebäugelt. Die Schmerzen bei der ersten Periode, ein brutal zusammengenähter Dammriss, die herrischen, rohen Ehemänner und vor allem der verdrängte Missbrauch – so viel quälende Körperlichkeit, das klingt nach der Selbsterfahrungsliteratur der siebziger Jahre. Und manchmal auch nach Differenzkitsch.
Man wird den Eindruck nicht los, dass diese Figuren in einem ewigen Leidenskreislauf festhängen, den der Roman immer weiter fortschreibt. „Nein, so nicht. Noch mal von vorn“, heißt es am Ende, weil das Mädchen dieselbe Geschichte immer wieder erzählt haben will. Ohne Abweichungen.
JUTTA PERSON
EMMANUELLE PAGANO: Bübische Hände. Roman. Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 139 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2011

Insekt im Ohr
Emmanuelle Pagano begeht ein heikles Klassentreffen

Emmanuelle Pagano hat das Kunststück vollbracht, über Außenseiterfiguren in einer anspruchsvollen Sprache zu schreiben und trotzdem innerhalb weniger Jahre einen gewissen Erfolg zu erlangen: In Deutschland liegt nach "Der Tag war blau" und "Die Haarschublade" schon ein dritter Roman vor, "Bübische Hände". Dem Wagenbach Verlag gebührt Dank, denn jene Bücher sind selten, in denen sich die Sätze über Kapitel hinweg antworten wie poetische Echos, in denen Motive aufs engste verwoben und geradezu in die Figuren versenkt werden, wie etwa das eindrucksvolle Motiv des Sees in "Der Tag war blau".

Auch "Bübische Hände" greift die Geschichte einer Exzentrikerin auf: Im Zentrum des Romans steht eine geheimnisvolle Putzfrau, die "Hardcore-Gedichte" verfasst, in denen das weibliche Geschlecht eine prominente Rolle spielt. Über sie berichten gleich vier Erzählerinnen: eine reiche Winzersgattin, bei der sie arbeitet; eine ehemalige Kastaniensammlerin und Mutter zweier Klassenkameraden des Winzers; eine ehemalige Grundschullehrerin sowie die Enkelin der Kastaniensammlerin.

Evoziert werden die Gegenwart und vor allem die Vergangenheit, denn ein Treffen besagter Grundschulklasse steht an. Zu diesem Anlass kommen heikle Dinge ans Licht: Die "bübischen Hände" der gesamten Klasse, welche die damals Zehnjährige ein Jahr lang befummelten - die Lehrerin griff aus Bequemlichkeit nicht ein. Das Leben der begabten und wissbegierigen Schülerin ist daran zerbrochen, "die unsichtbaren Gewaltspuren im Innern ihrer Schenkel" schmerzen weiter. Pagano findet ein schönes Bild, um das kollektiv verschwiegene Eindringen in den Mädchenkörper zu illustrieren: Alle Erzählerinnen leiden unter einer Störung des Gehörs, sei es durch Alterstaubheit oder ein Insekt im Ohr.

Ausgenommen ist nur das junge Mädchen am Ende, das am Abend des Klassentreffens zwar einer Art Katharsis beiwohnt, selbst aber gefährdet scheint. Gerade die Vagheit in diesem Punkt überzeugt allerdings nicht: So sehr Pagano sonst über feine Andeutungen Gefühle und Sachverhalte zu greifen versteht, so sehr gleitet ihr Instrumentarium hier ins Nebulöse ab. Das ist symptomatisch, da es dem Roman allgemein nicht gelingt, in der gewohnten Weise plastisch zu sein; die Erzählerinnenstimmen haben nicht den treffsicheren eigenen Ton, die Bilder schweifen ab. Mangel an Talent kann der Grund nicht sein: Vielleicht hätte es einfach hundert Seiten mehr gebraucht, um einen so abgründigen Mikrokosmos zu gestalten.

NIKLAS BENDER

Emmanuelle Pagano: "Bübische Hände". Roman.

Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 144 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

So ganz überzeugt ist Rezensentin Anja Hirsch von "Bübische Hände", dem dritten, ins Deutsche übersetzten Roman der französischen Autorin Emmanuelle Pagano, nicht. Dabei findet Hirsch zunächst wohlwollende Worte für Paganos in vier Monologen geschilderte Missbrauchsgeschichte: dem Schweigen über die vergangenen und aktuellen sexuellen Übergriffe, von denen die vier Frauen, teils Opfer, teils Mittäter, hier schamvoll, rechtfertigend und nur andeutungsweise berichten, sei die elliptische Erzählform, der Verzicht auf einen roten Faden, durchaus angemessen. Auch gelinge es der Autorin eine "sinnlich-verstörende", nie voyeuristische Bildwelt zu schaffen, etwa wenn sie von den "Spinnfäden der Seidenraupen" schreibe, die zugleich verführen und Ekel hervorrufen oder wenn sie ein zehnjähriges Mädchen die unerklärlichen, traumatischen Eindrücke in magischen Gegenwelten verarbeiten lasse. Bedauerlicherweise mangele es den vier einzelnen Teilen der Geschichte aber an "sinnvoller" Verknüpfung und auch an den enttäuschend blassen Protagonistinnen verliert die Kritikerin leider bald das Interesse.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Bei Emmanuelle Pagano ist kein Wort überflüssig. Diese kristallklare Sprache erzeugt einen ungeheuren Sog." Dina Netz, WDR 5 "Ein leuchtender Roman um ein dunkles und schmerzliches Thema." Le Matricule des Anges