Theodor Heuss verteidigte als ungewöhnlich vielseitiger Bürger und engagierter Demokrat die Weimarer Republik durch alle ihre Krisen hindurch. Seit 1918 arbeitete er als Redakteur und Verbandsfunktionär in Berlin. Zudem setzte er sich für die staatsbürgerliche Bildung ein und trat unermüdlich als Redner und Publizist auf. Vor allem als linksliberaler Abgeordneter im Reichstag stritt Heuss seit 1924 für die bald bedrängte Demokratie bis zum Ende der Weimarer Republik. In den 229 ausgewählten und weitgehend noch unpublizierten Briefen von Theodor Heuss spiegeln sich seine aufregende Biographie und die dramatischen Zeitläufte vom letzten Kriegsjahr bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 wechselseitig.
229 zum größten Teil in dieser Ausgabe erstmals veröffentlichte Briefe Korrespondenz mit der politischen, intellektuellen und künstlerlischen Elite der Weimarer Republik Neben der Bedeutung als historische Quelle besitzen diese Briefe eine hohe literarische Qualität.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
229 zum größten Teil in dieser Ausgabe erstmals veröffentlichte Briefe Korrespondenz mit der politischen, intellektuellen und künstlerlischen Elite der Weimarer Republik Neben der Bedeutung als historische Quelle besitzen diese Briefe eine hohe literarische Qualität.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2009Hier spricht die erste Berliner Republik
Vom Anfang zum Ende zum Wiedererwachen der Demokratie: Theodor Heuss in seinen Briefen der Jahre 1918 bis 1933
Manche Dinge verschwinden unauffällig aus der Welt. Sie sterben aus, weil der Fortschritt oder die technische Entwicklung sie allmählich, hin und wieder auch ganz schnell, obsolet machen. Für einige Zeit halten etliche Menschen, eine Minderheit, noch an diesen verschwindenden Dingen fest – sei es aus Gewohnheit; sei es, weil sie sich dem Fortschritt so nicht anschließen wollen oder können; sei es aus Nostalgie oder Liebe zu dem, was einmal war. Der Brief gehört zu diesen verschwindenden Dingen.
Wenn heute einer etwas mitzuteilen hat, dann tut er das in aller Regel über einen Computer im weiteren Sinne – einen PC, ein Laptop, ein Mobiltelefon, einen Palm oder irgendeine andere Erscheinungsform der digitalen Kommunikationsmaschine. Das dort Eingespeicherte wird manchmal noch ausgedruckt und in einem Umschlag versandt. Handgeschriebene Briefe sind fast schon eine Rarität geworden. Wenn in 100 Jahren einmal jemand den Nachlass der gerade amtierenden Bundeskanzlerin erforschen will, werden darin viele sehr wichtige Schriftstücke fehlen. Angela Merkel regiert auch mit Hilfe der vom Handy versandten Kurzmitteilungen. Die sind flüchtig, und niemand hebt sie auf – es sei denn, jemand möchte damit angeben, dass er eine SMS von der Kanzlerin erhält. Ganz ähnlich verhält es sich mit den vielen E-Mails, die man heute verschickt. Sie nehmen die Stelle des Briefs, oft auch die des direkten oder telefonischen Gesprächs ein. All diese Mitteilungen könnten natürlich auch gespeichert und aufbewahrt werden. Man tut dies aber nicht, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie man es mit Briefen getan hat.
Was für ein Verlust das Verschwinden der Briefe sein kann, bemerkt man, wenn man ein Buch wie den Band „Theodor Heuss. Bürger der Weimarer Republik, Briefe 1918-1933” zur Hand nimmt. Heuss, der am 31. Januar 1884, also vor 125 Jahren geboren wurde, ist der Mehrzahl der heute lebenden Deutschen kaum mehr ein Begriff, vielleicht noch „eine blasse Erinnerung aus den Anfangszeiten der Bundesrepublik”, wie Hermann Rudolph geschrieben hat. Vor 60 Jahren wurde er zum ersten Bundespräsidenten gewählt. Theodor Heuss war ein eminent gebildeter Intellektueller, der noch dazu so gut schreiben konnte wie ein herausragender Journalist. Er erlebte alle vier Herrschaftsformen, die es im Deutschland des 20. Jahrhunderts gab: aufgewachsen im Kaiserreich, aktiv als Politiker und Abgeordneter in der Weimarer Republik, weitgehend stillgestellt in der Nazi-Zeit, tätig und prägend im Aufbau der neuen Demokratie nach 1945.
Von der Schulzeit an, sein ganzes Leben lang, schrieb Theodor Heuss – Artikel, Reden, Aufsätze, Bücher und Briefe, Briefe, Briefe. Tausende dieser Briefe sind erhalten; sie sollen bis 2012 in einer insgesamt achtbändigen Sammlung von der Stuttgarter „Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus” herausgegeben werden. Ein erster Band mit Briefen aus den Jahren 1945 bis 1949 erschien 2007 (SZ vom 5. Dezember 2007), nun liegt der zweite Band vor, der die Zeit der Weimarer Republik umfasst und von Michael Dorrmann besorgt wurde. Gewiss, so eine Edition weckt zunächst vielleicht den Verdacht, als weise da eine Stiftung die Berechtigung ihrer eigenen Existenz nach. Und sicher gehören Briefbände nicht einmal mehr im gebildeten Bürgertum, falls es das im Sinne Joachim Fests überhaupt noch gibt, zum Lesekanon.
Die Fülle der Fußnoten sowie die Personen- und Sachregister – für einen Briefband zur Erklärung der Korrespondenz unerlässlich – erleichtern die Lektüre nicht, selbst wenn der Anmerkungsapparat so wohlgelungen ist wie in diesem Fall. (Das Hin- und Herspringen zwischen Haupttext und Anmerkung ist nun einmal mühselig; es macht das Vergnügen, in einem Zug lesen zu können, nahezu unmöglich.) Aber: Kann man denn so eine Briefsammlung überhaupt „lesen” oder „benutzt” man sie nicht vielmehr als Quellenarsenal, Zitate-Schatzkammer, Arbeitshilfsmittel?
Doch, man kann diese Briefe wirklich lesen. Das hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass ihr Verfasser wirklich schreiben konnte. Und außerdem damit, dass er in diesen Briefen die Welten, in denen er lebte, oft verwob: das Politische, das Private, die Wirtschaft, den Alltag. Ein Beispiel aus einem Brief von 1930, den Heuss vom Gardasee an seine Frau Elly Heuss-Knapp in Berlin-Lichterfelde schrieb: „. . . bald fange ich an, mir bunte Ansichtspostkarten zu kaufen, solche mit tiefblauem Himmel, und die Welt zu belügen. Es ist ein trostloser Sonntag. Mussolini hat für heute . . . das Fest der Traube dekretiert, Propagandatag . . .”
In den mehr als 200 Briefen des liberalen Reichstagsabgeordneten, Publizisten und Kulturmanagers Theodor Heuss erhebt sich die erste Berliner Republik aus dem finsteren Schattenreich, in dem sie heute wie ein wabernder Bodennebel in der verzerrenden Erinnerung existiert. Sie war eben wirklich mehr als nur ein instabiler Nachfolger- und gleichzeitig Vorläuferstaat, der vom Kaiserreich ins Nazi-Deutschland überleitete. Heuss’ Briefe lassen miterleben, wie der Bildungsbürger versuchte, die mehr individuelle als staatsfreundliche Vernunft der südwestdeutschen Liberalen in Berlin und im Reichstag zu verankern, zumindest aber zu verteidigen.
Selbst bei den Feinden der Vernunft und der Menschlichkeit suchte Heuss manchmal etwas zu intensiv nach dem doch irgendwie Guten. Unter den Nazis, die er grosso modo verabscheute, interessierte ihn der antikapitalistische, sozialrevolutionäre Gregor Strasser, dem er in einem Brief an Reinhold Maier im Mai 1932 bescheinigte, eine zwar „sachlich wie auch ökonomisch romantische Rede” im Reichstag gehalten zu haben, die gleichwohl von politischem Gewicht gewesen sei. Als Strasser im Dezember 1932 seine Parteiämter niederlegte, weil Hitler, anders als Strasser, nicht in die Schleicher-Regierung eintreten wollte, meinte Heuss sogar irrtümlicherweise, dass „die Nazis durch Strassers Schritt für einige Zeit gelähmt” seien (Brief vom 17. Dezember 1932). Bereits früh im Jahr 1932 erschien ein Buch von Heuss mit dem Titel „Hitlers Weg”, in dem er, wiederum nüchtern und unpolemisch, die Politik und Ideologie der Nazis auseinandernahm. (Gregor Strasser übrigens wurde im Juni 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermordet.)
Besonders interessant sind die Briefe in diesem Jahr 2009, in dem Jubiläen von Grundgesetz, Staatsgründung und ersten Wahlen begangen werden. Die Person des ersten Bundespräsidenten ist auch ein Symbol dafür, dass die deutsche Nachkriegs-Demokratie zwar auf den Trümmern des Dritten Reichs entstand, aber auch sehr viel mit der kurzlebigen Weimarer Demokratie zu tun hatte. Manches, was im Parlamentarischen Rat und später in der Bundesrepublik umstritten war, war schon in den zwanziger Jahren kontrovers. Er sei, schreibt Heuss zum Beispiel im Juli 1929, „ein grundsätzlicher Gegner des Volksbegehrens in der großräumigen Massendemokratie”, auch weil man unter Demokratie „nicht das Segelstreichen vor der Demagogie” verstehen dürfe. Dass das Grundgesetz kaum plebiszitäre Elemente enthält, ist auch eine Folge der politischen Erfahrung von Leuten wie Heuss in den zwanziger und dreißiger Jahren. Fast im Vorüberlesen findet sich eine Fülle solcher Erkenntnisse in dieser Briefe-Sammlung.
In diesem Frühjahr soll der dritte Band der Heuss’schen Briefe erscheinen. Er wird die Korrespondenz aus den Jahren 1933 bis 1945 zum Gegenstand haben. Nach seiner ersten Reichstagssitzung im Mai 1924, bei der die KPD Tumulte ausgelöst hatte, schrieb Heuss: „Wenn es so weitergeht, ist der Parlamentarismus ziemlich bald kaputt.” Keine zehn Jahre später war Heuss beim Tod des Parlamentarismus in Deutschland zugegen. Aber er erlebte auch noch dessen Auferstehung in der Bundesrepublik. Und er hat, durchaus zum Nutzen der Nachgeborenen, über all das geschrieben. KURT KISTER
THEODOR HEUSS: Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918-1933. Herausgegeben und bearbeitet von Michael Dorrmann. Stuttgarter Ausgabe, herausgegeben von der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus. K. G. Saur Verlag, München 2008. 631 Seiten, 39,80 Euro
Heuss’ Briefe kann man wirklich lesen, weil Heuss wirklich schreiben konnte
Ein intellektueller Politiker, der nicht per SMS kommunizierte: Theodor Heuss 1927 an seinem Schreibtisch in Berlin-Friedenau Foto: Familienarchiv Heuss, Basel
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Vom Anfang zum Ende zum Wiedererwachen der Demokratie: Theodor Heuss in seinen Briefen der Jahre 1918 bis 1933
Manche Dinge verschwinden unauffällig aus der Welt. Sie sterben aus, weil der Fortschritt oder die technische Entwicklung sie allmählich, hin und wieder auch ganz schnell, obsolet machen. Für einige Zeit halten etliche Menschen, eine Minderheit, noch an diesen verschwindenden Dingen fest – sei es aus Gewohnheit; sei es, weil sie sich dem Fortschritt so nicht anschließen wollen oder können; sei es aus Nostalgie oder Liebe zu dem, was einmal war. Der Brief gehört zu diesen verschwindenden Dingen.
Wenn heute einer etwas mitzuteilen hat, dann tut er das in aller Regel über einen Computer im weiteren Sinne – einen PC, ein Laptop, ein Mobiltelefon, einen Palm oder irgendeine andere Erscheinungsform der digitalen Kommunikationsmaschine. Das dort Eingespeicherte wird manchmal noch ausgedruckt und in einem Umschlag versandt. Handgeschriebene Briefe sind fast schon eine Rarität geworden. Wenn in 100 Jahren einmal jemand den Nachlass der gerade amtierenden Bundeskanzlerin erforschen will, werden darin viele sehr wichtige Schriftstücke fehlen. Angela Merkel regiert auch mit Hilfe der vom Handy versandten Kurzmitteilungen. Die sind flüchtig, und niemand hebt sie auf – es sei denn, jemand möchte damit angeben, dass er eine SMS von der Kanzlerin erhält. Ganz ähnlich verhält es sich mit den vielen E-Mails, die man heute verschickt. Sie nehmen die Stelle des Briefs, oft auch die des direkten oder telefonischen Gesprächs ein. All diese Mitteilungen könnten natürlich auch gespeichert und aufbewahrt werden. Man tut dies aber nicht, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie man es mit Briefen getan hat.
Was für ein Verlust das Verschwinden der Briefe sein kann, bemerkt man, wenn man ein Buch wie den Band „Theodor Heuss. Bürger der Weimarer Republik, Briefe 1918-1933” zur Hand nimmt. Heuss, der am 31. Januar 1884, also vor 125 Jahren geboren wurde, ist der Mehrzahl der heute lebenden Deutschen kaum mehr ein Begriff, vielleicht noch „eine blasse Erinnerung aus den Anfangszeiten der Bundesrepublik”, wie Hermann Rudolph geschrieben hat. Vor 60 Jahren wurde er zum ersten Bundespräsidenten gewählt. Theodor Heuss war ein eminent gebildeter Intellektueller, der noch dazu so gut schreiben konnte wie ein herausragender Journalist. Er erlebte alle vier Herrschaftsformen, die es im Deutschland des 20. Jahrhunderts gab: aufgewachsen im Kaiserreich, aktiv als Politiker und Abgeordneter in der Weimarer Republik, weitgehend stillgestellt in der Nazi-Zeit, tätig und prägend im Aufbau der neuen Demokratie nach 1945.
Von der Schulzeit an, sein ganzes Leben lang, schrieb Theodor Heuss – Artikel, Reden, Aufsätze, Bücher und Briefe, Briefe, Briefe. Tausende dieser Briefe sind erhalten; sie sollen bis 2012 in einer insgesamt achtbändigen Sammlung von der Stuttgarter „Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus” herausgegeben werden. Ein erster Band mit Briefen aus den Jahren 1945 bis 1949 erschien 2007 (SZ vom 5. Dezember 2007), nun liegt der zweite Band vor, der die Zeit der Weimarer Republik umfasst und von Michael Dorrmann besorgt wurde. Gewiss, so eine Edition weckt zunächst vielleicht den Verdacht, als weise da eine Stiftung die Berechtigung ihrer eigenen Existenz nach. Und sicher gehören Briefbände nicht einmal mehr im gebildeten Bürgertum, falls es das im Sinne Joachim Fests überhaupt noch gibt, zum Lesekanon.
Die Fülle der Fußnoten sowie die Personen- und Sachregister – für einen Briefband zur Erklärung der Korrespondenz unerlässlich – erleichtern die Lektüre nicht, selbst wenn der Anmerkungsapparat so wohlgelungen ist wie in diesem Fall. (Das Hin- und Herspringen zwischen Haupttext und Anmerkung ist nun einmal mühselig; es macht das Vergnügen, in einem Zug lesen zu können, nahezu unmöglich.) Aber: Kann man denn so eine Briefsammlung überhaupt „lesen” oder „benutzt” man sie nicht vielmehr als Quellenarsenal, Zitate-Schatzkammer, Arbeitshilfsmittel?
Doch, man kann diese Briefe wirklich lesen. Das hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass ihr Verfasser wirklich schreiben konnte. Und außerdem damit, dass er in diesen Briefen die Welten, in denen er lebte, oft verwob: das Politische, das Private, die Wirtschaft, den Alltag. Ein Beispiel aus einem Brief von 1930, den Heuss vom Gardasee an seine Frau Elly Heuss-Knapp in Berlin-Lichterfelde schrieb: „. . . bald fange ich an, mir bunte Ansichtspostkarten zu kaufen, solche mit tiefblauem Himmel, und die Welt zu belügen. Es ist ein trostloser Sonntag. Mussolini hat für heute . . . das Fest der Traube dekretiert, Propagandatag . . .”
In den mehr als 200 Briefen des liberalen Reichstagsabgeordneten, Publizisten und Kulturmanagers Theodor Heuss erhebt sich die erste Berliner Republik aus dem finsteren Schattenreich, in dem sie heute wie ein wabernder Bodennebel in der verzerrenden Erinnerung existiert. Sie war eben wirklich mehr als nur ein instabiler Nachfolger- und gleichzeitig Vorläuferstaat, der vom Kaiserreich ins Nazi-Deutschland überleitete. Heuss’ Briefe lassen miterleben, wie der Bildungsbürger versuchte, die mehr individuelle als staatsfreundliche Vernunft der südwestdeutschen Liberalen in Berlin und im Reichstag zu verankern, zumindest aber zu verteidigen.
Selbst bei den Feinden der Vernunft und der Menschlichkeit suchte Heuss manchmal etwas zu intensiv nach dem doch irgendwie Guten. Unter den Nazis, die er grosso modo verabscheute, interessierte ihn der antikapitalistische, sozialrevolutionäre Gregor Strasser, dem er in einem Brief an Reinhold Maier im Mai 1932 bescheinigte, eine zwar „sachlich wie auch ökonomisch romantische Rede” im Reichstag gehalten zu haben, die gleichwohl von politischem Gewicht gewesen sei. Als Strasser im Dezember 1932 seine Parteiämter niederlegte, weil Hitler, anders als Strasser, nicht in die Schleicher-Regierung eintreten wollte, meinte Heuss sogar irrtümlicherweise, dass „die Nazis durch Strassers Schritt für einige Zeit gelähmt” seien (Brief vom 17. Dezember 1932). Bereits früh im Jahr 1932 erschien ein Buch von Heuss mit dem Titel „Hitlers Weg”, in dem er, wiederum nüchtern und unpolemisch, die Politik und Ideologie der Nazis auseinandernahm. (Gregor Strasser übrigens wurde im Juni 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermordet.)
Besonders interessant sind die Briefe in diesem Jahr 2009, in dem Jubiläen von Grundgesetz, Staatsgründung und ersten Wahlen begangen werden. Die Person des ersten Bundespräsidenten ist auch ein Symbol dafür, dass die deutsche Nachkriegs-Demokratie zwar auf den Trümmern des Dritten Reichs entstand, aber auch sehr viel mit der kurzlebigen Weimarer Demokratie zu tun hatte. Manches, was im Parlamentarischen Rat und später in der Bundesrepublik umstritten war, war schon in den zwanziger Jahren kontrovers. Er sei, schreibt Heuss zum Beispiel im Juli 1929, „ein grundsätzlicher Gegner des Volksbegehrens in der großräumigen Massendemokratie”, auch weil man unter Demokratie „nicht das Segelstreichen vor der Demagogie” verstehen dürfe. Dass das Grundgesetz kaum plebiszitäre Elemente enthält, ist auch eine Folge der politischen Erfahrung von Leuten wie Heuss in den zwanziger und dreißiger Jahren. Fast im Vorüberlesen findet sich eine Fülle solcher Erkenntnisse in dieser Briefe-Sammlung.
In diesem Frühjahr soll der dritte Band der Heuss’schen Briefe erscheinen. Er wird die Korrespondenz aus den Jahren 1933 bis 1945 zum Gegenstand haben. Nach seiner ersten Reichstagssitzung im Mai 1924, bei der die KPD Tumulte ausgelöst hatte, schrieb Heuss: „Wenn es so weitergeht, ist der Parlamentarismus ziemlich bald kaputt.” Keine zehn Jahre später war Heuss beim Tod des Parlamentarismus in Deutschland zugegen. Aber er erlebte auch noch dessen Auferstehung in der Bundesrepublik. Und er hat, durchaus zum Nutzen der Nachgeborenen, über all das geschrieben. KURT KISTER
THEODOR HEUSS: Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918-1933. Herausgegeben und bearbeitet von Michael Dorrmann. Stuttgarter Ausgabe, herausgegeben von der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus. K. G. Saur Verlag, München 2008. 631 Seiten, 39,80 Euro
Heuss’ Briefe kann man wirklich lesen, weil Heuss wirklich schreiben konnte
Ein intellektueller Politiker, der nicht per SMS kommunizierte: Theodor Heuss 1927 an seinem Schreibtisch in Berlin-Friedenau Foto: Familienarchiv Heuss, Basel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2009Der Allerweltshistoriker als Briefschreiber
Theodor Heuss in der Weimarer Republik und im zunächst auch von ihm unterschätzten "Dritten Reich"
Als Auftakt der "Stuttgarter Ausgabe" aus dem Briefwerk von Theodor Heuss erschienen 2007 unter dem Titel "Erzieher zur Demokratie" ausgewählte Dokumente aus der Zeit der Besatzungsherrschaft (F.A.Z. vom 27. Mai 2008). Inzwischen liegen zwei Bände für die Weimarer Republik und die "besagten 12 Jahre" vor. Die Auswahl orientiert sich wiederum an der biographischen und zeitgeschichtlichen Relevanz der Schriftstücke, ist jedoch im Weimar-Band mit 229 (aus knapp 1100 nachgewiesenen) Briefen weniger stark komprimiert als im folgenden mit 194 (aus knapp 2000). Dabei schwankt die Zahl der für die einzelnen Jahre ausgewählten Briefe erheblich. Die meisten stammen aus dem Schicksalsjahr 1933.
Anfang 1918 zog es Theodor Heuss nach fünfjähriger Tätigkeit als Chefredakteur der "Neckar-Zeitung" in Heilbronn aus der Schwabenheimat wieder nach Berlin, um dort eine publizistische und politische Karriere zu starten. Jahrelang arbeitete der im liberalen protestantischen Bürgertum verankerte Publizist in einer Doppelstellung, im Deutschen Werkbund (zur Erhaltung und Förderung des "Sinns für gute Leistung und gute Formen") und als Schriftleiter politischer Periodika. Durch den Tod Friedrich Naumanns im August 1919 seines "geistigen Vaters beraubt", begann Heuss eine nicht mehr abreißende Würdigung seines Mentors. Seit 1920, als Studienleiter der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, und seit 1925 als ständiger Dozent beschäftigte er sich früh mit der Geschichte der Parteien. Durch intensive Vortragstätigkeit, bei der er auf "durchsichtige Sachlichkeit" achtete, suchte er im Geiste der neuen Demokratie zu wirken. In diesem Sinne betätigte sich auch Elly Heuss-Knapp in Frauenverbänden und in Rundfunksendungen. Da die Eheleute infolge unterschiedlicher Verpflichtungen oft über Wochen getrennt waren, wurde der fast tägliche Briefwechsel eine ergiebige Informationsquelle.
Noch in der Oktav der Revolution vom 9. November 1918 hatte der Mittdreißiger, als "junge Kraft" mit "Wissen und Gesinnung", für die neue linksliberale Deutsche Demokratische Partei auf ein Mandat zur Verfassunggebenden Nationalversammlung gedrungen, jedoch nur einen Sitz im Schöneberger Stadtparlament erreicht. Auch vor den acht Reichstagswahlen 1920 bis 1933 meldete Heuss jeweils rechtzeitig seine Kandidatur an. Als Abgeordneter 1924 bis 1928 und 1930 bis 1933 (mit einer Unterbrechung 1932) war er keinem Parteiflügel zuzuordnen, zählte sich zu den "fleißigsten Mitgliedern" seiner Fraktion und bereicherte sie als Generalist und glänzende Stegreifdebatter. Er hielt enge Fühlung mit seinem württembergischen Wahlkreis und der Stuttgarter Parteiführung, ohne den Länderparlamentarismus zu verteidigen. Den "Ruin" der Republik befürchtete er von der "ewigen Repetition des Wählens". Die Reichswehr war für Heuss der "einzig reale Machtbestand in dem gallertartigen Staate" (1923). Er musste neben den Diäten durch "Bildungsreden" und publizistische Tagesarbeit, deren Mühen er anschaulich beschreibt, den "Totalverlust" ersparten und ererbten Vermögens ausgleichen. 1930 interessierte ihn eine Professur an der Technischen Universität Stuttgart, auch wegen der damit verbundenen Versorgung, wenngleich er klarstellte, "danach noch nie" sein Leben ausgerichtet zu haben. Für wissenschaftliche Arbeit suchte er ständig "ein wenig Zeit" zu retten, blieb aber ein "Feind von Fußnoten".
Die 1930 hinter seinem Rücken geführten Verhandlungen über die Umbildung der DDP zur Deutschen Staatspartei kritisierte Heuss als innerparteilichen "Staatsstreich". Er hielt schon den neuen Namen für unglücklich, weil sich der Staat inzwischen als "Gehaltskürzer und Steuerpolizist unangenehm bemerkbar" gemacht habe. Seine 1932 erschienene Schrift "Hitlers Weg", in der er den Nationalsozialismus "nicht übermäßig polemisch" beschrieb (und dessen Totalitätsanspruch unterschätzte), wurde von den "Nazi ziemlich übergangen". Die ihm von Heinrich Himmler angedichtete "Judenrasse" empfand Heuss als "kolossalen Spaß".
Ende 1932 hielt er den Zustand seiner Familie (mit einem Sohn) für "sehr gut. Wir sind gesund, bieder und fleißig." In seinen Briefen ist viel von Stimmungen und vom Innenleben seiner Partei und Fraktion, aber wenig vom Weltgeschehen die Rede: "Demokratie ohne Außenpolitik ist schöner als mit Außenpolitik." Auch fehlt jene Distanz gegenüber Gustav Stresemann, auf die der spätere Bundespräsident Wert legte. Den Band über die Jahre 1918 bis 1933 hat Michael Dorrmann mit einer instruktiven Einleitung versehen und ausführlich kommentiert.
Die von Heuss anfangs unterschätzte Gefährlichkeit der Hitler-Regierung wich bald der Einsicht, mit der Zäsur des 30. Januar 1933 eine "echtere Revolution als 1918" zu erleben. Nach dem Verlust seines Mandats, der Auflösung der Parteien und seiner Entlassung aus der Deutschen Hochschule für Politik war Heuss verunsichert, ohne in "Panik" zu geraten. Er stellte sich auf Denunziation und Briefkontrolle ein und führte seine umfangreiche Korrespondenz mit "komplizierter und sich selber einengender Schreibart". Wenngleich zwei seiner Schriften der Bücherverbrennung zum Opfer fielen, zeigte er ein "gewisses Verständnis" für die NS-Reaktion auf "entwurzeltes jüdisches Literatentum". Die ihm noch bis 1936 mögliche Redaktion der Zeitschrift "Die Hilfe" erhielt vor allem die "Gesinnungsgemeinschaft" der "Naumannianer" aufrecht.
Heuss war bereit, die Konsequenzen der Niederlage von 1933 zu tragen, ohne aber, unbeschadet erheblicher finanzieller Einbußen, das Ziel seiner publizistischen Weiterarbeit aufzugeben, vor dem eigenen Gewissen "bestehen zu können". Seit Ende 1934 wiederholt erfolgte Verwarnungen zwangen ihn zu "verbindlicher Harmlosigkeit" bis hin zu durchsichtiger Anpassung. Die beruflichen Einschränkungen verschafften Heuss Freiraum zum Abschluss einer Naumann-Biographie. Vor und nach deren Erscheinen, 1937, nutzte er sein Beziehungsgeflecht zur Vermarktung des Buches. Sein partieller Rückzug auf literarische Gegenwehr war nur möglich, weil Elly Heuss-Knapp trotz häufiger Erkrankungen jahrelang durch Rundfunkwerbung und Prospektreklame ("ein mühsames Gewerbe") die "Hauptlast unserer bürgerlichen Existenz" trug. Infolge seiner zunehmend reduzierten Publizistik "am Rande der Zeit" sah Heuss "ein wesentliches Stück" seiner Begabung "brachliegen". In der Abwägung, wie andere Freunde zu emigrieren oder weiter "geduckt" zu verharren, gehörte für ihn "mehr Mut und Charakter" dazu, "in der Heimat zu bleiben".
Unmittelbar nach Beginn des Krieges 1939, dem Heuss lange Dauer prophezeite, scheiterte seine Bewerbung um eine "Büro-Stellung" bei Bosch in Stuttgart. So sah er seine Aufgabe weiter in "freier Publizistik und in der wissenschaftlichen Bucharbeit". Er verstand seine Biographien über den Architekten Hans Poelzig (1939) und den Chemiker Justus von Liebig (1942) als literarische Gegenwelten und begann die Vita von Robert Bosch, dessen Firma ihn dabei unterstützte. Die seit 1941 bei der "Frankfurter Zeitung" nur unter einem Pseudonym mögliche Mitarbeit, "als Allerweltshistoriker", endete mit deren Verbot zwei Jahre später. Nach der "Flucht" aus dem bereits teilweise zerstörten Berlin, Mitte August 1943, überlebte das Ehepaar Heuss das Kriegsende in Heidelberg-Handschuhsheim, in einer Zwei-Zimmer-"Dachstubenidylle". Der an seiner Bosch-Biographie weiterarbeitende Autor suchte "mit Anstand aus dieser Sauzeit herauszukommen". Seine künftige Aufgabe sah er darin, die "fast zerrissene Continuität im geistig-moralischen Sein der Nation zu retten". Die Einleitung von Elke Seefried ist ein eigenständiger Forschungsbeitrag über das Leben und Überleben des schwäbischen Bildungsbürgers "in der Defensive" 1933 bis 1945, nicht in "der inneren Emigration". Auch dieser Band ist sachgerecht kommentiert, sparsam illustriert und durch ausführliche Register erschlossen.
RUDOLF MORSEY
Theodor Heuss: Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918-1933. Stuttgarter Ausgabe. Herausgegeben von der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus. Bearbeitet von Michael Dorrmann. K.G. Saur Verlag, München 2008. 631 S., 39,80 [Euro].
Theodor Heuss: In der Defensive. Briefe 1933-1945. Herausgegeben von der Stiftung Bundesrpräsident Theodor-Heuss-Haus. Bearbeitet von Elke Seefried. K.G. Saur Verlag, München 2009. 646 S., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Theodor Heuss in der Weimarer Republik und im zunächst auch von ihm unterschätzten "Dritten Reich"
Als Auftakt der "Stuttgarter Ausgabe" aus dem Briefwerk von Theodor Heuss erschienen 2007 unter dem Titel "Erzieher zur Demokratie" ausgewählte Dokumente aus der Zeit der Besatzungsherrschaft (F.A.Z. vom 27. Mai 2008). Inzwischen liegen zwei Bände für die Weimarer Republik und die "besagten 12 Jahre" vor. Die Auswahl orientiert sich wiederum an der biographischen und zeitgeschichtlichen Relevanz der Schriftstücke, ist jedoch im Weimar-Band mit 229 (aus knapp 1100 nachgewiesenen) Briefen weniger stark komprimiert als im folgenden mit 194 (aus knapp 2000). Dabei schwankt die Zahl der für die einzelnen Jahre ausgewählten Briefe erheblich. Die meisten stammen aus dem Schicksalsjahr 1933.
Anfang 1918 zog es Theodor Heuss nach fünfjähriger Tätigkeit als Chefredakteur der "Neckar-Zeitung" in Heilbronn aus der Schwabenheimat wieder nach Berlin, um dort eine publizistische und politische Karriere zu starten. Jahrelang arbeitete der im liberalen protestantischen Bürgertum verankerte Publizist in einer Doppelstellung, im Deutschen Werkbund (zur Erhaltung und Förderung des "Sinns für gute Leistung und gute Formen") und als Schriftleiter politischer Periodika. Durch den Tod Friedrich Naumanns im August 1919 seines "geistigen Vaters beraubt", begann Heuss eine nicht mehr abreißende Würdigung seines Mentors. Seit 1920, als Studienleiter der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, und seit 1925 als ständiger Dozent beschäftigte er sich früh mit der Geschichte der Parteien. Durch intensive Vortragstätigkeit, bei der er auf "durchsichtige Sachlichkeit" achtete, suchte er im Geiste der neuen Demokratie zu wirken. In diesem Sinne betätigte sich auch Elly Heuss-Knapp in Frauenverbänden und in Rundfunksendungen. Da die Eheleute infolge unterschiedlicher Verpflichtungen oft über Wochen getrennt waren, wurde der fast tägliche Briefwechsel eine ergiebige Informationsquelle.
Noch in der Oktav der Revolution vom 9. November 1918 hatte der Mittdreißiger, als "junge Kraft" mit "Wissen und Gesinnung", für die neue linksliberale Deutsche Demokratische Partei auf ein Mandat zur Verfassunggebenden Nationalversammlung gedrungen, jedoch nur einen Sitz im Schöneberger Stadtparlament erreicht. Auch vor den acht Reichstagswahlen 1920 bis 1933 meldete Heuss jeweils rechtzeitig seine Kandidatur an. Als Abgeordneter 1924 bis 1928 und 1930 bis 1933 (mit einer Unterbrechung 1932) war er keinem Parteiflügel zuzuordnen, zählte sich zu den "fleißigsten Mitgliedern" seiner Fraktion und bereicherte sie als Generalist und glänzende Stegreifdebatter. Er hielt enge Fühlung mit seinem württembergischen Wahlkreis und der Stuttgarter Parteiführung, ohne den Länderparlamentarismus zu verteidigen. Den "Ruin" der Republik befürchtete er von der "ewigen Repetition des Wählens". Die Reichswehr war für Heuss der "einzig reale Machtbestand in dem gallertartigen Staate" (1923). Er musste neben den Diäten durch "Bildungsreden" und publizistische Tagesarbeit, deren Mühen er anschaulich beschreibt, den "Totalverlust" ersparten und ererbten Vermögens ausgleichen. 1930 interessierte ihn eine Professur an der Technischen Universität Stuttgart, auch wegen der damit verbundenen Versorgung, wenngleich er klarstellte, "danach noch nie" sein Leben ausgerichtet zu haben. Für wissenschaftliche Arbeit suchte er ständig "ein wenig Zeit" zu retten, blieb aber ein "Feind von Fußnoten".
Die 1930 hinter seinem Rücken geführten Verhandlungen über die Umbildung der DDP zur Deutschen Staatspartei kritisierte Heuss als innerparteilichen "Staatsstreich". Er hielt schon den neuen Namen für unglücklich, weil sich der Staat inzwischen als "Gehaltskürzer und Steuerpolizist unangenehm bemerkbar" gemacht habe. Seine 1932 erschienene Schrift "Hitlers Weg", in der er den Nationalsozialismus "nicht übermäßig polemisch" beschrieb (und dessen Totalitätsanspruch unterschätzte), wurde von den "Nazi ziemlich übergangen". Die ihm von Heinrich Himmler angedichtete "Judenrasse" empfand Heuss als "kolossalen Spaß".
Ende 1932 hielt er den Zustand seiner Familie (mit einem Sohn) für "sehr gut. Wir sind gesund, bieder und fleißig." In seinen Briefen ist viel von Stimmungen und vom Innenleben seiner Partei und Fraktion, aber wenig vom Weltgeschehen die Rede: "Demokratie ohne Außenpolitik ist schöner als mit Außenpolitik." Auch fehlt jene Distanz gegenüber Gustav Stresemann, auf die der spätere Bundespräsident Wert legte. Den Band über die Jahre 1918 bis 1933 hat Michael Dorrmann mit einer instruktiven Einleitung versehen und ausführlich kommentiert.
Die von Heuss anfangs unterschätzte Gefährlichkeit der Hitler-Regierung wich bald der Einsicht, mit der Zäsur des 30. Januar 1933 eine "echtere Revolution als 1918" zu erleben. Nach dem Verlust seines Mandats, der Auflösung der Parteien und seiner Entlassung aus der Deutschen Hochschule für Politik war Heuss verunsichert, ohne in "Panik" zu geraten. Er stellte sich auf Denunziation und Briefkontrolle ein und führte seine umfangreiche Korrespondenz mit "komplizierter und sich selber einengender Schreibart". Wenngleich zwei seiner Schriften der Bücherverbrennung zum Opfer fielen, zeigte er ein "gewisses Verständnis" für die NS-Reaktion auf "entwurzeltes jüdisches Literatentum". Die ihm noch bis 1936 mögliche Redaktion der Zeitschrift "Die Hilfe" erhielt vor allem die "Gesinnungsgemeinschaft" der "Naumannianer" aufrecht.
Heuss war bereit, die Konsequenzen der Niederlage von 1933 zu tragen, ohne aber, unbeschadet erheblicher finanzieller Einbußen, das Ziel seiner publizistischen Weiterarbeit aufzugeben, vor dem eigenen Gewissen "bestehen zu können". Seit Ende 1934 wiederholt erfolgte Verwarnungen zwangen ihn zu "verbindlicher Harmlosigkeit" bis hin zu durchsichtiger Anpassung. Die beruflichen Einschränkungen verschafften Heuss Freiraum zum Abschluss einer Naumann-Biographie. Vor und nach deren Erscheinen, 1937, nutzte er sein Beziehungsgeflecht zur Vermarktung des Buches. Sein partieller Rückzug auf literarische Gegenwehr war nur möglich, weil Elly Heuss-Knapp trotz häufiger Erkrankungen jahrelang durch Rundfunkwerbung und Prospektreklame ("ein mühsames Gewerbe") die "Hauptlast unserer bürgerlichen Existenz" trug. Infolge seiner zunehmend reduzierten Publizistik "am Rande der Zeit" sah Heuss "ein wesentliches Stück" seiner Begabung "brachliegen". In der Abwägung, wie andere Freunde zu emigrieren oder weiter "geduckt" zu verharren, gehörte für ihn "mehr Mut und Charakter" dazu, "in der Heimat zu bleiben".
Unmittelbar nach Beginn des Krieges 1939, dem Heuss lange Dauer prophezeite, scheiterte seine Bewerbung um eine "Büro-Stellung" bei Bosch in Stuttgart. So sah er seine Aufgabe weiter in "freier Publizistik und in der wissenschaftlichen Bucharbeit". Er verstand seine Biographien über den Architekten Hans Poelzig (1939) und den Chemiker Justus von Liebig (1942) als literarische Gegenwelten und begann die Vita von Robert Bosch, dessen Firma ihn dabei unterstützte. Die seit 1941 bei der "Frankfurter Zeitung" nur unter einem Pseudonym mögliche Mitarbeit, "als Allerweltshistoriker", endete mit deren Verbot zwei Jahre später. Nach der "Flucht" aus dem bereits teilweise zerstörten Berlin, Mitte August 1943, überlebte das Ehepaar Heuss das Kriegsende in Heidelberg-Handschuhsheim, in einer Zwei-Zimmer-"Dachstubenidylle". Der an seiner Bosch-Biographie weiterarbeitende Autor suchte "mit Anstand aus dieser Sauzeit herauszukommen". Seine künftige Aufgabe sah er darin, die "fast zerrissene Continuität im geistig-moralischen Sein der Nation zu retten". Die Einleitung von Elke Seefried ist ein eigenständiger Forschungsbeitrag über das Leben und Überleben des schwäbischen Bildungsbürgers "in der Defensive" 1933 bis 1945, nicht in "der inneren Emigration". Auch dieser Band ist sachgerecht kommentiert, sparsam illustriert und durch ausführliche Register erschlossen.
RUDOLF MORSEY
Theodor Heuss: Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918-1933. Stuttgarter Ausgabe. Herausgegeben von der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus. Bearbeitet von Michael Dorrmann. K.G. Saur Verlag, München 2008. 631 S., 39,80 [Euro].
Theodor Heuss: In der Defensive. Briefe 1933-1945. Herausgegeben von der Stiftung Bundesrpräsident Theodor-Heuss-Haus. Bearbeitet von Elke Seefried. K.G. Saur Verlag, München 2009. 646 S., 39,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Erfreut zeigt sich Rezensent Kurt Kister von diesem Band mit Briefen von Theodor Heuss aus den Jahren 1918 bis 1933, der jetzt im Rahmen der auf acht Bände angelegten Sammlung erschienen ist. Die Lektüre des Bands führt für ihn wieder einmal vor Augen, was für ein Verlust das Verschwinden des Briefs im Zeitalter digitaler Kommunikation sein kann. Er würdigt den liberalen Reichstagsabgeordneten Heuss, der auch als Publizist tätig war und später erster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland wurde, als "eminant gebildeten Intellektuellen", der zudem exzellent schreiben konnte. Aus diesem Grund könne man Heuss' Briefe nicht nur als Quellenmaterial und Zitatenschatz nutzen, sondern sie wirklich mit Vergnügen lesen. Dabei erfahre man quasi nebenbei eine Menge über die Weimarer Demokratie, die eben doch mehr gewesen sei als nur ein "instabiler Nachfolger- und gleichzeitig Vorläuferstaat, der vom Kaiserreich ins Nazi-Deutschland überleitete". Mit großem Lob bedenkt Kister auch die Personen- und Sachregister sowie den Anmerkungsapparat von Michael Dorrmann.
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"[...] handelt es sich um einen sehr empfehlenswerten Band."
Thomas Schnabel in: ZWLG 69/2010
"Für die Jahre 1918 bis 1933 bietet dieser Briefband eine wahre Fundgrube, versammelt eine Fülle von Namen, Ereignissen, Informationen und Überlegungen. (...) In der vorzüglich geschriebenen, von profunden Kenntnissen zeugenden Einführung erklärt der Bearbeiter und Herausgeber Michael Dorrmann Anlässe, Umstände und Hintergründe der Korrespondenz, informiert über Briefpartner, gibt Hinweise auf vorhandene weitere Briefe sowie auf Werke von Heuss."
Walter-Siegfried Kircher in: Der Bürger im Staat, 1/2010
"[...] schärfen die Briefe von Theodor Heuss den Blick für die Offenheit jeder historischen Situation. Auch sonst bieten sie eine anregende, fruchtbare und nicht selten unterhaltsame Lektüre."
Rainer Behring in: http://www.sehepunkte.de/2009/10/15819.html
"Aber noch tritt uns in diesem Teil der Edition eben nicht das irenische Staatsoberhaupt, sondern ein kämpferischer Vertreter des organisierten Liberalismus und ein engagierter prorepublikanischer Publizist entgegen, kurzum die hier publizierten Briefe erweitern unser Bild des ersten Bundespräsidenten in ganz erheblichem Maße. Dafür kann dem Bearbeiter und der dahinterstehenden Institution nicht genug gedankt werden."
Jürgen Frölich in: liberal 3/2009
"Doch, man kann diese Briefe wirklich lesen. Das hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass ihr Verfasser wirklich schreiben konnte."
Kurt Kister in: Süddeutsche Zeitung 14./15. Februar 2009
"Der zweite Band der Stuttgarter Ausgabe der Heuss-Briefe ist wie schon der erste äußerst sorgfältig ediert und aufwändig gestaltet."
Gernot Stegert in: Heilbronner Stimme 5. Januar 2009
"Obwohl ausschließlich Schreiben von Heuss abgedruckt sind, vermittelt der Band durch Berücksichtigung der Gegenkorrespondenz und durch Anführung zahlreicher Kommentare in den Fußnoten ein kohärentes Stimmungsbild der Weimarer Republik. Das macht diese Edition in der sorgsamen Bearbeitung durch Dorrman zu einer Fundgrube für Politikwissenschaftler."
Tamara Ehs in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2009
Thomas Schnabel in: ZWLG 69/2010
"Für die Jahre 1918 bis 1933 bietet dieser Briefband eine wahre Fundgrube, versammelt eine Fülle von Namen, Ereignissen, Informationen und Überlegungen. (...) In der vorzüglich geschriebenen, von profunden Kenntnissen zeugenden Einführung erklärt der Bearbeiter und Herausgeber Michael Dorrmann Anlässe, Umstände und Hintergründe der Korrespondenz, informiert über Briefpartner, gibt Hinweise auf vorhandene weitere Briefe sowie auf Werke von Heuss."
Walter-Siegfried Kircher in: Der Bürger im Staat, 1/2010
"[...] schärfen die Briefe von Theodor Heuss den Blick für die Offenheit jeder historischen Situation. Auch sonst bieten sie eine anregende, fruchtbare und nicht selten unterhaltsame Lektüre."
Rainer Behring in: http://www.sehepunkte.de/2009/10/15819.html
"Aber noch tritt uns in diesem Teil der Edition eben nicht das irenische Staatsoberhaupt, sondern ein kämpferischer Vertreter des organisierten Liberalismus und ein engagierter prorepublikanischer Publizist entgegen, kurzum die hier publizierten Briefe erweitern unser Bild des ersten Bundespräsidenten in ganz erheblichem Maße. Dafür kann dem Bearbeiter und der dahinterstehenden Institution nicht genug gedankt werden."
Jürgen Frölich in: liberal 3/2009
"Doch, man kann diese Briefe wirklich lesen. Das hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass ihr Verfasser wirklich schreiben konnte."
Kurt Kister in: Süddeutsche Zeitung 14./15. Februar 2009
"Der zweite Band der Stuttgarter Ausgabe der Heuss-Briefe ist wie schon der erste äußerst sorgfältig ediert und aufwändig gestaltet."
Gernot Stegert in: Heilbronner Stimme 5. Januar 2009
"Obwohl ausschließlich Schreiben von Heuss abgedruckt sind, vermittelt der Band durch Berücksichtigung der Gegenkorrespondenz und durch Anführung zahlreicher Kommentare in den Fußnoten ein kohärentes Stimmungsbild der Weimarer Republik. Das macht diese Edition in der sorgsamen Bearbeitung durch Dorrman zu einer Fundgrube für Politikwissenschaftler."
Tamara Ehs in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2009