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Produktdetails
  • Verlag: edition diskord
  • Seitenzahl: 125
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 181g
  • ISBN-13: 9783892956426
  • ISBN-10: 3892956421
  • Artikelnr.: 24691998
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1998

Einig' Schwesternschaft ist teuer
Wie Frauenemanzipation und Antisemitismus sich kreuzten

Über den Antisemitismus moderner Prägung, wie er im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts an Einfluß und Schärfe gewann, ist vieles gesagt und geschrieben worden. Ähnlich umfassend erforscht wurde die erste deutsche Frauenbewegung, die zur selben Zeit den Kampf um Stimmrecht, Bildung und Berufstätigkeit aufnahm. Wie nah sich die beiden Strömungen mitunter waren, wie verbreitet antisemitische Vorurteile im Denken der Frauenrechtlerinnen waren, blieb jedoch weitgehend unbeachtet.

Dies zu ändern haben sich Mechthild Bereswill und Leonie Wagner mit ihrem Band "Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus" vorgenommen. In fünf Aufsätzen geht es - teils detail- und kenntnisreich, teils im wissenschaftlich aufgeblasenen Gemeinplatz verharrend - um die Frage, wie sich judenfeindliche Tendenzen noch dort als wirkungsmächtig erwiesen, wo Emanzipation das vorrangige Ziel darstellte. Auf Vollständigkeit haben es die Herausgeberinnen, Sozialwissenschaftlerin in Hannover die erste, Politologin in Kassel die zweite, dabei nicht abgesehen; eher schlaglichtartig, von verschiedenen Disziplinen herkommend, hähern sich die Texte ihrem Sujet.

Der Aufsatz der Herausgeberinnen über den "Bund Deutscher Frauenvereine" widmet sich dem beredten Schweigen, mit dem die nichtjüdischen Frauen dem Engagement von Jüdinnen begegneten. Deren "Begehren auf Sichtbarkeit", schreiben Bereswill und Wagner, sei dem Imperativ der homogenen Bewegung zum Opfer gefallen: "Gleichheit, Gleichrangigkeit wird nur dann gewährt, wenn auf die Betonung der Religion verzichtet wird." Frauen wie Bertha Pappenheim, die auf die Anerkennung der Differenz pochten, wurden spalterische Absichten unterstellt. Damit griffen Pappenheims Widerstreiterinnen auf das antisemitische Stereotyp par excellence zurück, dem zufolge der Jude eine zersetzerische Kraft besitze.

Zugleich, so die Autorinnen, habe das Schweigen der nichtjüdischen Frauen einen Kniefall vor antifeministischen Attacken bedeutet, die, besonders seit 1912 der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation gegründet wurde, oft mit antisemitischen Anwürfen Hand in Hand gingen. Wo die Gegner der Frauenbewegung von deren jüdischer Unterwanderung schwadronierten, sorgten die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen in vorauseilendem Gehorsam dafür, "daß Jüdinnen nicht als Jüdinnen in der Frauenbewegung sichtbar" wurden.

Ebenfalls tief in die Mottenkiste antisemitischer Stereotypen, erfährt man aus dem Aufsatz der Pädagogin Susanne Omran, griffen die Abolitionistinnen, die sich zu Beginn des Jahrhunderts für die Abschaffung der Prostitution stark machten. In ihren Schriften zeichneten sie bald die Figur der Prostituierten, bald deren Kunden mit den Mitteln judenfeindlicher Klischees. Helenefriederike Stelzner zum Beispiel schrieb 1911 im Versuch, eine Physiognomie der Prostituierten zu entwickeln: "Wie der Schauspieler, der Gelehrte, der Börsenmann bekommt eben auch die Prostituierte ihren Berufstypus." Und Anna Pappritz, eine Mitstreiterin Stelzners, rückte den Freier in die Nähe des Zinswucherers: "Die Ausnutzung des ,Schwächeren' beim Wucher wird bestraft; fordert aber der Mann, der die Preisgabe des Körpers gegen Geld verlangt, nicht etwas Schlimmeres als ,Wucherzinsen'?" Zufall, daß die zum Vergleich bemühten Berufe mit Stereotypen von jüdischen Tätigkeiten übereinstimmen? Omran sieht den ",kulturellen Code' des Antisemitismus" am Werk. Es zeige sich, wie nachhaltig antijüdische Ressentiments die öffentliche Diskussion prägten.

Mit diesem Argument knüpft Omran an die zentrale These der Herausgeberinnen an. "Antisemitische Motive", heißt es in der Einleitung, "zählen zum Kanon des kulturellen Selbstverständnisses der deutschen Gesellschaft und prägen die Diskussion vor allem dann, wenn es um Zugehörigkeit und Ab- beziehungsweise Ausgrenzungen geht. Alle Gesellschaftsmitglieder sind - ob sie wollen oder nicht, bewußt oder unbewußt - in antisemitische Diskurse verstrickt." Nach den Gründen für diese Verstrickung zu suchen bleibt weitgehend anderen Untersuchungen vorbehalten, das ist das Manko des Buchs. Die Wiener Historikerin Johanna Gehmacher skizziert zwar mögliche Ursachen für die weite Verbreitung antisemitischen Denkens, kommt dabei aber über Gemeinplätze nicht hinaus.

Als Entlastung sollte die Rede vom "kulturellen Code" freilich nicht verstanden werden. Es ist eines der Verdienste des Bandes, Frauen als Handelnde darzustellen, die Verantwortung und auch Schuld auf sich nehmen, deren Spielräume und Möglichkeiten zwar eingeschränkt, aber trotzdem vorhanden sind. Der Mythos von der Frau als Spielball einer von Männern gemachten Geschichte - noch heute in mancher feministischen Strömung gern bemüht - wird damit entzaubert. CRISTINA NORD

Mechthild Bereswill, Leonie Wagner (Hrsg.): "Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus". edition diskord, Tübingen 1998. 130 S., br., 28,- DM.

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