Produktdetails
  • Architektur und Landschaft in Berlin-Brandenburg
  • Verlag: Strauss Medien & Edition
  • 2000.
  • Seitenzahl: 151
  • Deutsch
  • Abmessung: 305mm
  • Gewicht: 1214g
  • ISBN-13: 9783929748130
  • ISBN-10: 3929748134
  • Artikelnr.: 09457788
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2001

Vom Tugendpfad zum Sündenfall
Potsdamer Villen - ein neuer Text- und Bildband streift durch die Vorstädte

Der Text- und Bildband "Bürgerliche Villen in Potsdam" lenkt den Blick auf die Vorstädte. So bezeichnete die Altstadt alle jüngeren Quartiere, die nicht mehr im barocken Raster verankert waren. Sie liegen im Schatten der Stadttore und in der Nachbarschaft der Parks. Die Übergänge waren früher fließend. Streckenweise berührten sich die bürgerlichen und königlichen Gärten, oder man begegnete einander rechts und links des Weges. Einerseits wohnte das Bürgertum, und andererseits verlief die Parkmauer; was beide entlang dem Neuen Garten auch heute wieder tun, nachdem das einstige "KGB-Städtchen" in die Urbanität zurückgekehrt ist.

Die gemeinsame Landschaft hatte sich glücklich über die gesellschaftliche Berührungsscheu und die Abgrenzung der Sphären erhoben. Der Monarch, der vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts regierte, rief die Einwohner zum Aufbruch nach draußen auf. Ihre Sommerhäuser verschönten die städtischen Vorräume, die sonst nur Kasernenhöfe gewesen wären. Aber auch der Ort selber begab sich ins Freie. Seine anwachsenden kommunalen Angelegenheiten erforderten neue Verwaltungsbauten vor dem Nauener Tor. Der räumliche Abstand zwischen ihnen und ihren altstädtischen Vorgängern war ein Katzensprung im Vergleich zur epochalen Trennung. Die einen verkörperten das friderizianische Zeitalter, und die anderen standen an der Schwelle zur Moderne. Das Abschiedsthema macht auch dem Potsdamer Villenbau zu schaffen: sowohl dem fürstlichen, der auf seiner Strecke von Charlotten- bis Cecilienhof die Schinkelschen Maße gegen Schultze-Naumburgs Gebäudemassen eintauschte, als auch dem bürgerlichen, den der vorliegende Band illustriert.

Der Wechsel, der sich zwischen den frühen Beispielen nach 1850 und den späteren um 1900 vollzogen hat, ermächtigt den Villenbesitzer, vom Söller seines Hauses in die weit entfernte Geschichte hinüberzuschauen: dorthin, wo Sanssouci ruht. Diesem Pietätsobjekt kehrt der Privatmann demonstrativ die Aussichtskanzel der Villa zu. Anderthalb Jahrzehnte später genügt ihm bereits die Lage an erlesener Stelle in der Landschaft. Nun ist sein Haus sein Schloß mit dem sportlichen Blick aufs Wasser, dem Wohlgefallen am gegenüberliegenden Parkufer und der fachmännischen Gewißheit, dem Kronprinzen nebenan ebenbürtig zu sein, wenn nicht überlegen. Keines der späten Beispiele glänzt als baumeisterliches Juwel. Die Architekturen sind bestenfalls gediegen. Nicht gleichgültig sind dagegen die Potsdamer Schau- und Bauplätze.

Wolfgang Brönner und Jürgen Strauss, der Autor und Fotograf des Bandes, denen der Denkmalpfleger Detlef Karg das Vorwort geschrieben hat, berufen sich auf den lockeren Streifzug: einen Potsdamer Spaziergang im Hinblick auf das Villenangebot. Das Ergebnis ist keine systematische Auslese oder kritische Typenschau, sondern eine Versammlung von Favoriten. Die Gebäude werden von ihren attraktiven Seiten in stimmungsvoller Beleuchtung abgebildet. Der Ehrgeiz ist das schöne Porträt. Ebenso analysiert der Textverfasser die Objekte einzeln wie Solitäre. Deren Architektur hat hier vor dem Standort den Vorrang.

Der unkritische Blick schmeichelt der Vorliebe für alles, was Villa heißt, aber läßt das Vorstadt-Thema beiseite, dem Aufmerksamkeit gebühren würde. Denn draußen vollzog sich der Balance-Akt zwischen der Landschaft und den Bauwerken in ihr: Wohnhäusern, Landsitzen und Gehöften, Kirchen, Kapellen und Mausoleen, Denkmälern, Türmen und Grotten oder nur den gelegentlichen Ruhepunkten, Bänken und Lauben. Das raffinierte Spiel der Schinkel- und Lenné-Scharaden bezog die Villen wesentlich ein, aber wurde von ihnen im Verlauf der Entwicklung auch bedroht. Das Bürgertum verließ den frommen klassizistischen Pfad, stieg zum verschwenderischen Luxus auf und baute sich statt der sommerlichen Bleibe die sprichwörtliche Villa.

Das späteste Beispiel stammt aus den zwanziger Jahren. Der Bauherr war der Mühlenbesitzer Kurt Kampffmeyer, und der Stil, den er bevorzugte, war eine Knobelsdorff-Travestie: Sanssouci nun als Klotz in der Landschaft gegenüber dem Schloß und Park von Babelsberg. Der rosafarbenen Trivialvilla, die sich zu ihrer Zeit noch gnädig mit einem Garten umgeben hatte, ist im jüngst vergangenen Jahrzehnt ein Komplex nackt gehäufter Mehrfamilienhäuser an die Seite gesetzt worden: die berüchtigte Siedlung namens "Arkadien" auf dem Glienicker Horn. Als nächstes Bauwerk plant die Stadt am selben sensiblen Ufer ein Schauspielhaus, so schön wie die Sünde mit aufgerissenem Schoß.

SIBYLLE WIRSING

Wolfgang Brönner, Jürgen Strauss: "Bürgerliche Villen in Potsdam", J. Strauss Verlag, Potsdam. 68 Mark.

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