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Joachim Fests späte Essays - Vermächtnis eines großen Publizisten.
Vermächtnis eines großen Publizisten Joachim Fests brillante Essays zeigen die thematische Bandbreite des begnadeten Stilisten: vom Dritten Reich und Problemen der Geschichtsschreibung über das Verhältnis der Intellektuellen zur Politik bis hin zu Literatur und Kunst.

Produktbeschreibung
Joachim Fests späte Essays - Vermächtnis eines großen Publizisten.
Vermächtnis eines großen Publizisten
Joachim Fests brillante Essays zeigen die thematische Bandbreite des begnadeten Stilisten: vom Dritten Reich und Problemen der Geschichtsschreibung über das Verhältnis der Intellektuellen zur Politik bis hin zu Literatur und Kunst.
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Autorenporträt
Joachim Fest (1926 - 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2007

Spurlos verschwunden
Tacitus im Führerbunker: Letzte Reden, Aufsätze und Bildbetrachtungen von Joachim Fest

Am 7. Mai 1982 nahm Joachim Fest in Gegenwart von Golo Mann den Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck entgegen. Seine Dankrede "Der Irrtum Hannos oder Bürgerlichkeit als geistige Lebensform" eröffnet das Buch aus nachgelassenen Vorträgen und Aufsätzen, das jetzt im Rowohlt Verlag erschienen ist, den sein Sohn Alexander Fest leitet. Der Preisträger begann seine Betrachtungen über den bürgerlichen Charakter mit einem Bekenntnis zu Thomas Mann, einem Lebenslektürebericht. Manns Werk war für Fest "ein Bilderzug von Szenen und Figuren, die man nie mehr vergaß", und schlägt man die beispielshalber genannten Szenen nach, sieht man, dass sie aneinandergereiht eine Variante jenes Zuges ergeben, dessen Bildersprache der letzte Essay des Bandes interpretiert, ursprünglich Beigabe zu einem Zyklus von Zeichnungen Horst Janssens: einen Totentanz.

Der Redner skizzierte, wie sich die deutschen Bürger mit Hitler, ihrem Todfeind, eingelassen hatten, und las dem makabren Ballett dann in einer kühnen Volte Tröstliches ab: Nicht einmal "der große Ruinierer, der sich die Zerstörung der bürgerlichen Welt ausdrücklich zum Ziel gesetzt hat, ist mit diesem Vorhaben erfolgreich gewesen". War die Sympathie mit dem Tod eine List der Vitalität? Fest beschwor die bürgerliche "Form der Selbstbehauptung, aus Untergängen Überlebenskräfte zu gewinnen und sich am eigenen Grabe Gesundheit zu besorgen", und sagte den in der Lübecker Stadtbibliothek versammelten Bürgern zum guten Schluss die Renaissance ihres Standes voraus.

Die Annahme, es komme nichts mehr, war Hannos Irrtum. Gleichgültig indes, was kommen sollte, es blieb das eingangs Gesagte gültig: "Mit den ,Buddenbrooks' lebte man wie im Zuhause, nie wieder hat ein Werk der Literatur mir und, wie ich weiß, vielen meiner Herkunft so verblüffende Erfahrungen des Wiedererkennens im ganz Anderen verschafft." Wie den Lübeckern, die sich im Roman porträtiert fanden, sei es seinesgleichen ergangen. "Es war alles Verwandtschaft."

Am 5. Dezember 1925, ein Jahr vor Joachim Fests Geburt, hatte ein anderer Lübeck-Besucher Ähnliches notiert. "Ich denke immer an die Buddenbrooks. Ich denke immer an Thomas Mann." Fest zitierte diese Tagebucheintragung von Joseph Goebbels 1995 in einem Vortrag im Institut für Zeitgeschichte aus Anlass der Publikation der Gesamtausgabe der Tagebücher.

Das Element der Gewalt

Die Lübecker Rede bestimmt die bürgerliche Lebensform mit Georg Lukács als den "Primat der Ethik". Der Münchner Vortrag beschreibt das Leben von Goebbels im Spiegel der täglichen Selbstauskünfte als Verfehlen dieser Form. Mit "einer bemerkenswerten, niemals nachlassenden Ausdauer hat Goebbels sich Tag für Tag, mitunter sichtlich stundenlang, dieser Pflicht unterworfen", aber das Exerzitium der Selbstprüfung verwandelte sich aus einem Medium der Skepsis in ein Instrument der Zerstreuung und Abtötung der Bedenken und Skrupel. Es ging mit der Zeit "weniger um Rechenschaften als um die Verfertigung des Bildes, das er und die ,Idee', der er mitsamt ihrem Führer diente, einst vor der Geschichte abgeben würden". Nach der Einsicht in die Unabwendbarkeit der Niederlage blieb diese Bildproduktion sein Lebensinhalt, und jene gespenstische Verwechslung von selbstgemachter Idee und Realität des Lebens, in der Fest ein deutsches Grundübel hat sehen wollen, hat ihren perfekten Ausdruck darin, dass seine letzte Sorge der "Sicherstellung der Tagebücher" galt.

Ins Auge fällt "die formale Achtlosigkeit der Texte", die aber nicht etwa die Unfähigkeit des Autors zur Form beweist, sondern das Ausmaß seines fehlgeleiteten formalen Ehrgeizes sichtbar macht: "Mitunter ahnt der Leser etwas von dem ungeheuren Stilisierungsdruck, dem sich Goebbels in allen veröffentlichten Äußerungen unterworfen hat." Wenn "in der Unterwürfigkeit" gegenüber Hitler "immer das Element der Gewalt spürbar" ist, "die er sich dabei antun mußte", so ist dieses Gewaltsame der Selbstdisziplinierung Mimikry der bürgerlichen Moral. Fest deutet das schriftliche Selbstgespräch des Erzdemagogen als Versuch der Selbstnarkotisierung, als Experiment nach allen Regeln der seelenmedizinischen Kunst: "Nicht selten stellt sich auch der Eindruck ein, er bemühe sich, die Dinge so zu sehen, wie sie gesehen werden sollten, und erprobe an sich selber die Betäubungswirkungen der eigenen Propaganda."

Sollte das Studium dieser ganz anderen publizistischen Existenz Fest eine Erfahrung des Wiedererkennens verschafft haben? Wenn alles Verwandtschaft war unter den Lesern Thomas Manns, könnte der Vortrag dann den Titel "Bruder Goebbels" tragen? Fest sieht von aller ausdrücklichen Bezeichnung der bürgerlichen Züge des pathologischen Falles ab. Seine Lebensmaxime, dass das Moralische sich von selbst verstehe, hat Folgen für die Darstellungsweise des Historikers. Nichts hätte Fest ferner liegen können, als einen Aufruf zur bürgerlichen Selbstkritik mit der Beobachtung zu begründen, dass auch Goebbels sich dazu zwingen musste, jeden Abend Zeit für das Tagebuch zu schaffen. Wenn aber Fests Ausführungen zum bürgerlichen Ethos gewöhnlich das Appellative fehlt, wird man diese Diskretion auch darauf zurückführen, dass unter den Feinden seiner Lebensform, die sein Vater ihn zu erkennen gelehrt hatte, Doppel- und Wiedergänger der Bürger gewesen waren.

Im Text findet die Idee keinen Halt, dass Fest versucht gewesen sein könnte, sich in Goebbels einzufühlen. Dem Zwangscharakter, der die Unmündigkeit selbst verschuldet hat, ist eine objektive Psychologie gemäß, die gleichsam logische Zusammenhänge aufweist. Wie "in einer letzten Demonstration seines Grundsatzes, wonach der Propagandist sich niemals widersprechen dürfe", suchte Goebbels an der Seite Hitlers den Tod im Bunker. Bestechend ist, was Fest der an Notizen von 1942 und 1943 geknüpften Vermutung entgegensetzt, Goebbels habe versucht, Hitler vom Entschluss zum Judenmord abzubringen: "Weit glaubwürdiger mutet an, er habe das Thema in seinen Unterredungen mit Hitler zur Sprache gebracht, um die eigenen Zweifel auszuräumen."

Wo Fachhistoriker sich verpflichtet fühlen, wahrscheinlich durch Artikel 1 des Grundgesetzes, jedermann die Ineffabilität des Individuums zuzugestehen, da scheut Fest sich nicht, einen "Generalschlüssel zum Charakter von Goebbels" zu präsentieren, das "Kompensationsbedürfnis" des Klumpfüßlers. In einer spekulativen Variante begegnet ein Ausgleichsgesetz der psychischen Ökonomie in Fests Aufsatz über die Kontinuität antiwestlichen Denkens bei Thomas Mann: Das "Ressentiment" haben vielleicht "Affektentladungen" am Leben gehalten, "die das strenge Regelwerk seines asketischen Tagesablaufs als Kompensation verlangte". Dass Fest über beide Tagebuchverfasser in derselben Nüchternheit handelt, weist ihn als Geschichtschreiber ohne Zorn und Eifer aus. Bei Goebbels wird ein bedingungsloser "Anpassungswille" diagnostiziert, bei Mann ein mutmaßlich bedingtes "Anpassungsbedürfnis". Die Chance zu dessen Befriedigung bot die Brieffreundin Agnes Meyer, "die herrische Frau".

In einer Rede zum achtzigsten Geburtstag von Karl Dietrich Bracher im Jahr 2002 nannte Fest unter den Prägungen, die er mit dem vier Jahre älteren Verfasser der "Auflösung der Weimarer Republik" teilte, "den unendlich stimulierenden Reiz" der antiken Welt. Brachers Dissertation über "Verfall und Fortschritt im Denken der frühen römischen Kaiserzeit" las Fest als Programmschrift ihrer allen Programmen misstrauenden Generation: Roms Niedergang werde "auf die wachsende Verdrängung der Wirklichkeit durch ideologische Vermeintlichkeiten zurückgeführt". Ein intellektuelles Karthago musste die Bonner Republik nach Fests Überzeugung zerstören: "erdachte Systeme" und "zergrübelte Theorien". Sogar ein Toast auf den Fernsehregisseur Jürgen Roland steht unter diesem Leitgedanken der Festschen Essayistik: Wie es seiner "aufklärerischen Neigung" entsprach, blieb der gelernte Journalist auch als Kriminalfilmemacher "bei der Wirklichkeit", indes im Schaffen seiner progressiven Kollegen die "Ideologien" über den "Augenschein" triumphierten.

Das Wesen der Historie

Die von Fest proklamierte Allgewalt dieses erkenntnistheoretischen Realismus kennt eine Ausnahme - ausgerechnet die historische Methode. Als er für sein Buch über den 20. Juli mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen ausgezeichnet wurde, bedankte er sich mit Bemerkungen über die Aufgaben des Geschichtschreibers, die auf einen Konstruktivismus, ja Kreationismus hinauslaufen: Die "gewaltigen Stoffhaufen, denen sich der Historiker gegenübersieht, haben von sich aus weder Farbe noch Gewicht", sind "nur rohe tohuwabohische Masse". Weder Farbe noch Gewicht: auf alle historischen Erscheinungen hat Fest die eigentümliche Eigenschaftslosigkeit jenes Phänomens übertragen, mit dem sein Autorenname verbunden bleiben wird. Immer wieder hat er die "Nichtigkeit" Hitlers beschworen. So liegt hinter seiner Wiedergewinnung der antiken Gewissheit vom "unveräußerlich literarischen Wesen aller Geschichtsschreibung" die Verallgemeinerung jener Erfahrung der Sinnlosigkeit der Geschichte, die er in der Jugend gemacht hatte.

Womöglich das Beste, was Fest geschrieben hat, ist der Aufsatz über den Führerbunker in den "Deutschen Erinnerungsorten". Hier trifft sein Taciteisches, sein Stil äußerster Lakonie, den vollkommen angemessenen Gegenstand. Der Ortsbegriff im Titel des Sammelwerkes, das ein französisches Vorbild nachahmt, ist rhetorisch gemeint. Auch Orte auf der Landkarte werden als Topoi nach Art von D-Mark und Bundesliga erörtert. Fest schildert den Flecken, der alle spielerischen Sinnzuschreibungen erübrigt. Die knappste Geste genügt ihm, um das Auge des Lesers auf den grotesken Umstand zu lenken, dass sich am Ort des jämmerlichen Todes von Hitler und Goebbels ihre historische Vision erfüllt hat und alles dem Erdboden gleichgemacht ist. "Wer ihr Denkmal suchte, mußte in der Tat nur um sich sehen." Der Grabspruch eines großen Baumeisters ist das letzte Wort über den großen Ruinierer.

1970 wurden die Überreste der Bunkerbewohner von den Russen verbrannt. Die konspirative Aktion firmierte als "Operation Archiv". Was müsste avantgardistischer Kulturgeschichte zu diesem Decknamen einfallen! Fest lässt ihn für sich sprechen. "Nach dem Ort der Erinnerung waren damit auch die letzten seiner Insassen beseitigt. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sie bis heute gegenwärtiger sind als jeder andere Schauplatz und Akteur der Geschichte." Fest hat gerne den Vers des Lukan zitiert über die besiegte Sache, die dem Cato gefallen hat. Lukan führt in seinem Epos über den Bürgerkrieg Klage darüber, dass die Begräbnisstätte des Pompeius in der afrikanischen Wüste an einer Inschrift zu erkennen sei. Er malt sich den Tag aus, da Asche und Sand sich vermischt haben werden: Dann wird die Welt das Grab des großen Pompeius sein. Fest kehrt dieses Motiv um und erlaubt sich eine humane Spekulation: Nicht alles auf der Welt müsste an Hitler erinnern, wenn er beerdigt worden wäre wie jeder andere Mensch.

PATRICK BAHNERS

Joachim Fest: "Bürgerlichkeit als Lebensform". Späte Essays. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 368 S., geb., 19,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kenntnisreich nähert sich Patrick Bahners dem Autor und seinem Buch. Ausführlich schreibt er über Joachim Fests Beschäftigung mit dem Ethos der Bürgerlichkeit und ihrer Fährnisse: Goebbels und Thomas Mann, wie Fest sie sah. Als so angenehm wie angezeigt erscheinen Bahners die Lakonie und die Zurückhaltung, mit der Fest sein Thema behandelt, dass den Texten das "Appellative" fehlt und der Zorn. Eine Nüchternheit, die Bahners sich wünscht, wenn er den von Fest für sich in Anspruch genommenen Kreationismus als historische Methode auch nicht nachvollziehen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH
Die Essays, die Joachim Fest seit Jahrzehnten publizierte, sind meisterhaft in jedem Betracht. Süddeutsche Zeitung