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Für den Kleinen Brockhaus von 1949 war es um die Sache des Bürgertums klar bestellt: In den westeuropäischen Ländern ist es eine der großen, für das öffentliche Leben maßgebenden Massenschichten. Doch blieb die Existenz eines Bürgertums in Deutschland nach 1945, jenseits solcher lexikalischer Gewißheiten, nicht bloße Einbildung? Ein bestenfalls visionäres Projekt, in der bald alle Bürger sein wollten, ohne daß ein Bürgertum je vorhanden war und sein konnte? Bei Abgesängen auf das Bürgertum ist indessen Vorsicht geboten. Noch jedes Mal haben sie sich als verfrüht erwiesen, und die Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Für den Kleinen Brockhaus von 1949 war es um die Sache des Bürgertums klar bestellt: In den westeuropäischen Ländern ist es eine der großen, für das öffentliche Leben maßgebenden Massenschichten. Doch blieb die Existenz eines Bürgertums in Deutschland nach 1945, jenseits solcher lexikalischer Gewißheiten, nicht bloße Einbildung? Ein bestenfalls visionäres Projekt, in der bald alle Bürger sein wollten, ohne daß ein Bürgertum je vorhanden war und sein konnte? Bei Abgesängen auf das Bürgertum ist indessen Vorsicht geboten. Noch jedes Mal haben sie sich als verfrüht erwiesen, und die Geschichte der Bundesrepublik bietet hierfür das beste Beispiel, folgte doch dem sich dezidiert antibürgerlich stilisierenden Nationalsozialismus eine Renaissance der bürgerlichen Ordnung. Sie erwies sich als erfolgreich noch in ihrer Ablehnung, wie etwa im Epochenjahr 1968, in dem sich die Kritik am Bestehenden nur als Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft gerieren konnte.Der vorliegende Sammelband fragt erstmals nach den fortdauernden Elementen von Bürgerlichkeit in der deutschen Nachkriegsgeschichte. In autobiographisch motivierten Interpretationen sowie in historischen und soziologischen Untersuchungen zeigen die Autoren, was vom einstigen politischen Ordnungsmodell der bürgerlichen Gesellschaft weiter Bestand hatte und selbst noch in ihren Wandlungsprozessen die Geschichte der Bundesrepublik zu beeinflussen vermochte. Damit greift der Band zugleich in aktuelle Diskussionen um die Bürger- oder Zivilgesellschaft ein. Denn der Ruf nach einer neuerlichen Etablierung bürgerlicher Werte im Zeichen der Krise erschöpft sich in bloßer Rhetorik, solange nicht die Bedingungen ihrer vormaligen Existenz untersucht werden.
Autorenporträt
Bernd Ulrich ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Politik-Ressorts der «Zeit». Geboren 1960 in Essen, war er Kriegsdienstverweigerer und Aktivist in der Friedensbewegung der achtziger Jahre. Von 1988 bis 1990 arbeitete er als Büroleiter für den Fraktionsvorstand der Grünen, bis sie aus dem Bundestag flogen. Danach hat er seine Arbeitslosigkeit für einige Babyjahre genutzt, seit 1993 ist er Journalist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2007

Bürgerlichkeit nach 1945

Eine "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" ist nach dem Krieg aus Deutschland geworden, glaubt man einem berühmten Diktum Helmut Schelskys: Das jüdische Bürgertum wurde vertrieben und ermordet, das deutschnationale Bürgertum war demoralisiert. Die verbliebene Mitte schämte sich ihrer Bürgerlichkeit. Erst seit ein paar Jahren ist es wieder erlaubt, affirmativ von "Bürgertum" zu reden: Bücher über Werte, Tugenden (Ottfried Höffe), Manieren (Prinz Asserate) oder Disziplin (Bernhard Bueb) haben Konjunktur. Der Sammelband Bürgerlichkeit bietet eine fundierte Einführung in die Debatte.

Bernd Ulrich (Hg.): Bürgertum nach 1945. Hamburger Edition 2005.

36 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dass Bürgerlichkeit keine Modeerscheinung ist, sondern eine trotz ihrer begrifflichen Unschärfe politisch und soziokulturell konstitutive Größe, hat die Lektüre dieses von Manfred Hettling und Bernd Ulrich herausgegebenen Sammelbandes den Rezensenten gelehrt. Werner Bührer stellt die drei Teile des Bandes (Annäherung, Leitideen, Sozialformationen) und ihre Beiträge knapp vor. Er stößt auf eine "gewohnt geistreich-provokante" Analyse dreier Bürgertumsgenerationen von Heinz Bude, ein Abdriften vom Thema in Ulrich Bielefelds Auseinandersetzung mit Hans Freyer und würdigt den Band schließlich als gelungene Rehabilitation der Begriffe "Bürgertum" und "Bürgerlichkeit".

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