Welcome to Bullet Park, a township in which even the most buttoned-down gentry sometimes manage to terrify themselves simply by looking in the mirror. In these exemplary environs John Cheever traces the fateful intersection of two men: Eliot Nailles, a nice fellow who loves his wife and son to blissful distraction, and Paul Hammer, a bastard named after a common household tool, who, after half a lifetime of drifting, settles down in Bullet Park with one objective-to murder Nailles's son. Here is the lyrical and mordantly funny hymn to the American suburb-and to all the dubious normalcy it represents-delivered with unparalleled artistry and assurance.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2011Satyr der Suburbs
Wo die „Mad Men“ wohnen: Die neue Übersetzung von John Cheevers Vorstadt-Satire „Bullet Park“ ist der ideale Einstieg in das Werk des großen amerikanischen Autors
Als er 1975 den letzten Martini seines Lebens kippte und sich in eine Entzugsklinik begab, war keines seiner Bücher mehr lieferbar. Doch John Cheever, der 1958 mit seinem ersten Roman „The Wapshot Chronicle“ auf Anhieb den National Book Award gewonnen hatte, obsiegte über seine Sucht ebenso wie über die Zweifler, die ihn als einen der größten amerikanischen Erzähler des 20. Jahrhunderts bereits abgeschrieben hatten.
Und drei Jahre später war er wieder da: Sein irrwitziger Gefängnis-Roman „Falconer“, der in Fortsetzungen im amerikanischen Playboy vorabgedruckt worden war, erklomm 1978 Platz eins der Bestseller-Liste, und Cheevers vom Alkohol gezeichnetes Gesicht schaffte es auf das Cover des Magazins Newsweek. 1979 erhielt er den Pulitzer-Preis für einen Band mit ausgewählten Short Stories, und sechs Wochen vor seinem Krebstod im Jahr 1982 wurde ihm noch die Nationalmedaille der American Academy of Arts and Letters verliehen.
Ruhm und Ehre waren späte Genugtuung für die Jahre der Erfolglosigkeit und nagenden Selbstzweifel, bestimmt von Depressionen, Abstürzen und einer selbstzerstörerischen Energie, die vor allem durch seine unerlöste Bisexualität befeuert wurde. Cheever schrieb zunächst Kurzgeschichten für den New Yorker. Allmorgendlich fuhr er mit dem Aufzug ins Souterrain des Apartmenthauses, in dem er damals mit seiner Familie lebte, und legte seinen einzigen Anzug sofort wieder ab, um ihn zu schonen. Nur mit Boxershorts bekleidet, versuchte er, eine neue Geschichte „auszuschwitzen“, um die Miete bezahlen zu können. Zwanzig Jahre brauchte er für den ersten Band seiner „Wapshot“-Saga, mit dem er als Romancier debütierte und auf dem der ganze Druck der Ambition lastete, all jene zum Schweigen zu bringen, die behaupteten, ihm fehle der lange Atem des Epikers.
Umso eifersüchtiger – und zudem von heftigem Sexualneid angespitzt – sieht Cheever jüngere, produktivere Talente wie Philip Roth und John Updike an sich vorbeiziehen. Der scharfsinnige Witz und die Geschmeidigkeit des jungen Roth, den er 1957 in seinem Haus Upstate New York empfängt, strecken Cheever förmlich nieder, und als Updike ihn einmal abends zu einem Konzert abholen will, erwartet er diesen völlig nackt und völlig betrunken auf der Türschwelle. „Mit meinen Herbstrosen und meinem Winterzwielicht scheine ich wohl nicht in der ersten Liga zu spielen“, notiert erin sein Tagebuch – und lässt seine Zerknirschung wie gewohnt bei ein paar Bourbons verflimmern.
Cheever, in dessen Wesen die zerstörerischen Kräfte oft machtvoller waren als die schöpferischen, fühlt sich wie ein Häftling, „der versucht, über die falsche Route aus dem Gefängnis auszubrechen“. Den Tiefpunkt erreicht seine zunehmend beschleunigte Höllenfahrt 1969, als sein Roman „Bullet Park“ auf der Titelseite der New York Times Book Review katastrophal verrissen wird. Für den Rezensenten kam das Buch, das, so Cheever, „ein Extrakt meiner privatesten Gefühle ist“, einem literarischen Bankrott gleich. Dabei schrieb Cheever nach Fertigstellung des Romans, der erst jetzt in einer kongenialen deutschen Übersetzung vorliegt, selbstkritisch: „Als ich mit ,Bullet Park‘ zu Ende kam, verspürte ich das Bedürfnis, meine Herangehensweise an die Dinge zu überdenken, das heißt, meine Prosa tunlichst nicht mehr aus den kleinsten Einzelheiten des Lebens der gehobenen Mittelklasse zu entwickeln: Sie gehörte zu den Frauen, die für alle Autos und viele andere Geräte das weibliche Geschlecht benutzen. Volkswagen, Kühlschrank und Waschmaschine waren eine ,Sie‘, und wenn sie kaputtgingen, wurden sie als krank bezeichnet. ,Sie ist krank‘, sagte sie dann vor dem Kühlschrank. Sie sprach ungehemmt mit Ampeln und bezeichnete das Auto als durstig . . . Mit so was würde ich gern aufhören.“
Sicher, „Bullet Park“ ist nicht Cheevers bestes Buch – das ist wohl sein Tagebuch, das zu den bedeutendsten Zeugnissen der Literaturmoderne gehört –, und doch bündelt der allzu schematisch angelegte Roman alles, was diesen großartigen Schriftsteller auszeichnet: stilistische Brillanz, Leidenschaftlichkeit und erzählerische Kraft. Das Buch empfiehlt sich als idealer Einstieg in sein Werk für all jene, die Cheever noch nicht entdeckt haben oder, angefixt von der Fernsehserie „Mad Men“, fiebernd auf deren nächste Staffel warten. Eine Szene von so bösem Witz wie jene, da die Werber in einer Folge den Landmaschinenhersteller John Deere als Kunden gewonnen haben, könnte sich auch John Cheever ausgedacht haben: In der Agentur feiert man ausgelassen den Erfolg – unter Strömen von Alkohol und mit einer beschwingten Rundfahrt auf einem Aufsitzmäher über die Büroflure, als der kleine Rasentraktor mit seinen motorisierten Sicheln außer Kontrolle gerät. Der lässig an einen Schreibtisch gelehnten Agenturchef verliert bei dieser Party einen Fuß und seinen Job.
Wie eine Blaupause zu „Mad Men“ wirkt „Bullet Park“, dieser zweite Suburbia-Klassiker neben Richard Yates’ „Revolutionary Road“. Es gibt viele Parallelen zwischen den Zeitgenossen Cheever und Yates – die alkoholischen Exzesse, der Hang zur Selbstzerstörung und das schlechte Timing, das wie ein Fluch auf ihren Laufbahnen lag. Beide schrieben sie langsam und kamen mit ihren Büchern zu spät, galten bereits als altmodisch, bevor sie ihren Rang beweisen konnten. Im Gegensatz zu Cheever, der seinen Triumph noch erlebte, ging Yates elend zugrunde – verkannt, verbrannt und verbannt. Erst in den vergangenen Jahren wurde er literarisch rehabilitiert. Die Ironie des Schicksal wollte es, dass Cheever, als er New York den Rücken kehrte, der Nachmieter von Richard Yates wurde. Er zog in das Cottage in Westchester, das dieser bewohnt hatte, bevor sein persönlicher amerikanischer Traum genauso zerbrach, wie er es in „Revolutionary Road“ schildert.
Beide kannten sie aus eigenem Erleben die morgendlichen Heerscharen von „Commuters“, die uniformierten Berufspendler an den Provinzbahnhöfen, Männer in mittlerem Alter mit kleinen Hüten, steifen Popeline-Mänteln und leeren Gesichtern. An ihr Dasein gekettet durch Bankschulden, zerrüttete Ehen und sinnlose Jobs, waren ihre Illusionen unter die Räder der Züge geraten, die sie jeden Tag nach Manhattan pumpten. Während Richard Yates das Los der konsumistisch sedierten amerikanischen Mittelklasse jener Zeit, die an ihrem Konformismus zuschanden geht und ohne die akzeptierte Droge Alkohol keine einzige Arbeitswoche durchstehen könnte, mit der Wucht einer antiken Tragödie entfaltet, liest sich Cheevers „Bullet Park“ wie das garstige Satyrspiel, das die Götter verspottet, denen Yates huldigt. Der Roman ist das elegante, witzige und poetische Gegenstück zu „Revolutionary Road“, obgleich Cheever im Tagebuch festhält: „Es war mein eigener, früh im Leben gefaßter Entschluss, mich in die Mittelschicht einzuschleichen wie ein Spion, um mir eine günstige Angriffsposition zu verschaffen, aber hin und wieder scheine ich meine Mission vergessen und meine Maskeraden zu ernst genommen zu haben“.
Solch ein Eindringling, ein Schläfer, eine tickende Zeitbombe ist auch der Mann namens Hammer, der eines Tages in den fiktiven New Yorker Vorort Bullet Park zieht. Bullet, also Geschoss heißt das Städtchen, weil sich hier brave Familienväter schon mal im Garten erschießen, nachdem sie das Esszimmer frisch gestrichen haben. Hammer hat nichts Harmloseres im Sinn, als einen der Bewohner zu kreuzigen, ihn buchstäblich an die Kirchentür zu nageln, „als Paradebeispiel für ein Leben ohne echtes Gefühl und echten Wert“.
Seinen Nagel und also sein Opfer findet er in dem Angelfreund Nailles. Nailles ist ein typischer Bürger von Bullet Park, einen Ort, über den es heißt: „Man braucht sich nur seine Kleidung bei Brooks zu kaufen, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren und einmal in der Woche in die Kirche zu gehen, dann fragt kein Mensch, wer man ist.“ Wie jeder hier hasst Nailles seinen Job und liebt seine mannstolle Frau Nellie, deren Monogamie sich einzig widrigen Umständen verdankt. Und er liebt seinen einzigen Sohn Tony, der jedoch aus Protest gegen die elterliche Bigotterie nicht mehr das Bett verlässt. Als eines Morgens von einem der Männer, die gleich ihm – verkatert und ihre Ginfahne hinter der Times oder dem Wallstreet Journal verbergend – am Bahnsteig warten, nach der Durchfahrt eines Zuges nur ein einzelner Schuh auf dem Gleisbett übrigbleibt, bringt Nailles es nicht länger über sich,in den täglichen Pendelzug in die Stadt zu steigen. Seine kleine Phobie bekommt er dank eines gnädigen Arztes in den Griff, der kurz darauf die Zulassung wegen der bunten Pillen verliert, deren Zauberkraft die Arbeitsfähigkeit der männlichen Siedlungsbewohner aufrecht erhält.
Mit vitalem Grimm geißelt John Cheever die „Legionen von partnertauschenden, judenhetzerischen, trunksüchtigen geistigen Bankrotteuren“ in ihren weißen Häusern, die „bis zur Dachrinne mit Hypotheken belastet sind“, die perfekten Ehepaare, von deren alkoholbedingten Unfällen Armschlingen, Verbände und Heftpflaster zeugen. „Verflucht sei ihre Scheinheiligkeit, verflucht ihre Heuchelei, verflucht ihre Kreditkarten, verflucht ihre Geringschätzung der Wildnis des menschlichen Geistes, verflucht ihre Makellosigkeit, verflucht ihre Lüsternheit. Doch vor allem seien sie verflucht, weil sie dem Leben jene Kraft und Würze, jene Farbe und Inbrunst geraubt haben, die ihm Bedeutung verleihen. Heulen und Wehklagen“, heißt es in Thomas Gunkels eleganter Übersetzung, deren Durchlässigkeit zu schätzen weiß, wer noch den hölzernen Klang der älteren deutschen Fassung im Ohr hat.
Richtig abgründig aber wird es, wenn Cheever im zweiten Teil des Romans die Seite wechselt und nicht mehr über das reglementierte Leben der Vorstadt-Puritaner, die ihre Briefkästen mit geradezu sexueller Gier nach einer Verbindung zur stürmischen Welt der Einladungen, Schecks und Liebesbriefe öffnen („es sah fast so aus, als würden sie sich die Hose aufknöpfen“) schreibt, sondern über deren Racheengel. Und damit über seine eigene Dämonie. Dieser Mann namens Hammer ist ein haltloser Alkoholiker auf der Suche nach Erlösung, die er einzig in den gelben Zimmern wildfremder Menschen findet, und der eine Frau heiratet, weil er dem Mysterium eines weißen Fadens auf ihrem Mantel verfällt. In der Schilderung dieser Kippfigur und ihres lauernden Irrsinns kommt Cheevers dunkel schillernder Glanz erst zur Geltung. „Wenn wir die Klarheit aufgeben, finden wir hin und wieder die Kraft zu breiteren Assoziationen“, schrieb er einmal.
In „Bullet Park“ hat er seine innere Zerrissenheit auf zwei antagonistische Figuren verteilt und sein Lebensthema, den Dualismus einer zügellosen Triebhaftigkeit, die mit den sozialen Normen nicht zu vereinbaren ist, satirisch variiert. Cheever gab sich als accomplished gentleman und war doch immer nur eine Handbreit vom Abgrund entfernt. Der Roman endet mit einem vergifteten Happy End, und wer ihn liest, ahnt, dass es John Cheever ernster war, als sein Hohn vermuten lässt: „Ein Mann allein ist etwas Einsames, wie ein Stein, ein Knochen, ein Stock; er ist ein Gefäß für Gilbey’s Gin, eine gebeugte Gestalt, die auf dem Rand eines Hotelbettes sitzt und schwere Seufzer ausstößt wie der Herbstwind“, heißt es in einer frühen Skizze zu diesem so aberwitzigen Roman „Bullet Park“. CHRISTOPHER SCHMIDT
JOHN CHEEVER: Die Lichter von Bullet Park. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Dumont Buchverlag, Köln 2011. 256 Seiten, 19,99 Euro.
Cheevers Roman ist das ebenso
witzige wie poetische Gegenstück
zu Yates’ „Revolutionary Road“
So richtig zu sich kommt Cheevers
Prosa erst, wenn er über
seine eigenen Dämonen schreibt
„Schließlich zieht er sich an und betritt, geplagt von Schwindelgefühl, Schwermut, Übelkeit und flüchtigen Erektionen, sein Gethsemane, seinen Montagmorgenzug um zehn Uhr achtundvierzig“, heißt es in „Bullet Park“ über einen jener Commuters der sechziger Jahre, wie sie auf unserem großen Bild zu sehen sind. Das klei-ne Bild zeigt John Cheever 1979 auf der Terrasse seines Hauses in Ossining, umgeben von den Dingen, die ihm am
wichtigsten waren:
Bücher, Hunde, Whiskey.
Fotos: Carl Mydans / Time Life Pictures / Getty Images, The New York Times / Redux / laif
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Wo die „Mad Men“ wohnen: Die neue Übersetzung von John Cheevers Vorstadt-Satire „Bullet Park“ ist der ideale Einstieg in das Werk des großen amerikanischen Autors
Als er 1975 den letzten Martini seines Lebens kippte und sich in eine Entzugsklinik begab, war keines seiner Bücher mehr lieferbar. Doch John Cheever, der 1958 mit seinem ersten Roman „The Wapshot Chronicle“ auf Anhieb den National Book Award gewonnen hatte, obsiegte über seine Sucht ebenso wie über die Zweifler, die ihn als einen der größten amerikanischen Erzähler des 20. Jahrhunderts bereits abgeschrieben hatten.
Und drei Jahre später war er wieder da: Sein irrwitziger Gefängnis-Roman „Falconer“, der in Fortsetzungen im amerikanischen Playboy vorabgedruckt worden war, erklomm 1978 Platz eins der Bestseller-Liste, und Cheevers vom Alkohol gezeichnetes Gesicht schaffte es auf das Cover des Magazins Newsweek. 1979 erhielt er den Pulitzer-Preis für einen Band mit ausgewählten Short Stories, und sechs Wochen vor seinem Krebstod im Jahr 1982 wurde ihm noch die Nationalmedaille der American Academy of Arts and Letters verliehen.
Ruhm und Ehre waren späte Genugtuung für die Jahre der Erfolglosigkeit und nagenden Selbstzweifel, bestimmt von Depressionen, Abstürzen und einer selbstzerstörerischen Energie, die vor allem durch seine unerlöste Bisexualität befeuert wurde. Cheever schrieb zunächst Kurzgeschichten für den New Yorker. Allmorgendlich fuhr er mit dem Aufzug ins Souterrain des Apartmenthauses, in dem er damals mit seiner Familie lebte, und legte seinen einzigen Anzug sofort wieder ab, um ihn zu schonen. Nur mit Boxershorts bekleidet, versuchte er, eine neue Geschichte „auszuschwitzen“, um die Miete bezahlen zu können. Zwanzig Jahre brauchte er für den ersten Band seiner „Wapshot“-Saga, mit dem er als Romancier debütierte und auf dem der ganze Druck der Ambition lastete, all jene zum Schweigen zu bringen, die behaupteten, ihm fehle der lange Atem des Epikers.
Umso eifersüchtiger – und zudem von heftigem Sexualneid angespitzt – sieht Cheever jüngere, produktivere Talente wie Philip Roth und John Updike an sich vorbeiziehen. Der scharfsinnige Witz und die Geschmeidigkeit des jungen Roth, den er 1957 in seinem Haus Upstate New York empfängt, strecken Cheever förmlich nieder, und als Updike ihn einmal abends zu einem Konzert abholen will, erwartet er diesen völlig nackt und völlig betrunken auf der Türschwelle. „Mit meinen Herbstrosen und meinem Winterzwielicht scheine ich wohl nicht in der ersten Liga zu spielen“, notiert erin sein Tagebuch – und lässt seine Zerknirschung wie gewohnt bei ein paar Bourbons verflimmern.
Cheever, in dessen Wesen die zerstörerischen Kräfte oft machtvoller waren als die schöpferischen, fühlt sich wie ein Häftling, „der versucht, über die falsche Route aus dem Gefängnis auszubrechen“. Den Tiefpunkt erreicht seine zunehmend beschleunigte Höllenfahrt 1969, als sein Roman „Bullet Park“ auf der Titelseite der New York Times Book Review katastrophal verrissen wird. Für den Rezensenten kam das Buch, das, so Cheever, „ein Extrakt meiner privatesten Gefühle ist“, einem literarischen Bankrott gleich. Dabei schrieb Cheever nach Fertigstellung des Romans, der erst jetzt in einer kongenialen deutschen Übersetzung vorliegt, selbstkritisch: „Als ich mit ,Bullet Park‘ zu Ende kam, verspürte ich das Bedürfnis, meine Herangehensweise an die Dinge zu überdenken, das heißt, meine Prosa tunlichst nicht mehr aus den kleinsten Einzelheiten des Lebens der gehobenen Mittelklasse zu entwickeln: Sie gehörte zu den Frauen, die für alle Autos und viele andere Geräte das weibliche Geschlecht benutzen. Volkswagen, Kühlschrank und Waschmaschine waren eine ,Sie‘, und wenn sie kaputtgingen, wurden sie als krank bezeichnet. ,Sie ist krank‘, sagte sie dann vor dem Kühlschrank. Sie sprach ungehemmt mit Ampeln und bezeichnete das Auto als durstig . . . Mit so was würde ich gern aufhören.“
Sicher, „Bullet Park“ ist nicht Cheevers bestes Buch – das ist wohl sein Tagebuch, das zu den bedeutendsten Zeugnissen der Literaturmoderne gehört –, und doch bündelt der allzu schematisch angelegte Roman alles, was diesen großartigen Schriftsteller auszeichnet: stilistische Brillanz, Leidenschaftlichkeit und erzählerische Kraft. Das Buch empfiehlt sich als idealer Einstieg in sein Werk für all jene, die Cheever noch nicht entdeckt haben oder, angefixt von der Fernsehserie „Mad Men“, fiebernd auf deren nächste Staffel warten. Eine Szene von so bösem Witz wie jene, da die Werber in einer Folge den Landmaschinenhersteller John Deere als Kunden gewonnen haben, könnte sich auch John Cheever ausgedacht haben: In der Agentur feiert man ausgelassen den Erfolg – unter Strömen von Alkohol und mit einer beschwingten Rundfahrt auf einem Aufsitzmäher über die Büroflure, als der kleine Rasentraktor mit seinen motorisierten Sicheln außer Kontrolle gerät. Der lässig an einen Schreibtisch gelehnten Agenturchef verliert bei dieser Party einen Fuß und seinen Job.
Wie eine Blaupause zu „Mad Men“ wirkt „Bullet Park“, dieser zweite Suburbia-Klassiker neben Richard Yates’ „Revolutionary Road“. Es gibt viele Parallelen zwischen den Zeitgenossen Cheever und Yates – die alkoholischen Exzesse, der Hang zur Selbstzerstörung und das schlechte Timing, das wie ein Fluch auf ihren Laufbahnen lag. Beide schrieben sie langsam und kamen mit ihren Büchern zu spät, galten bereits als altmodisch, bevor sie ihren Rang beweisen konnten. Im Gegensatz zu Cheever, der seinen Triumph noch erlebte, ging Yates elend zugrunde – verkannt, verbrannt und verbannt. Erst in den vergangenen Jahren wurde er literarisch rehabilitiert. Die Ironie des Schicksal wollte es, dass Cheever, als er New York den Rücken kehrte, der Nachmieter von Richard Yates wurde. Er zog in das Cottage in Westchester, das dieser bewohnt hatte, bevor sein persönlicher amerikanischer Traum genauso zerbrach, wie er es in „Revolutionary Road“ schildert.
Beide kannten sie aus eigenem Erleben die morgendlichen Heerscharen von „Commuters“, die uniformierten Berufspendler an den Provinzbahnhöfen, Männer in mittlerem Alter mit kleinen Hüten, steifen Popeline-Mänteln und leeren Gesichtern. An ihr Dasein gekettet durch Bankschulden, zerrüttete Ehen und sinnlose Jobs, waren ihre Illusionen unter die Räder der Züge geraten, die sie jeden Tag nach Manhattan pumpten. Während Richard Yates das Los der konsumistisch sedierten amerikanischen Mittelklasse jener Zeit, die an ihrem Konformismus zuschanden geht und ohne die akzeptierte Droge Alkohol keine einzige Arbeitswoche durchstehen könnte, mit der Wucht einer antiken Tragödie entfaltet, liest sich Cheevers „Bullet Park“ wie das garstige Satyrspiel, das die Götter verspottet, denen Yates huldigt. Der Roman ist das elegante, witzige und poetische Gegenstück zu „Revolutionary Road“, obgleich Cheever im Tagebuch festhält: „Es war mein eigener, früh im Leben gefaßter Entschluss, mich in die Mittelschicht einzuschleichen wie ein Spion, um mir eine günstige Angriffsposition zu verschaffen, aber hin und wieder scheine ich meine Mission vergessen und meine Maskeraden zu ernst genommen zu haben“.
Solch ein Eindringling, ein Schläfer, eine tickende Zeitbombe ist auch der Mann namens Hammer, der eines Tages in den fiktiven New Yorker Vorort Bullet Park zieht. Bullet, also Geschoss heißt das Städtchen, weil sich hier brave Familienväter schon mal im Garten erschießen, nachdem sie das Esszimmer frisch gestrichen haben. Hammer hat nichts Harmloseres im Sinn, als einen der Bewohner zu kreuzigen, ihn buchstäblich an die Kirchentür zu nageln, „als Paradebeispiel für ein Leben ohne echtes Gefühl und echten Wert“.
Seinen Nagel und also sein Opfer findet er in dem Angelfreund Nailles. Nailles ist ein typischer Bürger von Bullet Park, einen Ort, über den es heißt: „Man braucht sich nur seine Kleidung bei Brooks zu kaufen, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren und einmal in der Woche in die Kirche zu gehen, dann fragt kein Mensch, wer man ist.“ Wie jeder hier hasst Nailles seinen Job und liebt seine mannstolle Frau Nellie, deren Monogamie sich einzig widrigen Umständen verdankt. Und er liebt seinen einzigen Sohn Tony, der jedoch aus Protest gegen die elterliche Bigotterie nicht mehr das Bett verlässt. Als eines Morgens von einem der Männer, die gleich ihm – verkatert und ihre Ginfahne hinter der Times oder dem Wallstreet Journal verbergend – am Bahnsteig warten, nach der Durchfahrt eines Zuges nur ein einzelner Schuh auf dem Gleisbett übrigbleibt, bringt Nailles es nicht länger über sich,in den täglichen Pendelzug in die Stadt zu steigen. Seine kleine Phobie bekommt er dank eines gnädigen Arztes in den Griff, der kurz darauf die Zulassung wegen der bunten Pillen verliert, deren Zauberkraft die Arbeitsfähigkeit der männlichen Siedlungsbewohner aufrecht erhält.
Mit vitalem Grimm geißelt John Cheever die „Legionen von partnertauschenden, judenhetzerischen, trunksüchtigen geistigen Bankrotteuren“ in ihren weißen Häusern, die „bis zur Dachrinne mit Hypotheken belastet sind“, die perfekten Ehepaare, von deren alkoholbedingten Unfällen Armschlingen, Verbände und Heftpflaster zeugen. „Verflucht sei ihre Scheinheiligkeit, verflucht ihre Heuchelei, verflucht ihre Kreditkarten, verflucht ihre Geringschätzung der Wildnis des menschlichen Geistes, verflucht ihre Makellosigkeit, verflucht ihre Lüsternheit. Doch vor allem seien sie verflucht, weil sie dem Leben jene Kraft und Würze, jene Farbe und Inbrunst geraubt haben, die ihm Bedeutung verleihen. Heulen und Wehklagen“, heißt es in Thomas Gunkels eleganter Übersetzung, deren Durchlässigkeit zu schätzen weiß, wer noch den hölzernen Klang der älteren deutschen Fassung im Ohr hat.
Richtig abgründig aber wird es, wenn Cheever im zweiten Teil des Romans die Seite wechselt und nicht mehr über das reglementierte Leben der Vorstadt-Puritaner, die ihre Briefkästen mit geradezu sexueller Gier nach einer Verbindung zur stürmischen Welt der Einladungen, Schecks und Liebesbriefe öffnen („es sah fast so aus, als würden sie sich die Hose aufknöpfen“) schreibt, sondern über deren Racheengel. Und damit über seine eigene Dämonie. Dieser Mann namens Hammer ist ein haltloser Alkoholiker auf der Suche nach Erlösung, die er einzig in den gelben Zimmern wildfremder Menschen findet, und der eine Frau heiratet, weil er dem Mysterium eines weißen Fadens auf ihrem Mantel verfällt. In der Schilderung dieser Kippfigur und ihres lauernden Irrsinns kommt Cheevers dunkel schillernder Glanz erst zur Geltung. „Wenn wir die Klarheit aufgeben, finden wir hin und wieder die Kraft zu breiteren Assoziationen“, schrieb er einmal.
In „Bullet Park“ hat er seine innere Zerrissenheit auf zwei antagonistische Figuren verteilt und sein Lebensthema, den Dualismus einer zügellosen Triebhaftigkeit, die mit den sozialen Normen nicht zu vereinbaren ist, satirisch variiert. Cheever gab sich als accomplished gentleman und war doch immer nur eine Handbreit vom Abgrund entfernt. Der Roman endet mit einem vergifteten Happy End, und wer ihn liest, ahnt, dass es John Cheever ernster war, als sein Hohn vermuten lässt: „Ein Mann allein ist etwas Einsames, wie ein Stein, ein Knochen, ein Stock; er ist ein Gefäß für Gilbey’s Gin, eine gebeugte Gestalt, die auf dem Rand eines Hotelbettes sitzt und schwere Seufzer ausstößt wie der Herbstwind“, heißt es in einer frühen Skizze zu diesem so aberwitzigen Roman „Bullet Park“. CHRISTOPHER SCHMIDT
JOHN CHEEVER: Die Lichter von Bullet Park. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Dumont Buchverlag, Köln 2011. 256 Seiten, 19,99 Euro.
Cheevers Roman ist das ebenso
witzige wie poetische Gegenstück
zu Yates’ „Revolutionary Road“
So richtig zu sich kommt Cheevers
Prosa erst, wenn er über
seine eigenen Dämonen schreibt
„Schließlich zieht er sich an und betritt, geplagt von Schwindelgefühl, Schwermut, Übelkeit und flüchtigen Erektionen, sein Gethsemane, seinen Montagmorgenzug um zehn Uhr achtundvierzig“, heißt es in „Bullet Park“ über einen jener Commuters der sechziger Jahre, wie sie auf unserem großen Bild zu sehen sind. Das klei-ne Bild zeigt John Cheever 1979 auf der Terrasse seines Hauses in Ossining, umgeben von den Dingen, die ihm am
wichtigsten waren:
Bücher, Hunde, Whiskey.
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In a class by itself, not only among Cheever's work but among all novels I know Joseph Heller