This study explores the formulation, tactics and impact of Britain's diplomatic efforts to induce the German government to abandon, modify and later to enlarge the European Economic Community. Its main contention is that British diplomacy between the Messina conference of 1955 and the first membership application of 1961 was counterproductive.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2001Winstons konzentrische Kreise
Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und das Europa der Sechs
Martin P. C. Schaad: Bullying Bonn. Anglo-German Diplomacy on European Integration, 1955-61. Macmillan Press Ltd., London 2000. 243 Seiten, 65,- Dollar.
London, 14. Mai 1953: Der britische Premier gibt ein Essen zu Ehren des deutschen Bundeskanzlers. Zwischen den Gängen zeichnet Winston Churchill drei konzentrische Kreise auf ein Tischkärtchen und erklärt, dies sei die internationale Position seines Landes: gelegen im Schnittpunkt dreier Kraftfelder: Commonwealth, Vereintes Europa und Vereinigte Staaten. Konrad Adenauer ist so beeindruckt, daß er zwölf Jahre später die kleine Skizze im ersten Band seiner Erinnerungen abbilden läßt und dazu notiert: "An dieser Haltung Großbritanniens hat sich nichts geändert."
Tatsächlich wurde die britische Europapolitik der Nachkriegszeit von dieser Konstellation bestimmt. Das Vereinigte Königreich gehörte zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Der Triumph über Hitler-Deutschland verschaffte der Tradition des insularen Eigenbewußtseins neuen Glanz. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Commonwealth schien ungebrochen. In der Nato erhielt das Land militärische Sicherheit und behauptete zugleich - gestützt auf die "special relationship" mit den Vereinigten Staaten - eine Sonderstellung.
Die Briten teilten daher die Gefühle ihrer europäischen Nachbarn nicht, die aus den bitteren Erfahrungen des Krieges ein engeres Zusammenrücken des Kontinents wünschten. Sie hielten Distanz gegenüber den Integrationsbemühungen der kontinentaleuropäischen Staaten, nahmen weder an der 1951 gegründeten Montanunion noch an den Verhandlungen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, geschweige denn an den Bemühungen um eine Europäische Politische Gemeinschaft teil. Sie blieben außerhalb der 1955 aufgenommenen Bemühungen um eine wirtschaftliche Union und versuchten statt dessen, die Verhandlungspartner der Römischen Verträge für die losere Verbindung im Rahmen einer Freihandelszone zu gewinnen. Der Gründung der EWG 1957 setzten sie demonstrativ die Gründung der EFTA entgegen. Erst 1961 kam die Kehrtwende mit dem offiziellen Beitrittsgesuch zur EWG, das jedoch wegen französischer Vorbehalte erfolglos blieb. Es sollte weitere 12 Jahre dauern, bis Großbritannien am 1. Januar 1973 Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde.
Die Geschichte der Beziehungen Großbritanniens zum Europa der Sechs in den Jahren 1955 bis 1961 ist bislang vielfach als Geschichte der verpaßten Gelegenheiten interpretiert worden. Dem lag die Annahme zugrunde, daß die Briten bei besserer politischer Taktik viel früher hätten Mitglied der Europäischen Gemeinschaften werden können. Martin Schaad stellt diese Auffassung auf den Prüfstand. Als "Testgebiet" dienen ihm die deutsch-britschen Beziehungen.
Differenzen in Bonn.
Die außerordentlich stringente und auf umfassende Quellenstudien in deutschen und britischen Archiven gestützte Analyse erweist zunächst, daß London bis 1961 an einer Teilnahme an den Integrationsbestrebungen auf dem Kontinent gar nicht interessiert war. Zwar verschlossen sich die britischen Politiker und Diplomaten nicht der Erkenntnis, daß die Bedeutung des Commonwealth und der Atlantischen Allianz gegenüber dem Faktor Europa zu verblassen begann. Doch gab sich London der Hoffnung hin, die kontinentaleuropäische Politik von außen so lenken zu können, daß britische Belange nicht tangiert würden.
Als aussichtsreichster Ansatzpunkt erschien die Bundesrepublik, deren politische und wirtschaftliche Interessen auf die Einheit der westlichen Welt gerichtet sein mußten. Zudem blieb den Briten nicht verborgen, daß innerhalb der Bundesregierung erhebliche Differenzen über den europapolitischen Kurs bestanden. Während Bundeskanzler Adenauer und das Auswärtige Amt unter Heinrich von Brentano mit dem Fernziel einer politischen Einigung für das Europa der Sechs eintraten, plädierte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard aus ökonomischen Gründen standhaft für eine Freihandelszone unter Einschluß Großbritanniens. Es schien nicht unmöglich, die Bundesrepublik durch geschicktes Taktieren auf den Kurs des letzteren zu bringen.
Doch gerade hier unterliefen der britischen Diplomatie entscheidende Fehler. Obwohl im Foreign Office die Kräfteverteilung in der Bundesregierung durchaus zutreffend analysiert wurde, hielten die verantwortlichen Politiker an der Vorstellung fest, Bonn könnte durch Druck zum Kurswechsel gezwungen werden. Ihre ausschließlich negative Argumentation, die sogar mit Konsequenzen für die gemeinsame Sicherheitspolitik drohte, war jedoch unglaubwürdig und bewirkte das genaue Gegenteil. Sie bestärkte das Mißtrauen der Gegner und untergrub die Überzeugungskraft der Befürworter einer europäischen Politik nach den Vorstellungen Großbritanniens.
Schaad resümiert zu Recht, daß weniger von "verpaßten Gelegenheiten" als vielmehr von einem Versagen der britischen Politik zu sprechen ist: Die Briten suchten keine Gelegenheit zur Mitwirkung an der europäischen Politik, sondern sie versuchten diese über die Einwirkung auf die Deutschen zu torpedieren - und scheiterten. Die negativen Folgen waren von langfristiger Dauer. Auch wenn nach dem Amtsantritt de Gaulles im Jahr 1958 der französische Widerstand gegen eine Einigung mit Großbritannien in erster Linie auf das spezifische Europakonzept des Generals zurückging, erhielten dessen Argumente durch die vorangegangenen Erfahrungen mit der britischen Politik selbst bei seinen Kritikern erhebliche Plausibilität. Zweifellos klangen sie auch bei dem Memoirenschreiber Adenauer nach, als er 1965 - auf dem Höhepunkt der von de Gaulle ausgelösten EWG-Krise - die britische Haltung charakterisierte.
DANIEL KOSTHORST
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und das Europa der Sechs
Martin P. C. Schaad: Bullying Bonn. Anglo-German Diplomacy on European Integration, 1955-61. Macmillan Press Ltd., London 2000. 243 Seiten, 65,- Dollar.
London, 14. Mai 1953: Der britische Premier gibt ein Essen zu Ehren des deutschen Bundeskanzlers. Zwischen den Gängen zeichnet Winston Churchill drei konzentrische Kreise auf ein Tischkärtchen und erklärt, dies sei die internationale Position seines Landes: gelegen im Schnittpunkt dreier Kraftfelder: Commonwealth, Vereintes Europa und Vereinigte Staaten. Konrad Adenauer ist so beeindruckt, daß er zwölf Jahre später die kleine Skizze im ersten Band seiner Erinnerungen abbilden läßt und dazu notiert: "An dieser Haltung Großbritanniens hat sich nichts geändert."
Tatsächlich wurde die britische Europapolitik der Nachkriegszeit von dieser Konstellation bestimmt. Das Vereinigte Königreich gehörte zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Der Triumph über Hitler-Deutschland verschaffte der Tradition des insularen Eigenbewußtseins neuen Glanz. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Commonwealth schien ungebrochen. In der Nato erhielt das Land militärische Sicherheit und behauptete zugleich - gestützt auf die "special relationship" mit den Vereinigten Staaten - eine Sonderstellung.
Die Briten teilten daher die Gefühle ihrer europäischen Nachbarn nicht, die aus den bitteren Erfahrungen des Krieges ein engeres Zusammenrücken des Kontinents wünschten. Sie hielten Distanz gegenüber den Integrationsbemühungen der kontinentaleuropäischen Staaten, nahmen weder an der 1951 gegründeten Montanunion noch an den Verhandlungen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, geschweige denn an den Bemühungen um eine Europäische Politische Gemeinschaft teil. Sie blieben außerhalb der 1955 aufgenommenen Bemühungen um eine wirtschaftliche Union und versuchten statt dessen, die Verhandlungspartner der Römischen Verträge für die losere Verbindung im Rahmen einer Freihandelszone zu gewinnen. Der Gründung der EWG 1957 setzten sie demonstrativ die Gründung der EFTA entgegen. Erst 1961 kam die Kehrtwende mit dem offiziellen Beitrittsgesuch zur EWG, das jedoch wegen französischer Vorbehalte erfolglos blieb. Es sollte weitere 12 Jahre dauern, bis Großbritannien am 1. Januar 1973 Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde.
Die Geschichte der Beziehungen Großbritanniens zum Europa der Sechs in den Jahren 1955 bis 1961 ist bislang vielfach als Geschichte der verpaßten Gelegenheiten interpretiert worden. Dem lag die Annahme zugrunde, daß die Briten bei besserer politischer Taktik viel früher hätten Mitglied der Europäischen Gemeinschaften werden können. Martin Schaad stellt diese Auffassung auf den Prüfstand. Als "Testgebiet" dienen ihm die deutsch-britschen Beziehungen.
Differenzen in Bonn.
Die außerordentlich stringente und auf umfassende Quellenstudien in deutschen und britischen Archiven gestützte Analyse erweist zunächst, daß London bis 1961 an einer Teilnahme an den Integrationsbestrebungen auf dem Kontinent gar nicht interessiert war. Zwar verschlossen sich die britischen Politiker und Diplomaten nicht der Erkenntnis, daß die Bedeutung des Commonwealth und der Atlantischen Allianz gegenüber dem Faktor Europa zu verblassen begann. Doch gab sich London der Hoffnung hin, die kontinentaleuropäische Politik von außen so lenken zu können, daß britische Belange nicht tangiert würden.
Als aussichtsreichster Ansatzpunkt erschien die Bundesrepublik, deren politische und wirtschaftliche Interessen auf die Einheit der westlichen Welt gerichtet sein mußten. Zudem blieb den Briten nicht verborgen, daß innerhalb der Bundesregierung erhebliche Differenzen über den europapolitischen Kurs bestanden. Während Bundeskanzler Adenauer und das Auswärtige Amt unter Heinrich von Brentano mit dem Fernziel einer politischen Einigung für das Europa der Sechs eintraten, plädierte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard aus ökonomischen Gründen standhaft für eine Freihandelszone unter Einschluß Großbritanniens. Es schien nicht unmöglich, die Bundesrepublik durch geschicktes Taktieren auf den Kurs des letzteren zu bringen.
Doch gerade hier unterliefen der britischen Diplomatie entscheidende Fehler. Obwohl im Foreign Office die Kräfteverteilung in der Bundesregierung durchaus zutreffend analysiert wurde, hielten die verantwortlichen Politiker an der Vorstellung fest, Bonn könnte durch Druck zum Kurswechsel gezwungen werden. Ihre ausschließlich negative Argumentation, die sogar mit Konsequenzen für die gemeinsame Sicherheitspolitik drohte, war jedoch unglaubwürdig und bewirkte das genaue Gegenteil. Sie bestärkte das Mißtrauen der Gegner und untergrub die Überzeugungskraft der Befürworter einer europäischen Politik nach den Vorstellungen Großbritanniens.
Schaad resümiert zu Recht, daß weniger von "verpaßten Gelegenheiten" als vielmehr von einem Versagen der britischen Politik zu sprechen ist: Die Briten suchten keine Gelegenheit zur Mitwirkung an der europäischen Politik, sondern sie versuchten diese über die Einwirkung auf die Deutschen zu torpedieren - und scheiterten. Die negativen Folgen waren von langfristiger Dauer. Auch wenn nach dem Amtsantritt de Gaulles im Jahr 1958 der französische Widerstand gegen eine Einigung mit Großbritannien in erster Linie auf das spezifische Europakonzept des Generals zurückging, erhielten dessen Argumente durch die vorangegangenen Erfahrungen mit der britischen Politik selbst bei seinen Kritikern erhebliche Plausibilität. Zweifellos klangen sie auch bei dem Memoirenschreiber Adenauer nach, als er 1965 - auf dem Höhepunkt der von de Gaulle ausgelösten EWG-Krise - die britische Haltung charakterisierte.
DANIEL KOSTHORST
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