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Rudolf Bultmann (1884-1976) prägte durch seinen hermeneutischen Ansatz die exegetischen und systematisch-theologischen sowie kirchlichen Diskurse des 20. Jahrhunderts wesentlich mit. Als Mitbegründer der formgeschichtlichen Schule und früher Vertreter der Dialektischen Theologie setzte er sich in den 1920er Jahren kritisch mit Positionen der liberalen Theologie auseinander und rückte die hermeneutische Frage nach den Verstehensbedingungen der biblischen Texte sowie deren Bedeutung für die Leserinnen und Leser in der Moderne in den Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Seine Theologie…mehr

Produktbeschreibung
Rudolf Bultmann (1884-1976) prägte durch seinen hermeneutischen Ansatz die exegetischen und systematisch-theologischen sowie kirchlichen Diskurse des 20. Jahrhunderts wesentlich mit. Als Mitbegründer der formgeschichtlichen Schule und früher Vertreter der Dialektischen Theologie setzte er sich in den 1920er Jahren kritisch mit Positionen der liberalen Theologie auseinander und rückte die hermeneutische Frage nach den Verstehensbedingungen der biblischen Texte sowie deren Bedeutung für die Leserinnen und Leser in der Moderne in den Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Seine Theologie entwickelte Bultmann im Gespräch und in der Auseinandersetzung; so pflegte er einen intensiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen auch anderer wissenschaftlicher Disziplinen, mit Studentinnen und Studenten, mit Pfarrerinnen und Pfarrern. Dieses Handbuch bietet neben einem ersten Orientierungsabschnitt über Bultmanns Werke und den gegenwärtigen Forschungsstand, in einem zweiten Abschnitt einen Zugang zur Person. Darin werden die Biographie, die theologischen Prägungen, die Beziehungen zu wichtigen Gesprächspartnern und seine politisch-gesellschaftlichen Kontexte in den Blick genommen. Eine Beschäftigung mit dem Werk Bultmanns findet im dritten Abschnitt statt. In diesem Abschnitt werden die vielfältigen Gattungen und Themen seines uvres behandelt sowie die sein Gesamtwerk prägenden Strukturen. Schließlich wird die Wirkung und Rezeption seiner Theologie insbesondere im deutschsprachigen Raum dargestellt und diskutiert. Das Handbuch eignet sich für eine erste Orientierung in der Beschäftigung mit Bultmann; es ist darüber hinaus auch ein Nachschlagewerk für Fachleute und Bultmann-Kenner.
Autorenporträt
Geboren 1959; 1998 Promotion; 2000 Habilitation; 2003-06 Professor für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz; seit 2006 Professor für Neues Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2018

Seine ganz besondere Spannweite
Die Distanz überbrücken: Neue Zugänge zum Werk des Theologen Rudolf Bultmann

Rudolf Bultmann gilt weltweit als einer der wichtigsten Neutestamentler des letzten Jahrhunderts. Seit den dreißiger Jahren bildete der in Marburg lehrende Gelehrte eine Schule, die die Debatten im Fach folgenreich prägte. Berühmt wurde der Autor einer "Neutestamentlichen Theologie" und gewichtiger Kommentare, insbesondere zum Johannesevangelium, vor allem durch sein erstmals 1941 bei zwei Tagungen der "Gesellschaft für Evangelische Theologie" vorgetragenes Programm einer "Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung", das sich auch als freiheitsbewusste, aufklärerischen Traditionen verpflichtete Antwort auf die neopaganen politischen Mythen des zwanzigsten Jahrhunderts lesen lässt.

Nun liegt ein exzellentes Handbuch vor, das neben grundlegenden lebensgeschichtlichen Informationen durch Konrad Hammann, den führenden Biographen (siehe F.A.Z. vom 27. Juli 2009), verlässliche Einsichten in die Bultmann prägenden theologischen Traditionen sowie seine Beziehungen zu akademischen Lehrern, Kollegen und Freunden, wie insbesondere Martin Heidegger, vermittelt. Auch über die Zusammenarbeit mit seinen theologischen Schülern, wie etwa Ernst Käsemann, Günther Bornkamm, Hans Conzelmann und Herbert Braun, und den zum Teil sehr intensiven Austausch mit den bei ihm studierenden Philosophen Hans-Georg Gadamer, Gerhard Krüger, Wilhelm Anz und vor allem Karl Löwith finden sich prägnante kurze Berichte.

Bedauerlich ist allein, dass zwar die konfliktreiche Beziehung Bultmanns zum Göttinger Kirchenhistoriker und Systematischen Theologen Emanuel Hirsch, dem einflussreichsten und auch fanatischsten Nationalsozialisten unter den protestantischen Universitätstheologen im "Dritten Reich", behandelt wird, nicht jedoch seine Haltung des im Herbst 1933 zur Wahrnehmung einer Gastprofessur in New York legal ausreisenden, de facto ins Exil vertriebenen religiösen Sozialisten Paul Tillich.

Hatte Bultmann mit einem sehr kritischen Gutachten einst verhindert, dass der kurzzeitig als Extraordinarius in Marburg lehrende, ästhetisch sensible und genussfreudige Systematiker hier auf den Lehrstuhl Rudolf Ottos berufen wurde, begegnete er dem in den Vereinigten Staaten überaus erfolgreichen Emigranten nach 1945 mit hohem Respekt. Mehrfach berichtete er Tillich in den fünfziger Jahren, am Sonntagvormittag seiner Frau Helene eine der "religiösen Reden" beziehungsweise Predigten des in Harvard und Chicago lehrenden Systematikers vorzulesen.

Exzellente Bibliographien der von Bultmann veröffentlichten Monographien, Aufsätze, Predigten und Rezensionen sowie prägnante Nachweise der postum edierten Korrespondenzen und in fremder Sprache erstmals publizierten Vorträge und sonstigen Texte lassen die außergewöhnlich große Spannweite der Themen und Probleme erkennen, die der aus Wiefelstede im Oldenburgischen stammende lutherische Pastorensohn bearbeitete.

Weniger gelungen sind die Beiträge, in denen es um "Bultmann und die Kirche" sowie um "Bultmann und die Politik" geht. Immer wieder kämpfte Bultmann gegen einen autoritären "Klerikalismus" und speziell "klerikalisierende Tendenzen" des evangelisch-lutherischen Oberkirchenrats in Oldenburg. Die Einführung des Bischofsamtes in einigen lutherischen Landeskirchen sah er mit großer Sorge. Politisch stand Bultmann in der frühen Weimarer Republik der linksliberalen "Deutschen Demokratischen Partei" nahe. Der entschiedene Gegner der Nationalsozialisten deutete mit Reflexionsfiguren der lutherischen Zwei-Reiche-Tradition den Staat primär als Rechtsstaat, der die vorstaatlichen Freiheitsrechte der Bürger zu garantieren habe. Als "Kultur- und Wohlfahrtsstaat" werde der Staat "mehr und mehr seiner ursprünglichen und eigentlichen Aufgabe, Rechtsstaat zu sein, entfremdet". Diese Kritik lässt es als wenig plausibel erscheinen, dass er "zeitlebens" eine "gewisse Nähe zur Sozialdemokratie" gehabt habe.

Ausgezeichnet sind viele Übersichten zu den zentralen Themen in Bultmanns Werk, etwa zu seinem Verständnis des religionsgeschichtlichen Umfelds des Neuen Testaments und zu seiner Deutung der Gnosis. Auch überzeugen die Beiträge zur Rezeptionsgeschichte, insbesondere zur in den fünfziger Jahren heftig geführten Entmythologisierungsdebatte. Für Christof Landmesser ist es "heute kaum mehr möglich", Bultmanns "Zugang zu den biblischen Texten und seinen daraus gezogenen theologischen Linien einfach zu folgen". Die sachliche Nüchternheit, mit der hier historische Distanz anerkannt wird, ist wohltuend.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

Christof Landmesser (Hrsg.): "Bultmann Handbuch".

Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2017. 546 S., geb., 49,- [Euro].

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