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Wie aus dem »Dummbart« ein »Schlauberger«, aus dem Sprachlosen ein Dichter wird, wie ein »Gefühlstauber« den Autismus durchbricht: Axel Brauns´ Erinnerungen geben einen erstaunlichen Einblick in eine andersartige Welt. Faszinierend, aufregend, verstörend.

Produktbeschreibung
Wie aus dem »Dummbart« ein »Schlauberger«, aus dem Sprachlosen ein Dichter wird, wie ein »Gefühlstauber« den Autismus durchbricht: Axel Brauns´ Erinnerungen geben einen erstaunlichen Einblick in eine andersartige Welt. Faszinierend, aufregend, verstörend.
Autorenporträt
Axel Brauns wurde am 183. Tag des Jahres 1963 in Hamburg geboren. 1984 brach er sein Jurastudium ab, um Schriftsteller zu werden. Für seine Geduld im Kampf gegen den Autismus wird Axel Brauns belohnt: Für einen Auszug aus 'Buntschatten und Fledermäuse' gewann er den Förderpreis der Stadt Hamburg 2000. Im Sommer 2002 hat Axel Brauns seine Ausbildung als Steuerfachangestellter abgeschlossen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2002

Kreuzworträtselwelt
Für den Autisten Axel Brauns kommt es auf jeden Buchstaben an
Jeder Mensch, der ganz bei sich ist, macht bisweilen die Erfahrung, in einer anderen Welt zu sein. Im Schlaf zum Beispiel. Oder wenn er, scheinbar geistesabwesend, sich auf etwas konzentriert, das mit seiner Umwelt nichts zu tun hat. Ein „zerstreuter Professor”, der in Wahrheit alles andere als zerstreut ist. Axel Brauns beschreibt sein „Leben in einer anderen Welt”, aus dem er allerdings nicht einfach erwachen konnte, wie nach einem Traum, oder „geistesabwesend” nach einem freundlich zugerufenen „Hallo”. Denn Axel Brauns ist ein Autist.
Was das genau ist, weiß man bis heute nicht. Autismus hat (auch?) neurologische Ursachen. Womöglich existieren im Kopf mehr Nervenbahnen als üblich, von denen einige nicht richtig miteinander verbunden sind. Jedenfalls erleben Autisten Situationen schmerzhafter Reizüberflutung, denen sie sich nur durch Rückzug in die eigene Welt erwehren können.
Axel Brauns hat es geschafft, überhaupt zu bemerken, dass es außerhalb seiner Welt noch eine andere, geräumigere gibt. Er hatte das Glück, aus einer Familie zu kommen, die mit Wörtern auf ganz besondere Weise umgehen konnte: Seine Eltern verfertigten Kreuzworträtsel. Mit Hilfe von Wörterbüchern gelang es Axel Wort für Wort, sich aus der seinen in unsere Welt zu begeben und sich als Wanderer zwischen den Welten zu beschreiben. Er beweist das mit einem wunderbaren Buch in einer eigenartigen, beide Welten umfassenden Sprache.
Himmel und Hölle
Indem wir die Geschichte lesen, erfahren wir auch etwas über unsere Welt und ihre „normalen” Subwelten. Zum Beispiel die des kleinen Kindes: Es hüpft über die Fließen eines Gehwegs und vermeidet, auf die Rillen zu treten; eine archaische Neigung des Menschen, das Kinder-Hüpfspiel „Himmel und Hölle” erinnert daran. Kinder lieben es auch, im Vorbeilaufen mit einem Stock klapp-klapp-klapp an einem Lattenzaun entlang zu streifen. Oder sie klopfen begeistert mit dem Löffel auf die Zentralheizung und machen so die Nachbarschaft rebellisch.
Das Kind Axel Brauns genießt das besonders intensiv. Der Autor erzählt uns, dass er, obwohl unmusikalisch, neun Jahre lang begeistert zum Blockflötenunterricht gegangen ist, hüpfend über die Steinplatten, ohne auf die Rillen zu treten, „wischelnd” mit den Fingern an Hecken und Zäunen entlang. Der Weg war das Ziel. Der Unterricht völlig nebensächlich.
Für Weiße sehen „die Chinesen alle gleich aus”, was diese umgekehrt von den Weißen meinen. Für Axel Brauns sind die meisten Gesichter ununterscheidbar – „Fledermäuse” die für ihn belanglosen, „Bundschatten” die seines engsten Umkreises. Und wenn die Bundschatten oder Fledermäuse sprechen – vor allem, wenn dies mehrere gleichzeitig tun – ist das für ihn „chinesisch”, weitgehend unidentifizierbar, nur Geräusch. Die Spielregeln dieser Schattenwelt sind für Axel zunächst völlig unverständlich.
Axel spürt weder Schmerz (nicht einmal, wenn er sich den Knöchel bricht) noch Trauer, auch nicht, wenn der Vater und die Großeltern „auf den Friedhof umziehen”. Dafür bereitet es dem Kind unendliche Pein, wenn die Mutter irgendwelche Möbelstücke im Zimmer plötzlich umstellt. Axel Brauns ist aber ein gescheites Kind und folglich dressierbar. Das Wort Baiser („Besee”) verbindet sich rasch mit der Köstlichkeit des Schaumgebäcks. Dummerweise glaubt er jahrelang, dass, was ähnlich klingt, Ähnliches bedeutet. Eine für ihn fundamentale Erfahrung belehrt ihn, dass dies so nicht sein kann: Axel geht liebend gern in den Zoo. Nun gibt es aber auch einen ZOB. Ein heiß ersehnter Ausflug zu diesem etwas anderen Zoo – dem Busbahnhof nämlich – macht ihm deutlich, dass es auf jeden Buchstaben ankommt. In einer Kreuzworträtselredaktion finden sich Bücher, die ihm das zeigen.
Axel lernt mit intensiver Nachhilfe der Mutter alles auswendig, selbst wenn er nicht weiß, was es bedeutet. Und er liest begeistert. Nicht eben Belletristik, sondern zum Beispiel Telefonbücher. Sie „hatten den unschätzbaren Vorteil, dass sie mich nicht langweilten. Sie boten ein Maximum an aufregenden Wörtern und enthielten ein Minimum an verwirrender Handlung: nämlich gar keine.”
Mit Hilfe von Wörterbüchern und Atlanten daheim erwirbt er ein umfassendes, seine Lehrer in Ehrfurcht erstarren lassendes lexikalisches Wissen. Axel lernt, wann es in der Schule Zeit ist zu schweigen und wann zu reden: Wenn ein guter Schüler schweigt, meinen die Lehrer, dann deshalb, weil er nicht gefordert wird. Wenn ein schlechter Schüler schweigt, so seine Erfahrung, dann deshalb, weil er nichts zu sagen hat. Axel lernt, im richtigen Augenblick zu reden.
Noch mit zwanzig Jahren ist Axel Brauns nicht in der Lage, Gesichter als Ganzes zu identifizieren, so sehr er sich auch darum bemüht. Er muss Dritte fragen, ob die Mädchen denn hübsch seien, die sich dem offensichtlich sehr hübschen, wenn auch etwas schüchternen jungen Mann nähern (und natürlich schnell wieder verschwinden, weil die bloße Berührung durch einen anderen Menschen Axel bereits Pein bereitet und er offenkundig völlig unempfindlich ist für die Gefühle, mit welchen sich die jungen Frauen ihm nähern).
Trotz einer so tiefgehender Störung macht der junge Mann als Drittbester seines Jahrgangs das Abitur. Es spricht nicht unbedingt für das deutsche Schulsystem, dass seine Lehrer, die ihm das „Reifezeugnis” ausstellen, seine Störung, das tiefgehende Reifungs-Defizit offensichtlich nicht einmal bemerken.
Am Tag seiner Einschulung hatte Axels Mutter den Filius fotografiert. Erst später merkte sie, dass sie vergessen hatte, einen Film in die Kamera einzulegen. Nach dem Abitur an der Schleeschule in Hamburg produzierten die Mitschüler ein Heft zur Erinnerung an ihren Abi-Jahrgang. Bewusst wurde von jedem das schlechteste Bild veröffentlicht, um keinen zu bevorzugen. Für Axel „hatten sie die beste Darstellung gewählt, die sich denken ließ: Sie hatten mich vergessen. Treffender ließ sich nicht beschreiben, wie ich mich die meiste Zeit über auf der Schleeschule gefühlt hatte.” Axel Brauns Erstlingswerk, bereits vorab ausgestattet mit dem Förderpreis der Stadt Hamburg, schildert die ersten 20 Jahre des heute 39-jährigen und seinen Weg aus der Sprachlosigkeit. Wenige nichtautistische Menschen können so sensibel, wie er heute, mit der Sprache umgehen. Und zugleich gibt es wenige Dokumente, die so authentisch die Welt eines Autisten zeigen.
MARTIN URBAN
AXEL BRAUNS: Buntschatten und Fledermäuse. Leben in einer anderen Welt, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002. 400 Seiten, 21,90 Euro.
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"Das Leben im Autismus ist eine miserable Vorbereitung für das Leben in einer Welt ohne Autismus. Die Höflichkeit hat viele Näpfchen aufgestellt, in die man treten kann. Autisten sind Meister darin, keines auszulassen."
Axel Brauns

"Die langsame Eroberung der Außenwelt berührt, ... Brauns hat die Lächler auf seiner Seite, weil er den Alltag verfremdet und Schwächen entlarvt."
Neue Zürcher Zeitung

"Ein wunderbares Debüt voll wortschöpferischem Sprachwitz und Poesie..., geschrieben wie aus der Perspektive eines Wesens vom anderen Stern."
NDR
»Die langsame Eroberung der Außenwelt berührt, ... Brauns hat die Lächler auf seiner Seite, weil er den Alltag verfremdet und Schwächen entlarvt.« Neue Zürcher Zeitung