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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1999

Wie das Monster zu seinem Namen kam
Frankensteins Herkunft ist kein Rätsel mehr /"Burgschreiber" Scheele spürt Sagen auf

spi. DARMSTADT. Er nennt sich Burgschreiber, aber das ist kein Titel. Immerhin kann Walter Scheele, der als freier Journalist in Darmstadt lebt, für sich in Anspruch nehmen, im Gebiet der Staatlichen Verwaltung der Schlösser und Gärten in Hessen der einzige seiner Art zu sein. Er versieht die Aufgabe ehrenamtlich. Sein Sitz ist die Burg Frankenstein, die zwischen dem Darmstädter Stadtteil Eberstadt und dem Mühltaler Ortsteil Nieder-Beerbach hoch auf dem letzten, langgezogenen Ausläufer des Odenwalds thront.

Vor vier Jahren haben ihn eine krankheitsbedingte Arbeitspause und eine alte Bekanntschaft mit dem Pächter des Burgrestaurants auf den Frankenstein geführt. Seither hat Scheele das alte Gemäuer, seine Geschichte und der Kranz von Sagen und Legenden, der sich um den Frankenstein und ein uraltes Heiligtum auf dem nahe gelegenen Ilbeskopf rankt, nicht mehr losgelassen. Allsonntäglich führt er Besuchergruppen über das Burggelände. Wann immer Scheele Zeit dazu findet, spürt er in Bibliotheken, Museen, Archiven allem nach, was mit dem Frankenstein zusammenhängt, führt Gespräche mit Heimatforschern und Einheimischen umliegender Dörfern oder korrespondiert mit Wissenschaftlern.

Das Ergebnis dieser Recherchen hat Scheele jetzt in einem kleinen Buch zusammengefaßt, das unter dem Titel "Burg Frankenstein - Mythen, Märchen und das Monster" im Fouqué Literaturverlag erschienen ist. Das Buch enthält neben bekannten Umständen und Tatsachen einige Neuigkeiten, die bis jetzt entweder nicht bekannt oder nicht belegt waren - vor allem, was die Zusammenhänge zwischen der mindestens 700 Jahre alten Burg und jenem Roman betrifft, den Mary Shelley 1816 im Hause von Lord Byron am Genfer See verfaßt hat: "Frankenstein oder der Neue Prometheus".

Als die in Darmstadt stationierten Amerikaner vor Jahren damit begannen, sich zum "Halloween" auf dem Frankenstein zu treffen, ging man noch von einer mehr oder minder zufälligen Namensgleichheit aus. Bis in die siebziger Jahren wurde behauptet, Shelley sei nie in Deutschland gewesen, könne die Burg bei Darmstadt also gar nicht gekannt haben. Das ist, wie man heute weiß und Scheele bestätigt, schlichtweg falsch. Die Frankenstein-Autorin hat über ihre "Sechswöchige Reise durch Landschaften Frankreichs, der Schweiz, Deutschlands und Hollands" sogar ein Buch geschrieben. Außerdem existieren von ihr "Tagebücher einer Rheinreise", aus denen zu entnehmen ist, daß Shelley in Begleitung ihres späteren Ehemannes Percy Shelley und ihrer Stiefschwester Claire Clairmont 1814 in Gernsheim an Land ging und im "Frankensteiner Hof" in Eberstadt genächtigt hat.

Von Professor Radu Florescu, Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Boston, der sich in Amerika ebenfalls mit dem Frankenstein-Stoff befaßt, erhielt Scheele den Hinweis auf ein Shelley-Tagebuch im Besitz einer Schweizer Bankiersfamilie. Die Aufzeichnungen werden angeblich wegen der darin beschriebenen Ausschweifungen in dem Haus Byrons von der Familie unter striktem Verschluß gehalten. Scheele erhielt "nach langem Hin und Her" Einblick und zitiert in seinem Buch eine Passage, in der Shelley die Burg Frankenstein beschreibt: ". . . A monumental building full of darkness . . . Allowing an amazing country-view over the Rhine-river to the blue mountains on the other side of the river . . ."

Scheele glaubt, sogar die geschichtliche Gestalt gefunden zu haben, die dem literarischen Frankenstein als Vorbild diente: Johann Konrad Dippel, am 10. August 1673 auf dem Frankenstein geboren, betätigte sich in einem Labor, das er im Kerker eingerichtet hatte, als Alchimist und soll bei der Herstellung eines "elixerium vitae", das im wesentlichen aus Nitroglycerin bestand, den halben Pulverturm in die Luft gejagt haben. Angeblich experimentierte er auch mit Menschenblut und Leichenteilen. Selbst die Geschichte von Victor von Frankenstein und dem Monster, das er schuf, hat Shelley - Scheele zufolge - nicht frei erfunden, sondern aus einem Briefwechsel gekannt, den ihre Mutter, Mary Jane Clairmont, mit den Brüdern Grimm führte. Clairmont soll deren Sammlung von Volksmärchen ins Englische übersetzt habe. In der British Librairy in London existiert nach Angaben Scheeles ein Brief von Jacob Grimm an Clairmont mit der Schilderung einer "Schauergeschichte", die Grimm am Fuß des Frankensteins im Beerbacher Tal aufgezeichnet hatte, aber ausdrücklich nicht veröffentlichen wollte. Danach soll auf der Burg einmal ein Zauberer gehaust haben, der Leichen von Friedhöfen stahl und daraus ein Monster schuf, das er ins Burgverlies sperrte. Eines Tages brach es aus, erschlug den Zauberer und floh in die Wälder.

Das Buch über die "Burg Frankenstein" besteht aus drei Teilen. Um das Monster dreht sich der zweite Teil. Davor geht Scheele auf die Burg und ihre Geschichte ein, danach folgt ein umfangreicher Anhang mit Sagen und Märchen, die der Autor aus überwiegend mündlichen Überlieferungen im Umkreis des Frankensteins zusammengetragen hat. Nach einer Legende ist zum Beispiel der berühmte Ritter Georg, der mit dem Drachen gekämpft hat, ein Frankensteiner gewesen, und der Kampf fand am Katzenborn bei Nieder-Beerbach statt, nach einer anderen befand sich der sagenhafte Jungbrunnen an einer alten Kultstätte an den "Magnetfelsen" nahe der Burg, und die Hexen sollen in der Walpurgisnacht nicht nur am Brocken ihren Tanzplatz haben. Der wahre "Blocksberg", will der Volksmund wissen, sei der Ilbeskopf am Frankenstein.

Mit den Illustrationen des Büchleins hat es eine besondere Bewandtnis. Scheele entnahm sie einer Schrift über die Burg Frankenstein, die er in der Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt aufstöberte, ausgestattet mit Kupferstichen des Darmstädter Hofmalers und Bühnenbildners Johann Georg Primavesi. Der Maler stand mit Goethe in Verbindung. Goethe soll ihn gebeten haben, den Frankenstein in Kupferstichen abzubilden, ganz besonders den Zugang zum Kerker. Woraus Scheele schließt, daß Goethe die alten Sagen und Legenden wohlbekannt waren, auch die Geschichte von Dippel alias Frankenstein.

Walter Scheele: Burg Frankenstein - Mythen, Märchen und das Monster. Fouqué Literaturverlag, Egelsbach. 128 Seiten. 16 Mark.

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