An in-depth look at how The New York Times failed in its coverage of the fate of European Jews from 1939-45. It examines how the decisions that were made at The Times ultimately resulted in the minimizing and misunderstanding of modern history's worst genocide. Laurel Leff, a veteran journalist and professor of journalism, recounts how personal relationships at the newspaper, the assimilationist tendencies of The Times' Jewish owner, and the ethos of mid-century America, all led The Times to consistently downplay news of the Holocaust. It recalls how news of Hitler's 'final solution' was hidden from readers and - because of the newspaper's influence on other media - from America at large. Buried by The Times is required reading for anyone interested in America's response to the Holocaust and for anyone curious about how journalists determine what is newsworthy.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2005Amerikanische Meldungspolitik
Wie die "New York Times" von der Ermordung der Juden berichtete
Eine der aufregendsten amerikanischen Neuerscheinungen hat die "New York Times" im Mai in einer unscheinbaren Besprechung im Innern der Rezensionsbeilage begraben. Das verwundert nicht, geht es doch in Laurel Leffs hervorragend recherchiertem Buch "Buried by the Times: The Holocaust and America's Most Important Newspaper" um die seinerzeit ebenfalls in der "New York Times" versteckten Meldungen über die systematische Ermordung der europäischen Juden zwischen 1938 und 1945. Dieses Drama wurde zwar in 1186 Meldungen dokumentiert, gelangte aber nie auf die erste Seite, mit der Folge, daß die amerikanische Öffentlichkeit trotz einer Fülle von Informationen aus zuverlässigen Quellen Hitlers Krieg gegen die Juden nicht in seiner ganzen Tragweite erkennen konnte.
Laurel Leffs Analyse dieser Fehlleistung zeigt, daß nicht der böse Wille einzelner dafür verantwortlich zu machen ist, sondern daß es sich hier um das Zusammenspiel vieler kultureller und politischer Faktoren handelt. Dabei war die "New York Times" schon seit den dreißiger Jahren die bedeutendste Tageszeitung der Vereinigten Staaten, die von allen Entscheidungsträgern gelesen wurde und deren erste Seite den intellektuellen und politischen Diskurs bestimmte. Geduldig zeichnet Leff die Mentalität der am Entscheidungsprozeß Beteiligten, von Reportern und Redakteuren nach, die Informationen sammelten, formulierten und weiterleiteten. Bis zur Schließung des Berliner Büros der Zeitung im Jahr 1941 waren für Nachrichten aus Deutschland ein Nazi-Sympathisant und ein Neuling verantwortlich. In Moskau und im Nahen Osten lag die Berichterstattung in den entscheidenden Jahren in den Händen von Cyrus L. Sulzberger, einem Neffen des Herausgebers der "New York Times". Der Lebemann hatte den Ruf, niemals mit jemandem, der unterhalb der Ministerebene stand, zu sprechen. Von ihm hatten die verfolgten Juden keine Hilfe zu erwarten.
Die Meldungen der Journalisten im Außendienst wurden in New York am "cable desk" von Theodore Bernstein empfangen und bearbeitet. Bernstein hatte an der Columbia School of Journalism zwar antijüdische Diskriminierung erfahren müssen, aber daraus den Schluß gezogen, sich nicht als Jude zu profilieren. Ob es auf sein Konto geht, daß in Meldungen über die Ermordung der Juden das Wort "Juden" selten gebraucht wurde, ist kaum mehr nachzuweisen. Die Redakteure der "copy desks" stellten am Nachmittag die Artikel des Tages für die Nachtredakteure zusammen, die zwischen sechs und zehn Uhr die Zeitung machten. Neil MacNeil, der zweite Mann in der "bull pen", wählte die zwölf bis fünfzehn Artikel aus, die in diesen Jahren auf der ersten Seite der "New York Times" erschienen.
Auf die erste Seite gelangten häufiger - MacNeil war ein gläubiger Katholik - Artikel über die Verfolgung von Christen durch das nationalsozialistische Regime. Das dreitägige Massaker im Krakauer Getto im März 1943 dagegen wurde auf Seite fünf gemeldet, der Aufstand im Warschauer Getto auf Seite 43. Die Verhaftung eines Mitarbeiters des Büros des Erzbischofs von Frankreich stand auf Seite eins, die geplante "Liquidierung" der Juden Frankreichs dagegen am 27. Januar 1943 auf Seite zehn. Die Nachricht, daß bereits drei Millionen Juden ermordet worden waren, erschien am 27. August 1943 auf Seite sieben.
Am Morgen las "Managing Editor" Edwin L. James das Blatt. Er gab keine Anweisung, die Plazierung der Nachrichten über die Ermordung der Juden zu ändern oder einzelnen Meldungen nachzugehen, Denn James kannte die Ansichten seines Chefs, des Herausgebers Arthur Hays Sulzberger, der in der Tradition des deutschen Reformjudentums stand, das die Judenheit als reine Religionsgemeinschaft, nicht als ein Volk betrachtete. Sulzberger weigerte sich, "Hitlers Definition" der Juden zu akzeptieren. Er bestritt, mit einem Juden aus Warschau etwas anderes gemein zu haben als die Religion: "Nicht alle Juden sind Brüder", pflegte er zu sagen.
Darüber hinaus wollte er, da die jüdische Eigentümerschaft der "New York Times" bekannt war, ihre Objektivität signalisieren, indem er sie in jüdischen Angelegenheiten möglichst unparteiisch erscheinen ließ. Trotz seiner großen jüdischen Leserschaft hielt das Blatt in jüdischen Belangen auf Distanz, ignorierte sie oder berichtete, wenn das nicht möglich war, mit äußerster Kühle. Ermordete Juden waren Opfer unter vielen anderen Opfern. Jeder in der Zeitung kannte diese Haltung Sulzbergers und trug ihr Rechnung.
Von der jüdischen Unparteilichkeit des Blattes ausgenommen waren nur die Zionisten. Sulzberger benutzte seine Zeitung, um gegen die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu Felde zu ziehen. Er hielt diesen Staat für unsinnig, da die Juden ja kein Volk waren. Sulzberger verstand sich in erster Linie als Amerikaner, und die amerikanische Regierung hatte die Direktive ausgegeben, es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, daß die Vereinigten Staaten ihre Soldaten zur Rettung der Juden nach Europa schickten.
Nur knapp skizziert Laurel Leff den notorischen Antisemitismus in den oberen Rängen der Roosevelt-Regierung als Schlußstein in der Pyramide der Verantwortlichen, bestehend aus den Reportern, Blattmachern und Herausgebern. In ihrer hervorragend dokumentierten und durch unbekanntes Archivmaterial ergänzten Analyse der krassen Fehleinschätzungen des Geschehens in Europa, entfaltet die Autorin ein erhellendes Bild der inneren Verhältnisse der "New York Times", der politischen Umstände, der Einstellungen der Regierung und der jüdisch-amerikanischen Oberschicht. Sie zeigt damit auch die Grenzen der Objektivität, die der Journalismus der "New York Times" einhielt. In einem Brief an die Autorin bedankt sich der gegenwärtige Herausgeber des Blattes, Arthur Ochs Sulzberger Jr., der Enkel von Arthur Hays Sulzberger, für die Zusendung des Buches und bedauert, ihr nicht auch dafür danken zu können, daß sie es geschrieben habe. Über diese Brücke könne er nicht gehen.
SUSANNE KLINGENSTEIN
Laurel Leff: "Buried by the Times". The Holocaust and America's Most Important Newspaper. Cambridge University Press, Cambridge 2005. 426 S., geb., 29,- $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie die "New York Times" von der Ermordung der Juden berichtete
Eine der aufregendsten amerikanischen Neuerscheinungen hat die "New York Times" im Mai in einer unscheinbaren Besprechung im Innern der Rezensionsbeilage begraben. Das verwundert nicht, geht es doch in Laurel Leffs hervorragend recherchiertem Buch "Buried by the Times: The Holocaust and America's Most Important Newspaper" um die seinerzeit ebenfalls in der "New York Times" versteckten Meldungen über die systematische Ermordung der europäischen Juden zwischen 1938 und 1945. Dieses Drama wurde zwar in 1186 Meldungen dokumentiert, gelangte aber nie auf die erste Seite, mit der Folge, daß die amerikanische Öffentlichkeit trotz einer Fülle von Informationen aus zuverlässigen Quellen Hitlers Krieg gegen die Juden nicht in seiner ganzen Tragweite erkennen konnte.
Laurel Leffs Analyse dieser Fehlleistung zeigt, daß nicht der böse Wille einzelner dafür verantwortlich zu machen ist, sondern daß es sich hier um das Zusammenspiel vieler kultureller und politischer Faktoren handelt. Dabei war die "New York Times" schon seit den dreißiger Jahren die bedeutendste Tageszeitung der Vereinigten Staaten, die von allen Entscheidungsträgern gelesen wurde und deren erste Seite den intellektuellen und politischen Diskurs bestimmte. Geduldig zeichnet Leff die Mentalität der am Entscheidungsprozeß Beteiligten, von Reportern und Redakteuren nach, die Informationen sammelten, formulierten und weiterleiteten. Bis zur Schließung des Berliner Büros der Zeitung im Jahr 1941 waren für Nachrichten aus Deutschland ein Nazi-Sympathisant und ein Neuling verantwortlich. In Moskau und im Nahen Osten lag die Berichterstattung in den entscheidenden Jahren in den Händen von Cyrus L. Sulzberger, einem Neffen des Herausgebers der "New York Times". Der Lebemann hatte den Ruf, niemals mit jemandem, der unterhalb der Ministerebene stand, zu sprechen. Von ihm hatten die verfolgten Juden keine Hilfe zu erwarten.
Die Meldungen der Journalisten im Außendienst wurden in New York am "cable desk" von Theodore Bernstein empfangen und bearbeitet. Bernstein hatte an der Columbia School of Journalism zwar antijüdische Diskriminierung erfahren müssen, aber daraus den Schluß gezogen, sich nicht als Jude zu profilieren. Ob es auf sein Konto geht, daß in Meldungen über die Ermordung der Juden das Wort "Juden" selten gebraucht wurde, ist kaum mehr nachzuweisen. Die Redakteure der "copy desks" stellten am Nachmittag die Artikel des Tages für die Nachtredakteure zusammen, die zwischen sechs und zehn Uhr die Zeitung machten. Neil MacNeil, der zweite Mann in der "bull pen", wählte die zwölf bis fünfzehn Artikel aus, die in diesen Jahren auf der ersten Seite der "New York Times" erschienen.
Auf die erste Seite gelangten häufiger - MacNeil war ein gläubiger Katholik - Artikel über die Verfolgung von Christen durch das nationalsozialistische Regime. Das dreitägige Massaker im Krakauer Getto im März 1943 dagegen wurde auf Seite fünf gemeldet, der Aufstand im Warschauer Getto auf Seite 43. Die Verhaftung eines Mitarbeiters des Büros des Erzbischofs von Frankreich stand auf Seite eins, die geplante "Liquidierung" der Juden Frankreichs dagegen am 27. Januar 1943 auf Seite zehn. Die Nachricht, daß bereits drei Millionen Juden ermordet worden waren, erschien am 27. August 1943 auf Seite sieben.
Am Morgen las "Managing Editor" Edwin L. James das Blatt. Er gab keine Anweisung, die Plazierung der Nachrichten über die Ermordung der Juden zu ändern oder einzelnen Meldungen nachzugehen, Denn James kannte die Ansichten seines Chefs, des Herausgebers Arthur Hays Sulzberger, der in der Tradition des deutschen Reformjudentums stand, das die Judenheit als reine Religionsgemeinschaft, nicht als ein Volk betrachtete. Sulzberger weigerte sich, "Hitlers Definition" der Juden zu akzeptieren. Er bestritt, mit einem Juden aus Warschau etwas anderes gemein zu haben als die Religion: "Nicht alle Juden sind Brüder", pflegte er zu sagen.
Darüber hinaus wollte er, da die jüdische Eigentümerschaft der "New York Times" bekannt war, ihre Objektivität signalisieren, indem er sie in jüdischen Angelegenheiten möglichst unparteiisch erscheinen ließ. Trotz seiner großen jüdischen Leserschaft hielt das Blatt in jüdischen Belangen auf Distanz, ignorierte sie oder berichtete, wenn das nicht möglich war, mit äußerster Kühle. Ermordete Juden waren Opfer unter vielen anderen Opfern. Jeder in der Zeitung kannte diese Haltung Sulzbergers und trug ihr Rechnung.
Von der jüdischen Unparteilichkeit des Blattes ausgenommen waren nur die Zionisten. Sulzberger benutzte seine Zeitung, um gegen die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu Felde zu ziehen. Er hielt diesen Staat für unsinnig, da die Juden ja kein Volk waren. Sulzberger verstand sich in erster Linie als Amerikaner, und die amerikanische Regierung hatte die Direktive ausgegeben, es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, daß die Vereinigten Staaten ihre Soldaten zur Rettung der Juden nach Europa schickten.
Nur knapp skizziert Laurel Leff den notorischen Antisemitismus in den oberen Rängen der Roosevelt-Regierung als Schlußstein in der Pyramide der Verantwortlichen, bestehend aus den Reportern, Blattmachern und Herausgebern. In ihrer hervorragend dokumentierten und durch unbekanntes Archivmaterial ergänzten Analyse der krassen Fehleinschätzungen des Geschehens in Europa, entfaltet die Autorin ein erhellendes Bild der inneren Verhältnisse der "New York Times", der politischen Umstände, der Einstellungen der Regierung und der jüdisch-amerikanischen Oberschicht. Sie zeigt damit auch die Grenzen der Objektivität, die der Journalismus der "New York Times" einhielt. In einem Brief an die Autorin bedankt sich der gegenwärtige Herausgeber des Blattes, Arthur Ochs Sulzberger Jr., der Enkel von Arthur Hays Sulzberger, für die Zusendung des Buches und bedauert, ihr nicht auch dafür danken zu können, daß sie es geschrieben habe. Über diese Brücke könne er nicht gehen.
SUSANNE KLINGENSTEIN
Laurel Leff: "Buried by the Times". The Holocaust and America's Most Important Newspaper. Cambridge University Press, Cambridge 2005. 426 S., geb., 29,- $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'This is the best book yet about American media coverage of the Holocaust, as well as an extremely important contribution to our understanding of America's response to the mass murder of the Jews.' David S. Wyman, author of The Abandonment of the Jews: America and the Holocaust