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Nun führt die Edition Moderne alle Malet/Tardi-Titel zusammen: Burma - was für eine Kraft, was für eine Kunst.

Produktbeschreibung
Nun führt die Edition Moderne alle Malet/Tardi-Titel zusammen: Burma - was für eine Kraft, was für eine Kunst.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2021

Geheimnisse
von Paris
Nie sind sich Kino und Comic so nahe
gekommen wie in den
Nestor-Burma-Erzählungen von Jacques Tardi.
Jetzt gibt es sie auch auf Deutsch
in einem Sammelband
VON GOTTFRIED KNAPP
Die Wiederbegegnung mit dem Pariser Privatdetektiv Nestor Burma in den vier Graphic Novels von Jacques Tardi lädt zu euphorischen Bemerkungen ein. Tardi hat die vier Detektivromane von Leo Malet nicht einfach nur mit Zeichnungen bebildert, er hat sie so in einen sinnlich erlebbaren Tiefenraum projiziert und dort in Bewegung versetzt, dass man sagen könnte: Er hat sie als Zeichner verfilmt. Nie sind sich Kino und Comic so nahe gekommen wie in diesen vier Nestor-Burma-Erzählungen, die jetzt erstmals auf Deutsch in einem Sammelband vereint sind.
Wo immer Nestor Burma, der Mann mit der eingeknickten Nase und dem mächtig ausladenden Kinn, auf Menschen trifft – wir erleben ihn als Häftling in einem deutschen Kriegsgefangenenlager, dann als Spurensucher während der Besatzungszeit in Lyon und schließlich als zynischen Schnüffler in den schäbigen Vierteln von Paris –, immer umkreist Tardi mit seinen Zeichnungen die handelnden Figuren so, als habe er drei Kameras gleichzeitig laufen. Und immer rückt er ihnen so auf den Leib, dass ihre Körper oder Köpfe von den Rändern der Zeichnungen überschnitten werden. Als Leser wird man also ins Zentrum des Geschehens geradezu hineingerissen, ja manchmal stößt die Tabakspfeife Burmas von der Seite her so übergroß ins Bild, dass man beim Lesen der Seite unwillkürlich zurückzuckt.
Tardi arbeitet auf dem beengten Raum seiner Panels also geschickt mit unterschiedlichen Größendimensionen, oder, wie man im Film sagt, mit extremen Tiefenschärfen. Wo immer Hände zu sehen sind, sind sie so nach vorne gezogen, dass sie übergroß erscheinen und mit ihren Bewegungen dem dramatischen und emotionalen Geschehen eine zusätzliche Dynamik verleihen. Mit seinen psychologisch klug zugespitzten Momentaufnahmen kommt Tardi dem Rhythmus gut geschnittener Kinofilme erstaunlich nahe.
Bei der Wiedergabe von Örtlichkeiten sind Comics ihren literarischen Vorlagen ohnehin meist deutlich überlegen. Die Beschreibungen von Straßen, Plätzen oder Innenräumen in Kriminalromanen sind oft so unanschaulich, dass sie von den Lesern als Hemmnis im Ablauf des Geschehens empfunden werden. In die Comics von Tardi könnte man, ohne auf die Örtlichkeit zu achten, spontan ins Geschehen einsteigen, aber man würde sich großer visueller Erlebnisse berauben, wenn man das, was hinter den Figuren aufscheint und ganze Welten jenseits der filmischen und literarischen Möglichkeiten eröffnet, nicht mitnehmen würde. Tardi erzählt in seinen Graphic Novels nicht nur spannende Geschichten, die zeitlich oder räumlich präzis verortet sind, er nimmt seine Leser mit auf Reisen an reale Tatorte und lässt sie atmosphärische Details verspüren, die nur die Orte selber vermitteln können.
Am konsequentesten hat er seine Kunst des räumlichen Vergegenwärtigens in dem dreibändigen Werk „Ich, René Tardi, Krieggefangener im Stalag II B“ durchexerziert. Um ein möglichst realistisches Bild der Orte zu vermitteln, in die sein Vater während des Kriegs und danach verschlagen wurde, ist er die Riesenstrecke zwischen Frankreich und dem heutigen Polen mit allen Verzweigungen abgefahren und hat die Motive eingesammelt, die seiner gezeichneten Bild-Erzählung die atmosphärische Kraft geben.
Da jeder Nestor-Burma-Roman von Leo Malet in einem anderen Pariser Stadtteil spielt, also auf jeweils andere Bauten und Plätze Bezug nimmt, konnte Tardi in seinen vier Nacherzählungen das Paris der Kriegs-und Nachkriegszeit quasi zeichnerisch rekonstruieren. Sein Detektiv führt die Leser zielsicher durch Straßen und über Brücken in die geheimen Winkel der Stadt. Mehr lokale Atmosphäre können auch Spielfilme, die in Paris gedreht wurden, nicht bieten. Ja wenn man sieht, wie Tardi mit dünnen Schrägstrichen, die aggressiv die Szene zerschneiden, Regen suggeriert oder mit wirrem Gestrichel auf grauem Grund die Nässe auf Straßen physisch spürbar macht, dann kommen einem alle filmischen Versuche, Regen und Nässe zu simulieren, lächerlich vor. Auf einer Seite des Romans „120, Rue de la Gare“ lässt sich schön nacherleben, wie Tardi seine Leser in die Stadt Lyon und in die dort spielende Kriminalgeschichte hineinzieht, wie er sie auf die Spur jenes Mannes setzt, der selber die Spuren anderer Menschen verfolgt: Nestor Burma.
Mit dünnen Schrägstrichen,
die die Szene zerschneiden,
suggeriert der Zeichner Regen

Léo Malet, Jacques Tardi: Burma.
Graphic Novel. Aus
dem Französischen von
Martin Budde, Kai
Wilksen, Wolfgang Bortlik. Edition
Moderne, Zürich 2021.
408 Seiten, 39 Euro.
Mehr lokale Atmosphäre als Jacques Tardis Nestor-Burma-Geschichten können
auch Spielfilme, die in Paris gedreht wurden, nicht bieten.
Edition Moderne
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gottfried Knapp schwärmt von der Kino-Ästhetik der Bilder Jacques Tardis in diesem Band, der vier von dem Zeichner zu Graphic Novels verarbeitete Detektivgeschichten von Léo Malet beinhaltet. Die Handlung folgt dem Pariser Privatdetektiv Nestor Burma während und nach der Kriegszeit in die verschiedensten und oftmals schäbigen Ecken in Paris, erklärt Knapp. Besonders die erzählungsabrundenden Zeichnungen Tardis sind dem Rezensenten zufolge dabei sehr plastisch, filmisch gut rhythmisiert und durch das Spiel mit verschiedenen Größendimensionen spannend. Dagegen wird sogar das gezeichnete Alltägliche, beispielsweise der Regen, erfahrbarer als filmische Versuche solcher Wettersimulationen, schließt der Rezensent.

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