Produktdetails
- Verlag: Argon
- Seitenzahl: 183
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 640g
- ISBN-13: 9783870242985
- ISBN-10: 3870242981
- Artikelnr.: 24594352
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995Schlafwandler ohne Gnade
Dringende Mahnung, Buster Keaton seine Sachlichkeit zurückzugeben / Von Marion Löhndorf
Bei Buster Keaton fühlten sich von Anfang an Filmkritiker als Poeten und Poeten als Filmkritiker. Das führte manchmal zu bestechenden Ergebnissen, oft jedoch zu haarsträubenden. Das stumme Gesicht Keatons mit der selten entgleisenden Mimik bot genug Projektionsfläche für Deutungen und lyrische Seufzer, die auf die eigene verletzte Seele verwiesen. Wie es auch im Fall mancher Dichter stillschweigende Übereinkunft ist, schien Buster Keaton seine Exegeten zur Undurchsichtigkeit zu verleiten: Texte über ihn haben bevorzugt leicht somnambulen Charakter. Zurückhaltung und Sachlichkeit waren jedenfalls nie das Naheliegende.
Helga Belach und Wolfgang Jacobsen haben ein Buch herausgegeben, das Dichtergedanken und Rezensentenausbrüche über Buster Keaton versammelt und um einige aktuelle Beiträge erweitert: Marieluise Fleißer meißelte das Eigentliche an Keaton in aussageschwere, karg-schöne Prosa. Federico García Lorca erfand ein surrealistisches Dramolett, in dem Buster vier Kinder mit einem Holzdolch tötet. Friedrich Hollaender komponierte einen Foxtrott über seine melancholische Schwester, die "den Buster" liebt und all seine Fotos mit Salz und Pfeffer frißt. Kurt Pinthus schwärmte schlicht. Nur Sergej M. Eisenstein sagt etwas über die Kettenglieder sich steigernder Komik in Keatons Filmen. Bei ihm ist er nicht der traurige, esoterisch zu deutende Clown.
Die neuen Aufsätze über Keaton setzen die Tradition der Überhöhung, in der über Hollywoods verschlossenstes Schwarzweiß-Gesicht gedacht und gedichtet wurde, fort. Den größten Ehrgeiz entwickelt dabei Fritz Göttler. Im zentralen Essay des Bandes, unter der Überschrift "Zyklopisches. Enzyklopädisches", bemüht er sich um Großartigkeit. Buster Keaton, Mann und Werk als eins gedacht, soll endlich in den richtigen kulturhistorischen Kontext der Dichter, Denker und Philosophen gestellt werden.
Dabei scheut der Essayist weder grammatikalische Abenteuer noch gedankliche Hechtsprünge. Man staunt; Göttler bricht die konventionelle Syntax auf, wagt plakative Ellipsen, schmettert dramatische Kurzsätze. Alles ist pastos aufgetragen, aber sparsam durchdacht. So kommt Göttler etwa auf die Idee, Buster Keaton sei eine Reinkarnation des Dorian Gray: "Hat er deshalb, aufs Ende hin, seinen Körper so schnell und unwiderruflich altern lassen, radikaler als die natürliche Entwicklung seines Lebens und des Kinos erfordert hätte? Buster Keaton, das ist das Porträt des jungen Künstlers als alter Mann, das ist der Greis als Kunstwerk." Oder es heißt, durch Stil und Sinn gleichermaßen entwaffnend: "Sein Kino demonstriert die Zerstückelung der Phänomene, die Fragmentierung von Welt und Ich, und sein Körper ist es vor allem, der davon spricht, die Erzählströme gehen voll durch ihn hindurch."
Göttlers Annäherung ist charakteristisch für den Umgang mit dem Thema. In Varianten belegen es auch die Texte von Rebecca Horn und Karl Prümm: Der Filmemacher Keaton verschwindet hinter dem Schauspieler Keaton und der zur tragischen Figur stilisierten Privatperson. Seine Lebenssphären werden großzügig vermischt, das Ergebnis zu einem entrückten Mythos der Einsamkeit und Tristesse geformt. Da helfen nicht die präzise Sachlichkeit seiner Filme, nicht ihr Tempo, nicht ihr trockener, nüchterner Witz. Keatons Gags wirken zu grotesk in ihrer gnadenlosen Konsequenz, seine Filmfigur eine Spur zu fremd in dieser Welt. Wenn Buster in "Go West" die Liebe zu einer Kuh unter Einsatz seines Lebens verteidigt, wenn er sich lieber in Maschinen als in Menschen versenkt, wie in fast allen seinen Filmen, dann sind Einfühlung und Überbau keine Grenzen mehr gesetzt. So kürte man ihn, der nach eigenem Bekunden nur "Leute zum Lachen bringen" wollte, zum Philosophen unter den Komikern.
Helga Belach und Wolfgang Jacobsen (Hrsg.): "Buster Keaton". Argon Verlag, Berlin 1995. 184 S., Abb., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dringende Mahnung, Buster Keaton seine Sachlichkeit zurückzugeben / Von Marion Löhndorf
Bei Buster Keaton fühlten sich von Anfang an Filmkritiker als Poeten und Poeten als Filmkritiker. Das führte manchmal zu bestechenden Ergebnissen, oft jedoch zu haarsträubenden. Das stumme Gesicht Keatons mit der selten entgleisenden Mimik bot genug Projektionsfläche für Deutungen und lyrische Seufzer, die auf die eigene verletzte Seele verwiesen. Wie es auch im Fall mancher Dichter stillschweigende Übereinkunft ist, schien Buster Keaton seine Exegeten zur Undurchsichtigkeit zu verleiten: Texte über ihn haben bevorzugt leicht somnambulen Charakter. Zurückhaltung und Sachlichkeit waren jedenfalls nie das Naheliegende.
Helga Belach und Wolfgang Jacobsen haben ein Buch herausgegeben, das Dichtergedanken und Rezensentenausbrüche über Buster Keaton versammelt und um einige aktuelle Beiträge erweitert: Marieluise Fleißer meißelte das Eigentliche an Keaton in aussageschwere, karg-schöne Prosa. Federico García Lorca erfand ein surrealistisches Dramolett, in dem Buster vier Kinder mit einem Holzdolch tötet. Friedrich Hollaender komponierte einen Foxtrott über seine melancholische Schwester, die "den Buster" liebt und all seine Fotos mit Salz und Pfeffer frißt. Kurt Pinthus schwärmte schlicht. Nur Sergej M. Eisenstein sagt etwas über die Kettenglieder sich steigernder Komik in Keatons Filmen. Bei ihm ist er nicht der traurige, esoterisch zu deutende Clown.
Die neuen Aufsätze über Keaton setzen die Tradition der Überhöhung, in der über Hollywoods verschlossenstes Schwarzweiß-Gesicht gedacht und gedichtet wurde, fort. Den größten Ehrgeiz entwickelt dabei Fritz Göttler. Im zentralen Essay des Bandes, unter der Überschrift "Zyklopisches. Enzyklopädisches", bemüht er sich um Großartigkeit. Buster Keaton, Mann und Werk als eins gedacht, soll endlich in den richtigen kulturhistorischen Kontext der Dichter, Denker und Philosophen gestellt werden.
Dabei scheut der Essayist weder grammatikalische Abenteuer noch gedankliche Hechtsprünge. Man staunt; Göttler bricht die konventionelle Syntax auf, wagt plakative Ellipsen, schmettert dramatische Kurzsätze. Alles ist pastos aufgetragen, aber sparsam durchdacht. So kommt Göttler etwa auf die Idee, Buster Keaton sei eine Reinkarnation des Dorian Gray: "Hat er deshalb, aufs Ende hin, seinen Körper so schnell und unwiderruflich altern lassen, radikaler als die natürliche Entwicklung seines Lebens und des Kinos erfordert hätte? Buster Keaton, das ist das Porträt des jungen Künstlers als alter Mann, das ist der Greis als Kunstwerk." Oder es heißt, durch Stil und Sinn gleichermaßen entwaffnend: "Sein Kino demonstriert die Zerstückelung der Phänomene, die Fragmentierung von Welt und Ich, und sein Körper ist es vor allem, der davon spricht, die Erzählströme gehen voll durch ihn hindurch."
Göttlers Annäherung ist charakteristisch für den Umgang mit dem Thema. In Varianten belegen es auch die Texte von Rebecca Horn und Karl Prümm: Der Filmemacher Keaton verschwindet hinter dem Schauspieler Keaton und der zur tragischen Figur stilisierten Privatperson. Seine Lebenssphären werden großzügig vermischt, das Ergebnis zu einem entrückten Mythos der Einsamkeit und Tristesse geformt. Da helfen nicht die präzise Sachlichkeit seiner Filme, nicht ihr Tempo, nicht ihr trockener, nüchterner Witz. Keatons Gags wirken zu grotesk in ihrer gnadenlosen Konsequenz, seine Filmfigur eine Spur zu fremd in dieser Welt. Wenn Buster in "Go West" die Liebe zu einer Kuh unter Einsatz seines Lebens verteidigt, wenn er sich lieber in Maschinen als in Menschen versenkt, wie in fast allen seinen Filmen, dann sind Einfühlung und Überbau keine Grenzen mehr gesetzt. So kürte man ihn, der nach eigenem Bekunden nur "Leute zum Lachen bringen" wollte, zum Philosophen unter den Komikern.
Helga Belach und Wolfgang Jacobsen (Hrsg.): "Buster Keaton". Argon Verlag, Berlin 1995. 184 S., Abb., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main