Produktdetails
- Verlag: Droemer-Knaur
- ISBN-13: 9783426001790
- ISBN-10: 3426001799
- Artikelnr.: 23986037
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2008Die Nackte im Nerz
Willkommen in Babylon: John O'Haras Roman "Butterfield 8" aus dem Jahre 1935 nimmt den Tod einer jungen Frau zum Anlass für eine Generalabrechnung mit der neureichen amerikanischen Elite.
Von Jakob Hessing
Im Sommer 1931 wird in Long Island die Leiche einer jungen Frau an Land gespült. Sie heißt Starr Faithfull, ihr Lebenswandel ist reichlich locker gewesen, und ihr Fall, der lange durch die Presse geht, fasziniert John O'Hara (1905-1970). Der angehende Schriftsteller ist schon mit Kurzgeschichten im Magazin "The New Yorker" und einem ersten Roman hervorgetreten, doch bisher hat er nur vom Leben in der Provinz erzählt, aus der er kommt. Jetzt wird ihm der mysteriöse und nie aufgeklärte Tod zum Einstieg in den Sündenpfuhl New York, und 1935 beschreibt er ihn in "Butterfield 8", seinem zweiten Roman.
In der Geschichte der amerikanischen Literatur hatte eine in der Nähe von New York scheinbar ertrunkene Frau bereits Furore gemacht. 1841 wurde Mary Cecilia Rogers aus dem Hudson River geborgen, aber sie war offensichtlich ermordet worden. Edgar Allen Poe machte daraus "Das Geheimnis der Marie Rogêt", eine in Paris spielende Geschichte, mit der er zugleich ein Genre erfand: Zum ersten Mal trat hier ein Detektiv auf, der geniale Auguste Dupin, der in Sherlock Holmes seinen berühmtesten Nachfolger hatte.
Nicht zufällig ist der Detektiv eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts, als man noch an Fortschritt und rationale Analyse glaubte. Neunzig Jahre später hatte die Welt sich verändert. Die Zeit, in der John O'Hara sich von einer Ertrunkenen zu einem Roman inspirieren ließ, stand im Schatten der großen Wirtschaftskrise - er wollte keine Rätsel mehr lösen, sondern eine Gesellschaft beschreiben, die auf den Hund gekommen war. Er tut es im Stil der Satire. Berühmt sind O'Haras Blick für soziale Strukturen und seine genaue Dialogführung, mit der er jeder Figur ihren Ort zuweist. Diesem Gefüge montiert er eine magische Femme fatale ein, die er Gloria Wandrous nennt. Der symbolische Name weist sie nicht nur als eine Wiedergängerin der Starr Faithfull aus, sondern auch als ironische Projektionsfigur einer schäbigen Männerwelt. Sie ist noch keine zwanzig Jahre alt, doch alle stellen ihr nach - vom Schullehrer, der sie in der Provinz einst unterrichtet hat, bis zum Tycoon der Großstadt, in der sie nun ihre Feste feiert.
Zu Beginn des Romans lernen wir sie in der Stadtwohnung des verheirateten Weston Liggett kennen, ihres neuen Liebhabers, der sie soeben vergewaltigt und mit zerrissenem Abendkleid zurückgelassen hat. Sie nimmt sich einen Nerz aus dem Schrank seiner Frau, hängt ihn über ihren nackten Körper und macht sich auf den Weg durch New York - Karikatur einer Verlogenheit, die den Blick hinter ihre Fassaden nicht überstehen wird.
O'Hara erzählt eine Geschichte von wenigen Tagen. Wie es John Dos Passos schon in "Manhattan Transfer" getan hat, synchronisiert auch er das Leben zahlreicher Figuren, die im Netzwerk der Großstadt aufeinandertreffen, gibt uns aber zugleich Einblicke in die Biographien seiner Protagonisten. Liggett, mehr als doppelt so alt wie Gloria, ist ein Industrieller, dessen Vermögen in der Wirtschaftskrise zu schmelzen droht. Seine Frau betrügt er schon seit langem. Zum ersten Mal tat er es mit einer ihrer Freundinnen, die ihn zum Drink eingeladen hatte. So beginnt die Szene: "In Paris ist heute Bastille-Tag", sagte Liggett, als er mit den Cocktails zurückkam. (Es war zugleich der Tag, an dem Sacco und Vanzetti verurteilt wurden.)" Man schreibt den 14. Juli 1921, und das private Leben wird in den historischen Kontext gestellt. Mit der Französischen Revolution bricht das bürgerliche Zeitalter an, zu ihrem Jubiläum aber unterstellt die amerikanische Justiz zwei Unschuldigen einen Mord und verurteilt sie, weil sie Anarchisten sind. Recht wird zu Unrecht, und noch die Cocktails weisen auf den hohlen Boden hin, auf dem diese Gesellschaft steht: Die Prohibition ist von 1920 bis 1933 in Kraft, der im Roman reichlich genossene Alkohol ist ungesetzlich.
Das soziale Panorama des Romans ist autobiographisch fundiert. Es zeigt junge Männer aus dem Westen, die nach New York gekommen sind, um als Journalisten und Schriftsteller Karriere zu machen. Hauptsächlich jedoch wird die Elite aufs Korn genommen, die an den renommierten Universitäten der Ostküste ihre Ausbildung erhalten hat, in Yale, Harvard und Princeton. O'Hara verachtet sie. Auch das hat einen autobiographischen Kern: Sein wohlhabender Vater starb, als er neunzehn war. Deshalb konnte er keine teure Universität besuchen.
In dieser Weise karikiert ist Weston Liggett. Er hat Yale absolviert, doch das verdankt er nicht seinem Intellekt, sondern seinen Muskeln. Er war Ruderer im Team der Universität, und auch später zeichnet er sich eher physisch aus, als Frauenheld und Saufbruder. Als seine Frau das Fehlen des Nerzmantels entdeckt, kommt es zur Krise. Liggett verlässt das Haus, auf einem Flussdampfer trifft er Gloria zum letzten Mal und will in der Kabine mit ihr schlafen, aber sie flieht vor ihm, stürzt über die Reling und gerät zwischen die Blätter des Schaufelrades. Der Körper der ertrunkenen Frau, von O'Hara in Literatur verwandelt, wird nur noch zerstückelt geborgen.
Vieles kommt hier auf den authentischen Klang der Dialoge an, und der Verlag war gut beraten, den Roman für die Neuausgabe neu übersetzen zu lassen. Der Schriftsteller Klaus Modick hat ihn in ein flüssig zu lesendes Deutsch gebracht.
- John O'Hara: "Butterfield 8". Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Modick. C.H. Beck Verlag, München 2008, 332 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willkommen in Babylon: John O'Haras Roman "Butterfield 8" aus dem Jahre 1935 nimmt den Tod einer jungen Frau zum Anlass für eine Generalabrechnung mit der neureichen amerikanischen Elite.
Von Jakob Hessing
Im Sommer 1931 wird in Long Island die Leiche einer jungen Frau an Land gespült. Sie heißt Starr Faithfull, ihr Lebenswandel ist reichlich locker gewesen, und ihr Fall, der lange durch die Presse geht, fasziniert John O'Hara (1905-1970). Der angehende Schriftsteller ist schon mit Kurzgeschichten im Magazin "The New Yorker" und einem ersten Roman hervorgetreten, doch bisher hat er nur vom Leben in der Provinz erzählt, aus der er kommt. Jetzt wird ihm der mysteriöse und nie aufgeklärte Tod zum Einstieg in den Sündenpfuhl New York, und 1935 beschreibt er ihn in "Butterfield 8", seinem zweiten Roman.
In der Geschichte der amerikanischen Literatur hatte eine in der Nähe von New York scheinbar ertrunkene Frau bereits Furore gemacht. 1841 wurde Mary Cecilia Rogers aus dem Hudson River geborgen, aber sie war offensichtlich ermordet worden. Edgar Allen Poe machte daraus "Das Geheimnis der Marie Rogêt", eine in Paris spielende Geschichte, mit der er zugleich ein Genre erfand: Zum ersten Mal trat hier ein Detektiv auf, der geniale Auguste Dupin, der in Sherlock Holmes seinen berühmtesten Nachfolger hatte.
Nicht zufällig ist der Detektiv eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts, als man noch an Fortschritt und rationale Analyse glaubte. Neunzig Jahre später hatte die Welt sich verändert. Die Zeit, in der John O'Hara sich von einer Ertrunkenen zu einem Roman inspirieren ließ, stand im Schatten der großen Wirtschaftskrise - er wollte keine Rätsel mehr lösen, sondern eine Gesellschaft beschreiben, die auf den Hund gekommen war. Er tut es im Stil der Satire. Berühmt sind O'Haras Blick für soziale Strukturen und seine genaue Dialogführung, mit der er jeder Figur ihren Ort zuweist. Diesem Gefüge montiert er eine magische Femme fatale ein, die er Gloria Wandrous nennt. Der symbolische Name weist sie nicht nur als eine Wiedergängerin der Starr Faithfull aus, sondern auch als ironische Projektionsfigur einer schäbigen Männerwelt. Sie ist noch keine zwanzig Jahre alt, doch alle stellen ihr nach - vom Schullehrer, der sie in der Provinz einst unterrichtet hat, bis zum Tycoon der Großstadt, in der sie nun ihre Feste feiert.
Zu Beginn des Romans lernen wir sie in der Stadtwohnung des verheirateten Weston Liggett kennen, ihres neuen Liebhabers, der sie soeben vergewaltigt und mit zerrissenem Abendkleid zurückgelassen hat. Sie nimmt sich einen Nerz aus dem Schrank seiner Frau, hängt ihn über ihren nackten Körper und macht sich auf den Weg durch New York - Karikatur einer Verlogenheit, die den Blick hinter ihre Fassaden nicht überstehen wird.
O'Hara erzählt eine Geschichte von wenigen Tagen. Wie es John Dos Passos schon in "Manhattan Transfer" getan hat, synchronisiert auch er das Leben zahlreicher Figuren, die im Netzwerk der Großstadt aufeinandertreffen, gibt uns aber zugleich Einblicke in die Biographien seiner Protagonisten. Liggett, mehr als doppelt so alt wie Gloria, ist ein Industrieller, dessen Vermögen in der Wirtschaftskrise zu schmelzen droht. Seine Frau betrügt er schon seit langem. Zum ersten Mal tat er es mit einer ihrer Freundinnen, die ihn zum Drink eingeladen hatte. So beginnt die Szene: "In Paris ist heute Bastille-Tag", sagte Liggett, als er mit den Cocktails zurückkam. (Es war zugleich der Tag, an dem Sacco und Vanzetti verurteilt wurden.)" Man schreibt den 14. Juli 1921, und das private Leben wird in den historischen Kontext gestellt. Mit der Französischen Revolution bricht das bürgerliche Zeitalter an, zu ihrem Jubiläum aber unterstellt die amerikanische Justiz zwei Unschuldigen einen Mord und verurteilt sie, weil sie Anarchisten sind. Recht wird zu Unrecht, und noch die Cocktails weisen auf den hohlen Boden hin, auf dem diese Gesellschaft steht: Die Prohibition ist von 1920 bis 1933 in Kraft, der im Roman reichlich genossene Alkohol ist ungesetzlich.
Das soziale Panorama des Romans ist autobiographisch fundiert. Es zeigt junge Männer aus dem Westen, die nach New York gekommen sind, um als Journalisten und Schriftsteller Karriere zu machen. Hauptsächlich jedoch wird die Elite aufs Korn genommen, die an den renommierten Universitäten der Ostküste ihre Ausbildung erhalten hat, in Yale, Harvard und Princeton. O'Hara verachtet sie. Auch das hat einen autobiographischen Kern: Sein wohlhabender Vater starb, als er neunzehn war. Deshalb konnte er keine teure Universität besuchen.
In dieser Weise karikiert ist Weston Liggett. Er hat Yale absolviert, doch das verdankt er nicht seinem Intellekt, sondern seinen Muskeln. Er war Ruderer im Team der Universität, und auch später zeichnet er sich eher physisch aus, als Frauenheld und Saufbruder. Als seine Frau das Fehlen des Nerzmantels entdeckt, kommt es zur Krise. Liggett verlässt das Haus, auf einem Flussdampfer trifft er Gloria zum letzten Mal und will in der Kabine mit ihr schlafen, aber sie flieht vor ihm, stürzt über die Reling und gerät zwischen die Blätter des Schaufelrades. Der Körper der ertrunkenen Frau, von O'Hara in Literatur verwandelt, wird nur noch zerstückelt geborgen.
Vieles kommt hier auf den authentischen Klang der Dialoge an, und der Verlag war gut beraten, den Roman für die Neuausgabe neu übersetzen zu lassen. Der Schriftsteller Klaus Modick hat ihn in ein flüssig zu lesendes Deutsch gebracht.
- John O'Hara: "Butterfield 8". Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Modick. C.H. Beck Verlag, München 2008, 332 S., geb., 19,90 [Euro].
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