Peter and Rebecca Harris: mid-40s, denizens of Manhattans SoHo, nearing the apogee of committee careers in the arts he a dealer, she an editor. With a spacious loft, a college-age daughter in Boston, and lively friends, they are admirable, enviable contemporary urbanites with every reason to be happy. Until Rebeccas much younger brother, Ethan (known as Mizzy, the mistake), comes to visit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2011Geben wir jemals irgendwem das Geschenk, das er tatsächlich haben will?
Michael Cunningham lässt in seinem Roman "In die Nacht hinein" Gustav Aschenbach in New York auferstehen. Diese moderne Version vom "Tod in Venedig" ist voller Witz und Ironie.
Was haben der amerikanische Schriftsteller Michael Cunningham und der soeben nach Amerika entschwundene Karl Theodor zu Guttenberg gemeinsam? Beide haben viel gelesen und manches abgeschrieben. Während in der Wissenschaft allerdings alles Abgeschriebene tunlichst als Entlehnung gekennzeichnet sein sollte, gehört es für einen Schriftsteller von gewissem Rang - und den kann man Cunningham kaum absprechen - zum guten Ton, sich bei illustren literarischen Vorbildern großzügig zu bedienen. Intertextualität heißt das Zauberwort, auch wenn diese per se noch kein Qualitätsmerkmal darstellt. Während Cunninghams Roman "Die Stunden" (1998), eine Hommage an Virginia Woolfs Leben, Sterben und Werk zu Recht mit dem Pulitzerpreis geehrt wurde und in der Verfilmung mit Nicole Kidman, Meryl Streep und Julianne Moore (2002) mehrere Oscars einheimste, sollte man über "Helle Tage" (2005), ein von Whitman-Zitaten durchwirktes Konglomerat aus viktorianischem Industrieroman und Post-09/11-Science fiction, besser schweigen.
Cunninghams aktueller Roman nennt sich "In die Nacht hinein", und auch hier muss man nicht lange im Dunkeln tappen, bis man auf die ersten literarischen Fährten stößt, als da wären Henry James, F. Scott Fitzgerald, James Joyce, Gustave Flaubert und vor allem Thomas Mann mit "Der Tod in Venedig". Wo so viel abgeschrieben, oder sagen wir, verarbeitet wird, mag manch einer die mangelnde Originalität des Schriftstellers beklagen - tatsächlich aber schreibt Cunningham bei "In die Nacht hinein" vor allem von sich selbst ab, kehrt er hier doch zur Thematik seiner allerersten Romane zurück: Dreiecksgeschichten, allerdings nicht die eines Mannes zwischen zwei Frauen oder einer Frau zwischen zwei Männern, sondern die eines Mannes zwischen einer Frau und einem Mann.
Peter Harris ist (fast) vierundvierzig Jahre alt. Es geht ihm gut: Als Inhaber einer New Yorker Galerie hat er, trotz des allmählichen Abflauens der Preisinflation auf dem Kunstmarkt, ein passables Auskommen und verkehrt mit angesagten Künstlern und glamourösen Kunstliebhabern. Seit zwanzig Jahren ist er mit seiner nach wie vor attraktiven Frau Rebecca verheiratet, sie haben eine erwachsene Tochter, Bea, die leider weder so schön noch so berühmt wie Dantes Beatrice ist. An dieser Ausgangsposition wird sich den ganzen Roman über kaum etwas ändern. Peter steckt in einer Midlife-Crisis und stellt sich weitschweifige Fragen zum Verhältnis von Kunst und menschlichem Dasein, und er tut das derart ausgiebig, dass man sich manchmal fragt, ob seine Figur für die Weite und Breite dieser Exkurse nicht etwas zu klein und durchschnittlich geraten ist. Allerdings: ist es durchschnittlich, wenn man sich schwertut, sein Kind zu lieben, weil es das Leben, das man ihm wünscht, nicht annehmen möchte? Sicherlich kommen solche Gefühle häufig vor, aber das macht sie kaum weniger quälend.
Rebeccas sehr viel jüngerer Bruder Ethan kommt für ein paar Tage zu Besuch. Alle nennen ihm Missy, das Missgeschick, gezeugt, als sich seine Mutter schon längst nicht mehr für fruchtbar hielt. Schockiert stellt Peter fest, dass er sich von Missy ästhetisch und sexuell hingezogen fühlt - doch Peter ist nicht Gustav Aschenbach, Missy ist nicht Tadzio. Missy ist von klassischer Schönheit, sexuell befreit und durch nichts gebunden - er verkörpert alles, was Peters langweiliger Tochter Bea abgeht, deren Existenz übrigens auch nicht elterlicher Planung entsprach. Missy ist Rebecca, zwanzig Jahre jünger. Missy ist Peters an Aids verstorbener und verklärter Bruder Matthew. Missy ist Peter, in einem anderen Leben. Missy ist die unerhörte Freudsche Wiederkehr im Leben des Durchschnitsmannes Peter Harris.
Mit Missy wird es messy, doch das gilt nicht für Cunninghams Stil. Seine Prosa glänzt vor Ironie, wenn er das berühmte Museum of Modern Art preist für "seine elefantenartige Gelassenheit, die Fähigkeit, die Moleküle seiner eigenen Luft mit einem Gefühl der Ehrfurcht, königlichem Glanz und dem jahrhundertelangen Plündern von fünf Kontinenten zu stimulieren". Auch die existentielle Traurigkeit, die in der rhetorischen Frage "Geben wir jemals irgendwem das Geschenk, das er tatsächlich haben will?" mitschwingt, geht in Georg Schmidts hervorragender Übersetzung nicht verloren, da Schmidt die Nuancen zwischen dem, was bloß durchschnittlich ist, und dem, was allgemeine Gültigkeit besitzt, erfolgreich ins Deutsche hinüberrettet.
Obwohl Cunningham seine Bücher meist seinem langjährigen Partner widmet, handelt sein Werk keineswegs von gleichgeschlechtlicher Liebe im üblichen Sinne. Die Strukturen menschlichen Begehrens, so wird Cunningham nicht müde zu betonen, sind unsäglich kompliziert. An die Stelle eines fröhlichen "Lieber-Bi-als-nie" tritt die Frage nach der Sozialisation sexuellen Verlangens: durch die eigenen Eltern und Geschwister, den Partner, die angeheiratete Familie und die eigenen Kinder. Und so ist es nur konsequent, wenn sich ein Autor ebenfalls bewusst auf diejenigen Prägungen beruft, die für sein literarisches Begehren und Bestreben entscheidend waren oder sind. Was in der Wissenschaft zu Recht als Plagiat geahndet wird, gilt in der Literatur als künstlerische Freiheit.
Die Kunst der Gegenwart lebt vom Ausstellen des Gewöhnlichen: Peter Harris zum Beispiel hat eine Künstlerin unter Vertrag - sie trägt den chinesischen Allerweltsnamen Wang -, die willkürlich Passanten auf der Straße filmt, um dann nach deren Modell verschiedene Merchandising-Artikel wie Lunchboxes, Spielzeugfiguren oder gar ein Halloween-Kostüm für Kinder herzustellen. Cunningham macht den Mittvierziger Peter Harris zum Gustav Aschenbach New Yorks - nur ist Peter noch etwas durchschnittlicher als Aschenbach, was dem Roman zu einem ungewöhnlichen, eben weil alltäglichem Ende verhilft. "In die Nacht hinein" braucht sich seiner Zitate nicht zu schämen und hat weder Illusion noch Drama nötig - wozu es, will man, ob nun in Literatur, Politik oder Wissenschaft, zu hoch hinaus, leicht kommen kann.
MARGRET FETZER
Michael Cunningham: "In die Nacht hinein".
Roman.
Aus dem Englischen von Georg Schmidt. Luchterhand Literaturverlag, München 2010. 315 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Cunningham lässt in seinem Roman "In die Nacht hinein" Gustav Aschenbach in New York auferstehen. Diese moderne Version vom "Tod in Venedig" ist voller Witz und Ironie.
Was haben der amerikanische Schriftsteller Michael Cunningham und der soeben nach Amerika entschwundene Karl Theodor zu Guttenberg gemeinsam? Beide haben viel gelesen und manches abgeschrieben. Während in der Wissenschaft allerdings alles Abgeschriebene tunlichst als Entlehnung gekennzeichnet sein sollte, gehört es für einen Schriftsteller von gewissem Rang - und den kann man Cunningham kaum absprechen - zum guten Ton, sich bei illustren literarischen Vorbildern großzügig zu bedienen. Intertextualität heißt das Zauberwort, auch wenn diese per se noch kein Qualitätsmerkmal darstellt. Während Cunninghams Roman "Die Stunden" (1998), eine Hommage an Virginia Woolfs Leben, Sterben und Werk zu Recht mit dem Pulitzerpreis geehrt wurde und in der Verfilmung mit Nicole Kidman, Meryl Streep und Julianne Moore (2002) mehrere Oscars einheimste, sollte man über "Helle Tage" (2005), ein von Whitman-Zitaten durchwirktes Konglomerat aus viktorianischem Industrieroman und Post-09/11-Science fiction, besser schweigen.
Cunninghams aktueller Roman nennt sich "In die Nacht hinein", und auch hier muss man nicht lange im Dunkeln tappen, bis man auf die ersten literarischen Fährten stößt, als da wären Henry James, F. Scott Fitzgerald, James Joyce, Gustave Flaubert und vor allem Thomas Mann mit "Der Tod in Venedig". Wo so viel abgeschrieben, oder sagen wir, verarbeitet wird, mag manch einer die mangelnde Originalität des Schriftstellers beklagen - tatsächlich aber schreibt Cunningham bei "In die Nacht hinein" vor allem von sich selbst ab, kehrt er hier doch zur Thematik seiner allerersten Romane zurück: Dreiecksgeschichten, allerdings nicht die eines Mannes zwischen zwei Frauen oder einer Frau zwischen zwei Männern, sondern die eines Mannes zwischen einer Frau und einem Mann.
Peter Harris ist (fast) vierundvierzig Jahre alt. Es geht ihm gut: Als Inhaber einer New Yorker Galerie hat er, trotz des allmählichen Abflauens der Preisinflation auf dem Kunstmarkt, ein passables Auskommen und verkehrt mit angesagten Künstlern und glamourösen Kunstliebhabern. Seit zwanzig Jahren ist er mit seiner nach wie vor attraktiven Frau Rebecca verheiratet, sie haben eine erwachsene Tochter, Bea, die leider weder so schön noch so berühmt wie Dantes Beatrice ist. An dieser Ausgangsposition wird sich den ganzen Roman über kaum etwas ändern. Peter steckt in einer Midlife-Crisis und stellt sich weitschweifige Fragen zum Verhältnis von Kunst und menschlichem Dasein, und er tut das derart ausgiebig, dass man sich manchmal fragt, ob seine Figur für die Weite und Breite dieser Exkurse nicht etwas zu klein und durchschnittlich geraten ist. Allerdings: ist es durchschnittlich, wenn man sich schwertut, sein Kind zu lieben, weil es das Leben, das man ihm wünscht, nicht annehmen möchte? Sicherlich kommen solche Gefühle häufig vor, aber das macht sie kaum weniger quälend.
Rebeccas sehr viel jüngerer Bruder Ethan kommt für ein paar Tage zu Besuch. Alle nennen ihm Missy, das Missgeschick, gezeugt, als sich seine Mutter schon längst nicht mehr für fruchtbar hielt. Schockiert stellt Peter fest, dass er sich von Missy ästhetisch und sexuell hingezogen fühlt - doch Peter ist nicht Gustav Aschenbach, Missy ist nicht Tadzio. Missy ist von klassischer Schönheit, sexuell befreit und durch nichts gebunden - er verkörpert alles, was Peters langweiliger Tochter Bea abgeht, deren Existenz übrigens auch nicht elterlicher Planung entsprach. Missy ist Rebecca, zwanzig Jahre jünger. Missy ist Peters an Aids verstorbener und verklärter Bruder Matthew. Missy ist Peter, in einem anderen Leben. Missy ist die unerhörte Freudsche Wiederkehr im Leben des Durchschnitsmannes Peter Harris.
Mit Missy wird es messy, doch das gilt nicht für Cunninghams Stil. Seine Prosa glänzt vor Ironie, wenn er das berühmte Museum of Modern Art preist für "seine elefantenartige Gelassenheit, die Fähigkeit, die Moleküle seiner eigenen Luft mit einem Gefühl der Ehrfurcht, königlichem Glanz und dem jahrhundertelangen Plündern von fünf Kontinenten zu stimulieren". Auch die existentielle Traurigkeit, die in der rhetorischen Frage "Geben wir jemals irgendwem das Geschenk, das er tatsächlich haben will?" mitschwingt, geht in Georg Schmidts hervorragender Übersetzung nicht verloren, da Schmidt die Nuancen zwischen dem, was bloß durchschnittlich ist, und dem, was allgemeine Gültigkeit besitzt, erfolgreich ins Deutsche hinüberrettet.
Obwohl Cunningham seine Bücher meist seinem langjährigen Partner widmet, handelt sein Werk keineswegs von gleichgeschlechtlicher Liebe im üblichen Sinne. Die Strukturen menschlichen Begehrens, so wird Cunningham nicht müde zu betonen, sind unsäglich kompliziert. An die Stelle eines fröhlichen "Lieber-Bi-als-nie" tritt die Frage nach der Sozialisation sexuellen Verlangens: durch die eigenen Eltern und Geschwister, den Partner, die angeheiratete Familie und die eigenen Kinder. Und so ist es nur konsequent, wenn sich ein Autor ebenfalls bewusst auf diejenigen Prägungen beruft, die für sein literarisches Begehren und Bestreben entscheidend waren oder sind. Was in der Wissenschaft zu Recht als Plagiat geahndet wird, gilt in der Literatur als künstlerische Freiheit.
Die Kunst der Gegenwart lebt vom Ausstellen des Gewöhnlichen: Peter Harris zum Beispiel hat eine Künstlerin unter Vertrag - sie trägt den chinesischen Allerweltsnamen Wang -, die willkürlich Passanten auf der Straße filmt, um dann nach deren Modell verschiedene Merchandising-Artikel wie Lunchboxes, Spielzeugfiguren oder gar ein Halloween-Kostüm für Kinder herzustellen. Cunningham macht den Mittvierziger Peter Harris zum Gustav Aschenbach New Yorks - nur ist Peter noch etwas durchschnittlicher als Aschenbach, was dem Roman zu einem ungewöhnlichen, eben weil alltäglichem Ende verhilft. "In die Nacht hinein" braucht sich seiner Zitate nicht zu schämen und hat weder Illusion noch Drama nötig - wozu es, will man, ob nun in Literatur, Politik oder Wissenschaft, zu hoch hinaus, leicht kommen kann.
MARGRET FETZER
Michael Cunningham: "In die Nacht hinein".
Roman.
Aus dem Englischen von Georg Schmidt. Luchterhand Literaturverlag, München 2010. 315 S., geb., 19,99 [Euro].
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