Die Geschichte von C&A steht paradigmatisch für die Ökonomisierung und Rationalisierung der Herstellung und des Verkaufes von Kleidung seit Ende des 19. Jahrhunderts. Mark Spoerer beschreibt die wechselvolle Geschichte des Familienunternehmens vom Start in Deutschland bis in die Jahre des Wirtschaftswunders. Dabei untersucht er auch, wie sich die Tradition der Familie Brenninkmeijer, den Unternehmernachwuchs nur aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, auf die Unternehmensstrategie auswirkte. Ursprünglich aus dem westfälischen Wanderhandel kommend, begannen die Brüder Clemens und August Brenninkmeijer 1841, ein Unternehmen in den Niederlanden aufzubauen, das 1911 nach Deutschland und 1922 nach Großbritannien expandierte. Trotz der Schwierigkeiten, die die Brenninkmeijers als Ausländer, Kapitalisten und Katholiken im Dritten Reich hatten, nutzten sie die geschäftlichen Chancen, die das Regime Unternehmen bot, etwa bei der "Arisierung" von Immobilien. Nach 1945 verzeichnete das Unternehmen in der beginnenden Konsumgesellschaft ein stürmisches Wachstum und entwickelte sich zu einer der größten europäischen Modeketten.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tim Schanetzky schätzt an Mark Spoerers Geschichte der deutsch-niederländischen Handelskette C&A den Blick auf gleich drei Standorte: Deutschland, Großbritannien und die Niederlande. Dass der Autor gleichwohl auf "Modevokabeln" wie "global" verzichtet, gefällt Schanetzky. Ebenso der Umstand, dass der Historiker das ruppige Geschäftsgebaren der Firma nicht verschweigt, die erzkatholische Lebensführung der Inhaber, ihre Steuervermeidungstaktik, ihre Anbiederung an das NS-Regime und ihre Vorteilnahmen durch "Arisierung" und Zwangsarbeit. Die Bedeutung nationalstaatlicher Regulierungen und Prägungen für das Unternehmen wird für Schanetzky deutlich. Dass der Autor das Unternehmen ins Zentrum seines Buches stellt und die Akteure bis auf wenige Ausnahmen eher ausblendet, findet der Rezensent allerdings schade.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2016Geschäfte einer Großfamilie
Die Modehandelsfirma C & A wird seit sechs Generationen von den Brenninkmeijers geführt – mit ganz eigenen Regeln, wie Mark Spoerer zeigt
Der Bekleidungshandel ist ein ruppiges Geschäft. Das gilt nicht nur für die ausgefahrenen Ellenbogen der Kundschaft, sondern auch für die Methoden jener Händler, die sich auf Dauer auf dem umkämpften Markt behaupten – so wie die deutsch-niederländische Handelskette C & A, deren Geschichte der Regensburger Historiker Mark Spoerer in einem opulent ausgestatteten Buch untersucht hat. Bis ins späte 19. Jahrhundert galt die Regel: Je niedriger das Einkommen, desto seltener der Gang zum Schneider. Die Bevölkerungsmehrheit konnte sich nur gebrauchte Kleidung leisten. Konfektionäre wie C & A revolutionierten den Markt und demokratisierten die Mode: Massenproduktion führte zu sinkenden Preisen. Massenabsatz ermöglichte trotz geringer Gewinnspanne ein gutes Geschäft. Massenandrang schuf man mit Werbung und Sonderangeboten – mitunter auch mit unlauteren Mitteln, etwa mit Lockvogelangeboten, die C & A gerade in der Zwischenkriegszeit systematisch eingesetzt zu haben scheint. Wegen seiner robusten Methoden verlor das Unternehmen jedenfalls immer wieder vor Gericht, nahm dies aber ebenso in Kauf wie eine schlechte Presse.
Seit je agierte C & A als Außenseiter. Die Gründer Clemens und August Brenninkmeijer stammten aus Mettingen, einem Dorf im Tecklenburger Land. Von dort brachen sie anfangs als Hausierer in die Niederlande auf, um Stoffe und Textilien zu verkaufen – genauso wie die Gründer von Peek & Cloppenburg, Hettlage oder Boecker. Als sie dann 1841 ihren ersten Laden in Sneek eröffneten, gehörten die katholischen Westfalen im protestantischen Friesland zu einer Minderheit. Ihr Unternehmen entwickelte sich bald zur verschworenen Gemeinschaft. Seit der Jahrhundertwende besetzten männliche Brenninkmeijers die Schlüsselpositionen bei der Expansion in die Großstädte, zunächst in den Niederlanden, von 1911 an auch in Norddeutschland. Aggressiv am Markt, schottete sich die Familie nach außen ab und pflegte eine Unabhängigkeit, deren Basis wirtschaftlicher Erfolg war: Über Jahrzehnte erwirtschaftete C & A Eigenkapitalrenditen von rund zehn Prozent. Von den Banken hielt sich die Familie ebenso fern wie vom Kapitalmarkt. Und weil der Handel seinen Gewinn üblicherweise im Einkauf macht, ließ C & A in eigenen Fabriken produzieren. 1922 expandierte man nach England, wo das Unternehmen bald ebenso rasch wuchs wie auf dem Kontinent.
Bemerkenswert ist vor allem, wie es den Brenninkmeijers über sechs Generationen gelungen ist, nicht nur das Eigentum am Unternehmen, sondern auch seine Leitung bis heute fest in den Händen der Großfamilie zu halten. Früh schon entwickelte sie ein Regelwerk („Unitas“), das die Erfordernisse von C & A vor Ansprüchen und Wünschen einzelner Familienangehöriger schützte. Um Erb-Auseinandersetzungen aus dem Unternehmen herauszuhalten, sollte Vermögen vererbt werden, jedoch kein Kapital. Wer als männlicher Nachkomme in das Unternehmen eintreten wollte, für den fand sich immer ein Platz. Beim Aufstieg jedoch sollten allein Talent und Leistung zählen. Dieser Bewährungsdruck galt im Geschäftlichen wie im Privaten: Eine streng katholische Lebensführung zählte ebenso dazu wie harte Arbeit – offenbar so hart, dass C & A-Manager der zweiten und dritten Generation im Schnitt kaum das 65. Lebensjahr erreichten.
Als brave Katholiken spendeten die Brenninkmeijers stets zehn Prozent des Gewinns an kirchliche und karitative Einrichtungen. Auch katholische Parteien profitierten von der politischen Landschaftspflege, die freilich auch vor dem Hintergrund einer konsequenten Steuervermeidungspolitik zu sehen ist. Nach Hitlers Machtübernahme passte sich die Familie in Deutschland rasch an: Ein immer größerer Teil des Spendenaufkommens floss nun in die Kassen von Winterhilfe & Co., und Hermann Göring versuchte man mit persönlichen Geschenken für sich einzunehmen – mit Erfolg, denn Hitlers „Wirtschaftsdiktator“ setzte sich bei der Versorgung mit Arbeitskräften ebenso für die Interessen von C & A ein wie im Konflikt mit einem verfeindeten Gauleiter.
Trotz des familiären Engagements in den Niederlanden und in Großbritannien unterschied sich C & A nicht vom Verhalten vieler anderer Unternehmen im Dritten Reich. Weil Gewinne nicht mehr ins Ausland transferiert werden durften, kaufte C & A systematisch Immobilien im Zuge der „Arisierung“. Im Krieg zählte der Einzelhandel zu den großen Verlierern von Bewirtschaftung und Rüstung; vor allem die Produktionsbetriebe wurden jetzt für die Existenzsicherung des Unternehmens zentral. Wenig überraschend beschäftigten Tochtergesellschaften von C & A in Deutschland bald auch Zwangsarbeiter. Von katholischer Nächstenliebe blieben sie ebenso ausgenommen wie die Juden im Ghetto von Lodz, die unter mörderischen Bedingungen buchstäblich (und in fast allen Fällen vergeblich) um ihr Leben arbeiteten – auch für C & A.
Als nach 1945 Bilanz gezogen wurde, war das Gros der Kaufhäuser in Deutschland beschädigt oder zerstört, der C & A-Besitz in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet. Auch in Großbritannien gab es Bombenschäden, aber vor allem die dort bald einsetzende Verstaatlichungspolitik verstärkte die in der Familie ohnehin grassierende Zukunftsangst. So wie sie nach dem Ersten Weltkrieg den Sprung über den Kanal gewagt hatten, versuchten die Brenninkmeijers jetzt in den USA Fuß zu fassen und nahmen dabei auch jahrelange Verluste in Kauf. Als dann das „Goldene Zeitalter“ des Massenkonsums in Europa einsetzte, dienten Holdings auf den Niederländischen Antillen zwar auch der Steuerersparnis. Aber das dortige Beteiligungsgeflecht war zugleich ein Produkt des Kalten Krieges, wie die „Antibella“ zeigt – eine Unterholding, die ein millionenstarkes Finanzpolster für den Kriegsfall bereithielt.
Der spezielle Reiz von Mark Spoerers Buch liegt im gleichrangigen Blick auf C & A in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Dabei verzichtet er auf wissenschaftliche Modevokabeln wie „transnational“ und „global“, obwohl diese Attribute gewiss auch auf die Brenninkmeijers passten, spätestens seit der dritten Generation – doch Spoerers Blick auf das Unternehmen unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung nationalstaatlicher Regulierungen und Prägungen.
Um diese Geschichte überhaupt auf dem knappen Raum von 400 Seiten erzählen zu können, stellt er das Unternehmen in den Mittelpunkt: Ihn interessiert, wie es um Umsatz, Rentabilität und Absatz stand, und wie die Eigentümer ihren Erfolg dauerhaft zu sichern versuchten. Das ist auch für Laien verständlich aufbereitet, führt letztlich aber zu einer Geschichte ohne Akteure: Gelegentlich treten zwar durchaus einzelne Brenninkmeijers namentlich hervor, aber die Erzählung würde wohl auch funktionieren, wenn diese Individuen vollständig in der Anonymität des Familienkollektivs verschwänden.
Man wird annehmen dürfen, dass diese Form der Darstellung genau das Selbstbild der Brenninkmeijers trifft.
TIM SCHANETZKY
Tim Schanetzky ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena.
Jüngst erschien von ihm „Regierungsunternehmer. Henry J. Kaiser, Friedrich Flick und die Staatskonjunkturen in den USA und Deutschland“ (Wallstein).
Harte Arbeit und eine streng
katholische Lebensführung
wurden verlangt
Mark Spoerer:
C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland,
den Niederlanden und
Großbritannien 1911–1961,
Verlag C. H. Beck,
München 2016, 480 Seiten,
34,95 Euro.
Konfektionäre wie C & A revolutionierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Markt und demokratisierten die Mode. Heute finden sich in vielen Fußgängerzonen der Republik ähnlich gestaltete Kaufhäuser.
Foto: Robert Haas
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Modehandelsfirma C & A wird seit sechs Generationen von den Brenninkmeijers geführt – mit ganz eigenen Regeln, wie Mark Spoerer zeigt
Der Bekleidungshandel ist ein ruppiges Geschäft. Das gilt nicht nur für die ausgefahrenen Ellenbogen der Kundschaft, sondern auch für die Methoden jener Händler, die sich auf Dauer auf dem umkämpften Markt behaupten – so wie die deutsch-niederländische Handelskette C & A, deren Geschichte der Regensburger Historiker Mark Spoerer in einem opulent ausgestatteten Buch untersucht hat. Bis ins späte 19. Jahrhundert galt die Regel: Je niedriger das Einkommen, desto seltener der Gang zum Schneider. Die Bevölkerungsmehrheit konnte sich nur gebrauchte Kleidung leisten. Konfektionäre wie C & A revolutionierten den Markt und demokratisierten die Mode: Massenproduktion führte zu sinkenden Preisen. Massenabsatz ermöglichte trotz geringer Gewinnspanne ein gutes Geschäft. Massenandrang schuf man mit Werbung und Sonderangeboten – mitunter auch mit unlauteren Mitteln, etwa mit Lockvogelangeboten, die C & A gerade in der Zwischenkriegszeit systematisch eingesetzt zu haben scheint. Wegen seiner robusten Methoden verlor das Unternehmen jedenfalls immer wieder vor Gericht, nahm dies aber ebenso in Kauf wie eine schlechte Presse.
Seit je agierte C & A als Außenseiter. Die Gründer Clemens und August Brenninkmeijer stammten aus Mettingen, einem Dorf im Tecklenburger Land. Von dort brachen sie anfangs als Hausierer in die Niederlande auf, um Stoffe und Textilien zu verkaufen – genauso wie die Gründer von Peek & Cloppenburg, Hettlage oder Boecker. Als sie dann 1841 ihren ersten Laden in Sneek eröffneten, gehörten die katholischen Westfalen im protestantischen Friesland zu einer Minderheit. Ihr Unternehmen entwickelte sich bald zur verschworenen Gemeinschaft. Seit der Jahrhundertwende besetzten männliche Brenninkmeijers die Schlüsselpositionen bei der Expansion in die Großstädte, zunächst in den Niederlanden, von 1911 an auch in Norddeutschland. Aggressiv am Markt, schottete sich die Familie nach außen ab und pflegte eine Unabhängigkeit, deren Basis wirtschaftlicher Erfolg war: Über Jahrzehnte erwirtschaftete C & A Eigenkapitalrenditen von rund zehn Prozent. Von den Banken hielt sich die Familie ebenso fern wie vom Kapitalmarkt. Und weil der Handel seinen Gewinn üblicherweise im Einkauf macht, ließ C & A in eigenen Fabriken produzieren. 1922 expandierte man nach England, wo das Unternehmen bald ebenso rasch wuchs wie auf dem Kontinent.
Bemerkenswert ist vor allem, wie es den Brenninkmeijers über sechs Generationen gelungen ist, nicht nur das Eigentum am Unternehmen, sondern auch seine Leitung bis heute fest in den Händen der Großfamilie zu halten. Früh schon entwickelte sie ein Regelwerk („Unitas“), das die Erfordernisse von C & A vor Ansprüchen und Wünschen einzelner Familienangehöriger schützte. Um Erb-Auseinandersetzungen aus dem Unternehmen herauszuhalten, sollte Vermögen vererbt werden, jedoch kein Kapital. Wer als männlicher Nachkomme in das Unternehmen eintreten wollte, für den fand sich immer ein Platz. Beim Aufstieg jedoch sollten allein Talent und Leistung zählen. Dieser Bewährungsdruck galt im Geschäftlichen wie im Privaten: Eine streng katholische Lebensführung zählte ebenso dazu wie harte Arbeit – offenbar so hart, dass C & A-Manager der zweiten und dritten Generation im Schnitt kaum das 65. Lebensjahr erreichten.
Als brave Katholiken spendeten die Brenninkmeijers stets zehn Prozent des Gewinns an kirchliche und karitative Einrichtungen. Auch katholische Parteien profitierten von der politischen Landschaftspflege, die freilich auch vor dem Hintergrund einer konsequenten Steuervermeidungspolitik zu sehen ist. Nach Hitlers Machtübernahme passte sich die Familie in Deutschland rasch an: Ein immer größerer Teil des Spendenaufkommens floss nun in die Kassen von Winterhilfe & Co., und Hermann Göring versuchte man mit persönlichen Geschenken für sich einzunehmen – mit Erfolg, denn Hitlers „Wirtschaftsdiktator“ setzte sich bei der Versorgung mit Arbeitskräften ebenso für die Interessen von C & A ein wie im Konflikt mit einem verfeindeten Gauleiter.
Trotz des familiären Engagements in den Niederlanden und in Großbritannien unterschied sich C & A nicht vom Verhalten vieler anderer Unternehmen im Dritten Reich. Weil Gewinne nicht mehr ins Ausland transferiert werden durften, kaufte C & A systematisch Immobilien im Zuge der „Arisierung“. Im Krieg zählte der Einzelhandel zu den großen Verlierern von Bewirtschaftung und Rüstung; vor allem die Produktionsbetriebe wurden jetzt für die Existenzsicherung des Unternehmens zentral. Wenig überraschend beschäftigten Tochtergesellschaften von C & A in Deutschland bald auch Zwangsarbeiter. Von katholischer Nächstenliebe blieben sie ebenso ausgenommen wie die Juden im Ghetto von Lodz, die unter mörderischen Bedingungen buchstäblich (und in fast allen Fällen vergeblich) um ihr Leben arbeiteten – auch für C & A.
Als nach 1945 Bilanz gezogen wurde, war das Gros der Kaufhäuser in Deutschland beschädigt oder zerstört, der C & A-Besitz in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet. Auch in Großbritannien gab es Bombenschäden, aber vor allem die dort bald einsetzende Verstaatlichungspolitik verstärkte die in der Familie ohnehin grassierende Zukunftsangst. So wie sie nach dem Ersten Weltkrieg den Sprung über den Kanal gewagt hatten, versuchten die Brenninkmeijers jetzt in den USA Fuß zu fassen und nahmen dabei auch jahrelange Verluste in Kauf. Als dann das „Goldene Zeitalter“ des Massenkonsums in Europa einsetzte, dienten Holdings auf den Niederländischen Antillen zwar auch der Steuerersparnis. Aber das dortige Beteiligungsgeflecht war zugleich ein Produkt des Kalten Krieges, wie die „Antibella“ zeigt – eine Unterholding, die ein millionenstarkes Finanzpolster für den Kriegsfall bereithielt.
Der spezielle Reiz von Mark Spoerers Buch liegt im gleichrangigen Blick auf C & A in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Dabei verzichtet er auf wissenschaftliche Modevokabeln wie „transnational“ und „global“, obwohl diese Attribute gewiss auch auf die Brenninkmeijers passten, spätestens seit der dritten Generation – doch Spoerers Blick auf das Unternehmen unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung nationalstaatlicher Regulierungen und Prägungen.
Um diese Geschichte überhaupt auf dem knappen Raum von 400 Seiten erzählen zu können, stellt er das Unternehmen in den Mittelpunkt: Ihn interessiert, wie es um Umsatz, Rentabilität und Absatz stand, und wie die Eigentümer ihren Erfolg dauerhaft zu sichern versuchten. Das ist auch für Laien verständlich aufbereitet, führt letztlich aber zu einer Geschichte ohne Akteure: Gelegentlich treten zwar durchaus einzelne Brenninkmeijers namentlich hervor, aber die Erzählung würde wohl auch funktionieren, wenn diese Individuen vollständig in der Anonymität des Familienkollektivs verschwänden.
Man wird annehmen dürfen, dass diese Form der Darstellung genau das Selbstbild der Brenninkmeijers trifft.
TIM SCHANETZKY
Tim Schanetzky ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena.
Jüngst erschien von ihm „Regierungsunternehmer. Henry J. Kaiser, Friedrich Flick und die Staatskonjunkturen in den USA und Deutschland“ (Wallstein).
Harte Arbeit und eine streng
katholische Lebensführung
wurden verlangt
Mark Spoerer:
C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland,
den Niederlanden und
Großbritannien 1911–1961,
Verlag C. H. Beck,
München 2016, 480 Seiten,
34,95 Euro.
Konfektionäre wie C & A revolutionierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Markt und demokratisierten die Mode. Heute finden sich in vielen Fußgängerzonen der Republik ähnlich gestaltete Kaufhäuser.
Foto: Robert Haas
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2016Innenansichten von C&A
Die Geschichte eines Familienunternehmens
Die niederländisch-deutsche Familie Brenninkmeijer ist seit dem 17. Jahrhundert unternehmerisch tätig und gründete 1841 in Holland die Firma C(lemens) & A(ugust) Brenninkmeijer, die 1911 ihre erste Filiale in Deutschland eröffnete. Aus kleinsten Anfängen im Wanderhandel ging der lange Zeit größte europäische Textilkonzern hervor. Er setzte auf konfektionierte Massenware für die unteren Sozialschichten und brachte modische Kleidung von der Stange in die Arbeiterhaushalte.
Wie sich die Wanderhändler einst durch Geheimsprachen schützten, pflegten die Brenninkmeijers bis ins 21. Jahrhundert hinein eine Kultur der rigorosen Abschottung. Überwunden wurde sie erst vor wenigen Jahren im Kontext einer Ausstellung über ihre Geschichte unter Berücksichtigung der NS-Zeit. In ihr profitierte C&A von den Sonderbedingungen der Diktatur, andererseits litt das multinationale Unternehmen mit Gesellschaften auf beiden Seiten der Front unter den Auswirkungen des Krieges. Als Katholiken und Ausländern begegnete man ihnen mit Misstrauen.
Das Unternehmen bereicherte sich jedoch in Deutschland skrupellos an jüdischem Immobilienbesitz, übernahm aber keine jüdischen Konkurrenten. Es profitierte von der Ausbeutung russischer Zwangsarbeiter und jüdischer Gettobewohner, die unter unmenschlichen Bedingungen Kleidung fertigten. Einige Familienmitglieder bedachten NS-Organisationen mit hohen Spenden. Als Ausländern verweigerte man ihnen den Eintritt in die NSDAP. Sie schenkten Hermann Göring zu seinen Geburtstagen wertvolle Kunstwerke.
Neben dem Verhalten im Nationalsozialismus analysiert Spoerer vor allem die Wachstumsstrategien des expandierenden Konzerns. Im Vordergrund standen scharfe Kostenkontrolle, aggressiver Preiswettbewerb, Barzahlung, extensive Werbung und Eigenmarken. C&A war und ist ein Familienunternehmen im engsten Sinn des Wortes. Das Eigentum lag allein bei der Familie, an der Spitze standen ausnahmslos Verwandte. Der Kinderreichtum ermöglichte es, aus einem großen Reservoir junger Männer, seit rund 1990 auch Frauen, auswählen zu können. Die Erstgeborenen genossen kein Vorrecht, wie es in vielen Familienunternehmen üblich war. Es herrschte, so ein Familienmitglied, ein "intensiver edler Leistungswettkampf".
Die Corporate Governance setzte auf der Verwurzelung der Familie im Katholizismus auf. Die Ausbildung des Nachwuchses war gut geplant und streng reglementiert. Zuweilen fand sie im familieneigenen Internat statt. In Toppositionen durften nur männliche Nachfahren einrücken, die in direkter Linie von den Gründern abstammten. Wer eine nicht-katholische Frau heiratete, musste aus dem Führungskreis ausscheiden. Erwerbsquellen außerhalb des Konzerns waren tabu. Beförderungen und Versetzungen erfolgten bis in die achtziger Jahre ohne Rücksprache mit den Betroffenen. Wer dem Unternehmen den Rücken kehrte oder sich nicht bewährte, hatte die Chance auf eine Führungsposition für sich und die eigenen Nachfahren verspielt. Der Gefahr einer zu späten Nachfolge stand das obligatorische Ausscheiden aus der aktiven Geschäftstätigkeit im Alter von 55 Jahren entgegen. So erhielt die nächste Generation Spielraum. Vater-Sohn-Konflikte belasteten nicht das Unternehmen, da der eigene Vater beim Eintritt in den Unternehmerkreis diesem Gremium meist nicht mehr angehörte. Zudem entfernten sich die Führungskräfte altersmäßig nicht zu weit von ihrer Kundschaft, was für ein Modehaus wichtig war.
Dem Prinzipal-Agent-Problem wurde vorgebaut, indem Anteile nicht verkauft oder vererbt werden durften. Familienangehörige behielten nur in ihrer aktiven Zeit und wenige Jahre danach ihre vollen Rechte. Die Kontrolle über die Firma blieb den unternehmerisch aktiven Mitgliedern des engsten Familienkreises vorbehalten. Nach außen demonstrierte der Clan stets Einheit und wahrte strikte Geheimhaltung. Insofern führt dieses Werk den Leser in ein lange hermetisch verriegeltes Arkanum und bietet eine faszinierende Innenansicht eines besonderen Familienunternehmens.
HARTMUT BERGHOFF
Mark Spoerer: C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. Verlag C.H. Beck, München 2016, 480 Seiten, 34,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte eines Familienunternehmens
Die niederländisch-deutsche Familie Brenninkmeijer ist seit dem 17. Jahrhundert unternehmerisch tätig und gründete 1841 in Holland die Firma C(lemens) & A(ugust) Brenninkmeijer, die 1911 ihre erste Filiale in Deutschland eröffnete. Aus kleinsten Anfängen im Wanderhandel ging der lange Zeit größte europäische Textilkonzern hervor. Er setzte auf konfektionierte Massenware für die unteren Sozialschichten und brachte modische Kleidung von der Stange in die Arbeiterhaushalte.
Wie sich die Wanderhändler einst durch Geheimsprachen schützten, pflegten die Brenninkmeijers bis ins 21. Jahrhundert hinein eine Kultur der rigorosen Abschottung. Überwunden wurde sie erst vor wenigen Jahren im Kontext einer Ausstellung über ihre Geschichte unter Berücksichtigung der NS-Zeit. In ihr profitierte C&A von den Sonderbedingungen der Diktatur, andererseits litt das multinationale Unternehmen mit Gesellschaften auf beiden Seiten der Front unter den Auswirkungen des Krieges. Als Katholiken und Ausländern begegnete man ihnen mit Misstrauen.
Das Unternehmen bereicherte sich jedoch in Deutschland skrupellos an jüdischem Immobilienbesitz, übernahm aber keine jüdischen Konkurrenten. Es profitierte von der Ausbeutung russischer Zwangsarbeiter und jüdischer Gettobewohner, die unter unmenschlichen Bedingungen Kleidung fertigten. Einige Familienmitglieder bedachten NS-Organisationen mit hohen Spenden. Als Ausländern verweigerte man ihnen den Eintritt in die NSDAP. Sie schenkten Hermann Göring zu seinen Geburtstagen wertvolle Kunstwerke.
Neben dem Verhalten im Nationalsozialismus analysiert Spoerer vor allem die Wachstumsstrategien des expandierenden Konzerns. Im Vordergrund standen scharfe Kostenkontrolle, aggressiver Preiswettbewerb, Barzahlung, extensive Werbung und Eigenmarken. C&A war und ist ein Familienunternehmen im engsten Sinn des Wortes. Das Eigentum lag allein bei der Familie, an der Spitze standen ausnahmslos Verwandte. Der Kinderreichtum ermöglichte es, aus einem großen Reservoir junger Männer, seit rund 1990 auch Frauen, auswählen zu können. Die Erstgeborenen genossen kein Vorrecht, wie es in vielen Familienunternehmen üblich war. Es herrschte, so ein Familienmitglied, ein "intensiver edler Leistungswettkampf".
Die Corporate Governance setzte auf der Verwurzelung der Familie im Katholizismus auf. Die Ausbildung des Nachwuchses war gut geplant und streng reglementiert. Zuweilen fand sie im familieneigenen Internat statt. In Toppositionen durften nur männliche Nachfahren einrücken, die in direkter Linie von den Gründern abstammten. Wer eine nicht-katholische Frau heiratete, musste aus dem Führungskreis ausscheiden. Erwerbsquellen außerhalb des Konzerns waren tabu. Beförderungen und Versetzungen erfolgten bis in die achtziger Jahre ohne Rücksprache mit den Betroffenen. Wer dem Unternehmen den Rücken kehrte oder sich nicht bewährte, hatte die Chance auf eine Führungsposition für sich und die eigenen Nachfahren verspielt. Der Gefahr einer zu späten Nachfolge stand das obligatorische Ausscheiden aus der aktiven Geschäftstätigkeit im Alter von 55 Jahren entgegen. So erhielt die nächste Generation Spielraum. Vater-Sohn-Konflikte belasteten nicht das Unternehmen, da der eigene Vater beim Eintritt in den Unternehmerkreis diesem Gremium meist nicht mehr angehörte. Zudem entfernten sich die Führungskräfte altersmäßig nicht zu weit von ihrer Kundschaft, was für ein Modehaus wichtig war.
Dem Prinzipal-Agent-Problem wurde vorgebaut, indem Anteile nicht verkauft oder vererbt werden durften. Familienangehörige behielten nur in ihrer aktiven Zeit und wenige Jahre danach ihre vollen Rechte. Die Kontrolle über die Firma blieb den unternehmerisch aktiven Mitgliedern des engsten Familienkreises vorbehalten. Nach außen demonstrierte der Clan stets Einheit und wahrte strikte Geheimhaltung. Insofern führt dieses Werk den Leser in ein lange hermetisch verriegeltes Arkanum und bietet eine faszinierende Innenansicht eines besonderen Familienunternehmens.
HARTMUT BERGHOFF
Mark Spoerer: C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. Verlag C.H. Beck, München 2016, 480 Seiten, 34,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Spoerers Studie ermöglicht tiefe Einblicke in das verschachtelte internationale Unternehmensgeflecht des Konzerns." Christopher Kopper, Historische Zeitschrift, 3/2018
"Dieses Werk (führt) den Leser in ein lange hermetisch verriegeltes Arkanum und bietet eine faszinierende Innenansicht eines besonderen Familienunternehmens."
Hartmut Berghoff, FAZ, 19. Dezember 2016
"Dieses Werk (führt) den Leser in ein lange hermetisch verriegeltes Arkanum und bietet eine faszinierende Innenansicht eines besonderen Familienunternehmens."
Hartmut Berghoff, FAZ, 19. Dezember 2016