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Produktdetails
  • Verlag: C.H.Beck
  • Erscheinungstermin: 14. März 2001
  • Deutsch
  • Abmessung: 22.3cm x 14.1cm
  • Gewicht: 825g
  • ISBN-13: 9783406466403
  • ISBN-10: 3406466400
  • Artikelnr.: 24073666
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2001

Besser es platzt die Republik als die Karriere
Ein Plan? Danach fragt ein untreuer Beamter nicht: Luciano Canfora schreitet Caesars Laufbahn ab

Wie Alexander der Große die hellenistische Welt, so repräsentiert Caesar die vorchristlich-römische. Die Faszination, die er als letzter Republikaner oder (inzwischen) als erster Europäer ausübt, währt seit über zweitausend Jahren. Als divus beeindruckte er Schriftsteller, Philosophen und Staatsmänner, Historikern lieferte er den Stoff für voluminöse Biographien. Die deutsche Forschung beschäftigte sich nach Mommsen und Meyer insbesondere seit 1945 mit Caesar: Hermann Strasburger, Andreas Alföldi, Helga Gesche, Karl Christ, Christian Meier, Martin Jehne oder Werner Dahlheim sind die bedeutenderen Namen. Matthias Gelzer veröffentlichte seine erste Biographie zwar schon 1921, in immer neuen, veränderten (und auch angepaßten) Ausgaben ist sie aber seit nunmehr achtzig Jahren lieferbar.

Luciano Canforas Monographie ist das dritte Caesar-Buch, das der Beck-Verlag in kurzer Zeit publiziert. Der Autor lehrt Klassische Philologie an der Universität Bari, zählt zu den besten Kennern der deutschen Altertumswissenschaft - 1995 erschien sein Buch über "Politische Philologie" (F.A.Z. vom 29. Juni 1995) -, und entsprechend gegenwärtig ist diese Forschung in seinem Werk. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte gehören zu den Themen auch dieses Buches.

Der Autor stellt sich in eine lange Tradition, seine Annäherung an den Diktator ist jedoch selbständig. Das Phänomen Caesar läßt viele Interpretationsansätze und Sichtweisen zu, nicht aber eine abschließende Deutung. Leichter lassen sich zwanzig interessante Biographien über Caesar schreiben als eine über Augustus oder Perikles. Probleme bereitet eher, einen originellen Titel zu finden. Canfora versucht es mit dem Paradoxon "Der demokratische Diktator" und stellt damit ein Rätsel, das er nicht löst. Das Gegensatzpaar spielt mit irreführenden Begriffen. Caesar war kein (moderner) Diktator, er war noch viel weniger Demokrat, und am wenigsten war er beides zusammen. Caesar war ein römischer Beamter, und eines seiner Ämter war die Diktatur, eine verfassungsmäßige Einrichtung, wie das Glossar ausweist. Der Demokrat ist eine Chimäre, die - außer im Untertitel des Buches - nirgends Platz hat. Im spätrepublikanischen Senat herrschte eine kleine Clique mächtiger Oligarchen, die Plebs speiste Caesar zunächst mit Fechterspielen und Getreide ab, nach der Eroberung Galliens verteilte er Beutegelder, testamentarisch Almosen.

Canfora erzählt die Geschichte Caesars in zweiundvierzig Kapiteln linear, straff, konsequent und ohne daß der Leser, wie bei Gelzer, den Marschtritt römischer Legionäre hört. Wie dieser bleibt er aber immer ernst, was Caesars Karriere nicht war. Das berühmte Seeräuberabenteuer zu Beginn der Laufbahn entpuppt sich, so wie es die Quellen schildern, als Komödie (eine solche plante nach seiner Plutarchlektüre der junge Brecht) und war keineswegs das bravouröse Gesellenstück eines Jungaristokraten, das bereits den späteren Machthaber in nuce zeigte. Nirgends ringt sich Canfora ein Lächeln ab, nirgends läßt er sich zu einer Bemerkung hinreißen, die man als Ironie verdächtigen könnte. Dabei ist die Geschichte seines Helden gespickt mit Grotesken, angefangen vom sogenannten Bona-Dea-Skandal, über das fiktive Messerattentat auf Pompeius bis hin zu Caesars diarrhöebedingtem Sitzenbleiben vor dem Senat. Die Art, in welcher der Prokonsul seine historische Stunde am Rubikon inszenierte und sein "Alea iacta est" (so Sueton) in die Schreibblöcke der bei Fuß stehenden Historiker diktierte, erscheint mehr als Farce denn als Wendepunkt der Geschichte.

Der Autor zeigt einen entschlossenen Caesar, einen Mann, der - anders als andere Amtsinhaber - Mut nicht delegierte: angefangen von der Weigerung des jungen Aristokraten, sich auf politischen Druck scheiden zu lassen, bis zum Widerstreben des gealterten Alleinherrschers, anonyme Billets zu lesen. Dem Statthalter stand der Centurio näher als der adlige Offizier; er warb zwar um seine Standesgenossen, bettelte aber nicht um ihre Gunst. Canfora hält Caesar mit Recht für den größten Politiker der Republik. Er irrt allenfalls, wenn er beklagt, daß sich die Attentäter dessen nicht bewußt waren - tatsächlich war dies das Mordmotiv.

In Canforas Darstellung wird Caesars entscheidende Eigenschaft sichtbar, seine Gradlinigkeit im Leben wie im Schreiben. Sie ist es, die Caesars Biographie so spannend macht: Jedem Ziel, das er erreicht, folgt ein neues. Bis zu seinem Tod gibt es keine Atempause. Er gewinnt alle Kämpfe, doch den Krieg verliert er: Statt die Republik zu retten, zerstört er sie. Was Caesar fehlte, war letztlich ein grundlegender Plan. Er dachte in den Etappen der Beamtenkarriere. Die Weitsicht, die ihm Canfora zuschreibt, konterkarieren nicht allein die Iden des März. Die Diktatur war nicht langfristig angestrebt. Caesar wollte Pontifex, Quästor, Ädil, Prätor, Konsul, Feldherr, Eroberer, Triumphator, Statthalter und wieder Konsul werden. Alles im Rahmen der Legalität, allenfalls ein klein bißchen außerhalb. Erst als ihm verwehrt wurde, was ihm nach seiner Meinung zukam, das zweite Konsulat, eröffnete er den Bürgerkrieg. Seine Größe macht aus, daß er ihn aus unterlegener Position gewann. Die folgende Diktatur perpetuo beweist bestenfalls Mangel an Phantasie, und so währte die Ewigkeit auch nur drei Monate.

Canfora verfällt nicht in den Fehler, Caesar zu romantisieren. Er verschweigt nicht, worauf sich Machterwerb gründet. Dennoch bricht sich die Bewunderung für den großen Mann (Lichtenberg spricht von der Schüchternheit vor dem Ruhme der berühmtesten Männer) gelegentlich Bahn, und so scheut der Autor auch Beschönigungen nicht. Caesar setzte im Gegensatz zum Diktator Sulla auf Amnestie und clementia, doch schreckte er eben auch keineswegs vor Proskriptionen zurück, er führte sie nur unauffälliger durch als sein Vorgänger.

Die große Stärke des vorliegenden Buches ist seine Quellennähe. Die antiken Zeugnisse, Geschichtswerke, Biographien, Briefe, Reden, philosophischen Essays, Kommentare antiker Philologen oder Flugschriften sind immer präsent. Canfora kennt jeden Brief aus der mehrbändigen Korrespondenz Ciceros, mit analytischer Meisterschaft seziert er Caesars Commentarii, "die authentischste Idee von sich selbst" (ein schmerzhafter Superlativ). Canfora zitiert sie in extenso, benennt die Probleme ihrer Interpretation. Der Leser muß sich nicht dem allwissenden Autor beugen, er weiß immer, aus welchen Quellen dieser schöpft. Der philologische Ansatz führt gelegentlich zu einer gewissen Kleinteiligkeit, bedingt den Verzicht auf die weiträumige historische Einordnung, läßt jedoch ein Caesar-Porträt von hoher Dichte und Plastizität entstehen. Canfora wagt neue Deutungen, bewegt sich oft jedoch im engen Rahmen des Überkommenen, bisweilen auch in dem des Vorurteils. Es gibt glänzend geschriebene Passagen, gelegentlich glaubt man freilich auch den Repetitor zu vernehmen, der auf Examina vorbereitet. An Lehrbücher erinnert die Durchnumerierung von Absätzen in den einzelnen Kapiteln. Sie soll vermutlich dem Leser helfen, hat aber nur dem Autor die Arbeit erleichtert, da er sich Überleitungen ersparen konnte.

Der generös bemessene Anhang, der etwa ein Drittel des Buches ausmacht, enthält neben Appendices mit vornehmlich philologischen Studien Anmerkungen, Register, Glossar, Kurzbiographien römischer Magistrate, eine exzellente Chronologie und eine teilweise kommentierte Bibliographie. In seinem kurzen Forschungsüberblick hebt Canfora neben anderen Syme, Klotz, Broughton und Gelzer hervor, um dann zu dem frappierenden Schluß zu gelangen, alle diese Werke seien "angenehmer zu lesen als die etwas verwirrende Biographie von Christian Meier". Das angeführte "grundlegende" Werk von Syme handelt vornehmlich von der augusteischen Zeit, Klotz verfaßte einen Lexikonartikel, die "tiefgreifende Darstellung" von Broughton ist ein Adreßbuch aus Quellenverweisen, Gelzer bietet zwar immer noch die beste, für jede neue Caesardarstellung unentbehrliche Aufarbeitung des primären Materials, doch am Stück lesen wird ihn nur, wer muß ("Als dessen Collegen ersah sich Caesar den Lucius Calpurnius, dessen Tochter er selbst heiratete. Der nächste Schlag, den er führte, war ein neues Agrargesetz"). Die inhaltlichen Schwächen von Meiers "Caesar" sind aus der Rezension von Ernst Badian bekannt. Desungeachtet fesselt die Darstellung von der ersten Zeile an, und selbst der informierte Leser folgt Caesars Wegen mit Ungeduld und Erwartung.

Canforas Monographie vermittelt gelegentlich den Eindruck, der Autor habe es mit der Veröffentlichung so eilig gehabt, wie sich sein Held in Büchern und Briefen gibt. Allerdings hat der Beck-Verlag sie sorgfältigst ediert und um nützliche Hinweise für das deutsche Publikum vermehrt. Die Übersetzung ist (jedenfalls im Sinne von Karl Kraus) vorzüglich. Die genannten Defizite erweisen sich letztlich als weniger erheblich, Canforas Buch besitzt die Qualität, die die eigens gedruckten Werbeprospekte reklamieren. Am besten liest es sich nicht als Gegenentwurf, sondern als Vertiefung von Meiers "Caesar". Zwei in Stil und methodischer Herangehensweise so unterschiedliche Arbeiten vermögen zwar keine Richtung anzugeben, zeigen aber, daß viele Wege zu Caesar führen können. Auf keinem wird sich der Leser langweilen müssen: Noch in der zehnten Darstellung in Folge bleibt Caesars cursus honorum packend. Dem antiken Staatsmann mangelt es eben an dem Talent, das moderne Nachfolger charakterisiert: um sich zu kreisen und zu sich zu laufen.

WOLFGANG WILL

Luciano Canfora: "Caesar". Der demokratische Diktator. Eine Biographie. Aus dem Italienischen von Rita Seuß. Verlag C.H. Beck, München 2001. 491 S., 3 Karten, geb., 68,50 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Titel ist ein krampfhafter Versuch, originell zu sein, meint Wolfgang Will über die Caesar-Biografie des italienischen Altphilologen, auf die er ansonsten aber große Stücke hält und die er nicht als Gegenentwurf, sondern am ehesten als Vertiefung zu Christian Meiers Caesar-Biografie empfiehlt. Das große Kapital des Buches stellt für Will die Quellennähe des Buches dar, was zwar seiner Meinung nach zu einer gewissen Kleinteiligkeit führt und den großen historischen Bogen gelegentlich vermissen lässt, dafür aber ein Porträt "von hoher Dichte und Plastizität" entstehen lässt. Canfora verfalle auch nicht dem Fehler, den römischen Politiker zu romantisieren, er verschweige nichts von dessen Machtwillen, auch wenn Bewunderung durchschimmere. Was Will eher stört, ist die fehlende Ironie des Autors, und das, wo doch die "Geschichte seines Helden mit Grotesken gespickt" sei.

© Perlentaucher Medien GmbH