Es gibt im Leben nichts zu verlieren.
Dieses Buch erhält auf alle Fälle einen festen Platz in meinem Bücherregal. Das zarte Grün des Buchcovers zeigt schemenhaft den Literaturtempel Hanois und passt zusammen mit den Bildchen der Filmrolle perfekt zur Geschichte.
Bereits die Bärengeschichte im
Prolog führt an ein allseits gegenwärtiges Thema heran. Es geht um die Suche der Menschen nach einem…mehrEs gibt im Leben nichts zu verlieren.
Dieses Buch erhält auf alle Fälle einen festen Platz in meinem Bücherregal. Das zarte Grün des Buchcovers zeigt schemenhaft den Literaturtempel Hanois und passt zusammen mit den Bildchen der Filmrolle perfekt zur Geschichte.
Bereits die Bärengeschichte im Prolog führt an ein allseits gegenwärtiges Thema heran. Es geht um die Suche der Menschen nach einem Sündenbock, um das eigene Verhaften in der Mittelmäßigkeit und Verbleiben im eigenen Alltagsbrei zu übertünchen. Die Protagonist*innen Amy (und ihr Waschbär), Cindy und Jasmyn sind sympathische Charaktere. Sie alle spiegeln die individuelle Suche nach einem selbstbestimmten Leben wieder. Dazwischen gibt es Seitenhiebe auf die traditionelle, konservative Lebensweise im dörflichen Schweizer Umfeld – freundlich und doch abweisend gegenüber Fremden, das vorbestimmte Leben und die Erwartungen durch Eltern und Umfeld, das Leben nach den Regeln anderer, der Zwang nach Sicherheit und Vertrautheit. Während Amy in sich verhaftet scheint ist Jasmyn der verrückte, lebensbejahende, abenteuerlustige Typ, ebenso wie Amys unkonventionelle Schwester Cindy. Dennoch schafft Amy den Absprung und löst sich aus den heimischen Zwängen. Zusammen mit Jasmyn reist sie nach Vietnam und findet dort 'ihren Beruf als Berufung'.
Sehr gut gefallen haben mir Amys Streifzüge durch Hanoi. Ihre Wahrnehmungen und Empfindungen zur Umgebung, zu Orten und Menschen bis hin zu Gerüchen und Gefühlen sind lautmalerisch und nachvollziehbar geschildert. Dazwischen werden wir als Lesende wiederholt in Ereignisse aus Amys Vergangenheit zurück geführt. So erfahren wir über den Tod der Freundin und einiges zur Rolle des Vaters und dessen Bruder während des Kalten Kriegs.
Fernando Boner schreibt märchenhaft und gefühlvoll mit liebenswert reflektierten und jeder auf seine Weise besonderen Charakteren. Seine Erzählsprache nutzt liebevolle Vergleiche und malerische Beschreibungen von Gefühlen und Begebenheiten. Interessant ist die Erzählweise durch die Brille der einzelnen Protagonist*innen, die die Erlebnisse um und mit Amy stückchenweise erzählen und den Lesenden so in die Lebens- und Gefühlswelt Amys einführen. Nicht immer ist der Verlauf der Geschichte gleich ersichtlich. Jedoch finden die Puzzleteile an verschiedenen Stellen zueinander und ergeben letztendlich ein Bild wobei genügend Raum für die Vorstellungskraft und die Fantasie des Lesenden bleibt.
Fernando Boner hält uns Lesenden immer wieder den Spiegel vor, zu Dingen, die wir kennen jedoch allzu gerne ignorieren, z. B. die perfekte Fassade des Erfolgs und Wohlstands mit der dahinter verborgenen hässlichen Fratze der Fremdenfeindlichkeit und Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Oder die wunderbare Schilderung touristischer Erlebnisse mit dem Abhaken von Sehenswürdigkeiten, Extremsportarten, ins Ausland fahren und viele Fotos für die Freunde machen. Dabei geht nicht darum sich zu erholen, sondern zu zeigen was man Tolles erlebt hat. Das Verweilen und Genießen tritt so in den Hintergrund. Die kleinen Dinge, Gerüche, Geräusche, Wahrnehmen der Menschen, Orte und Landschaften werden dabei verpasst.
Ich genoß jeden Satz der Geschichte. Da mir der Verlauf so gut gefiel habe ich bewusst mein sonst übliches Lesetempo reduziert und immer mal wieder zurückliegende Kapitel gelesen, um die dort verborgenen Details und deren Relevanz nochmals wach zu rufen. Mir gefallen die Zwischentöne, die Nuancen und die freien Plätze, die die Möglichkeit bieten sich mit der eigenen Vorstellung in der Geschichte treiben zu lassen. Der Pioniergeist und die Aufbruchslust stehen im Spannungsfeld mit Amys Traum von einem beschaulichen Leben. Ich kann das sehr gut nachvollziehen und nehme als Credo mit: „Es gibt nichts zu verlieren im Leben“.
Ich wünschte es gäbe eine Fortsetzung des Romans. Es sind so viele Denkanstösse enthalten - wie gerne würde ich Amy weiter begleiten und anhand ihres Wahrnehmens mein eigenes Leben, Entscheidungen, Erlebnisse ref