Nach ihrem vielbeachteten rasanten Patchwork-Roman "Spielzone" legt Tanja Dückers einen ebenso tempo- wie abwechlungsreich erzählten Geschichtenband vor: Psychologisch verschlungen, eigensinnig beobachtet und oft von hintersinniger Komik, stecken diese Erzählungen um ganz normale Nervtöter, leichtsinnige Kinder oder verwirrte Großmütter voll zärtlicher Bosheiten und akribischer Perfidien. Nathalie hat mit fünfzehn angefangen, eine Liste über ihre Liebhaber zu führen. Nun sind es - sie hat vor zwei Tagen nachgezählt - neunundneunzig. Plötzlich bereut sie, diese Liste angelegt zu haben, eine ungute Ehrfurcht erfüllt sie und ein Problem: Wer wird die goldene Nummer hundert? Schwankend zwischen Zwanghaftigkeit undSelbstvergessenheit, wählt sie einen seltsamen Kompromiß. Lukas kommt mit einem Nachschlüssel in die Wohnung seiner früheren Freundin, die jetzt mit Uwe, dem absoluten "Anti-Lukas", zusammenlebt. Wenn die beiden nicht zu Hause sind, schleicht sich Lukas ein und hinterläßt Spuren, um ein Moment von Irritation in die Pärchenharmonie einzufädeln. Lauri steht eines Tages mit Seesack und Brokatstirnband auf dem Hof eines besetzten Hauses und fragt nach einem Zimmer. Von da an tönt morgens ein lautes "Ooohm" durchs Haus, werden Horoskope in der Gemeinschaftsküche vorgelesen und Verletzungen mit Tigerfett behandelt. Doch es gibt noch "Ungläubige" ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2001Von Meisen und Menschen
Strecktisch, deck dich: Tanja Dückers schnüffelt ein bißchen herum
Vor einigen Jahren ging ein Ruf wie Donnerhall durch die angeblich so kopflastig und unlesbar verquaste deutsche Gegenwartsliteratur, die Aufforderung, sich doch einmal locker zu machen und sich an den Amerikanern ein Beispiel zu nehmen. Die könnten noch so richtig realistisch draufloserzählen und ihre frischen Erfahrungen jenseits des Elfenbeinturms gefriergetrocknet in Stories verpacken, die den wirklichkeitshungrigen Lesern so schmecken wie selbstgemacht: der Schriftsteller nicht als reflektierender Beobachter auf der Ehrentribüne, sondern als rauhbeiniger Manndecker des real life. Motto: Hingehen, wo's weh tut.
Die 1968 geborene Berlinerin Tanja Dückers hat sich das zu Herzen genommen. Nach ihrem Debütroman "Spielzone" hat sie nun einen Erzählungsband vorgelegt, dem man auf jeder Seite seine Welthaltigkeit anmerken soll. Damit niemand an der Hartgesottenheit der jungen Autorin zweifelt, werden zum Beweis gleich im Klappentext "längere Aufenthalte in den USA, Amsterdam und Barcelona" angeführt, und da auch einige der weiblichen Hauptfiguren fern der Heimat ein blaues Wunder erleben, kann man schließen, daß auch Tanja Dückers durch die beinharte Schule eines Auslandsstipendiums gegangen ist.
Gleich in der ersten Geschichte "Lebenskästchen" schreibt eine Mörderin in Untersuchungshaft dem Richter ihre Erinnerungen auf: Ihr auf grausame Weise getötetes Opfer war seinerseits ein debiler, in Sommersprossen vernarrter Triebtäter, der die Schwester der Erzählerin auf dem Gewissen hat und dafür nach seiner Entlassung aus der Anstalt mit dem Leben bezahlen muß. So weit, so spektakulär. Angereichert wird die Geschichte nun durch die psychologische Selbstanalyse der Mörderin, die sich vor der Tat den Künstlernamen "Leif Gone" zugelegt hatte und die vielen kleinen Erinnerungsfetzen ihres Lebens in ein Setzkastenkunstwerk verwandeln wollte. Nachdem die ungeplante Rachetat sie aus dem Konzept brachte, muß sie nun auf die Literatur ausweichen, was Stilblüten wie die folgende produziert: "Es ist, als ob man den Teppich meines Körpers auf dem Strecktisch meines Lebens in alle Richtungen ziehen würde." Der Leser sieht dagegen eher das Parkett seiner Geduld auf der Folterbank ihrer Sprache gebohnert.
Als müsse Dückers den Leser erst noch darauf bringen, daß diese ganz bruchlos aufgehende Küchenpsychologie - Trauma der toten Schwester, Ich-Schwäche des ungeliebten Ersatzkindes, Mord als Versuch der Selbstfindung - eine erzählerische Konstruktion ist, läßt sie die Erzählerin einmal von einer Schriftstellerin "mit langen schwarzen Haaren" berichten, die im Gefängnis "herumschnüffeln" will: "Na dann viel Spaß beim Schreiben . . ." Den dürfte die Autorin gehabt haben, denn was könnte mehr Vergnügen bereiten, als sich kaputte, spießige, neurotische Menschen auszudenken, mit denen verglichen das eigene Leben als Ausbund an Gesundheit und Glück erscheint.
Viele der Geschichten bieten Beziehungskatastrophen der kruderen Art. Freundschaften gehen zu Bruch, weil die WG-Nachbarin plötzlich glaubt, eine Hexe zu sein, ein Rendezvous scheitert, weil ein kiffendes Mädchen ihrem Verehrer Zungenkrebs prophezeit, mehrfach gar dient Mord als Ausweg aus steriler Zweisamkeit. Die Konfrontation von Begehren und Todestrieb, Eros und Thanatos ist ein häufiges Motiv, das oft jedoch nur als greller Kontrasteffekt verwendet wird oder banalen Szenen den Anschein tieferer Bedeutung verleihen soll.
Die Vorbilder für viele Figuren des Bandes scheint entweder das Statistische Bundesamt oder ein Kuriositätenkabinett, kaum aber die Wirklichkeit geliefert zu haben. Den meisten Kopfgeburten Dückers' möchte man nicht im Mondschein begegnen, erst recht aber nicht bei Sonnenaufgang auf dem eigenen Kopfkissen. Das Ausland hat es besser und nicht nur beim prallen Fabulieren den Bogen raus: Der aus Rußland stammende Nikita oder der Latin Lover Pedro, mit denen man es heimlich auf dem Klo oder in der Restaurantküche treiben kann, machen an der Bar dieses kosmopolitischen "Café Brazil" eine erheblich bessere Figur als das spleenige deutsche Personal.
Man nehme nur Lukas aus der Erzählung "Rote Federn", der eine Leidenschaft für Vanillejoghurts mit einem Sammeltick verbindet und damit Kirsten in die Flucht trieb. Mit einem nachgemachten Schlüssel schleicht er sich heimlich in die Wohnung seiner Ex-Freundin, wo er Bleistifte anspitzt und kleine Mitbringsel plaziert. Das Eindringen in eine fremde Privatsphäre muß der Traum einer Autorin sein, deren Phantasie zwanghaft Figuren hervorbringt, die sich nur über "ödes Gedudel" oder "Film-Musi" leidenschaftlich erregen können, mit Vorliebe in der Badewanne onanieren und eingerollte Heringe schätzen.
Tanja Dückers' Welt ist vor allem zu ihrer männlichen Hälfte bevölkert von lauen Langweilern, ekligen Wichtigtuern und liebenswerten Spinnern. Die Geschichten sind nur Vehikel, um deren enervierende Gewohnheiten und Macken vorzuführen. Man kann das einen bösen Blick nennen oder einfach Misanthropie. Mit Realismus freilich hat das nichts zu tun.
RICHARD KÄMMERLINGS
Tanja Dückers: "Café Brazil". Erzählungen. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 204 S., br., 29,90 DM.
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Strecktisch, deck dich: Tanja Dückers schnüffelt ein bißchen herum
Vor einigen Jahren ging ein Ruf wie Donnerhall durch die angeblich so kopflastig und unlesbar verquaste deutsche Gegenwartsliteratur, die Aufforderung, sich doch einmal locker zu machen und sich an den Amerikanern ein Beispiel zu nehmen. Die könnten noch so richtig realistisch draufloserzählen und ihre frischen Erfahrungen jenseits des Elfenbeinturms gefriergetrocknet in Stories verpacken, die den wirklichkeitshungrigen Lesern so schmecken wie selbstgemacht: der Schriftsteller nicht als reflektierender Beobachter auf der Ehrentribüne, sondern als rauhbeiniger Manndecker des real life. Motto: Hingehen, wo's weh tut.
Die 1968 geborene Berlinerin Tanja Dückers hat sich das zu Herzen genommen. Nach ihrem Debütroman "Spielzone" hat sie nun einen Erzählungsband vorgelegt, dem man auf jeder Seite seine Welthaltigkeit anmerken soll. Damit niemand an der Hartgesottenheit der jungen Autorin zweifelt, werden zum Beweis gleich im Klappentext "längere Aufenthalte in den USA, Amsterdam und Barcelona" angeführt, und da auch einige der weiblichen Hauptfiguren fern der Heimat ein blaues Wunder erleben, kann man schließen, daß auch Tanja Dückers durch die beinharte Schule eines Auslandsstipendiums gegangen ist.
Gleich in der ersten Geschichte "Lebenskästchen" schreibt eine Mörderin in Untersuchungshaft dem Richter ihre Erinnerungen auf: Ihr auf grausame Weise getötetes Opfer war seinerseits ein debiler, in Sommersprossen vernarrter Triebtäter, der die Schwester der Erzählerin auf dem Gewissen hat und dafür nach seiner Entlassung aus der Anstalt mit dem Leben bezahlen muß. So weit, so spektakulär. Angereichert wird die Geschichte nun durch die psychologische Selbstanalyse der Mörderin, die sich vor der Tat den Künstlernamen "Leif Gone" zugelegt hatte und die vielen kleinen Erinnerungsfetzen ihres Lebens in ein Setzkastenkunstwerk verwandeln wollte. Nachdem die ungeplante Rachetat sie aus dem Konzept brachte, muß sie nun auf die Literatur ausweichen, was Stilblüten wie die folgende produziert: "Es ist, als ob man den Teppich meines Körpers auf dem Strecktisch meines Lebens in alle Richtungen ziehen würde." Der Leser sieht dagegen eher das Parkett seiner Geduld auf der Folterbank ihrer Sprache gebohnert.
Als müsse Dückers den Leser erst noch darauf bringen, daß diese ganz bruchlos aufgehende Küchenpsychologie - Trauma der toten Schwester, Ich-Schwäche des ungeliebten Ersatzkindes, Mord als Versuch der Selbstfindung - eine erzählerische Konstruktion ist, läßt sie die Erzählerin einmal von einer Schriftstellerin "mit langen schwarzen Haaren" berichten, die im Gefängnis "herumschnüffeln" will: "Na dann viel Spaß beim Schreiben . . ." Den dürfte die Autorin gehabt haben, denn was könnte mehr Vergnügen bereiten, als sich kaputte, spießige, neurotische Menschen auszudenken, mit denen verglichen das eigene Leben als Ausbund an Gesundheit und Glück erscheint.
Viele der Geschichten bieten Beziehungskatastrophen der kruderen Art. Freundschaften gehen zu Bruch, weil die WG-Nachbarin plötzlich glaubt, eine Hexe zu sein, ein Rendezvous scheitert, weil ein kiffendes Mädchen ihrem Verehrer Zungenkrebs prophezeit, mehrfach gar dient Mord als Ausweg aus steriler Zweisamkeit. Die Konfrontation von Begehren und Todestrieb, Eros und Thanatos ist ein häufiges Motiv, das oft jedoch nur als greller Kontrasteffekt verwendet wird oder banalen Szenen den Anschein tieferer Bedeutung verleihen soll.
Die Vorbilder für viele Figuren des Bandes scheint entweder das Statistische Bundesamt oder ein Kuriositätenkabinett, kaum aber die Wirklichkeit geliefert zu haben. Den meisten Kopfgeburten Dückers' möchte man nicht im Mondschein begegnen, erst recht aber nicht bei Sonnenaufgang auf dem eigenen Kopfkissen. Das Ausland hat es besser und nicht nur beim prallen Fabulieren den Bogen raus: Der aus Rußland stammende Nikita oder der Latin Lover Pedro, mit denen man es heimlich auf dem Klo oder in der Restaurantküche treiben kann, machen an der Bar dieses kosmopolitischen "Café Brazil" eine erheblich bessere Figur als das spleenige deutsche Personal.
Man nehme nur Lukas aus der Erzählung "Rote Federn", der eine Leidenschaft für Vanillejoghurts mit einem Sammeltick verbindet und damit Kirsten in die Flucht trieb. Mit einem nachgemachten Schlüssel schleicht er sich heimlich in die Wohnung seiner Ex-Freundin, wo er Bleistifte anspitzt und kleine Mitbringsel plaziert. Das Eindringen in eine fremde Privatsphäre muß der Traum einer Autorin sein, deren Phantasie zwanghaft Figuren hervorbringt, die sich nur über "ödes Gedudel" oder "Film-Musi" leidenschaftlich erregen können, mit Vorliebe in der Badewanne onanieren und eingerollte Heringe schätzen.
Tanja Dückers' Welt ist vor allem zu ihrer männlichen Hälfte bevölkert von lauen Langweilern, ekligen Wichtigtuern und liebenswerten Spinnern. Die Geschichten sind nur Vehikel, um deren enervierende Gewohnheiten und Macken vorzuführen. Man kann das einen bösen Blick nennen oder einfach Misanthropie. Mit Realismus freilich hat das nichts zu tun.
RICHARD KÄMMERLINGS
Tanja Dückers: "Café Brazil". Erzählungen. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 204 S., br., 29,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"So weit, so spektakulär", murrt Rezensent Richard Kämmerlings nach der ersten Erzählung, die ihn auf die "Folterbank" der Dückerschen Sprache gespannt hat. Aber auch an den übrigen Geschichten lässt er kein gutes Haar. "Bruchlos aufgehende Küchenpsychologie", banale Szenen und grelle Kontrasteffekte werden da als literarische Folterinstrumente genannt und das Pop-Image der Autorin wird hämisch demontiert. Die Vorbilder für viele Figuren des Bandes würde der ausgesprochen ungehaltene Rezensenten am ehensten im Statistischen Bundesamt vermuten. Jedenfalls möchte er den meisten Figuren der Autorin "nicht mal im Mondschein" begegnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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