Produktdetails
  • Piper Taschenbuch
  • Verlag: Piper
  • Seitenzahl: 94
  • Abmessung: 8mm x 119mm x 189mm
  • Gewicht: 110g
  • ISBN-13: 9783492229180
  • Artikelnr.: 08532345
Autorenporträt
Michael Köhlmeier, geboren 1949 in Hard am Bodensee, studierte Germanistik und Politikwissenschaft in Marburg/Lahn sowie Philosophie und Mathematik in Gießen. Er lebt als freier Schriftsteller in Hohenems (Vorarlberg) und Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.1999

Tröstung im Kaffeehaus
Michael Köhlmeier wahrt die Form · Von Friedmar Apel

Ein Einfall aus dem letzten Wiener Fin de siècle, nachempfunden den Prosaskizzen Peter Altenbergs: Der Erzähler sitzt im Kaffeehaus, und die Personen mit ihren Geschichten aus dem mehr oder weniger wirklichen Leben kommen zu ihm wie Kurzmeldungen aus der Zeitung.

Köhlmeiers Figuren leben aber im zwanzigsten Jahrhundert, oft beziehen sie ihre Modellierungen aus der Rockmusik, aus den Medien überhaupt und aus dem vulgärpsychologischen Diskurs der 70er Jahre. Der Erzähler dagegen definiert sich im kargen Duktus der Nachkriegsavantgarde, besonders Becketts, wie es sich im Titel "Bevor Max kam" schon ankündigt. Godot kam nicht, ebensowenig Katelbach. Und Max kommt eben auch nicht, sondern ist einfach irgendwann da. Die Geschichte, die Max zu erzählen hat, handelt von "lächerlichem Leben" ohne jede Tiefe.

Auch der Erzähler möchte nicht viel aus sich machen, nur selten erzählt er eine Geschichte von sich. Die ist auf kurzem Raum sehr detailliert, hat mit Dingen zu tun und mit der Seele des Menschen. Seinen Gesprächspartnern aber, die ihm ihrerseits Geschichten von lauter Vergeblichkeit erzählen, bedeutet sie wenig. Trösten möchte dieser Erzähler auch nicht. Epische Naivität im älteren Sinne eignet ihm: Er hat Besonderes zu erzählen, aber das Besondere ist nur das seiner Figuren, und es blendet die Misere nicht aus. Ganz nebenbei nur stellt er sich in eine edlere künstlerische Tradition: den modernen Ursprungsmythos vom Dichter als Medium. Coleridges Geschichte von der Entstehung des "Kubla Khan", des Gedichts, das er im Opiumschlaf empfangen habe, läßt der Erzähler daher von einem Chemiker präsentieren, der sich darüber freut, daß schöne Texte offenbar nicht nur der Inspiration entspringen, sondern daß ein wenig Chemie in Form von Laudanum dabei zumindest hilfreich ist.

So sind die Kaffeehausgeschichten schließlich doch tröstlich gemeint. Wiener Kaffeehäuser, so Köhlmeier, sind immer noch Orte, an denen die Sorgen klein werden, selbst derjenige, der "innerlich vor dem Selbstmord steht", wird im Kaffeehaus und in diesen Geschichten Aufschub erwirken können. Denn im Kaffeehaus stiftet selbst das Mißverstehen ein wenig Gemeinschaft. Da verbinden sich die Geschichten trotz aller Trostlosigkeit und Vereinzelung humorvoll zu einer Einheit, die das Leben als Wert erscheinen läßt.

Köhlmeiers Kriminalgeschichte "Calling" jedoch zeigt, wie eine mediale Winzigkeit genügt, um eine mühsam errungene Haltung in Frage zu stellen. Das Protokoll einer telephonischen Erpressung ist eine gelinde auf die Nerven gehende Studie über den Gewaltzusammenhang der Stimme, der Opfer und Täter, Produzenten und Rezipienten des medialen Diskurses, auf beunruhigende Weise im Gequatsche verbindet. Ob jenseits der Stimme etwas Reales stattfindet, bleibt unaufgeklärt. Wie nebenbei gelingt Köhlmeier hier das Porträt einer Sozialisation, die aus der Rockmusik- und drogengestützten Euphorie der siebziger Jahre zu einem unterkühlten Lebensstil geführt hat, hinter dessen Konstruktion bei geringster Irritation "das erbarmungswürdige Abbild einer verzweifelten Seele" zum Vorschein kommt. Der absichtslose, melancholische Erzähler Michael Köhlmeier, dem das Belehren fernliegt, deckt hier den regressiven mythischen Zusammenhang auf, den das universelle Gequatsche stiftet. Zerstört wird selbst die Aura der Rock-Musik. Selbst Stevie Ray Vaughans Gitarre klingt nur noch "wie eine Apparatur". Daß man dagegen nichts tun kann, als "ein wenig Form" zu wahren, ist das Signum eines Erzählers, der sein Metier bewunderungswürdig beherrscht.

Michael Köhlmeier: "Bevor Max kam". Roman. Piper Verlag, München 1998. 226 S., geb., 26,80 Mark.

Michael Köhlmeier: "Calling". Eine Kriminalgeschichte. Deuticke Verlag, Wien/München 1998. 95 S., geb., 20 Mark.

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