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Fünf Finnen und ein Sanierungsfall Was geschieht, wenn fünf Finnen im Auftrag der UNESCO nach Venedig reisen, um die Stadt vor dem Versinken zu retten? Nun, es geschieht eine ganze Menge Unsinn. Denn hier stoßen nicht nur zwei Mentalitäten aufeinander, auch die Zusammensetzung des Teams ist alles andere als homogen, und das Projekt will nicht so recht in Gang kommen. Zu allem Überfluss friert dann auch noch die komplette Lagune mit allen Kanälen zu, zum ersten Mal seit dem 13. Jahrhundert.
Ein außergewöhnlich ungewöhnlicher Roman, urkomisch, intelligent, voller Anspielungen auf Literatur, Kunst und Kultur.
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Produktbeschreibung
Fünf Finnen und ein Sanierungsfall
Was geschieht, wenn fünf Finnen im Auftrag der UNESCO nach Venedig reisen, um die Stadt vor dem Versinken zu retten? Nun, es geschieht eine ganze Menge Unsinn. Denn hier stoßen nicht nur zwei Mentalitäten aufeinander, auch die Zusammensetzung des Teams ist alles andere als homogen, und das Projekt will nicht so recht in Gang kommen. Zu allem Überfluss friert dann auch noch die komplette Lagune mit allen Kanälen zu, zum ersten Mal seit dem 13. Jahrhundert.

Ein außergewöhnlich ungewöhnlicher Roman, urkomisch, intelligent, voller Anspielungen auf Literatur, Kunst und Kultur.
Autorenporträt
Hannu Raittila, geb. 1956, gilt als einer der interessantesten und wichtigsten Autoren Finnlands. Man kennt ihn als Verfasser von Kolumnen, Hörspielen, Drehbüchern, Erzählungen und mehreren Romanen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2005

Wahre Schönheit kommt von Finnen
Fidel ins Verderben: Hannu Raittilas so weiser wie skurriler Venedigroman "Canal Grande"

Finnland ist wie Venedig - nur ganz anders. Sicher, viel Wasser, viel Nebel, viele Mücken gibt es in der Lagune des Südens ebenso wie in der Tundra Lapplands. Doch schon bei den Wohnmobilen der Nordlandfahrer und den Elchen hüben, bei den Gondeln und Tizian drüben fangen die Unterschiede an. Fest steht nur, daß Finnland und Venedig beide politisch zum alten Europa gehören. An diesem archimedischen Punkt setzte jedenfalls Hannu Raittila an, als er seinen Roman "Canal Grande" verfaßte: Wir sitzen heute alle in einem Boot, egal ob es venezianisch gegondelt oder finnisch gerudert wird.

Dabei läßt sich naturgemäß kein größerer Gegensatz denken als der zwischen Finnland und Venedig. Venedig kennt jedermann. Doch von Finnland weiß die Öffentlichkeit der Welt, insonderheit die deutsche Abteilung, nicht gerade viel. Die Finnen wohnen weit im Norden, haben in ihrer Abgeschiedenheit das Mobiltelefon erfunden und machen in Gestalt der Brüder Aki und Mika Kaurismäki wundervolle Filme, in denen nicht nur nichts passiert, sondern auch noch so gut wie nicht gesprochen wird. Bertolt Brecht staubte im finnischen Exil sein Puntila-Stück ab und hinterließ, bevor er ins sonnige Kalifornien weiterzog, einige Aphorismen über das notorisch wortkarge Völkchen. Und von den finnischen Autorenkollegen Raittilas macht sich derzeit allenfalls Arto Paasilinna mit seinem Roman "Der wunderbare Massenselbstmord" - im Original: "Hurmaava joukkoitsemurha" - völlig zu Unrecht keinen Namen.

Wollen die Finnen sich im globalen Dorf auf diesen kargen Gemeinplätzen ausruhen? Es bleibt ihnen wenig anderes übrig. Aber betrachten wir die Sache doch einmal von der entgegengesetzten Seite: Als kultiviertes Volk gehören die Finnen zu den Stützen der Europäischen Union, sie zahlen in Euro, halten sich fern von mediterranen Sitten wie Korruption und Vetternwirtschaft, treiben dafür löblich die Emanzipation der Frau voran. Hinter dem Bollwerk ihrer nahezu unerlernbaren Sprache, geschmiegt an den Bottnischen Meerbusen und immer noch erleichtert, nicht als Sowjetrepublik Karelien von der Zivilisation hoffnungslos abgehängt worden zu sein, blicken die Finnen auf das korrupte Gerangel der restlichen Europäer. Und sie fragen sich: Was haben wir damit zu tun?

Venedig, die alteuropäischste der alten europäischen Metropolen, gebaut auf der Grenze zwischen Realität und Traum, eignet sich für die finnische Selbstvergewisserung daher ganz prächtig, weil hier die verwickelte Historie, der weltweite Ruhm, die verwickelte Verwaltung der Gegenwart mit dem zupackenden, leutseligen Finnentum frontal aufeinanderprallen kann. Dort wird das Geld verbraten, das ehrliche Leute, etwa in Finnland, mühsam verdienen. Oder, wie es einer der Protagonisten des Romans sehr treffend sagt: "In Venedig kann man nichts zustande bringen, dort kann man sich nur aufhalten."

Damit sie das Aufhalten gründlich lernen, hat Hannu Raittila im Namen der Unesco eine finnische Delegation in die Lagune entsandt. Was sie dort für die Kultur oder den Denkmalschutz tun sollen, wissen die Nordleute selbst nicht so genau. Wie immer bei solch byzantinischen Projekten besteht die Arbeit vorrangig darin, sich Büros, Telefonleitungen, Sekretariate, Reisespesen zu sichern. Dann sieht man schon irgendwie weiter. Doch natürlich sehen die ehrlichen Finnen im undurchdringlichen Nebel erst mal überhaupt kein Land, tappen von einer bürokratischen Falle in die nächste und lernen, wie wundervoll man sich in dieser Stadt aufhalten kann, ohne irgend etwas zustande zu bringen.

Raittila - darin gelernter Dramatiker - schildert den Prozeß der Akkulturation aus der jeweiligen, immer schwer vernebelten Perspektive seiner Helden. Wir haben da den schwulen Privatdozenten Heikkilä von der Universität Helsinki, der gründlich seine Hausaufgaben gemacht hat und alle mit unerschöpflichem Spezialwissen aus der Historie der Serenissima nervt. Europa - eine Maßeinheit für überflüssige Information. Schon schlauer stellt es der versoffene Feuilletonist Saraspää an, der selber nicht weiß, wie er in die Unesco-Delegation geraten ist, aber diese letzte Chance für einen stilvollen Aschenbach-Abgang im Stile des dekadenten Thomas Mann todessüchtig nutzt. Der Schöngeist füllt, damit die Spesenkasse endlich leerer wird, die Kumpane in "Harry's Bar" ab, ordert für seine ganz persönliche Begräbnistour Gondeln zur Friedhofsinsel San Michele und steigt altersgeil der knackigen Hospitantin Tuuli nach, die sich um die organisatorischen Details kümmert, als einzige - wenn auch mit finnischer Wortkargheit - Italienisch spricht und auch sonst ein Faible für die Erotik halbkrimineller venezianischer Ragazzi hat.

Fast unnötig zu sagen, daß die Rettung Venedigs mit diesem Personal nicht so recht vorankommt, zumal die höflichen Venezianer jedwede Installation der Fremden oder gar eine Einmischung in städtische Angelegenheiten souverän hintertreiben. Statt dessen unternehmen obskure Soldaten der US-Army, die von venetischen Truppenstützpunkten Waffen und Rauschgift auf den Balkan verschieben, Jagdausflüge mit den arglosen Finnen in die Sümpfe der Lagune. Wo soll das nur enden? Schließlich resigniert sogar die fette Delegationschefin Snell vor der alteuropäischen Realität, verschenkt ausgerechnet in der Heimat des Muranoglases massenhaft häßliches Finnenporzellan und gönnt sich lieber ein paar wollüstige Stunden Ehebruchs mit dem finnischen Honorarkonsul in Venedig.

Der hat sich - leider nur eine Wunschvorstellung des Autors - auf das Dach eines Palazzos am Canal Grande eine original finnische Sauna installieren lassen, die er mit modrigem Treibholz aus der Lagune befeuert. Herrlich die detaillierte Beschreibung, wie sich vier nackte Finnen im winterlichen Nebel, ein Bierchen in der Hand, mit Kanalblick abkühlen, wie sie sich gegenseitig mit eigens importierten Saunaquasten aus Birkenreisern den Rücken peitschen und wie schließlich ein besorgter Carabiniere ins dampfende Sauna-Heiligtum vordringt, um nach dem Rechten zu sehen: "Hier erfüllte sich offensichtlich eine Gruppe Perverser ihre bizarren Wünsche. Zeuge eines solchen Geschehens zu werden, verursacht bei keinem Italiener, schon gar nicht bei einem Venezianer, große geistige Erschütterung. Schließlich ist Venedig von Alters her ein Amüsierzentrum Europas, ein Bordell, in dem man gelernt hat, auch vor Phänomenen, die zu den dunkelsten Seiten der menschlichen Natur gehören, nicht zu erschrecken."

Aus diesem clash of civilizations bezieht Raittila reichlich finnischen Humor, der - wie wir aus den Kaurismäki-Filmen wissen - auf Sturheit und Methodik beruht. Beim Kulturkampf gegen das fidel untergehende Venedig entwickelt sich der Ingenieur Marasjärvi zur Hauptfigur des Romans. In seiner durchtrainierten Gestalt setzt der Autor dem finnischen Praktiker ein Denkmal - einem durch nichts aus der Vernunft zu katapultierenden Überlebensmenschen, der sogar in Venedig am Realitätsprinzip einer Neubausiedlung von Helsinki festhält.

Marasjärvi schafft es tatsächlich, im Canal Grande Propeller zur Messung der Fließgeschwindigkeit zu installieren, und entwickelt Projekte, wie man die zugigen Palazzi mit finnischer Birkenrinde isolieren könnte. Zwischenzeitlich entschwindet dieser Allround-Handwerker im Anorak angeekelt in die Dolomiten, um Meßareale zur Feststellung des Schmelzwassers in den Gletschern abzustecken: "Er hatte registriert, daß hier alle Leute ungeheuer nobel gekleidet und zurechtgemacht sind. Marasjärvi kann nicht verstehen, wieso sich im Gegensatz dazu alle Häuser und die gesamte bebaute Umgebung in absolut erschütterndem Zustand befinden, Elektrogeräte und Stromnetz sind lebensgefährlich. Die Rohre lecken. Die Türen hängen schief in den Angeln, und Herrgott, die ganze Stadt versinkt im Meer, ohne daß sich jemand groß darum schert."

Abgesehen von einigen Flüchtigkeitsfehlern - etwa wenn er den Weihnachtskuchen Pannettone und nicht die klassischen Frittelle zum Karnevalsgebäck erklärt - schildert Raittila den fidelen Alltag Venedigs vorbildlich. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man die zahllosen Sachfehler und immer wieder verkehrt kolportierten Mythen in anderen aktuellen Venedigbüchern bedenkt. Die raffinierten Regeln italienischen Soziallebens, vor allem jene unverbindliche Herzlichkeit, die seine naiven Finnen stets irritiert, deutet Raittila zu Recht als kaltes Distanzritual. Seine profunde Selbst- und Fremdironie macht "Canal Grande" zu einem wahrhaft europäischen Roman, denn im Kuddelmuddel des kontinentalen Alltags bekommt Wahrheit nur als Relation zwischen stammestypischen Mißverständnissen Gestalt.

Als Salut an die solide Männertugend seiner Heimat verhilft der Autor seinem Baumarkt-Praktiker zu einem großen Schlußauftritt, als Venedig nicht im Meer versinkt, aber wenigstens in nordischem Eis erfrieren darf. In dieser karnevalistischen Apokalypse vereisen die Kanäle, wanken Häuser, brechen allerorts Brände aus, während die Feuerwehr feststeckt. Was die Finnen schon immer geahnt hatten: Dieses pervertierte, korrupte Abendland, das kein Finnen-TÜV je abgenommen hätte, geht mit einem Winseln unter. Bevor wir dann in einer genialen Schlußvolte erfahren, was sich im Nebel die ganze Zeit wirklich abgespielt hat, schnallt sich der finnische Überlebenskünstler die Schlittschuhe unter und flieht mit sicherem Schritt über die Lagune - und, wer weiß, vielleicht bis in sein heimelig verschneites Vaterland im hohen Norden.

DIRK SCHÜMER

Hannu Raittila: Canal Grande. Roman. Deutsch von Stefan Moster. Albrecht-Knaus-Verlag, München 2005. 366 Seiten, 19,90 Euro.

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"Schräge Liebeserklärung an Venedig: Fünf Finnen reisen in Canal Grande nach Venedig. Sie sollen die Stadt vor dem Versinken retten. Urkomisch, tiefsinnig und von Hannu Raittila herrlich intelligent umgesetzt." Freundin