Produktdetails
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2009

Der gnädige Untergang der Aristokratie
Wo Herrschaft war, soll Liebe werden: Werner Wunderlich analysiert den politischen Gehalt von Mozarts Opera seria
Als Bundespräsident Köhler erwog, das Ex-RAF-Mitglied Christian Klar zu begnadigen, wurde er schon weit vor dem – schlussendlich negativen – Bescheid scharf kritisiert. Bürgerliche Kreise verstanden offensichtlich nicht mehr, dass Gnade immer vor Recht ergeht, die Tat ungerächt lässt. Denn die Gnade – vorbehalten einst Gott und den mit Gottesgnadentum gezeichneten absolutistischen Fürsten – ist ein Relikt voraufgeklärten Rechts. Sie erweist den Begnadigenden eben als legibus absolutus – als über dem Gesetz stehend.
Ivan Nagel hat 1985 in „Autonomie und Gnade” anhand von Mozarts Opern gezeigt, wie sehr der Absolutismus bereits im 18. Jahrhundert unterhöhlt war. Zentralthema der aristokratischen Oper, der opera seria, ist die Überwindung fürstlicher Leidenschaften durch Vernunft und Tugend. Der Fürst wird so lange an das aufgeklärte Sittengesetz gebunden, bis „von den herrschenden Eigenschaften des Herrschers nur die Selbstbeherrschung übrig blieb” (Nagel) – ebendie in endlosen Titeln gepriesene „clemenza”, die sich in der Gnade gegenüber den eigenen Gegnern erweist. Der Fürst dankt zum Menschen, zum „gnädigen Herrn” ab.
Moralische Läuterung legt auch Werner Wunderlich, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, als Kern von Mozarts Herrscherbild bloß. Verantwortungsvoll, moralisch und rational zu regieren ist die zentrale Forderung der Mozart-Libretti – exemplifiziert an einem Konflikt zwischen Staatsräson und privater Liebe des Herrschers. Ein Fürst, der nicht bereit oder in der Lage ist, auf Affekte jenseits des Moralgesetzes zu verzichten, muss abdanken – wie Lucio Silla oder Mitridate. Im „Idomeneo”, auf dessen Libretto Mozart erstmals massiv Einfluss nahm, ist es nicht mehr ein grausamer Gott, der Idomeneo zum Opfer seines Sohnes verpflichtet, sondern wird der Titelheld im Gegenteil für seine Selbstsucht bestraft, das archaische Sohnesopfer zum Machterhalt in Kauf genommen zu haben. Neptun erweist sich als Gott der Liebe, und an die Stelle Idomeneos tritt Idamante, der das Ideal selbstloser Herrschaft im Rahmen universaler Humanität verkörpert. Gemeinsam mit seiner Braut Ilia wird er eine neue Rechtsordnung auf die empfindsame Basis der „wahren Liebe” gründen, weil Herrschaft überhaupt nur noch auf Grund ethischer Selbstrechtfertigung Bestand hält.
Der Kaiser als Schwächling
Zwar betrieben Joseph II. und Leopold II. zu Mozarts Zeit durchaus eine Humanisierung des Rechts, wie Wunderlich zeigt. „La Clemenza di Tito” als Krönungsoper für Leopold als böhmischen König – kurz nach der Französischen Revolution – aber ging offensichtlich zu weit: Indem Titus als Herrscher nur noch geliebt, nicht mehr gefürchtet werden will, erweist sich seine Gnade als Manie des Verzeihens jenseits aller politischen Rationalität. Gnade zeichnet hier nicht mehr den Fürsten als legibus absolutus, sondern den Kaiser als Schwächling mit berufsuntypischer Sehnsucht nach Gleichheit. Eine „deutsche Schweinerei” nannte das nicht nur die Kaiserin.
Bekanntlich hatte Mozart selbst sich lange vor dem „Titus” als erster bürgerlicher Künstler von der Bindung an Fürstenhöfe befreit und vertrat auch als Freimaurer die Ideale der Aufklärung. Die Menschheitsliebe hat er nirgendwo mehr gefeiert als in den unaristokratischen Formen des Singspiels und der Opera buffa, in der die bürgerliche Vergebung an die Stelle der Gnade tritt. Ivan Nagel hat folgerichtig sie und nicht Mozarts problematisches Verhältnis zur Seria zum Kernpunkt seiner politischen Analyse gemacht. Warum sich Werner Wunderlich auf „antike Herrscher” beschränkt und Sarastro oder den „Figaro”-Grafen auslässt, ist methodisch nicht nachzuvollziehen – liegt aber durchaus auf der Linie, dass er auf einen Gesamtbefund verzichtet. Ziemlich bieder weist der Autor in je einem Kapitel zu jeder Oper zuerst die antiken Quellen auf und kommentiert dann den politischen Gehalt der Handlung. Dem Dramaturgen oder Regisseur kann dieses Buch daher für die Einzelfallanalyse sehr nützlich sein. Wer aber die rasanten Umbrüche hin zur bürgerlichen Gesellschaft wirklich verstehen will, dem sei nach wie vor zu Ivan Nagels tiefer schürfenden Thesen geraten.
MICHAEL STALLKNECHT
WERNER WUNDERLICH: Canta et impera. Mozarts Herrscherfiguren – Mythos und Politik auf der Opernbühne. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 284 Seiten, 24,00 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr