Viktor Capesius war Apotheker in Schäßburg und Vertreter der Firma Bayer, bevor er als SS-Offizier nach Auschwitz kam. Als eines Tages ein Transport mit Juden aus seiner siebenbürgischen Heimat eintraf, standen sich plötzlich Täter und Opfer, seit Jahren bekannt, an der Rampe des Lagers gegenüber. Capesius schickte sie kaltblütig ins Gas und bereicherte sich an ihrer Habe. Dieter Schlesak schrieb diese wahre Geschichte auf als komplexe Kollage aus Dokumentation, Rückblende und Erzählung: ein historisches Werk, das sich literarischer Mittel bedient, von enormer sprachlicher Kraft und Authentizität, ein erschütterndes zeitgeschichtliches Zeugnis.Seit 30 Jahren ist Dieter Schlesak dem Auschwitzapotheker auf der Spur. Vom Täter und seinen Opfern sammelte er Dokumente, Interviews, Briefe und Aufzeichnungen. Damit kreiste er den SS-Offizier Capesius wie in einem Prozess ein und ließ die Menschen in ihren Worten schildern, was mit ihnen, ihren Angehörigen und Kindern geschah. Wohl einmalig in der Auschwitzliteratur ist die persönliche Begegnung zwischen Opfern und Tätern aus der gleichen Stadt, dem gutbürgerlichen Massenmörder und seinen früheren Bekannten, Nachbarn, Kunden. Der Erzähler im Buch ist der jüdische Häftling Adam. Er ist die einzige fiktionale Figur. Doch was er berichtet und wie er es berichtet, entstammt bis in die Sprache der Opfer, die 'Lagerszpracha' hinein den historischen Quellen. 1965, im Auschwitzprozess, wurde Capesius zu 9 Jahren Haft verurteilt. Nach Verbüßung seiner Strafe lebte er bis zu seinem Tod unbehelligt und ohne jedes Gefühl von Reue in Göppingen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Leider beschränkt sich Ludger Heid vor allem darauf, die Geschichte des Auschwitz-Apothekers Capesius nachzuerzählen, anstatt uns Dieter Schlesaks eigenen Ansatz im einzelnen vorzustellen. Das ist doppelt schade, weil Heid den Text als seltenes Genre zwischen Dokumentation und Erzählung einordnet, der mit Tatsachen und authentischen Quellen arbeitet und mit einem erdachten Kommentator. Und weil Schlesak der erste ist, der die Spießerverbrecherkarriere des Apothekers aufschreibt. Das ist doch spannend!
© Perlentaucher Medien GmbH
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