Band 4 der Neuedition von Nicolaus Sombarts autobiografischen Schriften anlässlich seines 100. Geburtstages: Um die Eintönigkeit der dauernden Kontrollgänge auf einem französischen Flugplatz zu überwinden, schafft sich ein junger Wehrmachtssoldat während der endlosen Wachstunden ein zweites Ich: Tabe. Und Tabe ist sein funkelndes Gegenüber, das entwickelt, was die grauenhafte Realität des Kriegsalltags verhindert, denn er will sich von allen Bindungen lösen, um in eine absolute Dimension des Menschseins vorzustoßen, eine Existenz ohne Zwänge. Doch was Tabe plant, führt den Wachmann ins Verderben. - In seiner Novelle - erstmals bei der legendären Tagung der Gruppe 47 am Bannwaldsee gelesen und in der von V. O. Stomps herausgegebenen Reihe "Begegnung der Generationen" erschienen - sieht Sombart einen "spleenig-spielerischen Beitrag zur Phänomenologie der Überlebensbedingungen des bürgerlichen Subjekts im Zeitalter seiner Liquidierung".Die Herausgeberin Carolin Fischer ist Professorin für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Pau (Frankreich). Thomas Sparr (geb. 1956) ist Literaturwissenschaftler. Er lehrte u. a. an der Hebräischen Universität in Jerusalem und ist heute Editor-at-Large beim Suhrkamp Verlag.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Nicolaus Sombart war ein Lebemann, der es schaffte, im ärmlichen West-Berlin der frühen Achtziger eine gewisse Aura als Sohn von Werner Sombart um sich verbreiten und der im Smog der Ofenheizungen, der aus Ost-Berlin herüberwehte, als eine Figur von besonderer Farbigkeit hervorstach. Einige Feuilletonisten, die heute selber kurz vor der Rente stehen, bewundern ihn bis heute. Und das liegt an Sombarts allesamt autobiografischen Büchern, die es offenbar irgendwie doch schafften, ein Bild der Gesellschaft zu geben, in der Sombart lebte und die damit auch an den Vater anknüpften. Thomas E. Schmidt liefert in der Zeit ein liebevolles Porträt des Autors. Als Sombarts wichtigstes Buch empfiehlt er das "Journal intime", das die Zeit Sombarts am Berliner Wissenschaftskolleg 1982/32 protokolliert, das aber zuerst 2003 erschien. Das "Capriccio Nr. 1" scheint nur für wirkliche Liebhaber dieser schillernden Figur von Interesse zu sein, große Literatur ist es selbst aus Sicht des Fans Schmidt nicht. Es schildert das Innenleben eines Wehrmachtssoldaten, der sich beim Wachehalten in Frankreich langweilt und sich am Ende zur Desertion entschließt. Das Buch liefert für Schmidt trotz seiner Schwächen ein interessantes Schlaglicht auf die "Trümmer- und Nullpunktliteratur aus dem kalten Winter 1946/47". Das Buch dokumentiert für Schmidt auch die Nachkriegswende Sombarts, denn bis 1945 war er wohl eher das Söhnchen aus reaktionärem bis nazi-nahem Milieu, das mit Carl Schmitt Waldspaziergänge machte, erst nach 1945, so Schmidt, wurde er zum "glühenden Bewunderer des Westlichen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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