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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.1997

Hell und dunkel, ohne Halt
Freibeuter aus dem Friaul: Jutta Helds Monographie zu Caravaggio

Wenige Künstlerleben haben den Mythos vom radikalen Außenseiter und rastlosen Genie wohl mehr befördert als das des Michelangelo Merisi (1571 bis 1610), der mit dem Namen seines lombardischen Geburtsorts, Caravaggio, in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Der aus dem Norden nach Rom gelangte Maler war bald im esoterischen Zirkel um den kunstsinnigen Kardinal Del Monte ebenso beheimatet wie in den römischen Spelunken und sollte sich mit spektakulären Gemälden in dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten ebenso schnell einen Namen machen wie als unberechenbarer Zecher und Totschläger. Um sich vor den Nachstellungen seiner Feinde in Sicherheit zu bringen, suchte er zunächst in Neapel, dann in Malta Zuflucht, wurde zum Ritter des Malteserordens ernannt und genauso rasch wieder ausgestoßen, floh weiter, hoffte über Sizilien zurück nach Rom zu gelangen, bis ihn ein elender Tod noch vor den Toren der Stadt ereilte. Mit unglaublicher Energie hat Caravaggio an all diesen Stationen seines gehetzten Lebens kapitale, schulbildende Gemälde hinterlassen, die das Itinerar seiner Flucht zum Pilgerweg seiner Verehrer werden ließen.

Zuletzt wurden das Leben und der drastische Naturalismus des Malers in Derek Jarmans Film von 1986 in betörenden Bildern zelebriert; in Christoph Geisers Roman "Das geheime Fieber" (1987) avancierten seine Werke zum künstlerischen wie homoerotischen Erweckungserlebnis. Die dabei stets mythisch überhöhte Figur des Caravaggio geriet so gleichsam zu einem Pasolini des römischen Barock, während die Modelle seiner Bacchus-Figuren, seiner lasziven Lauten- und Kartenspieler als Urbilder von dessen "ragazzi di vita" erschienen. Dieser künstlerischen, in Leben und Werk wenigstens vordergründig durchaus angelegten Rezeption steht die kunsthistorische Forschung gegenüber, die bei der Bewertung Caravaggios in wenigstens zwei unversöhnliche Lager gespalten ist.

Die eine Fraktion erkennt in ihm den Vorläufer einer frühen Avantgarde, der sich in seinem unkonventionellen Realismus ausschließlich auf die Natur beruft, die andere Seite dagegen betont die Verhaftung Caravaggios in den künstlerischen und religiösen Strömungen seiner Zeit, namentlich die Nähe zum Pauperismus und Populismus des Carlo Borromeo und der Oratorianer. Hinzu kommt eine Forschungstradition, die Werk und Leben unter psychoanalytischen Vorzeichen miteinander in Beziehung zu setzen versucht.

Diese vielstimmigen Auseinandersetzungen sind auch unter namhafter Beteiligung deutschsprachiger Autoren - von Walter Friedländer bis zu Herwarth Röttgen - geführt worden. Um so erstaunlicher freilich, daß eine umfassende Monographie Caravaggios, der mit zwei Hauptwerken - dem "Ungläubigen Thomas" (Potsdam) und dem "Irdischen Amor" (Berlin) - auch in hiesigen Sammlungen vertreten ist, in deutscher Sprache jahrzehntelang nicht vorlag. Jutta Helds Studie schafft hier endlich Abhilfe. Der Zeitpunkt ist günstig, da das Werk Caravaggios heute weitgehend gesichert ist und die antithetischen Grundmotive der Forschung schon länger ausgereizt sind. Ohne die Gegensätze billig versöhnen zu wollen, bevorzugt Jutta Held bei ihrer Suche nach einem systematischen Zusammenhang eine sozial- und religionsgeschichtliche Variante. In einer konsequent historisch reflektierenden Analyse stellt sie die kirchliche und religiöse Thematik von Caravaggios Bildern ebenso in Rechnung wie seinen ästhetischen Realismus, in dem sie nach Spuren der gesellschaftlichen Praxis und der herleitungsgeschichtlichen Bedingungen sucht.

Den größten Gewinn zieht man in diesem Buch, das auch einen souverän skizzierten Überblick über die Forschungstraditionen bietet, aus den eingehenden Bildanalysen, die vor allem Caravaggios künstlerische Distanz zu Rom manifest werden lassen. Den römischen Standards seiner Zeit, prominent behauptet im Figurenprogramm Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle, steht Caravaggios weitgehend im italienischen Norden geschulter Duktus gegenüber. Auf Michelangelos emphatische Beschwörung des seiner intellektuellen und physischen Potentiale selbstgewissen Menschen antwortet er mit einem skeptischen Gegenideal, das er durch Sensualisierung, Verschattung und häufige Überschneidung seines Figurenpersonals anschaulich werden läßt. Er verneint das diesseitige Pathos der späten Renaissance und spekuliert doch nicht auf die Transzendenz der Körperlichkeit - ein Balanceakt im Kräftefeld der gegenreformatorischen Ideologie, der nur um den Preis eines geringen Einflusses im kirchlichen Kunstbetrieb gelang.

Tatsächlich rekrutierten sich Caravaggios Auftraggeber zwar aus exklusiven Kreisen, nie aber aus der unmittelbaren Nähe des päpstlichen Hofes. Wenn auch Caravaggio entscheidender Anteil am ikonographischen Entwurf des nachtridentinischen Heiligenbilds zukommt, wenn auch die Kirchenmalerei Roms und seiner Provinzen sich bald anschicken sollte, nach einer erfolgreichen Rezeptur Gläubige zu fesseln, hat sich die offizielle Kunstpolitik der Kirche doch zu keiner Zeit auf die Übernahme von dessen gebrochenem Menschenbild verstehen können.

So verspätet diese Monographie erscheint, so merkwürdig antiquiert liest sich stellenweise der Text, der ein zentrales Kapitel der Sozialgeschichte der Kunst nachzutragen scheint. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, stellt er die Beschäftigung mit Caravaggio auf neue Grundlagen. Jutta Held räumt mit vielen Klischees auf und weiß aus der Querele der Forschung geschickt all jene Ergebnisse zu nutzen, die das Bild eines Zerrissenen, der zugleich Protagonist und Außenseiter war, nicht verwerfen, sondern es schärfer und verläßlicher hervortreten lassen. Erst unter den von Jutta Held jetzt aufgezeigten Prämissen scheint auch die Analogie zu Pier Pasolini wirklich an Gehalt zu gewinnen. Wie der an Rom verzweifelnde Moralist und Freibeuter aus dem Friaul entwirft auch Caravaggio einen künstlerischen Kosmos, dessen Personal in dem Maße vermenschlicht ist, in dem es ohne Halt in der Welt und zugleich ohne Aussicht auf Erlösung bleibt. ANDREAS BEYER

Jutta Held: "Caravaggio". Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1996. 247 S., Abb., geb., 68,- DM.

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