Um 1600 erregte der junge Caravaggio (1571-1610) in Rom durch seine neuartigen Bilder großes Aufsehen. Sie stachen hervor durch ihre unerhörte psychologische Authentizität, ihre kühne Naturnähe und ihre geistreichen Einfälle. Seine Kunst trug Caravaggio Wohlstand und sozialen Aufstieg ein, sein Lebenswandel brachte ihn immer häufiger mit dem Recht in Konflikt. Sybille Ebert-Schifferer zeichnet in ihrem großzügig illustrierten Band ein bewegtes, vielseitiges Bild von Leben und Werk des Künstlers.
Dabei stellt sie zahlreiche Klischees in Frage, welche das Urteil über Caravaggio von Anfang an geprägt haben. Indem sie ihn in den Kontext seiner Zeit stellt, macht sie einen anderen Caravaggio sichtbar, der sich als nicht weniger schillernd und fesselnd erweist. Anders als immer wieder behauptet, mangelte es dem Maler weder an Bildung noch an Frömmigkeit, und er war technisch höchst versiert. Er entwickelte eine erfolgreiche Marktstrategie, erlangte großes Ansehen bei seinen hochstehenden Auftraggebern, und selbst seine juristischen Vergehen folgten den Verhaltensnormen einer adeligen Schicht, an der er sich orientierte. Alle originalen Gemälde Caravaggios sind in diesem Band abgebildet. In ihnen durchdringen sich Profanes und Heiliges auf unnachahmliche Weise. Im Geiste ihrer Zeit sollten sie die Affekte ansprechen, beim Kenner Staunen erregen und die Menschen zum Glauben führen. Das Geheimnis der ungeminderten Wirkung von Caravaggios Kunst erschließt dieses neue Standardwerk.
Dabei stellt sie zahlreiche Klischees in Frage, welche das Urteil über Caravaggio von Anfang an geprägt haben. Indem sie ihn in den Kontext seiner Zeit stellt, macht sie einen anderen Caravaggio sichtbar, der sich als nicht weniger schillernd und fesselnd erweist. Anders als immer wieder behauptet, mangelte es dem Maler weder an Bildung noch an Frömmigkeit, und er war technisch höchst versiert. Er entwickelte eine erfolgreiche Marktstrategie, erlangte großes Ansehen bei seinen hochstehenden Auftraggebern, und selbst seine juristischen Vergehen folgten den Verhaltensnormen einer adeligen Schicht, an der er sich orientierte. Alle originalen Gemälde Caravaggios sind in diesem Band abgebildet. In ihnen durchdringen sich Profanes und Heiliges auf unnachahmliche Weise. Im Geiste ihrer Zeit sollten sie die Affekte ansprechen, beim Kenner Staunen erregen und die Menschen zum Glauben führen. Das Geheimnis der ungeminderten Wirkung von Caravaggios Kunst erschließt dieses neue Standardwerk.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.20097. So viel Caravaggio war noch nie
Plötzlich liegen da gleich zwei Riesenbände über Caravaggio auf einmal vor einem. Zwei Bücher, ein Gegenstand. Die Autoren dürften sogar Tür an Tür gesessen haben: Sybille Ebert-Schifferer leitet die Bibliotheca Hertziana in Rom, Sebastian Schütze hat lange dort gearbeitet, jetzt lehrt er in Wien. Zufall? Pech? Beide haben sogar das gleiche Umschlagmotiv: das Gesicht der Judith, wie sie sich selbst stirnrunzelnd beim Absägen des Kopfes von Holofernes zuschaut, denn natürlich legen beide den Fokus auf das Staunen, den Glauben und die Radikalität Caravaggios.
Es ist damit nun ein bisschen so wie früher bei den doppelten Diaprojektionen im Kunstgeschichtsstudium: zwei Varianten des gleichen Motivs. Nun muss verglichen werden. Zunächst einmal: Beides sind die seriösesten Caravaggio-Studien seit langem. Es steht erstaunlich wenig Quatsch drin, und das ist bei diesem Maler leider nicht selbstverständlich. Normal sind leider psychologisierende Schmonzetten. Hier wird alles strikt aus den Bildern herausgeholt, nichts aus der Phantasie, endlich dürfen die Bilder wieder noch dramatischer sein als Caravaggios Leben. Man muss schon lange suchen, bis man was zum Nörgeln findet. Dass Ebert-Schifferer die Nebenfigur Vicente Carducho für einen Spanier hält, obwohl das ein Florentiner war, vielleicht . . . Aber sonst?
Beide Bücher sind für das sogenannte breite Publikum geschrieben, das es schließlich auch verdient hat, den aufregendsten, aktuellsten, film-noir-haftesten Maler des Frühbarock in dieser Ausführlichkeit vorgestellt zu bekommen. (Die wahren Abgründe im Lächeln des "Amor" hier oben begreift schließlich erst, wer weiß, was er mit seiner linken Hand da treibt.) Ebert-Schifferers Buch ist bei C. H. Beck erschienen; Schützes im Taschen-Verlag, der sehr viel Wert auf die Ausstattung gelegt hat: Viele Bilder wurden extra neu fotografiert, zu jedem Gemälde gibt es riesenhafte Detailaufnahmen. So nah kommt man nicht einmal vor den Originalen ran. Dafür kostet es auch fast doppelt so viel.
Und welches soll man nun nehmen? Beide natürlich.
Peter Richter
Sybille Ebert-Schifferer: "Caravaggio, der Maler und sein Werk", C. H. Beck, 58 Euro; Sebastian Schütze: "Caravaggio, das vollständige Werk", Taschen, 100 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Plötzlich liegen da gleich zwei Riesenbände über Caravaggio auf einmal vor einem. Zwei Bücher, ein Gegenstand. Die Autoren dürften sogar Tür an Tür gesessen haben: Sybille Ebert-Schifferer leitet die Bibliotheca Hertziana in Rom, Sebastian Schütze hat lange dort gearbeitet, jetzt lehrt er in Wien. Zufall? Pech? Beide haben sogar das gleiche Umschlagmotiv: das Gesicht der Judith, wie sie sich selbst stirnrunzelnd beim Absägen des Kopfes von Holofernes zuschaut, denn natürlich legen beide den Fokus auf das Staunen, den Glauben und die Radikalität Caravaggios.
Es ist damit nun ein bisschen so wie früher bei den doppelten Diaprojektionen im Kunstgeschichtsstudium: zwei Varianten des gleichen Motivs. Nun muss verglichen werden. Zunächst einmal: Beides sind die seriösesten Caravaggio-Studien seit langem. Es steht erstaunlich wenig Quatsch drin, und das ist bei diesem Maler leider nicht selbstverständlich. Normal sind leider psychologisierende Schmonzetten. Hier wird alles strikt aus den Bildern herausgeholt, nichts aus der Phantasie, endlich dürfen die Bilder wieder noch dramatischer sein als Caravaggios Leben. Man muss schon lange suchen, bis man was zum Nörgeln findet. Dass Ebert-Schifferer die Nebenfigur Vicente Carducho für einen Spanier hält, obwohl das ein Florentiner war, vielleicht . . . Aber sonst?
Beide Bücher sind für das sogenannte breite Publikum geschrieben, das es schließlich auch verdient hat, den aufregendsten, aktuellsten, film-noir-haftesten Maler des Frühbarock in dieser Ausführlichkeit vorgestellt zu bekommen. (Die wahren Abgründe im Lächeln des "Amor" hier oben begreift schließlich erst, wer weiß, was er mit seiner linken Hand da treibt.) Ebert-Schifferers Buch ist bei C. H. Beck erschienen; Schützes im Taschen-Verlag, der sehr viel Wert auf die Ausstattung gelegt hat: Viele Bilder wurden extra neu fotografiert, zu jedem Gemälde gibt es riesenhafte Detailaufnahmen. So nah kommt man nicht einmal vor den Originalen ran. Dafür kostet es auch fast doppelt so viel.
Und welches soll man nun nehmen? Beide natürlich.
Peter Richter
Sybille Ebert-Schifferer: "Caravaggio, der Maler und sein Werk", C. H. Beck, 58 Euro; Sebastian Schütze: "Caravaggio, das vollständige Werk", Taschen, 100 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Verdienstvolle "Mythendestruktion" bescheinigt die Rezensentin Christine Tauber, die selbst Kunstgeschichte lehrt, ihrer Fachkollegin Sybille Ebert-Schifferer und deren Caravaggio-Monografie. Wo vorher ein durchweg negatives Bild des Malers Caravaggio gezeichnet wurde und man ihm kriminelle Machenschaften und exzessiven Umgang mit Prostitutierten vorwarf, rekonstruiert Ebert-Schifferer einen anderen Caravaggio, der sich vor allem in Marketingstrategie verstand, wie Tauber erzählt. Dass das in der Forschung bereits bekannt sei, räumt Tauber ein, sieht aber beim vom Buch angestrebten Publikum der Kunstfreunde noch Nachholbedarf. Tauber lobt die Redegewandtheit der Autorin und ist auch mit dem Quellenumfang zufrieden. Einzig Caravaggios Zeit in Neapel und auf Sizilien hätte man vielleicht ausführlicher beschreiben können, meint Tauber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Hier wird alles strikt aus den Bildern herausgeholt, nichts aus der Phantasie, endlich dürfen die Bilder wieder noch dramatischer sein als Caravaggios Leben."
Peter Richter, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Der wunderbar lesbare Text argumentiert immer wieder so überraschend und stellt so treffende Fragen, dass man sich nur allzu gerne von der Autorin leiten lässt."
Christine Tauber, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Großzügig gestaltet, lädt uns der Band ein, einzutauchen in eine versunkene Welt. Erkenntnisfreude garantiert - ein Glücksgriff."
Norbert Sperling, Deutschlandradio Kultur
"Eines der schönsten und klügsten Bücher, die es zu diesem Maler je gab."
Berliner Zeitung
Peter Richter, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Der wunderbar lesbare Text argumentiert immer wieder so überraschend und stellt so treffende Fragen, dass man sich nur allzu gerne von der Autorin leiten lässt."
Christine Tauber, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Großzügig gestaltet, lädt uns der Band ein, einzutauchen in eine versunkene Welt. Erkenntnisfreude garantiert - ein Glücksgriff."
Norbert Sperling, Deutschlandradio Kultur
"Eines der schönsten und klügsten Bücher, die es zu diesem Maler je gab."
Berliner Zeitung